2013 - Ostern mit dem Wohnmobil in der Provence

Flamingos in der CamargueOstern 2013 oder Unsere Flucht vor der Eiszeit - Unter dieses Motto könnten wir unsere kurze Reise in die Camargue und den Luberon auch stellen. Im tiefen Süden Frankreichs umfing uns zwar auch nicht nur eitel Sonnenschein, aber die Temperaturen beflügelten doch die Hoffnungen auf den herannahenden Frühling. Unsere Hovawartdamen Anouk und Fianna jedenfalls ließen keine Zweifel über die Richtigkeit unseres Fluchtversuchs aufkommen und genossen unseren Ausflug jede auf ihre Art: die Alte knurrig, abgeklärt und reiseweise, die Junge voller Enthusiasmus und mit dem Wunsch nach mehr im Blick.

 

Kopfkino.

Einen Winter lang Dauerberieselung durch einen Film mit dem Titel: „Wann wird es endlich wieder Womo?“ Einen ganzen langen Winter lang! Kaum war unser Womo im Winterlager, eingepuppt in eine riesige Plane und fest verzurrt wie ein Rollbraten, trieb uns die Frage um, wann wir die Leinen wieder lösen könnten – und wohin es dann gehen sollte? Die Beantwortung der ersten Frage setzte die der zweiten, zumindest teilweise, je nach deren Zuschnitt, voraus. Vorauszusehen war allerdings, dass zwei Süchtige nicht für Enthaltsamkeit bis Herbst plädieren würden, sondern auf einen frühestmöglichen Kick. Und so kam es dann. Der Familienrat (zwei Zweibeiner, eine blonde Vierbeinerin als Elder Stateswoman mit stattlicher Reiseerfahrung und eine dunkelhäutige Nachwuchshoffnung mit großer Klappe, aber ohne Stimmrecht) trat zusammen und beratschlagte die Lage. Ostern, so die einhellige Meinung, müsse man fahren, sonst würde der Entzug zu groß. Pfingsten sollte man fahren und Sommer muss man ebenfalls auf die Reise. Weiter gingen unsere Planungen nicht, der Herbst liegt noch in weiter Ferne und entzieht sich für uns jeglicher Planung. Warum soll man auch so viel planen, wenn man ein Wohnmobil hat, das wäre ja geradezu ein Widerspruch in sich. Wer planen will, möge ein Hotel buchen und sich einen Schalenkoffer kaufen. Wir haben ein Womo.

Und da schnurrt es schon wieder – das Kopfkino. Diesmal ohne jegliche Vorfreude. Diesmal mit Nachtrauer. Unser Womo haben wir eigentlich nur wegen unserer Franzi angeschafft. Natürlich wussten wir im vergangenen Frühjahr, dass es immer schwieriger werden würde, mit jetzt drei Hunden Hotels oder Ferienhäuser zu finden, und wenn, dann müsste man wirklich mindestens ein Jahr im Voraus planen und das macht schon Anouks biblisches Alter von fast zwölf Jahren ziemlich unmöglich. Aber der ausschlaggebende Grund fürs Womo war Franzi, unsere lahme Franzi. Ihr wollten wir die letzten Monate noch schön und so unbeschwert wie möglich gestalten, ihrem siechen Kreuz keine Hotel- und Quartierstreppen mehr zumuten. Der Urlaub in Fehmarn, Ostern 2012, hatte sie treppentechnisch schon ziemlich an ihre Grenzen gebracht, obwohl sie damals noch ziemlich gut auf den Beinen war. Aber dass die Myelopathie in grausamer Zuverlässigkeit täglich mehr von ihrer Mobilität aufzehren würde, war vorhersehbar. Deswegen wollten wir ihr all die Treppen ersparen, mit ihr direkt dorthin fahren, wo es schön war, ohne ihr lange Gehstrecken zumuten zu müssen, am Strand in der Normandie übernachten und nicht zwei Kilometer entfernt. Das war unser Antrieb. Es ist immer noch Franzis Womo – nur Franzi ist halt nicht mehr. Kopfkino! Ihre letzte Reise nach Meisdorf in Sachsen-Anhalt absolvierte sie im Womo und zwei Wochen später verabschiedete sie sich. Nun ist sie irgendwo und nirgendwo, nur nicht hier mit uns in ihrem Womo. Nimmermehr. Und doch reist Franzi immer mit, ist unser guter Geist und unser Schutzengel.

Franzi bleibt unser SchutzengelFranzi, unser Schutzengel ist immer mit dabeiKopfkino… Wir taufen unser Womo deshalb Franz, auch wenn es kitschig ist. Jedenfalls haben wir mehr Recht, unser Womo auf den Namen Franz zu taufen als all diejenigen, die ihre Rostbeulen aus schierer Langeweile Priscilla, Mücke oder Wolke nennen. Da lassen wir uns nicht dreinreden. Franz heißt unser Familienrollator, bis dass der Rost uns scheidet.

Trauerbewältigung hin, Lebensbewältigung her, jedenfalls muss ein Ziel für Ostern her und das ist gar nicht so einfach, wenn Ostern schon Ende März liegt. Wir sind keine Wintercamper, schon gar nicht, wenn der Winter sowieso schon den halben Frühling vereinnahmt hat und die Sehnsucht nach ein paar warmen Tagen fast stärker ist als die nach einer Urlaubsreise. Deswegen entfallen so reizvolle Ziele wie Dänemark, überhaupt Nord- und Ostsee (letztes Jahr in Fehmarn war es schon reichlich frisch, obwohl Ostern eine Woche später lag). Demnach scheiden auch die Bretagne und die Normandie aus. Griechenland ist dort, wo es schon warm ist, für zwei Wochen zu weit und im Norden Griechenlands weiß man auch nicht, was einen in dieser Jahreszeit erwartet. Italien und Spanien fehlt das Herz für Hunde, da ist der schäbigste Strand noch ein Juwel, das es vor Hunden zu schützen gilt, koste es, was es wolle. Also fällt uns Südfrankreich ein, eventuell bis hinunter in die Camargue, dort sollte es bei etwas Glück doch heimelig genug sein für vier Frostbeulen. Dass auf dem Weg dorthin sich der Luberon quasi in den Weg legt, kann kein Zufall sein, sondern folgt einem klugen Plan, weil unsere einschlägigen Weinvorräte schon stark gelichtet sind und um Nachschub betteln. Voilá.

Der Vollständigkeit halber wollen wir den gesamten Beschluss des Familienrats noch dokumentieren: nach aktueller Lage verzichten wir auf eine Ferienreise an Pfingsten, Garten und Haus sollen auch nicht an Vernachlässigung leiden, und im Sommer geht es für mehrere Wochen nach Schweden. So der Plan.

Jetzt soll es aber erst einmal Frankreich sein.

 

Samstag, 23.3. 2013

Die Tage der Sehnsucht haben ein Ende, ebenso die Tage der Vorbereitung, und Womo Franz wurde aus seinem Winterlager vor unser Haus gerollt und reisefertig gemacht. Jetzt geht's los. Und zwar um 11:45 Uhr MEZ. Wir protokollieren 3°C, Hochnebel und Wolken. Alles, was man in dieser Jahreszeit nicht braucht, auf einmal. Die Aussichten für die nächsten Tage lassen keinen Heimatschmerz aufkommen und machen uns den Abschied noch leichter als er uns sowieso schon gefallen wäre. Wir besorgen uns noch schnell eine zweite 11-kg-Gasflasche, damit wir auch für eventuelle kalte Tage genug Treibstoff für die Heizung haben, bringen unser Alltagsgefährt noch schnell in die Werkstatt, damit es in unserer Abwesenheit endlich seine Beulen und Schrammen los wird, und dann geht es richtig los - nach Deggendorf! Richtig, so ahnt auch ein nicht Landeskundiger, das liegt in Niederbayern und eher nördlich von unserem Stammsitz, nicht südlich, wo es hingehen soll. Aber der Blues hat keinen verwirrten Kompass, nicht doch!, es ist gute Sitte beim Blues, die Dinge nicht übers Knie zu brechen und sich den Reisezielen in Kreisbewegungen zu nähern, wie es ja auch Hunde tun, wenn sie bei Trost sind, und sich nicht frontal ansteuern, sondern Kringel umeinander tänzeln. Auf dem Hundeplatz in Deggendorf ist Saisoneröffnung, da wollen wir mitmachen und vor allem Fianna ein paar Freiübungen gönnen, damit sie endlich den winterlichen Triebstau etwas abbauen kann. Sie war in den letzten Wochen kaum noch zu ertragen, hatte nichts als Müll in der Birne und war ständig mit Vollgas unterwegs. Da sind ein paar kurze Übungseinheiten gerade das richtige Heilmittel, um sie wieder auf den Boden zu bringen. Auch Anouk darf mitmachen, ihre beinahe zwölf Jahresringe über den Platz wackeln und dem Helfer an die Wäsche gehen. Allein dieses Vergnügen für die alte Dame ist den Umweg über Niederbayern wert.

Zudem lehrt uns der Aufenthalt in Deggendorf, dass unser Entschluss zur Flucht in den Süden der einzig richtige war. Hier hat es um 0° C bei einem hundsgemeinen Ostwind, der einem fast das Leben durch die Rippen siebt. Da bleibt sogar die Freude über einen ziemlich blauen Himmel recht getrübt. Unverhoffte Freude beschert uns dagegen klein Charlotte Soo Mi, die aus unserem Womo ein Womili macht („Fianna Womili?“ „Ja, Fianna ist im Womili.“). Seither sind wir stolze und wehmütige Besitzer eines Womili Franz.

Logisch, dass wir die Nacht in unserem Womili auf dem Hundeplatz verbringen. Wo sonst?

 

Sonntag, 24.3. 2013

Morgens um 7 Uhr hat es 2° C und Schneeregen - aber eine Stechmücke im Womili! Bedeutet das, dass sich die gesamte Kreatur langsam in unserer Arche versammelt, um die bevorstehende Frühlingsapokalypse abzuwettern? Dagegen haben wir etwas und verschwinden um 8 Uhr, damit sich das nicht noch herumspricht. Wer jetzt glaubt, wir richten unseren Kompass gen Süden, kennt die Chefin und die Rituale des Blues nicht. Deggendorf auf dem Weg nach Frankreich gehört nicht ins Standardprogramm, das war nur eine kleine Schnurre, aber Himmelkron in Oberfranken, Landkreis Kulmbach, liegt auf dem Weg nach Frankreich. Dort hat die Chefin immer noch einen Termin, heute ist es das Zuchtwartetreffen des Rassezuchtvereins für Hovawarthunde (RZV) der Landesgruppe Süd. Und weil diese Landesgruppe ganz Bayern, Thüringen, Sachsen und Teile Brandenburgs umfasst, trifft man sich in einer gefühlten Mitte und die vermutet man in jenen Funktionärskreisen eben in Himmelkron. Also headen wir North bei ekelhaftem Schneeregen und Sprit fressendem, scharfem Nordostwind. Alle Wege führen nach Frankreich, und einer davon immer über Oberfranken und Himmelkron. Immerhin neigt die Niederschlagslage mit den Kilometern zur Mäßigung, was heißen soll, dass es zunehmend trocken und auch sonniger wird. Um 10:30 Uhr messen wir in Himmelkron doch schon erfreuliche 5°C. Doch gar nicht so schlecht für den 24. März, oder?

Gegen 17 Uhr ist das Funktionärs-Round-Up überstanden und wir setzen unser Womili wieder in Bewegung, jetzt stramm nach Westen, nach Unterfranken. Ziel ist Langendorf bei Hammelburg, wo wir den örtlichen Sportplatz unter die Lupe nehmen und mit dem ortsansässigen Co-Organistator der im Juni hier geplanten Hovawartausstellung einige Details zur Planung besprechen. Frankreich hat nicht priorité, wenn es um die besten und schönsten Freunde des Menschen geht. Nach diesem Tète-â-tète reisen wir weiter nach Morlesau, das sozusagen auf der anderen Seite Hammelburgs liegt, stellen unseren Franz um 19:45 Uhr auf einem Parkplatz direkt an der Fränkischen Saale ab, messen 4°C und sind mehr denn je davon überzeugt, dass es eigentlich nur noch besser werden kann mit diesem Frühling. Im vertrauten Gasthof Nöth lassen wir uns eine schmeichelnde Bärlauchcreme-Suppe und köstliches Weidelamm und Schupfnudeln mit Gemüse und Kräutern munden und sind ab sofort von Kopf bis Fuß auf Frankreich eingestellt. Und klingt nicht Morlesau schon irgendwie richtig französisch: Morleseau?

Um 21:30 Uhr, einer Zeit, wo wir zuhause über den dritten Tagesabschnitt nachdenken, gehen im Womili die Lichter aus - und das französische Kopfkino an.

 

Montag, 25.3.2013

An der fränkischen Saale in MorlesauAn der fränkischen Saale in Morlesau6:30 Uhr: 0° C und blauer Himmel über der fränkischen Saale. Zum Frühstück gibt es einen Zitronenkuchen aus der Heimat, den uns ein besorgter Geist, ohne unser Wissen, ins Womo gestellt hatte und eine superreife und supersüße Mango.

Um 8 Uhr brechen wir auf, nur wohin es genau gehen soll, wissen wir noch nicht. Zwei Alternativen stehen im Raum, die eine führt uns so weit in den Süden, bis wir keine Lust mehr haben, die andere weiter westlich ins Zentralmassiv zu unseren Nachbarn, die dort ein Haus besitzen und sich gerade dort aufhalten. Noch steht die Entscheidung nicht an, aber im Raum. Um 8:45 Uhr lassen wir Würzburg hinter uns und biegen bald darauf auf die A 81 Richtung Heilbronn. Um kurz vor 10 Uhr geht es auf die A 6 in Richtung Mannheim und eine halbe Stunde später sind wir auf der A 5 in Richtung Basel. Das Wetter ist eine einzige Katastrophe: Schnee, Schneeregen, Graupel, Wind überall auf der Alb und im Schwarzwald. Einige Kilometer östlich, so hören wir aus dem Radio, ist das Verkehrschaos ausgebrochen, weil es bis zu zehn Zentimeter geschneit hat. Unsere Planung neigen mehr der Flucht in den Süden zu als einen Abstecher ins Zentralmassiv auf 800 Meter zu wagen. Zum Wetterwahnsinn Ende März kommt der deutsche Autobahnirrsinn. LKW an LKW, wie an einer Perlenkette auf- und nebeneinander gereiht, weil es ein paar immer besonders eilig haben, das vor allem am Berg, und zu all dem auch noch das Sauwetter. Ein wahres Vergnügen, das unserer Flucht neuen Antrieb gibt. Dazu Baustellen ohne Ende, die unendliche auf der A 5, meinen wir vor zwei Jahren auf unserem Weg in die Bretagne schon kennengelernt zu haben. Wer den Geisteszustand einer Nation in Erfahrung bringen möchte, begebe sich auf ihre Straßen.

Doch das Elend hat ein absehbares Ende. Um 12:30 Uhr biegen wir auf die A 36 in Richtung Lyon und überqueren wenige Augenblicke später den Rhein und die Grenze bei Mulhouse. Und wie in all den Jahren zuvor sind die Zusammenballungen von LKW plötzlich verschwunden; immer wieder versetzt uns diese Tatsache in schiere Fassungslosigkeit. Wohin verschwinden die alle? Gibt es da so eine Art LKW-Entmaterialisator, der sie einfach verschwinden lässt? Beam me up, Scotty - und weg sind sie und materialisieren sich wieder an ihrem Bestimmungsort? Das Wetter hat sich entspannt, der Verkehr sowieso, fast ist man versucht, die wenigen "schweren Jungs" wie liebe Freunde mit Handschlag zu begrüßen, und Baustellen gibt es auch kaum. Anders als bei unseren früheren Aufenthalten in Frankreich, müssen wir dennoch einige Baustellen passieren, aber die sind so geschmeidig, dass man sie kaum wahrnimmt. Mit der deutschen Ramsauerei hat das nichts zu tun. Und trotzdem - wir notieren es immer wieder - sind die französischen Autobahnen in einem Topzustand.

Gleich hinter der Grenze tanken wir, weil die Navigatorin der Überzeugung gewesen war, dass der Sprit in Frankreich billiger sei, so sei es zumindest bisher gewesen. Heute zahlen wir 1,52 € für den Liter Diesel, bei 62 Litern schlägt das mit 95 € zu Buche. Naja, Autobahn eben, spendet man sich Trost.

Und ebenfalls gleich hinter der Grenze kann es dann passieren, dass man sich über die allgegenwärtige Abwesenheit von LKW erfreut und unversehens einen Castor-Transport überholt, hinten ein kleines Gendarmeriewägelchen mit ohne Blaulicht, vorne ein kleines Gendarmeriewägelchen mit ohne Blaulicht, drinnen je zwei gelangweilte Uniformierte, so als ob sie eine überlange Yacht zum Mittelmeer geleiteten, dazwischen aber keine Superyacht, sondern drei der hinlänglich bekannten Strahlencontainer - ganz unspektakulär einfach so auf der Autobahn, inmitten des Montagsverkehrs. Für so etwas werden bei unser Hundertschaften abgestellt, um die Tausendschaften Demonstranten in Schach zu halten, hier reicht eine kleine Stammtischbesetzung mit Baguett in den Backentaschen, weil nichts und niemand in Schach zu halten ist. Man muss nicht nach Asien oder Afrika, um in eine andere Welt zu gelangen, manchmal genügt ein Grenzübertritt nach Frankreich. 

Unser Plan steht jetzt fest: wir wollen in den Süden, aber nicht, weil wir den Castoren ausweichen wollen, die vermutlich Richtung La Hague in die Normandie unterwegs siind, sondern weil die Wetterprognosen im Internet keinen Hoffnungsschimmer versprechen, nur im Süden soll es besser sein, vor allem wärmer. Mit etwas Regen können wir leben, aber die Kälte steht uns bis hier.

Camping Municipale MâconDer fast leere Campingplatz in MâconUm 15:15 Uhr biegen wir bei Beaune auf die A 6 ab in Richtung Lyon und 50 Minuten später machen wir im Camping Municipale von Mâcon fest (N 46° 19' 47'' E 4° 50' 46''). Genug für heute: nach 725 km haben unsere Mädels das Recht, sich die Glieder auszuschütteln. Für eine Nacht zahlen wir 24,10 €. Der Platz liegt nur einen Katzensprung neben der Autobahn in einem der üblich hässlichen Gewerbegebiete, ist aber selber sehr sauber und gepflegt, das gilt vor allem auch für die Sanitäranlagen, alles neu, großzügig und sauber. Die einzige Einschränkung: die Duschen haben zwar heißes Wasser, sind aber nicht beheizt, was bei den aktuellen Temperaturen schon einen gewissen Bibber- und Schrumpffaktor in sich trägt. Bei unserer Ankunft messen wir 11° C, verglichen mit dem, was wir hinter uns ließen, immerhin ein strammer Schritt in Richtung Frühling. Schließlich sind wir im sonnigen Burgund, da kann man ja auch ein bisschen Komfort erwarten. Wir nehmen unsere Mädels an die Leine und machen uns auf den Weg zur Saône, die nur etwa hundert Meter am Campingplatz vorbeifließt. Dazwischen liegt aber ein Gebiet zur Wasseraufbereitung, das mit Zäunen abgesperrt ist. Wir müssen also aus dem Campingplatz heraus, scharf links Die saone in MâconDie Saône in Mâconabbiegen und die Rue du KM 400 hinunter marschieren. An deren Ende, bei den Messehallen, schwenken wir wieder links und sind nach weiteren 100 Metern in einer Art Parkanlage. Links führt ein Spazierweg am Fluss entlang, neben dem sich eine brauchbare Hundewiese ausbreitet und rechts geht es an Sportplätzen vorbei, ebenfalls mit viel Grün und unter mächtigen Bäumen. Wir halten uns links, und die Mädels werden zu Wasser gelassen und dürfen über die Wiese toben, um ihre steifen Knochen wieder in Schwung zu bringen.

Den Chauffeur bewegt derweil die Frage, warum eine Straße "Straße der 400 KM" heißt. Seine Gedanken sinken in den Fluss und triften mit der Saône davon: Es war einmal ein großes Land, in dem gab es eine große Stadt, welche die Menschen in diesem Land Hauptstadt nannten. Dann wurde aus dem großen Einland mit der großen Stadt ein Zweiland und die große Stadt war plötzlich ein Eiland inmitten einer schrecklichen Wüstenei, die von Menschen des östlich barbarischen Schlags bewohnt war. Das Eiland konnte nur über einen einzigen Zufahrtsweg erreicht werden, an dessen Eingang man von rohen Gestalten schikaniert und beschimpft wurde, und auf dem langen Korridor lief man Gefahr, von uniformierten Piraten gekapert und gefoltert zu werden. Die guten Menschen in der guten Hälfte des einstigen großen Einlands wollten aber ihre einstige Hauptstadt nicht vergessen und schlossen sie so sehr in ihre Herzen, dass sie überall in ihren braven Städten Straßen und Plätze nach ihrer geraubten und geschändeten Hauptstadt benannten und Säulen aufstellten, auf deren Spitze ein Bärchen in Richtung der verlorenen Stadt zeigte. Das Bärchen schritt meist wohlgemut fürbass und deutete mit seinen Pfoten in die Himmelsrichtung, wo das Eiland lag. In die Säule war die Entfernung bis zur verlorenen Hauptstadt eingemeißelt: Berlin 530 km. Doch dann wurde plötzlich aus dem traurigen Zweiland wieder ein stolzes Einland und aus dem Eiland wieder die Hauptstadt. Aber mit der Zeit meinten die Menschen, dass sie die Hauptstadt viel lieber hatten, als sie noch in Kaperland verschollen und gedemütigt war und sie begannen, ihr mit Misstrauen zu begegnen und sie in Misskredit zu bringen und ihr alles Schlechte zuzutrauen. Und jetzt stehen immer noch in vielen Städten die Bärchen auf den Säulen und zeigen mit ihren Pfoten auf die ungeliebte Hauptstadt. Doch sie wollen damit nicht mehr sagen: "Da geht es zur Hauptstadt", sondern "Die da drüben sind an allem schuld". So ist das mit der großen Stadt und ihren vielen kleinen Bärchen. Im Westen des großen Einlands liegt ein anderes großes Land, das seit Menschengedenken auch eine große Stadt hat, und auch die Bewohner dieses Landes nennen sie ihre Hauptstadt. Über dieser großen Stadt brummt kein Bär, sondern es kräht ein stolzer Hahn. Wie es so vielen Hauptstädten ergeht, mag auch diese niemand außerhalb ihrer Mauern leiden und die Menschen, die in ihr leben, sind landauf, landab sehr unbeliebt und haben einen ganz schlechten Ruf. Weil sie so ganz und gar unbeliebt sind und als überflüssig und lästig empfunden werden, nennen die Leute, die nicht in der Hauptstadt leben, sogar ihre Verhütungsgummis nach ihnen. Aber niemand spricht das aus, nirgendwo stehen gallische Gockelhähne auf Säulen und picken mit spitzen Schnäbeln in die Himmelsrichtung der Hauptstadt, um sie schlecht zu krähen. Man spricht den Namen der Stadt am besten gar Rue du km 400nicht aus. Aber weil es die Stadt nun einmal gibt und man sie nicht totschweigen kann, und weil jedes Land eine Hauptstadt braucht, auch wenn man sie allesamt nicht leiden kann, nennt man Straßen "Rue du KM 400", um den Bürgern mitzuteilen, wie weit es von hier zur Hauptstadt ist. Die können sich dann immer, wenn sie durch diese Straße gehen, freuen oder traurig sei, dass sie so weit von der Hauptstadt weg leben, aber so zollt man ihr trotzdem den nötigen Respekt, weil man sich trotz aller Abneigung nicht vorstellen kann, wie man ohne sie leben sollte. Man kann noch viel über Gelassenheit und Würde voneinander lernen in Europa. 
Als der Chronist sein abgetriebenes Gedankengut wieder aus der Saône keschert, ist die Sache mit der komischen "Straße der 400 KM" geklärt.

Nach dem Spaziergang genehmigen wir uns einen Willkommenstrunk, einen Hugo und einen Spritz, den uns der nämliche gute Geist eingepackt hatte, der uns auch den Zitronenkuchen in den Proviant gesteckt hatte. Anders als dem Kuchen widerfährt aber den Willkommenstrunken ein klägliches Schicksal, weil der Womili-Tisch unter ihnen einknickt und sie im ganzen Womo verteilt. Dabei wäre beinahe unser dunkelhäutiger Nachwuchs erschlagen worden. Nur wenig später bricht der Tisch ein zweites Mal unter seiner zarten Last zusammen, diesmal zum Schaden der unter ihm ruhenden Stammmutter des Blues. Spätestens jetzt wird klar, dass wir Abhilfe schaffen müssen, bevor die Verluste tatsächlich realisiert werden müssen. Fürs erste vermeiden wir jede unkontrollierte Belastung, was immer das in der Praxis eines Esstisches bedeuten soll.

Wir haben keine Lust zu kochen und gehen über die Straße in den Buffalo Grill, ein amerikanisches Restaurant-Imitat, mit Imitat-Lederbänken und teilnahmslosen Kellnern in Karohemden. Die angebotenen Speisen sind erwartungsgemäß Rindfleisch- und Pommes-lastig und geschmacklich angepasst: kleinkariert und ledern eben. Selber schuld, wenn man seinen Appetit in der Bourgogne der Bequemlichkeit zuliebe einer Ami-Kette anvertraut! Immerhin kann es kulinarisch nur noch aufwärts gehen. Für diejenigen, die sich einmal auf diesen Platz verirren, sei angemerkt, dass es zu touristisch relevanteren Zeiten auch ein Restaurant am Campingplatz gibt, über das wir aber nichts sagen können, weil es noch geschlossen hat.

Wir sind trotzdem sehr zufrieden mit diesem Platz. Als Stopp-Over auf dem Weg in den Süden können wir ihn empfehlen, auch wenn die Lage jeglichen Charme vermissen lässt. Um diese Jahreszeit fühlt man sich hier fast wie ein Einsiedler, so leer ist der Platz.

 

Dienstag, 26.3.2013

Um 6:30 Uhr hat es 4° C, nicht gerade üppig, aber vielversprechend. Die Chefin kehrt mit einer Horrormeldung vom Morgenspaziergang zurück: Auf der anderen Seite des Parks, hinter den Sportplätzen flussabwärts, liegt ein von außen sehr ansprechendes Fischrestaurant mit allem, was das kulinarische Herz begehrt und einem Schlemmermenü für 33 €! Das alles direkt am Fluss und teilweise über den Fluss hinaus gebaut. Ja, leck! Da grill uns doch gleich einer einen Buffalo. Wir lernen, dass die Erkundungsspaziergänge mit den Hunden gar nicht weitschweifig genug sein können, was allerdings an der Belastungsgrenze einer zwölfjährigen Alterspräsidentin scheitert. Demnach müssen wir konstatieren, so leid es uns tut, dass Anouk an unserer Ami-Pleite schuld ist und die Verantwortung dafür trägt, dass wir nun keine kulinarischen Fischempfehlungen für Mâcon liefern können.

Um 11 Uhr reisen wir weiter. Unser Ziel ist Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue. Für uns zählt nur der zu erwartende Quecksilberstand und der ist für den äußersten Süden vielversprechend. Zwar soll es am Mittwoch einen Regeneinbruch geben (was für den ganzen Rest des Landes auch gilt), aber wenn wenigstens die Temperaturen stimmen, kann man damit leben.

Gegen Mittag passieren wir Lyon, mittendurch, und staunen, dass wir nicht ein einziges Mal zum Stehen kommen. Auch heute müssen wir uns wieder wundern, wie flüssig der Verkehr auf dieser Rennstrecke in den Süden fließt, zugespitzt könnte man sagen, er fließt so zügig wie der Verkehr zwischen Feldkirchen-Westerham und Rosenheim nachts um 2 Uhr (wenn kein Ferienverkehr ist!), wissen aber wohl, dass es nicht immer so ist. Trotzdem bleibt es uns ein Rätsel, wie die Franzosen das immer wieder hinkriegen und warum wir daran so zuverlässig scheitern? Ein ganz normaler Werktag auf der A 8 zwischen München und Ulm ist verheerender für die Nerven als der alljährliche Urlaubsstau der Franzosen zu Ferienbeginn und Ferienende, weil diese Staus vorhersehbar und zeitbegrenzt, jene jedoch der Basso Continuo unserer steckengebliebenen Mobilität sind. Die Fahrt in den tiefen Süden ist begleitet von einem zähen Hochnebelgrau, das sich allerdings herzerhebend lüftet, je weiter wir vorankommen. Hinter Orange ist der Himmel bereits blau und die Scheibenheizung auf Volllast, dass wir uns flugs die Pullis ausziehen und in T-Shirts weiterreisen. Vertraut zieht das Land an uns vorbei, die geduckten Steinhäuser, die Zypressen, die noch kahlen Weingärten. Es lockt uns wie ein lange vermisstes Zuhause.

Um 15:15 Uhr rollen wir mit dem fast letzten Tropfen Diesel in Saintes-Maries-de-la-Mer ein, und genehmigen uns zuallererst einen tiefen Schluck aus der Gazole-Pulle bei FINA: 68 Liter für 1,48 €, macht zusammen 101 €. Eine viertel Stunde später biegen wir auf den Campingplatz La Brise, direkt am Meer. Dieser Platz ist riesengroß, hat über tausend Stellplätze, ist aber momentan nur zu einem kleinen Bruchteil ausgelastet. Die Belegung wird allerdings kompakt vorgenommen, das heißt, dass alle Haustierbesitzer mit Strombedarf in einer Ecke zusammengetrieben werden, auch weil bei dieser überschaubaren Belegung längst nicht alle Sanitäranlagen in Betrieb genommen sind. Und weil die Einteilung der Stellplätze nur schwer ersichtlich ist, herrscht hier ein gewisses Chaos, die einen stehen längs, die anderen quer und dazwischen welche schräg. Nach einer Orientierungsrunde, bei der nicht nur wir die Lage begutachten, sondern auch selbst von den Ansässigen begutachtet werden, legen wir uns in eine "Box" und stellen die Triebwerke ab. Nach knapp 400 Kilometern (Rue du KM 400 in die Gegenrichtung?) entsteigen wir unserem Franz und dehnen unsere Glieder bei sagenhaften 20°C - alles richtig gemacht! Position: N 43° 27' 20'' E 4° 26' 10''.

Der Strand von Saintes-Maries-de-la-MerAnkunft am Strand von Saintes-Maries-de-la-MerWir zögern nicht und machen nicht lang rum: wir stapfen gleich los, am Strand entlang, wo sich überwiegend Fischer tummeln, und hinein in die Etangs, jene riesigen Wasserlachen, für die die Camargue bekannt ist. Die Chefin will jetzt sofort wissen, ob es hier wirklich Flamingos gibt, weil wir bei unserem letzten Aufenthalt, das war bei Lady Dianas Beisetzung im September 1997, keinen einzigen gesehen haben. Diese Grundlagenforschung duldet keinen, aber auch nicht den geringsten Aufschub.

Was zuerst auffällt, ist das wirklich unglaubliche Licht, das man nicht beschreiben kann, es auch gar nicht erst versuchen sollte, weil man es nur erleben oder malen kann. Weil der Chronist ein Schreiber und kein Maler ist, müssen die Leser jetzt eben ihre Phantasie bemühen und vielleicht ein paar Bilder von van Gogh daneben legen, um in die richtige Stimmung zu kommen (am besten aber, sie packen ihre Siebensachen und fahren los). 

Die EtangsDie Etangs mit FlamingosFassen wir diesen ersten Erkundungsgang wie folgt zusammen: Ja, es gibt Flamingos, und zwar reichlich. Zweitens gibt es von ihnen keine Bilder, weil just in diesem Augenblick das Tele-Zoom seinen Geist aufgibt (was sich später allerdings als Irrtum und Fehler in einer speziellen Belichtungsautomatik herausstellt, weshalb es dann doch wieder Bilder von Flamingos gibt). Und weil das nicht schon tragisch genug ist, stürzen sich die Mücken auf uns, wie auf vier Rindviecher auf der Weide, was sogar unsere Fianna zu Tanzeinlagen nötigt, weil es überall zwackt und juckt. Zu allem Überfluss versinkt der Chronist mitsamt seinen Reiseschuhen bis zu den Knöcheln im Schlick eines abgetrockneten Etangs, was seine Laune der seiner Lieblingsseniorin angleicht, die missmutig hinter uns her trottet, ihre Restläufigkeit zelebriert, das Leben scheiße findet, Spaziergänge sowieso, es sei denn Anouk mit VerehrerNur kein Neid, diese Südfranzosen sind eben etwas kleiner - aber fit wie ein Turnschuhes flöge mal ein Stock ins Wasser. Kastrierte und nicht kastrierte Rüden werden hofiert und umschwänzelt, egal welchen Formats sie sind, aber für uns hat das blonde Gift nur Widerworte und Schimpforgien, wenn sie nicht unverzüglich aus dem Auto darf, um sich dann aufzublasen, wenn sie nach wenigen Metern nicht ebenso unverzüglich wieder ins selbige zurück darf. Am Freitag ist Markt in Saintes-Maries-de-la-Mer, vielleicht bieten wir sie dort zum Verkauf an. Wir müssen uns noch über die aktuellen und regionalen Preise für Zwiderwurzen informieren.

Dabei müsste doch selbst eine so polyglotte Dame wie unsere Anouk Glücksgefühle verspüren, wenn sie zum ersten Mal am Mittelmeer ist. Hier war sie noch nie, aber das ist ihr einerlei, Wasser ist Wasser, Salz ist Salz, nasse Füße sind nasse Füße, und außerdem gibt es hier keine richtigen Dünen und keine Karnickel. Für sie ist das eher armselig, egal, ob an diesen Gestaden vor Zeiten Odysseus tümpelte, Hannibal sich die Füße wusch oder Cäsar sich mit einer bieg- und beugsamen Zigeunerin im Bett räkelte. Die Wikinger waren auch schon hier und sind von hier aus die Rhône hoch gefahren und die Sarazenen fanden hier auch ein reiches Betätigungsfeld. Alles wurscht, schlechte Laune ist schlechte Laune, am Mediterraneum wie an der Nordsee.  

Abgesehen von einer nölenden Hündin, die auch noch jedes Futter ablehnt, wenn es sich nicht um Leberwurst oder Hühnchen handelt, sind wir hier rundum zufrieden, obwohl ein paar berufslaute Nachbarn, solche, die schon ein einziges Ja oder Nein in einer Lautstärke schnarren, dass bei den anderen das Plastikgeschirr im Schapp scheppert, das Vergnügen beträchtlich schmälern. Um nicht Opfer von Stammesritualen zu werden, überlassen wir die landsmannschaftliche Zuordnung dieser Schreihälse geflissentlich dem Leser. Abgesehen davon ist uns ein nölender Hund immer noch lieber als ein grölender Nachbar.

Nach dem Spaziergang, so um 17:45 Uhr, fährt die Chefin mit dem Fahrrad los, um einzukaufen. Der Chronist bewacht den Trocknungsvorgang der Hunde, die vor dem Womo angeleint sind und repariert den Tisch. Es hat sich nämlich bei der Inspektion herausgestellt, dass im Scharnier des Tischbeins irgendein Teil ausgebrochen ist, weshalb das Bein nicht mehr belastbar ist. Das Scharnier befindet sich auf halber Höhe des Beins, um den Tisch bei Bedarf auf Höhe der gegenüber liegenden Sitzbank abzusenken und ihn zur Basis eines zusätzlichen Bettes zu machen. Da wir mit größter Wahrscheinlichkeit jetzt und nimmerdar kein weiteres Bett im Womili brauchen, wird das Bein versteift: ein Zelthering wird über das Gelenk gelegt und mit zwei Kabelbindern festgezurrt. Da knickt nix mehr ein. Basta.

Abends bescheren wir uns mit Rigatoni und Meeresfrüchten, dazu einen Rosé und die Welt liegt im satten Glanz des Lichts der Camargue. Während dieses Licht aber schon recht bald verlischt, wird es bei uns erst gegen Mitternacht dunkel. Wir sind zufrieden und irgendwie angekommen.

 

Mittwoch, 27.3.2013

Der Tag geht ja schon zünftig los. Anouk nervt den ganzen frühen Morgen rum, wir sagen ihr, dass sie endlich die Klappe halten soll, was sie auch tut, dafür macht sie die Schleusen auf und pinkelt uns ins heilige Womili. Da haben wir den Salat. Weil es nachts doch frisch geworden ist, haben wir die Heizung angeworfen, was Anouk zur maximalen Flüssigkeitsaufnahme bewegte, eine Menge, die sie nicht mehr beherrschte, weil ihre Blase und ihre Kanalisation halt auch nicht mehr so frisch sind wie am ersten Tag. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass sie sich eine niedliche Blasenentzündung zugezogen hat. Aber, das muss man ihr lassen: Sie pinkelt nicht einfach irgendwohin, sondern auf ihre Decke, die man mit einem kühnen Schwung ins Freie expedieren kann, bevor die ganze Bescherung durchs Womili schwappt. Stil hat sie schon, die Dame, und wir lernen wieder etwas dazu, nämlich, dass ältliche Damen nicht immer nur aus schlechter Laune nölen. Für uns bedeutet das nichts anderes, als dass wir ihren Launen noch mehr ausgeliefert sind, weil wir noch schwerer zwischen Ernst und Tyrannei unterscheiden können. Aber sie hat ja noch so viel gut bei uns, da kann sie sich noch einiges leisten, es muss ja nicht gleich nochmal ins Womo gepinkelt sein.

Fianna am Strand von Saintes-Maries-de-la-MerFianna am Strand von Saintes-Maries-de-la-MerUm 8 Anouk mit einem neuen VerehrerJe oller, je doller...Uhr hat es dann auch 8° C, der Himmel ist halb grau und halb blau und es ist windig. Wir sind gespannt, ob sich das für heute vorhergesagte Grau oder das beliebtere Blau durchsetzen wird. Wir führen unsere Mädels zum Strand, wo um diese Tageszeit nur Jogger und Hundespaziergänger unterwegs sind, und lassen sie im Wasser toben. Anouk, jetzt wieder ganz Grande Dame, verdreht einem neuen Liebhaber den Kopf, diesmal einem kastrierten, der aber offensichtlich immer noch Erinnerungen an bessere Tage hat, und ist ganz voller Sternchen um die Stirn. Kann das Wasser nicht halten, glaubt aber, sich Liebhaber halten zu müssen. Je oller, je doller. Und Fianna ist eifersüchtig. Sie möchte auch so eine kastrierte Promenadenmischung! Sie tanzt um die welsche Mesalliance und macht die beiden noch wuschiger. Wir machen, dass wir wegkommen. Die Chefin steigt aufs Fahrrad und besorgt Frühstück und was zum Naschen für nachmittags: Baguette, Croissants, Schokocroissants und Mandelcroissants. Wenn die Welt jetzt im Schneesturm versänke, wir hätten alles was man zum Glück braucht.

Das geschiente TischbeinDas geschiente TischbeinNach dem Frühstück um 9:30 Uhr wird das Ferienprogramm angeworfen: lesen, kramen, bosseln, Doku schreiben, Internet durchpflügen und - den Tisch nochmal reparieren. Der hat nämlich einer Belastungsprobe kurz vor dem Frühstück nicht standgehalten: die Gewalt des Kniegelenks hat die Kabelbinder gesprengt und den Hering durchs Womo geschossen. Man lebt gefährlich hier. Jetzt werden zwei Heringe, einer vor und einer hinter das Gelenk gelegt, und mit vier Kabelbindern angebracht. Jetzt muss der Tisch durchhalten, bis wir wieder zuhause sind, dann muss eine andere Lösung her.

Mittags messen wir schmeichelnde 15° C, aber als wir um 13 Uhr gerade mit Fianna zu einer kleinen Radwanderung aufbrechen wollen (Anouk darf das Womo hüten), beginnt es zu nieseln. Und noch mehr zu nieseln und dann zu bieseln, wie morgens unsere Anouk. Wir zeigen uns den Umständen entsprechend flexibel und stellen auf das bekannte Ferienprogramm um: lesen, dösen, kramen, bosseln und Doku schreiben.

Um 15 Uhr entspannt sich die Lage, es hat aufgehört zu regnen, und Heike greift sich die unausgelastete Nachwuchshoffnung: Radfahren am Meer. Bewegung bis der Orthopäde ruft. Salz im Pelz. Pferdeäpfel zwischen den Zähnen. Was für ein Leben!

Anouk genießt die RuheDie Ruhe ...Finstere Wolken ziehen vom Meer und von Italien her und das bewegt den Chronisten, die stolze Dame, bevor die Welt versinkt, auch ein wenig auszuführen, damit sie nicht als Dörrpflaume im Womo endet. Ohne Überzeugung folgt sie seinem Ruf, mehr ihren Körpersignalen folgend als ihrem Herrn; sie hat Ferien und ist nicht mehr die Jüngste, darauf sollte man Rücksicht nehmen. An der ersten Ecke, beim Wohnwagen aus Karlsruhe, pinkelt sie, zwei Ecken und drei Wohnmobile weiter kackt sie vor das zeltbewehrte Mobil aus Dänemark, dreht dann, während der Herr Leopold die Häuferl beseitigt, die Nase gegen die Laufrichtung, dorthin, wo der Franz parkt, und ist durch keine guten Finstere Wolken über dem Meer... vor dem WeltuntergangWorte zu einer kleinen, auch noch so kleinen Promenade zu bewegen. Am Samstag hat sie noch Helfer hetzen gespielt und war kein bisschen leidend oder fußkrank. Jetzt aber fordert ihr alternder Körper Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Der Herr Leopold sieht sich so um seinen verdienten Nachmittagsspaziergang gebracht. So eine Osterfrische mit älteren Damen birgt ihre Überraschungen.

Um 16:30 Uhr sind die beiden Fahrradtouristen zurück und es gibt Kaffee mit saftig fetten Mandelcroissants, wie sie es sonst nur bei uns zuhause gibt, weil unser Biobäcker schon vor 40 Jahren einen Franzosen beherbergte und zum Bäcker ausbildete, der seither die unvergleichlichsten (und teuersten) Mandelcroissants außerhalb Frankreichs zaubert.

Dann setzt wieder der Sprühregen und der Wind ein, der sich mit den Minuten zu einem ansehnlichen Sturm entwickeln wird. Die Wettervorhersage hat also gewonnen und nicht das beliebte Himmelblau. Ein erfahrener Camping-Rentner, der in der Gegend alles seit Jahren kennt und schon erlebt hat, bleibt gelassen: hier gilt kein Wetterbericht, hier ist alles anders. Was heute stürmt und tobt, wacht morgen früh als rosiger Morgen auf. Das wollen wir mal abwarten, zumal es überall so schäbig ist, und wir hier immer noch den besten Teil abbekommen, weil es trotz Wind und Wolken und Regen immer noch Temperaturen zwischen 12 und 14 Grad hat. Da gibt es für uns keinen Grund, mit anderen tauschen zu wollen. Wir bleiben, bis die Sonne wieder kommt.

Nach den gehaltvollen Croissants am späten Nachmittag, gibt es abends nur noch Baguette mit etwas Salami und Oliven. Wir lesen noch ein bisschen, befragen den Fernseher, was es zuhause Neues gibt und machen gegen 22 Uhr das Licht aus. Derweil fliegen den ersten Optimisten schon ihre Vorzelte um die Ohren.

 

Gründonnerstag, 28.3.2013

Schlechtwetter am StrandObs stürmt oder schneit, wir sind stets bereitDie ganze Nacht Sturm, anfangs noch mit Regen, dann trocken. Aber morgens um halb 7 Uhr zeigt das Thermometer immer noch 13° C. Na denn, lass doch blasen. Um 7:15 Uhr gehen wir auf die Morgenrunde und werden fast verblasen. Binnen weniger Minuten können wir durch die Salzschicht auf den Brillen die Welt nur noch als Schemen erkennen. Wasserwelten, klasse Welten. Wir lieben diese stürmische Sauerei, und die Hunde, selbst Anouk, ebenso. Sie braucht das zwar nicht in epischer Länge und Breite, aber sich so eine halbe Stunde dem Blasebalg entgegen zu stemmen, taugt ihr schon. Fianna surft dagegen überwiegend auf den Böen und hebt mit jeder Windwelle ab, Sand spritzt meterweit, Pferdeäpfel fliegen durch den Sturm und dazwischen und darunter immer ein schwarzer Windbeutel.

Um 8:45 Uhr gibt es Frühstück und die Gewissheit, dass die lautstarken Nachbarn ihre Bettel packen und verschwinden. So viel Freude kann durch noch so viel Mieswetter nicht erstickt werden. Fort, mit oder ohne Schaden, ist uns egal. Wir starten das Indoor-Ferienprogramm. Wie gehabt. Solche Tage des Abwetterns sind wirklich nichts für Zwangsagile und Triebtäter; man muss die Tage vertrödeln und verdaddeln können, so wie es die drei Zigeuner von Nikolaus Lenau machen, die das Leben verträumen, verrauchen und vergeigen. Weil wir hier in Zigeunerland sind, aber dazu kommen wir später noch, machen wir es wie diese und nahmen uns das Stillleben als Vorbild:

Drei Zigeuner fand ich einmal / Liegen an einer Weide, / Als mein Fuhrwerk mit müder Qual / Schlich durch sandige Heide.
Hielt der eine für sich allein / In den Händen die Fiedel, / Spielte, umglüht vom Abendschein, / Sich ein feuriges Liedel.
Hielt der zweite die Pfeif im Mund, / Blickte nach seinem Rauche, / Froh, als ob er vom Erdenrund / Nichts zum Glücke mehr brauche.
Und der dritte behaglich schlief, / Und sein Zimbal am Baum hing, / Über die Saiten der Windhauch lief, / Über sein Herz ein Traum ging.
An den Kleidern trugen die drei / Löcher und bunte Flicken, / Aber sie boten trotzig frei / Spott den Erdengeschicken.
Dreifach haben sie mir gezeigt, / Wenn das Leben uns nachtet, / Wie mans verraucht, verschläft, vergeigt / Und es dreimal verachtet.

...

Und solche Tage bringen auch den Hirnapparat in Bewegung, weil man nicht viel mehr machen kann als denken. Zigeuner ist ein treffliches Stichwort. Hier, in Saintes-Maries-de-la-Mer, finden alljährlich zwei Wallfahrten statt, am 24. Mai und Ende Oktober zu Ehren der Marie Jacobé und der Marie Salomé, im Mai zudem auch zu Ehren von Sara, der Schutzheiligen der Gitans. Diese Zigeunerwallfahrten waren es vor allem, die in den späten 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Hippies und Beatniks hierher lockten und den Hype um diesen Ort begründeten. Und niemand wäre je auf die Idee gekommen, diese Wallfahrten der Gitans als Sinti- und Roma-Wallfahrten zu bezeichnen. Doch wie aus dem turbulenten Treiben des zu Tausenden aufkreuzenden GitanesFahrenden Volkes mit den Jahrzehnten ein Touristenmekka geworden ist und sich seine Aura säkularisiert und monetarisiert hat, ist auch aus dem Wort Zigeuner ein Schimpfwort wie Kinderschänder oder Kommunist gemacht worden, global verunglimpft und politisch korrekt gebürstet. Nur: Die Franzosen schreiben auf ihre großen, blauen Zigarettenschachteln immer noch Gitanes und kämen nie auf die Idee, Sintis oder Romas aufzudrucken. Immer diese Gallier, die dem beherrschenden Weltgeist trutzig ihren Zaubertrank entgegen spucken. Sie wissen offensichtlich, dass derjenige, der Zigeuner wie ein Schimpfwort für Hühnerdiebe und Kinderschänder benutzt, auch dann keine andere Meinung zu diesen Mitmenschen bekommen wird, wenn er sie von Amtswegen Sinti nennen muss. Für so jemanden bleibt auch ein Sinti oder Roma ein Zigeuner mit offenem Hosenladen und Unrecht im Sinn, weil die Namensänderung das Denken nicht verändert. Aber wer glaubt, dass man den Leuten ein hässliches Industriegebiet schmackhaft machen kann, indem man es ihnen als Gewerbepark verkauft, muss wohl glauben, dass in den vernagelten Köpfen der Zeitgenossen aus hinterhältigen Zigeunern nette Nachbarn werden, wenn man sie nur fix zu politisch korrekten Sinti und Roma macht. An den Stammtischen der Nation ist ja schließlich nach all den Jahren korrekten Bemühens ein Schwuler immer noch ein Hinterlader, auch wenn man ihn jetzt als Gleichgeschlechtlichen zu bezeichnen hat und dies auch brav befolgt. Die Franzosen fressen zwar Entenstopfleber, aber eben nicht Entengrütze!

Und dann dieser wunderbare Ortsname Saintes-Maries-de-la-Mer. Das schmilzt auf der Zunge wie türkischer Honig in einem Mandelcroissant. Man beginnt förmlich zu träumen und stellt sich vor, wie es wäre, wenn das bayerische Oberstdorf beispielsweise Die Heiligen Josefis von den Almwiesen hieße oder Berlin Die bettelarmen Brüder aus der Streusandbüchse. Welche Möglichkeiten stecken da drin; man mag gar nicht mehr aufhören, den Thesaurus zu zerpflücken. Aber der Schlummer überkommt einen dann doch und taucht die Gedanken in Watte, während draußen der Wind den Franz umpfeift und ihn nach dem Straßensalz der Anreise noch zusätzlich mit Meersalz pökelt. Das wird ihn richtig haltbar machen, den Franz… er sieht sowieso schon aus, wie seine Namenspatronin nach einer Wattwanderung aussah.

Es stürmt weiter, gelegentlich ist etwas Sprühregen dabei und wir halten uns an bewährte Verhaltensregeln: Wenn das Wetter nicht uns entgegenkommt, tun wir so, als wäre es uns wurscht. Wir lesen, dösen, schreiben Doku. Irgendwann muss jedes Wetter nachgeben; wir sitzen zwar nicht im Freien, aber am längeren Hebel.

Um 16:30 Uhr machen wir einen Spaziergang durch die Wasserpfützen der Camargue. Der Wind hat sich ein wenig beruhigt und zwischen den Wolken zeigen sich einzelne blaue Flecke, die nicht nur uns hoffnungsfroh machen, sondern in Anouk sofort das gesamte Programm der Frühlingsgefühle abrufen: jetzt muss ein Jagdspaniel herhalten. Sie verweigert konstant jegliches Trockenfutter, muht und mäht uns an, wenn sie uns nicht gänzlich ignoriert, aber wenn ein scheckig-fleckiger Franzosenfrack mit Stummelschwanz daher kommt, läuft sie zur Höchstform auf. Soll sie doch sehen, ob sie von dem versorgt wird. Eine Stunde später sind wir wieder zurück und Anouk signalisiert uns mit jeder Faser ihres widerborstigen Leibes, dass es auch höchste Zeit wird. Sie legt sich quer und liegt demnach auch im Womo quer, so quer, dass wir kaum wissen, wie wir uns bewegen sollen. Aber sie schlummert und döst und ist sich selbst die Nächste und die Beste.

Wir schaffen es dann doch noch, uns Pasta mit einer formidablen Lachs-Sahne-Soße zusammenzuschmurgeln, ohne ihr die Rippen einzutreten. Um 19 Uhr wird gegessen und zum Dessert gibt es ein Schokofondant mit Vanillesoße. Die Reste davon nimmt die Dame dann mit flottem Appetit, wie sie ja auch ihre Fleischmahlzeit nicht verabscheute. Jedenfalls hat sie mit ihrer selbst gewählten Diät schon mal abgenommen.

Als wir um 22 Uhr die Lichter ausmachen, ist der Sturm weg und es schüttet wie aus Eimern. Aber das ist uns nun wirklich superwurscht. Die Regentropfen, die auf das Franzdach klopfen...

 

Karfreitag, 29.3.2013

Flamingos über Saintes-Maries-de-la-MerBlaugrau mit flamingorosa Einsprengseln6:15 Uhr. Kein Luftzug draußen. Kein Tropfenschlag auf Franzens Außenhaut. Ein schläfriger Blick durch die Schlafzimmerluke. Grau? Blau? Blau mit Gebrauchspatina? Schwer auszumachen durch dieses Fensterchen zur Welt. Also aufstehen, Tür öffnen - Graublau mit flamingorosa Einsprengseln und 11° C.

Um 6:45 Uhr nimmt die Chefin schon mal Fianna am Rad mit, Frühstück besorgen, damit der Zwerg sich freilaufen kann.

Es trübt sich ein. Das Meer schwappt schwer in seinem Bett. Dagegen hätte der Herr auch nichts, muss aber um 7:45 Uhr mit zu einem Morgenspaziergang, obwohl er, anders als die Hunde, sein Morgengeschäft auch anderswo erledigen kann. Es ist www-Wetter: wet, warm und windstill und das beschert uns schon morgens eine ganze Armada von Stechmücken (die uns allerdings außer heute und am Ankunftstag brav ignorierten, was bei diesen Mückenbrutstätten hier auch bemerkenswert ist). Für die Feiertagsstimmung ist das nicht zuträglich. Aber auch das ist keine wirkliche Ausrede, weil Karfreitag in Frankreich nur im Elsass und in Lothringen begangen wird, hier ist einfach nur Freitag. Anouk spult auch heute ihr Rotz-Kotz-Programm ab, bummelt zehn Meter hinter uns her, den Blick gen Heimat gerichtet. Wenn wir sie massiv auffordern, schließt sie auch mal auf, nicht ohne uns klar zu machen, dass dies gegen ihren erklärten Willen geschieht. Galilei muss Anouk im Sinn gehabt haben, als er seinen berühmten Satz gesagt haben soll: Und sie bewegt sich doch! Anders als die Erde zwar, und nur auf Anforderung, es sei denn, es käme ein Rüde ins Blickfeld, am Horizont oder irgendwo, dann zuckt die Rute hoch, die alte Dame spannt sich zum Flitzebogen, tanzt wie in ihren Gebrauchstagen, legt die Ohren hinter dem Kopf zusammen wie der Götterbote Hermes seine Flügel am Helm, verknotet sie fast, jauchzt und gockelt. Wenn wir jetzt einfach weitergingen, es wäre ihr einerlei, sie hätte keinen Stress dabei, weil sie seit dem ersten Tag hier weiß, wo sie ist, wie und wo der Hase läuft und wie sie nach Hause kommt und niemanden, nicht einmal uns dazu bräuchte. Vielleicht käme sie erst morgen zurück oder nach Ostern oder überhaupt nicht mehr, wenn der Lover ihr die entsprechenden Versprechen machte. Autonomie und Sturheit sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Um 8:30 Uhr, als wir wieder beim Franz zurück sind, regnet es nicht mehr, aber der Himmel ist verhangen und die Luft wasserschwer. Wir begehen unser Karfreitagsfrühstück, das sich in nichts von irgendeinem Frühstück im Jahresverlauf unterscheidet, außer dass die Wurst so derart französisch ist, dass man gut versteht, warum Gott gern in Frankreich lebt und vom Fastenfreitag nichts wissen will.

Um 9:45 Uhr setzt wieder leichter Regen ein; wir gehen trotzdem mit Fianna zum Wochenmarkt am Place des Gitans (da ist er wieder, der verstockte Sinti und Roma) und lassen Anouk als Wache für Franz zurück, nicht weil wir Angst haben, dass uns etwas geklaut wird, nur um Anouk eine Aufgabe unterzujubeln. Wir wollen ihr noch nicht sagen, dass ihr zähes und ältliches Gehabe unseren Kotznerv ebenso trifft wie unsere Spaziergänge den ihren, noch weniger können wir sie dabei gebrauchen, wenn wir, wie versprochen, versuchen, für sie einen Abnehmer zu finden. Außerdem wären wir gerne vor Drucklegung dieses Reiseberichts wieder vom Wochenmarkt in Saintes-Maries-de-la-Mer zurück. Auf dem Markt scheint es indes ein geheimes Regelwerk zu geben, das nur Hundebesitzern Zutritt gewährt: soviel Hunde jeder Kategorie sind Fianna noch nie auf einem Fleck über den Weg gelaufen. Nachdem ihre Freude und Neugier erst kaum zu bändigen war, wurde sie der Fülle bald überdrüssig und hing apathisch und überfüttert an ihrer Leine. So etwas nennt man wohl Sozialistation durch Reizüberflutung. Vielleicht ist die Übersättigung mit Hunden auch der Grund dafür, dass wir kein seriöses Angebot für Anouk bekommen, alle, die wir fragen und mit herzerwichenden Bildern unserer Seniorin zu bestechen versuchen, wenden sich ab und bleiben verstockt. Aus welchem Grund auch immer: Anouk scheint unverkäuflich zu sein. Ob das poitiv oder negativ zu bewerten ist, bleibt dem Leser überlassen, wir müssen sie jedenfalls wieder mitnehmen und ihre Launen erdulden.

Blauer Karfreitag über Saintes-Maries-de-la-MerBlauer Karfreitag über Saintes-Maries-de-la-MerAuf dem Heimweg kommt die Sonne zurück und es dampft wieder wie in einer Waschküche, und das bei nur 14°C. Uns treibt es ganz schön den Dampf aus. Wir genießen die wieder erwachende Sonne, sitzen im Freien, lesen und dösen und vergeigen den Tag. Um kurz nach 14 Uhr unterbrechen wir den Tändelvorgang durch einen Kaffee, jetzt schon bei 17° C (wir erwähnen das nur, um den zuhause Gebliebenen das Blut vor Neid in den österlichen Frostknochen gefrieren zu lassen).

Um 16 Uhr nehmen wir Fianna mit zu einer kleinen Radtour Richtung Phare de la Gacholle, einem Leuchtturm östlich von Saintes-Maries-de-la-Mer, das Meer auf der einen Seite, die Etangs auf der anderen. Am Ende, um kurz vor 18 Uhr, sind es dann 12 Kilometer, die wir schauend und fotografierend absolviert haben, ein Schnitt, der uns nicht für die Auf dem Weg zum Phare de la GacholleAuf dem Weg zum Phare de la GacholleTour Aerobic am StrandAerobic am Strandde France qualifiziert, aber wir sind auch ohne jegliche pharmakologische Unterstützung unterwegs. Wenn man Fiannas Ab-und Umwege in die Schlammtümpel und Salzwiesen hinzurechnet, hat sie einige Kilometer mehr in den jungen Beinen. Tapfer hat sie das gemacht, aber erstmals seit Wochen haben wir das Gefühl, dass sie rechtschaffen zufrieden ist und nicht umgehend eine neue Bespaßung einfordert.
Die Sonne zieht sich aber schon wieder hinter Wolken zurück, von Südwesten zieht eine neue Front heran.

Das Abendmahl besteht aus Käse, Wurst und Wein vom Markt und ist begleitet von einer heraufziehenden Erkältung des Chronisten - scheiß Wechselwetter…

Um 20:45 Uhr folgen wir einer Einladung von Womo-Nachbarn aus Coburg, denen wir schon am Campingplatz in Mâcon begegneten und die eigentlich auf dem Weg nach Italien sind, aber dem Wetter nach Westen ausgewichen und auch hier gelandet sind, etwas zeitversetzt zu uns, weil die Tages-Etmale mit einem neun Monate alten Baby begrenzt sind. Jetzt murmelt der Kleine und wir plaudern uns mit Wein in die Nacht. Und der Herr niest und prustet und schneuzt…

 

Karsamstag, 30.3.2013

Grelles blaues Licht und eine Art Föhnwolken begrüßen uns zum Frühstück um 9 Uhr. Der Chronist tropft immer noch aus der Nase und die Gasflasche ist verstockt; in einer Woche haben wir 11 Kilo Gas verheizt, nicht schlecht, aber vor allem bravourös unsere Weitsicht, dass wir zuhause noch eine neue gekauft haben. Noch so eine Woche und wir würden ohne Gas hier mit Frostbeulen sitzen. Also wird die zweite angestöpselt und das Frühstück kann seinen Lauf nehmen, im Freien unter treibenden Wolken und einem Licht wie auf dem Gletscher.

Notre-Dame-de-la-MerNotre-Dame-de-la-MerIm Zentrum von Saintes-Maries-de-la-MerIm Zentrum von Saintes-Maries-de-la-MerDanach gönnen wir uns einen Bummel in den Ort ganz ohne Hunde; wir wollen uns einfach treiben lassen im zunehmenden Touristenstrom zu Ostern. Dieser Ort besteht ja eigentlich sowieso nur aus Tourismus, Restaurants und Imbissbuden ohne Anfang und Ende, Andenkenläden, Schönheitsstudios und Ferienwohnungen. Doch dazwischen schmiegt sich immer noch ein alter Bäcker, ein spröder Fischladen, ein Gemüseladen und ein Metzger. Malerisch sind die Pferdestationen, von denen aus man eine Pferdewanderung in die Etangs machen kann, ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, wie der Chronist aus eigener Erfahrung von früher bestätigen kann. Gemächlich zwischen weißen Pferden und schwarzen Stieren dahinschaukeln, bei mangelnder Reiterfahrung gelegentlich bis zum Bauch in den von den Viechern verschissenen und verpissten Teichen eintauchend, weil der Gaul eine andere Route im Sinn hat als der ungeübte Reittourist auf seinem Rücken. Für Reiter mag es tatsächlich ein erhebendes Erlebnis sein. Malerisch ist es allemal. Wir haben nicht genug Klamotten dabei, um einen weiteren Versuch zu wagen und nach Ammoniak stinkende Hosen im Womo aufzuhängen.

Kampfstiere werden in die Stadt getrieben(S)Tierisches SpektakelAber wir bekommen auch ganz ohne Pferd und abgründige Abwege unser (s)tierisches, wenn auch kurzes Spektakel. Morgen ist Stierkampf in der Arena und wir erleben, wie die Stiere mit ihren Wächtern von den Weiden in die Stadt getrieben werden. Da stehen wir mit glänzenden Augen am Straßenrand, wie die Herren und Damen hoch zu Ross, die Stiere zwischen sich, im Galopp durch die Straßen preschen, dass der Boden bebt. Da geht die Post ab, obwohl die französischen Stiere viel zierlicher sind als die spanischen. Aber die Urgewalt, die in diesen Tieren steckt, ist ein paar Armlängen daneben körperlich zu spüren.

Anschließend lassen wir uns in einem Straßenrestaurant nieder und bestellen ein Dutzend Austern und einen kleinen Weißen dazu - so, und nur so macht das Leben Sinn.

Seewetter über Saintes-Maries-de-la-MerSeewetter über Saintes-Maries-de-la-MerGegen 13 Uhr bummeln wir bei immer noch stürmischem Wetter und marmoriertem Himmel zurück zu Franz und seinen Bewohnern. Wir registrieren 19° C, fühlen aber in den Windstößen maximal 12°.

Dann steht wieder lesen, dösen und tiefentspannen auf dem Programm. Gegen 16 Uhr geht die Chefin mit Fianna joggen. Eine Stunde später weiß sie, dass es mit dem Joggen ähnlich wie mit dem Pinkeln ist: Mit dem Wind pinkeln ist angenehmer als gegen den Wind pinkeln. Bei so viel Wind ist, in ihrem Fall, der Rückweg mindestens dreimal so lang wie der Hinweg. Fianna aber ist ähnlich tiefenentspannt wie ihr Herrchen, der mit Anouk den Tag vergeigt und seinen Schnupfen verflucht. Von ihrem Ausflug bringt die Chefin die Kunde mit, dass sich das Personal auf den Wanderwegen seit gestern dramatisch veränderte. Waren bisher hauptsächlich, Jogger, Radfahrer, Naturfreunde mit Spektiv zur Vogelbeobachtung und Hundeleute unterwegs, treibt sich jetzt der ältliche Tourist herum, von jener Sorte, die in Badeschlappen auf den Berg geht. Aber uns kann das eigentlich völlig egal sein: Wir sind zwar auch Touristen, haben aber nur Badeschlappen für die Dusche.

Um 17:30 Uhr steht der Kaffee mit je einem Schokocroissant und einem Brioche auf dem Campingtisch und läutet den letzten Teil des Tages ein, der nach aktueller Lage nicht viel mehr als ein Abendessen bringen wird. Und das besteht dann gegen 20:30 Uhr aus Hühnersuppe (gegen das leidende Innenleben des schnupfenden Chronisten) und gebratenen Langustinos (für das mediterrane Innenleben). Gegen Mitternacht wird es stockdunkel im Franz.

 

Ostersonntag, 31.3.2013

Heute Nacht ist uns die Zeit entgegen gelaufen und weckte uns eine Stunde zu früh, wie das Fianna auch gerne tut. Die Uhr hat sich ein Sommerkleidchen angelegt und nennt sich jetzt Sommerzeit. Die Überprüfung der Realität protokolliert: 8 Uhr MESZ, 11° C, weißblauer Himmel. Kein schlechter Sommeranfang, denen zuhause geht der A… derweil auf Grundeis.

Die Dünen bei Saintes-Maries-de-la-MerIn den Dünen von Saintes-Maries-de-la-MerUm halb neun nehmen wir unsere Damen und uns ein Herz und machen uns zu einer größeren Morgentour auf, erst auf dem Touristen-Put in Richtung Phare de la Gacholle, weichen dann zum Strand aus und ziehen dort gen Osten, spielend, sandelnd, durch die bescheidenen Dünen streifend, weiter, ein Stück über den Nudistenstrand, der völlig einsam ohne jeden Nackerten sich langweilt, biegen dann wieder gen Norden auf den Trampelpfad und zurück in den Westen, auf dem wir mit jedem Schritt, den wir der Stadt entgegen gehen, mehr von den Feiertagstouristen aufgesaugt werden. Wir haben alle bisherigen Tage zusammengenommen nicht so viele Menschen hier gesehen wie jetzt. Es scheint, als ob sich ganz Frankreich und halb Italien uns entgegenstemmt. Fußlaufen am Strand von Saintes-Maries-de-la-MerFußlaufen am Strand, denn wer rastet, der rostetStrandgymnastik für älere DamenFür ältere Damen gibt es StrandgymnastikViele gehören der Touristensorte an, die die Chefin gestern schon beschrieb, aber auch die organisierten Fahrradtrupps, nicht selten auf Tandems, die vor allem in den Sandbuhnen des Highways gen Osten liegenbleiben wie einst der deutsche Vormarsch im russischen Schlamm. Dann gibt es die Vogelkundler in Mannschaftsstärke, stramm organisiert, mit Fernglas um den Hals, Rucksack, an dessen Riemen schon mal ein verbeultes Alubecherchen schaukelt und natürlich mit Handkompass, damit keiner in den Menschen schluckenden Weiten der camargueischen Etangs zurückbleibt, um in tausend Jahren als Salzhering wieder gefunden zu werden. Je weiter wir uns dem Ort nähern, desto apathischer werden unsere Hunde jedem Lebewesen gegenüber, so apathisch, dass sie kaum noch Notiz von ihnen nehmen und sie einfach ignorieren, übergehen, den Anstrom mit ihren Leibern zerteilen. Der offizielle Wohnmobilstellplatz am Strand quillt über, weswegen die Freigeister gleich in Zweierreihen bis weit in den gesperrten Parkbereich des Strandes vordringen. Der Tourismus bricht sich seine Bahn, unaufhaltsam und unnachgiebig, dabei ist keiner von denen ein verlotterter Zigeuner, alles brave Stadtbürger, vor und nach Ostern mit Werten und klaren Vorstellungen von Moral und Ordnung. Doch jetzt machen sie mal ein bisschen auf sittenlosen Zigeuner und hauen ein Ei über Zucht, Ordnung und Moral. Ist ja auch Ostern.

Fianna am Strand von Saintes-Maries-de-la-MerAnouk am Strand von Saintes-Maries-de-la-MerNach diesen sehr gut bemessenen zwei Stunden Morgenspaziergang halten wir zweierlei fest: wir sind platt von der Touristenwelle und ebenso platt, wie mannhaft unsere alte Anouk diesen Marsch bewältigte; kein Murren und kein Nörgeln: Strand, Dünen, Ball und Stock genügen, um dieser Lusttouristin die Welt ans Herz zu legen. Uns geht es auf vor Freude.

Das folgende Frühstück ist dann eher ein Brunch und diesem folgt die Pflege des Schnupfens beim Chefreporter und die Pflege der Reiselektüre sowie einiger Internetrückstände bei der Chefin. Die Vierbeinerinnen liegen in der Ostersonne und wärmen sich den Pelz.

Kurz vor 16 Uhr schafft es der Chef dann doch, seine Reisebegleiterin zu überreden, ihn und seinen Schnupfen zum Stierkampf zu begleiten, allerdings erst, als er ihr glaubhaft versichern konnte, dass hier und heute kein Tropfen Blut fließen wird, zumindest nicht das eines Bullen. Wir fahren also mit den Rädern zur Arena, immer entlang wogender Touristendünen, zahlen elf Euro pro Nase und betreten erstmals in unserem Leben eine Stierkampfarena.

sk-pfeifer ksk-folklore kUm 16 Uhr beginnt das Spektakel mit einem Pfeifer- und Trommlerensemble, das schon gestern als Ankündigung des großen Ereignisses durch die Straßen der Stadt gezogen war und immer die gleiche Melodie spielt, eine alte, muntere und sehr eingängige Weise, die der Chefin ein Dauerlächeln aufs Gesicht zaubert. Dann ziehen Männer, Frauen und Kinder in Landestrachten in die Arena, wahrscheinlich Honoratioren der Stadt und Vertreter der örtlichen Trachtenvereine, möglicherweise auch die Eigentümer der heute vorgestellten Stiere. Verstanden haben wir die Wortkaskaden, die aus den Lautsprechern schepperten leider nicht. Aber so wichtig war das auch nicht. Dann marschieren, ganz in Weiß gewandet und ohne jeglichen Kampfstier mit KokardenKampfstier mit Beute zwischen und an den Hörnernbramarbasierenden Pomp, die zweibeinigen Helden des Nachmittags in die Arena und machen sich warm. Und dann geht‘s los, ein Fanfarenstoß und der erste schwarze Stier rumpelt mit Vollspeed in die Arena. Den Tierfreunden sei an dieser Stelle versichert, es wurde ihm und seinen Kollegen kein Haar gekrümmt. Wenn er seither nicht eines natürlichen Todes starb oder schlachtreif war, steht er in diesem Augenblick auf seiner Weide und rupft und zupft am würzigen und salzhaltigen Gras seiner Heimat. Es gibt in Südfrankreich die klassische Corrida, wie man sie aus Spanien kennt, aber sie wird auch in Frankreich auf breiter Basis abgelehnt und als Tierquälerei begriffen. Ein besonderer Passus des Tierschutzgesetzes macht aber für diese Art der Schlachterei eine Ausnahme, der Tradition wegen, wie es heißt. Versuche, diesen Passus zu streichen und die Corrida sogar verfassungsmäßig zu verbieten, sind gerade in diesen Tagen gescheitert, die Traditionalisten haben einen Etappensieg errungen. Wir müssen uns heute Course CamarguaiseCourse Camarguaisedarüber keine Gedanken machen. Der Stierkampf, wie wir ihn erleben, ist ein Messen mit dem Stier, es geht darum, seiner Kraft und Wildheit die Geschicklichkeit und Wendigkeit des Menschen entgegenzusetzen. Der einzige der hier Waffen tragen darf, ist der Stier, und er ist der einzige, der gegebenenfalls auch töten dürfte, was keiner hofft. Ziel dieses Messens sind Kokarden verschiedener Größe, die mit Fäden zwischen und an den Hörnern des Stiers befestigt sind und von den Razeteurs, den Kämpfern, mit Hilfe des sogenannten Crochets, einer Art Kamm, erbeutet werden müssen. Unterstützt werden sie dabei von den Tourneurs, die den Stier in eine für die Razeteurs Course CamarguaiseCourse Camarguaisegünstige Position locken sollen. Es ist eine beeindruckende Schau, wie die weißen Jungs versuchen, dem Stier die Kokarden zu klauen, dabei immer als letzten Ausweg im fast freien Flug über die Barriere hechten, um dem Schwarzen zu entkommen, der nicht übel Laune hat, ihnen über die Barriere zu folgen. Den Frauen sei gesagt: Wenn es euch nach durchtrainierten, wieseflinken, katzengewandten und meist sehr ansehnlichen Jungs ist, schaut euch eine Course Camarguaise an. Soviel geschmeidiges Muskelwerk seht ihr sonst in einem halben Leben nicht, es sei denn, ihr wärt die Physiotherapeutinnen der Chippendales. Die Razeteurs haben 15 Minuten Zeit, dem Stier die Kokarden zu entreißen, gelingt dies nicht, geht er als gefeierter Sieger aus der Arena und wird für den nächsten Kampf umso höher gehandelt. Die Kokarden haben für die Razeteurs unterschiedliche Werte, in unserem Fall lagen die einfachsten bei 90 Euro, die schwierigsten, weil kleinsten, bei 540 Euro, das kann sich aber je nach Course CamarguaiseBedeutung des Kampfes und der Wertschätzung des Stieres auf mehrere tausend Euros erhöhen. Die Stiere sind nämlich die eigentlichen Helden des Course Camarguaise, ihre Namen stehen in größeren Lettern auf den Plakaten als die der Kämpfer und je mehr Lorbeer sie sich erwerben, desto höher ist auch ihr Kampfpreis. Die besten Stiere können in ihrem Leben mehrere hundert Male in die Arena gerufen werden, wobei sich ihr Ansehen und ihr Preis immer weiter steigert, allerdings auch das Risiko der menschlichen Kontrahenten, denn so ein Stier ist kein Rindvieh, sondern lernt schnell und wird mit jedem Einsatz trickreicher, kennt die Schliche seiner Gegner und wird so immer gefährlicher und unbezwingbarer. An diesem Ostersonntag ist, außer wegen einiger kleiner Blessuren, die man sich eben bei tollkühnen und akrobatischen Fluchten über die Bretterwand, den Atem des Bullen immer spürbar im Nacken, schon mal einhandelt, kein Blut geflossen, die Kämpfer haben alle ihre Kokarden und damit die Course CamarguaiseOstergratifikation eingesammelt – und die Chefin war auch begeistert. Es sind ja nicht nur schöne Männer zu bewundern, sondern auch herrliche Tiere. Findet zumindest der Chronist. Und er findet, dass diese akrobatische Vorstellung nicht nur attraktiver ist als das Schlachtfest spanischer Provenienz, sondern auch ein weit höheres Maß an Mut und Geschicklichkeit erfordert als jene Kostümaffen aufbringen müssen, wenn sie dem Gegner erst gegenüber treten, wenn der von einer hinterhältigen Übermacht bereits halbtot mit wackligen Beinen auf sein Ende wartet. Dass diese armseligen Helden in Kniehosen selbst einer solchen Halbleiche nur selten einen sicheren und schnellen Todesstoß zu versetzen in der Lage sind, sondern sogar da noch herumstochern müssen, bis sie endlich zu Potte kommen, mag ein übriges über dieses viehische Spektakel berichten, bei dem das Opfer noch heldenhafter ist, als seine stolz tänzelnden Peiniger.

Als wir gegen 18 Uhr wieder beim Franz anklopfen und unsere Mädels wecken ist der Osterhimmel immer noch blitzblau und 16 zarte Celsiusgrade umschmeicheln unsere Osterlaune. Wir finden, dass der Tag uns reichlich beschert hat, feiern ihn mit einer kleinen Ostervesper im Freien mit verschiedenen Salamis, Oliven, Baguette und einem Campari-Orange.

Abends steht dann noch einmal Hühnersuppe auf dem Programm und um halb elf ist dieser Ostersonntag auch schon wieder Geschichte.

 

Ostermontag, 1.4.2013   

Von wegen blauer Montag - schwarzgrauer Montag mit 8° C um 8 Uhr und Wind, der wenig Sonnensegen verheißt. Der Blues macht sich wieder auf einen ausgedehnten Marsch durch die Etangs und über den Strand, der auch heute die zwei Stunden überschreitet und an seinem Ende eine sehr zufriedene Chefin, eine unverwüstete Fianna, eine ehrlich und rechtschaffen geschaffte Anouk und einen völlig niedergebügelten Chronisten hinterlässt. Was Anouk mit ihren zwölf Jahren wegsteckt, haut den Chef um; jetzt hat ihn die Erkältung endgültig zur Strecke gebracht, so sehr, dass er auf jegliches Frühstück verzichtet und unverzüglich in die Womili-Heia verschwindet.

Flamingos Wenn die Touris abziehen, macht der Flamingo sich wieder breit Als gegen Mittag der Regen auf unser Dach trommelt, wissen wir, dass dieses Osterfest gelaufen ist, grau, so weit das Auge reicht und kein Lichtblick nirgendwo. Der Chef rollt sich in seinem Bett zusammen, die Damen lümmeln in Sesseln und auf Bänken und tun nicht viel mehr als nichts, ein bisschen am Computer werkeln, lesen und dösen. Was sich aber auch durch die Regenwand abzeichnet ist die fluchtartige Abreise der Ostertouristen, wie von Geisterhand leert sich der Campingplatz und auf dem Deich singt der Regen sein Lied ziemlich alleine.

Um 18 Uhr ist die Chefin die Rumhockerei leid, greift sich ihren Nachwuchs und das Fahrrad und zieht los, hinaus in den Regen, hinaus in Matsch und Schlamm. Man könnte diese absonderliche Sportart auch als Extreme Dogging etablieren, vorzugsweise mit extra dafür designten Outfit. Zweifellos würden sich jede Menge unausgelasteter Vollpfosten finden, die darauf abfahren – und dabei mit großen Glücksgefühlen im Schlamm steckenbleiben. Wie die Chefin eben, aber halt ohne passendes Outfit. Irgendwann sind die beiden SchlammradZwangsmotorikerinnen wieder zurück – und kaum wiederzuerkennen. Die erste Frage des Chefs gilt ihrer Unterkunft heute Nacht, diese Schlammzapfen kommen bestimmt nicht ins Franzenmobil. Eigentlich müsste man sie nur lange genug draußen stehen lassen und sie würden schon frei gespült werden von all diesem Modder, der an ihnen pappt wie an Glibbermonstern. Und das Fahrrad erst! Antrocknen lassen und als Gipsskulptur auf den Place des Gitans stellen, als abschreckendes Beispiel, wie das Fahrrad des ersten drogentoten Rennradlers Tom Simpson, das von midlifekriselnden Spätfünfzigern auf ihrem Weg hinauf zum Mont Ventoux verehrt wird wie eine Monstranz des Monströsen.

Wir lassen es nicht so weit kommen, duschen das Fahrrad und Fianna, schicken die Chefin selber in die Dusche und nehmen bei aller Bemühung dennoch in Kauf, dass Keimfreiheit unter diesen Lebensbedingungen so weltfremd ist wie die Hoffnung, dass der Regen heute noch aufhört. Tut er nicht, er denkt nicht daran. Und wir? Wir lassen alle Pläne fallen, heute zum Essen zu gehen. Eine Woche haben wir verbummelt, uns an landestypischem Fingerfood und an Hühnersuppe ergötzt, und nun werden wir von den Umständen ausgebremst: ein malader Chefchronist, in dessen Zustand selbst ein McSchickschnack zu teuer und kulinarisch wäre für das, was seine Geschmacksknospen wahrnehmen und ein Wetter, das uns quasi im Lager festhält. Eine halbe Stunde zu Fuß bei diesem Wetter? Fahrrad? Die Chefin ist gerade erst wieder getrocknet. Und fürs Womo gibt es dort, wo die Gastronomie ist, nämlich im Zentrum, keinen Platz oder bestenfalls in einer Distanz, die schon wieder einen triefenden Fußmarsch einschließt. Wir bleiben zuhause und ernähren uns von den Vorräten; es ist ja nicht wie bei armen Leuten. Allerdings – so eine Seafood-Platte wäre schon was anderes. Weil: morgen ist das hier vorbei - aber mei …

 

Dienstag, 2.4.2013 

Jetzt sind sie vorbei, die stillen Tage von Saintes-Maries, wir haben schließlich noch Pläne: Wein und Marmeladen kaufen und vor allem, einen unserer liebsten Erinnerungsorte in der Provence besuchen. Doch erst mal der Reihe nach. Jetzt ist Abreise, auch weil wir wissen, dass wir unsere Heimreise nicht allzu weit in das Wochenende verschieben dürfen, dann sind nämlich alle auf den Straßen: der Osterrückreiseverkehr droht.

Um 7 Uhr ist Wecken, und das erste Glanzlicht des Tages ist, dass der Regen aufgehört hat. Der Campingplatz sieht zwar aus wie eine Miniatur der Camargue, überall ausgedehnte Pfützen, aber die Aussicht, bei trockenem Wetter fahren zu können, stimmt uns froh. Die Hunde werden versorgt, der Franz ebenso, Kloake geleert, Wasser nachgefüllt, Brauchwasser abgelassen, dann wird auch noch das Bankkonto geleert, knapp 180 Euro müssen wir für eine Woche Vollversorgung zahlen, wovon allein knappe 45 Euro auf die Hunde entfallen. Da kann man nicht meckern, mit einer Ferienwohnung schafft man das nicht, obwohl die natürlich mehr Platz bieten würde als unser Franz, dafür hätten wir aber auch mindestens einen Doppelzentner mehr Sand und Dreck wegzuputzen. Nein, nein, das ist schon sehr in Ordnung, wie es ist. Frühstück gibt es von der Boulangerie am Campingplatz auf die Faust - und los geht’s um 8:30 Uhr.

Um 10 Uhr haben wir unser erstes Ziel für diesen Tag schon erreicht: Maussane-les-Alpilles, nordöstlich von Arles, im Departement Provence-Alpes-Côte d’Azur gelegen, und nur knappe 60 Kilometer von Saintes-Maries-de-la-Mer entfernt. Kaum hat man Arles hinter sich, ändert sich das Landschaftsbild schlagartig; aus dem flachen Land der weißen Pferde, schwarzen Stiere und rosa Flamingos, den Reisanbauflächen und den schier endlosen Wasserlachen, wächst fast abrupt die steinige Landschaft des Alpillen-Nationalparks. Kalkweiß und schroff vor uns die Zacken der Alpilles, und statt Wein und Reis gibt es hier wenig mehr als Olivenbäume. Aber sie sind der Grund unseres Besuchs: der exzellente Ruf der Öle dieser Region nämlich, die zu den besten der Welt gehören. Einen klangvollen Namen hat dabei die Öl-Kooperative Jean Marie Cornille in Maussane-les-Alpilles (www.moulin-cornille.com). Da wollen wir uns ein bisschen mit Öl bescheren.

Nach gut 20 Minuten haben wir ein paar Flaschen Olivenöl im Gepäck und unser nächstes Ziel im Visier: St.-Etienne-du-Grès, nur etwa 15 Kilometer nordwestlich. Wir tauchen immer weiter in die wildschöne Landschaft des Alpillen-Nationalparks und bemerken mit freudigen Herzen, dass hier der Frühling schon angekommen ist; überall blühen gaggerlgelbe Forsythien und an den Obstbäumen zeigen sich erste scheue Blüten. Dass hier, an den Hängen und den Gärten der Alpilles nicht nur feinstes Olivenöl reift, sondern auch feiner Wein gekeltert wird, wissen Weinkenner, deshalb machen wir uns auf die Suche nach der Domaine de Trévallon. Auf die Suche müssen wir uns deshalb machen, weil TomTom mit unserer Zieleingabe nichts anfangen kann. Der Chauffeur entscheidet sich bei der Ankunft im Zielort, die Hauptstraße, die links abbiegt, zu verlassen und geradeaus ins Herz der Ortschaft zu steuern. Als wir wieder aus dem Herzen hinaus und dem Ortsende zusteuern, wird die Straße hauteng und enger, sodass wir uns entscheiden, über ebenso knifflige Anliegerstraßen wieder in den Ortskern zurückzukurven. Die Chefin fragt in einer Boulangerie nach (Geheimtipp: Boulangerie weiß immer alles, die Lage einer renommierten Kellerei sowieso) und wird in der Annahme des Chauffeurs bestätigt: wir waren auf dem rechten Weg nur nicht ausdauernd genug, wir müssten den Ort verlassen, dann käme das Weingut schon, nicht zu übersehen. Also wieder in diese hohle Gasse, durch die wir jetzt mit unserem Franz durchmüssen und bangen Herzens hoffen, dass uns niemand entgegen kommt. Aber natürlich kommen uns welche entgegen, wir und sie drücken uns in Haus- oder Toreinfahrten, kneifen uns aneinander vorbei, hinter uns ungeduldiges Franzosenvolk, vor uns Nachrücker, die noch gar nicht begriffen haben, dass sie besser Abstand halten und sich auch noch durch die Lücke quetschen müssen – o Herr schmeiß Hirn vom Himmel – und der Chauffeur ist der Ansicht, dass man hier einen überaus ungewöhnlichen Wein bekommen müsse, um diese Strapazen zu rechtfertigen. Aber wir schaffen es, wir schlüpfen durch alle Engpässe und erreichen gegen 11 Uhr die Domaine.

Schlicht ist das hier, sehr schlicht, dazu alles irgendwie eine Baustelle. Ein Arbeiter verweist uns auf eine ebenso unscheinbare Tür zum Büro, wir treten hinein und stehen im bescheidenen Kontor einer drittklassigen Import- /Exportfirma; ein Computer, ein paar abgewirtschaftete Tische mit Ordnern, Papieren, Werkzeugen und drei Flaschen verschiedenen Weins. Eine Dame im Frühmittelalter, gerade dass sie keine Kasackschürze trägt, bietet sich als Ansprechpartner an. Wir würden uns gerne umsehen, eventuell kaufen. Kein Problem, sagt sie. Ob wir denn auch verkosten dürften? Sie legt uns eine DIN-A4-Preisliste vor. Wir gehen in die Knie. Sapperlot! Dafür bekommt man ja eine Badewanne voll Danziger Goldwasser. Aber die Neugier spielt auch noch eine Hauptrolle in diesem Spiel, und so erstehen wir zwei Flaschen vom Roten, Jahrgang 2010, für je 45 Euros, unverkostet, weil unsere Erfahrung mit diesen Kellereien besagt, dass wir hier sicher keinen Fehlgriff machen. Minderwertige Weine gibt es hier nicht und die Weinnauguren der Welt liegen auch nicht so daneben. Aber mehr als zwei Flaschen geht nicht, weil sich das bescheidene Schwabenherz sperrt, noch nicht mal so sehr wegen des Kaufpreises, eher wegen der Wertsteigerung. In einem Jahr ist so ein Fläschchen, wie wir der Preisliste entnehmen können und auch schon in anderen Lokationen bestätigt bekamen, bereits etwa 150 € wert und so geht das nach oben. Irgendwie tickt jetzt die Genuss-Verhältnismäßigkeits-Rechnung, denn obwohl man den Wein jetzt schon trinken könnte, müsste man geteert und gefedert werden, wenn man es täte. Und wenn der Wein dann in seine reifen Jahre gekommen und schlachtreif ist, versäuft man zu einem einzigen Anlass einen Wert, den andere in diesem Lande gerne als Lebensbasis für einen ganzen Monat hätten. Da legt sich etwas quer im alten Soziherz, Toskana-Fraktion hin oder her. Aber zwei Fläschchen dürfen es schon sein. Wer neugierig geworden ist auf dieses äußerlich so unscheinbare, aber in seinem Werdegang und seiner Weinkultur höchst bemerkenswerte Weingut, kann sich hier mal umsehen: www.domainedetrevallon.com.  

Der Aufenthalt bei Trévallon ist durch die geschilderten Umstände herzerfrischend kurz, und ehe wir uns umsehen, quetschen wir uns schon wieder durch die Zufahrtsschläuche zur Domaine zurück in den Ort, 90€ ärmer, aber mit den Gefühlen eines Sammlers im Herzen machen wir uns einfach breit und zwingen jetzt die Einheimischen in die Buchten. Eine Reise muss Überraschungen parat haben, sonst hat sie nur statistischen Wert. Das hier war eine nicht ganz billige Schrulle und die beschwingt uns, dass wir das Gefühl haben, die Zufahrtsgassen weiteten sich wie einst das Rote Meer vor den Israeliten auf ihrer Flucht aus Ägypten.

Wir haben ein neues Ziel und das heißt Manosque. Manosque liegt etwa 100 Kilometer im Osten, den Nationalpark Luberon im Süden und das Vaucluse im Norden. Wir schnurren also auf der D 900 ostwärts durch das Herz der Provence, zu unserer Linken L’Isle-sur-la-Sorgue, Fontaine-de-Vaucluse, Gordes, Roussillon und Rast auf dem Weg nach ManosqueViele großzügige und saubere Rastplätze laden in Frankreich zur Entschleunigung einGoult, zu unserer Rechten Robion, Oppède, Lacoste und Bonnieux. Wir kennen sie alle diese Perlen der Provence, wenn uns auch die Lavendelfelder nicht den Gefallen tun, für uns ein bisschen früher zu blühen. Um halb eins machen wir kurz hinter Apt auf einem Rastplatz Pause. 19° und ein gutmütiger Himmel laden uns geradezu ein, eine kleine Vesper einzunehmen, zumal ja auch das Frühstück nicht gerade üppig war. Die Mädels haben auch nichts dagegen, sich die Beine ein wenig zu vertreten.

Um 13:15 Uhr geht es dann weiter und um 14 Uhr machen wir am Intermarché in Manosque stopp, um unsere Vorräte aufzufüllen. Aber jetzt, man könnte fast sagen der tiefere Anlass dieses Abstechers in den Osten, jetzt, um 14:35 Uhr, ist es soweit, jetzt endlich stranden wir an den Gestaden von L’Occitane, dem Crèmes-Panscher und Wässerchendestiller der Provence: Werksverkauf im Parfümladen. Ein Muss! Freundlich sind sie hier, das muss man ihnen lassen, ausnehmend freundlich sogar, wobei man das „ausnehmend“ durchaus wörtlich nehmen darf. Wenn man den Produkten von L’Occitane zugeneigt ist, machen die Preisnachlässe in diesem Outlet allerdings schon was her und noch mehr aus. Nach einer Stunde sprühen, salben und schnüffeln trennt sich die Kreditkarte von über 200 Euros. Der 2. April erweist sich als reichlich verlustreicher Tag, dabei kann heute von einem Aprilscherz nicht mehr gesprochen werden.

Aber die nächste Herausforderung steht uns erst bevor. Schon auf der gesamten Anreise nach Manosque hat die Reiseführerin in den Unterlagen von France Passion gestöbert, und jetzt scheint ein Entschluss gereift zu sein. France Passion (www.france-passion.com) ist ein Zusammenschluss von aktuell 1750 Winzern und Landwirten aus allen Produktionsbereichen in ganz Frankreich, bei denen man mit dem Wohnmobil kostenlos übernachten kann. Die Mitgliedschaft kostet 29 € und die Gastgeber freuen sich natürlich, wenn sie ihre Produkte vorstellen und vielleicht sogar etwas verkaufen können. Verpflichtung besteht jedoch keine. Wir haben uns eine Mitgliedskarte besorgt und nun gedenkt die Reiseführerin, das Angebot zu testen. Eigentlich hatte sie schon bei unserer Anreise aus Deutschland mit einer FP-Übernachtung geliebäugelt, aber da hat der Chauffeur gestreikt: nach 700 Kilometern war ihm nach einer ordentlichen Dusche und einem ebensolchen Abendmahl. Zumindest das erste war ihm dann gegönnt, über das zweite decken wir den Mantel des Schweigens. Nun soll es aber sein. Die Chefin hat sich für das Chateau Les Eydins bei Bonnieux entschieden, was den Vorteil hätte, dass wir morgen gleich noch einen Abstecher zu unserem geliebten Chateau de Canorgue machen können. Die Herausforderung liegt nun darin, dass in dem FP-Buch keine Adresse ausgewiesen ist, mit der wir unseren TomTom füttern könnten, noch nicht einmal GPS-Koordinaten, sondern nur ein vierstelliger GPS-Code, dessen wirkliche Koordinaten man über Internet abrufen kann. Da sitzen wir also nun in unserem Franz vor den Toren von L‘Occitane, umgeben von einer occitanischen Duftwolke und folgen den Anweisungen aus dem FP-Führer. Zuerst muss man auf der FP-Internetseite die Nummer der Einladungskarte eingeben. Wir graben in unseren Unterlagen, und tatsächlich, da ist sie. Das IPad schluckt sie anstandslos. Jetzt ist ein sechststelliger Zugangscode gefordert, um auf die Internetseite mit den GPS-Codes zu kommen. Suche, Suche – ah, da ist er. Perfekt, passt. Die Webseite öffnet sich, erbittet einige Angaben, die aber alle irgendwie nicht den Erwartungen entsprechen; mal passt diese Information nicht, mal jene und jedes Mal landen wir wieder auf der Startmaske. Nach ein paar Minuten haben wir die Faxen dicke, machen dem IPad den Garaus, holen uns die Karte und navigieren nach Altväter Sitte.

Zwischen Pont Julien und Bonnieux an der D 36 soll das Weingut liegen. Der Straßenabschnitt ist so übersichtlich, dass wir ihn zur Not auch zu Fuß abschreiten könnten. Also los um 15:35 Uhr. Wieder zurück auf die D 900 und stramm westwärts bis kurz vor Goult. Dort folgen wir dem Schild Pont Julien und einem vor uns fahrenden Wohnmobil aus Luxemburg, das bestimmt auch dorthin will und uns womöglich den letzten Platz klaut, auf die D 36, auf der, wie sich schnell herausstellt, überholen unmöglich ist. Nach ein paar Kilometern wird sie fast so eng wie die Zufahrt zur Domaine de Trévallon. Aber schon bald sehen wir das Schild des Chateau Les Eydins (www.chateau-les-eydins.com), biegen hinter dem Luxemburger auf die Zufahrt ab und sind angekommen. Unsere Sorge ist schnell verflogen. Der Luxemburger findet seinen Platz und wir ebenso (später kommt noch ein weiterer Deutscher), also alles bestens. Es ist 16:15 Uhr. Wir fragen, ob wir willkommen sind und erzeigen uns nach der Bejahung dieser Frage sofort erkenntlich, indem wir uns zu einer kleinen Weinprobe niederlassen, gefahren muss ja heute nicht mehr werden. Das Ende der Verköstigung belastet unseren Franz mit drei Kartons Weißwein, einem Karton Rosé und einem Karton Roten und unser Budget mit 248 Euro. Wer rechnen kann, weiß dass die Preislage hier eine grundsätzlich andere ist als die von Trévallon, die Weine aber richtig verlockend munden, sehr fruchtig, eigenwillig und fabelhaft trocken.

Chateau Les Eydins in BonnieuxChateau Les Eydins inmitten der WeinstöckeIm Anschluss an die Weinprobe machen wir mit den Damen einen Streifzug durch die Weingärten des Chateaus. Kurz, knackig und knorrig stehen die Weinstöcke noch an ihren Stöcken und Drähten. Es kommt einem immer wieder wie ein Wunder vor, dass aus diesen Stumpen in einem halben Jahr ein Wein gekeltert wird, der unserem Leben Seele einhaucht. Über uns steht ein fast bayerisch weiß-blauer Himmel und der Atem der Provence umschmeichelt uns mit 20° C. Welch ein Privileg, zumal die Zurückgebliebenen noch immer die Schwielen von den Schneeschaufeln salben.

Im nahem Teich graunzen hundert Frösche, was Fianna völlig von den Ballen holt; sowas hat es in ihrem überschaubaren Leben noch nicht gegeben, ein solches Konzert ist ihr fremd. In Völkersleier letztes Jahr rumorte es auch mal im Teich, aber ein so wuchtiger Klangkörper war das nicht und vor allem ist die Erinnerung daran über den Winter erloschen. Jetzt schwankt sie zwischen Angriff und Flucht, aber helfen können wir ihr nicht, denn das Allheilmittel, den Hund Lavendel im WinterschlafLavendel im Winterschlafzum Objekt des Misstrauens zu führen, hilft im Falle der Frösche nicht; die sind dann eben mal weg. Und der Radau auch. Wir geben ihr einen Ball, den sie dankbar annimmt und das Intermezzo ist schnell abgehakt und sicher auch abgespeichert. Überall zwischen den Weinpflanzungen stehen die dürren Lavendel-Seeigel, schwarzbraun, noch im Winterschlaf, aber bei Berührung noch immer eine Duftexplosion. Bei unserer Rückkehr werden wir von einer kleinen Meute hauseigener Jagdhunde begrüßt, braun und schwarz-weiß, aber alle mit riesigen Schlabberohren, vermutlich französische Brackenarten. Die machen zwar einen Mordsspektakel, kommen aber, bis auf einen höchst gutmütigen, großen braunen Rüden, nicht heran. Schnell lernen wir warum: sie tragen alle ein kleines Stromkästchen am Hals und um ihren Auslaufbereich liegt ein Stromkabel, das ihnen bei Überschreitung ihrer Grenzen einen prickelnden Hinweis übermittelt, dass die Welt an dieser Stelle für sie zu Ende ist. Weil die Hunde aber nicht blöd sind und die Spielregeln kennen, lassen sie es gar nicht darauf ankommen und bescheiden sich mit kraftvollem Tamtam. Fianna aber freundet sich mit dem braunen Rüden an und wir vermuten, dass sie heute Nacht fleißig französisch üben wird.

Natürlich sind diese Privatunterkünfte von France Passion in der Regel keine Gastronomiebetriebe und so ist man auf Selbstversorgung angewiesen. Bei uns gibt es heute Hühnerbrust mit Champignons in Sahnesoße, dazu Baguette und einen Muscadet sur Lie, das wir uns alles bei Intermarché in Manosque geholt haben. Über die Fertigmahlzeiten aus der Fleischtheke kann man wirklich nicht meckern, das sieht alles sehr appetitlich aus und schmeckt einwandfrei, bestimmt nicht die erste Wahl auf Dauer, aber für ein schnelles Essen im Womo ohne Einschränkung zu empfehlen.

Anschließend schauen wir uns noch den Film „Ziemlich beste Freunde“ an und gehen gegen 22 Uhr ins Bett.

Ziemlich beste Freunde werden der Chef und Anouk allerdings bald nicht mehr sein, wenn sie ihre immer ausladenderen Schlafangewohnheiten nicht bald wieder ändert. Fianna hat striktes Bettverbot, darf nur morgens zum Wecken kurz herein. Aber Anouk, die alte Dame, hat das Herz des Chauffeurs zerstoßen, pulverisiert, verdampfen lassen; sie hat alle Rechte, auch die des nächtlichen Beischlafs, was der hartherzigen Chefin wenig Beifall entlockt. Die Schlaflogistik sieht so aus: Unser Bett ist nicht viereckig, sondern am Einstieg abgeschrägt (also fünfeckig), dass mehr Platz für den Zugang zum Bad bleibt. Links vom Einstieg drückt sich das Fußende des Bettes an den Kühlschrank, rechts davon zieht es sich mit der ganzen Länge an der Dusche hin. Die ursprüngliche Schlafanordnung sah den Chef an der Duschwand und die Chefin an der Außenwand mit dem Kühlschrank als Fußabschluss, auch deshalb, weil der Chef meist später ins Bett geht und so gerade einsteigen kann und nicht über die Dame steigen muss, wenn diese am Einstieg läge. Der Nachteil ist, dass dem längeren Chef immer die Füße aus dem durch die Einstiegsschräge verkürzten Bett hingen, was auch seine Decke zur Wanderschaft veranlasste, weshalb er die Bettbelegung im WomoWie man sich bettet, so liegt manganze Nacht mit kalten Füßen und einer wandernden Zudecke zu kämpfen hatte. Irgendwann im letzten Jahr hatte er dann um einen Positionstausch und das Übersteigrecht gebeten, was ihm gewährt wurde, weshalb er jetzt an der längeren und fußgesicherten Außenseite des Womos liegt und die Chefin sich an die Dusche schmiegt. Jetzt kommt die alte Dame Anouk ins Spiel, die meist schon vor dem Chef ihren Platz im Bett eingenommen hat, nämlich seinen. Beim Bettgang muss das alte Mädchen dann unter vielfältigen Beschwörungsformeln und Drohungen bewegt werden, ihren Vorzugsplatz aufzugeben und sich irgendwo zwischen den Herrschaften oder an der Außenwand bequem zu machen. Das geht tatsächlich. Bei gegenseitigem Verständnis lässt sich da durchaus mit Bein- und Armfreiheit schlummern. Aber nur bei gegenseitigem Verständnis! Die Weiße hat ein solches nicht oder mit den Jahren verloren; sie pflegt derzeit diagonal im Bett zu ruhen, wie der Schrägstrich im Logo der Deutschen Bank andersrum. Bei dieser Anordnung hat nur noch ein Beteiligter irgendeine Freiheit – sie! Vor allem, wenn sie den frei verfügbaren Platz in seiner ganzen Länge ausnutzt, was sie in Lacoste bei NachtLacoste bei Nachtausgestreckter Schlafhaltung auch gerne tut. Was dem einen eine Genussstellung, ist den anderen eine Verdrussstellung. Heute Nacht nimmt sich der Chef vor, morgen mit seiner Herzenshündin ein Gespräch unter vier Augen zu führen, weil bei einem der zahllosen schlaflosen Blicke aus dem Schlafzimmerfenster selbst der atemberaubende Anblick des prächtig erleuchteten Lacoste, das vom Gegenhang herübergrüßt, nur einen kurzen Trost darstellt. Wenn die Knochen ächzen, verliert selbst der Zauber erleuchteter Wehrdörfer bei Nacht seinen Reiz.

 

Mittwoch, 3.4.2013

Lacoste im MorgenlichtLacoste im MorgenlichtMorgenspaziergang in den Feldern von Chateaux Les EydinsMorgenspaziergang in den Feldern von Chateaux Les EydinsWir beenden die mühselige und beladene Nacht um 7:30 Uhr, wir mit Nachholbedarf, die weiße Dame gewissermaßen runderneuert und flexibel wie kaum eine knapp Zwölfjährige. Da ertappt man sich dann schon bei dem Gedanken, dass man durch eigenen Schlafverzicht ein gutes Werk getan hat und überlegt, auf das Vier-Augen-Gespräch zu verzichten. Die Morgensonne, ein blanker Himmel und 6° C ziehen uns wieder zu einem ausgedehnten Spaziergang in die Weinberge hinaus, der die Knochen wieder in Position rüttelt.

Chateaux La Canorgue mit Blick auf BonnieuxChateaux La Canorgue mit Blick auf BonnieuxUm 9 Uhr nehmen wir ein bescheidenes Müsli-Frühstück, machen unser Mobil mobil und verabschieden uns. Nur ein paar Kilometer hinüber nach Bonnieux soll es gehen zu Chateau La Canorgue. Schon vor knapp 16 Jahren haben wir das Weingut kennengelernt, als wir es irgendwo als Geheimtipp mit großer Zukunft gelesen hatten. Wir sind hingefahren und waren umgehend von deren Rosé begeistert, nicht minder vom Roten. Drei Jahre später hatte das Chateau einen Eintrag mit großen Vorschusslorbeeren im Parker. Auweia, dachten wir, jetzt geht die Preisliste in die Luft wie Schmidts Katze. Weit gefehlt: gleiche Preise, gleich freundlicher Umgang, keine Allüren. Vor zwei Jahren waren wir wieder dort und mussten erkennen, dass just in diesem Chateau der Spielfilm „Ein gutes Jahr“ von Ridley Scott und mit Russell Crowe gedreht worden war. Auweia, dachten wir abermals, jetzt gilt es den Geldbeutel festzuhalten. Aber wieder weit daneben, vom Chef selbst wurden wir äußerst unaffektiert betreut, fast besoffen waren wir von allen den Pröbchen, die er uns ans Herz legte und die Preise waren nicht mehr gestiegen als es die Inflation erfordert.

Jetzt also ein weiterer Anlauf zu „unserem“ Chateau, treffen gleich noch ein Paar aus Rosenheim mit roter Degustationsnase, und werden wie all die Jahre zuvor aufs angenehmste bedient, diesmal nicht vom Chef, sondern von der Tochter des Hauses, Nathalie. Starallüren braucht hier wirklich keiner, wohl weil sie erkannt haben, dass ihr Wein Star genug ist. Die sind hier so unaffektiert, dass sie noch nicht einmal eine eigene Webseite haben, weswegen wir eine Seite aus Dänemark einfügen (www.chateauneuf.dk/luberon/en/luben7.htm), offensichtlich ähnliche Canorguisten wie wir. Die Weine sind immer noch von gleich hohem Niveau, entweder aus schonendem Anbau oder Bio und die Preise sehr reell. Wir erstehen zwölf Flaschen Rosé für 8,80 €, zwölf Flaschen Weißen für 9,50 € und sechs Flaschen Roten für 9,70 € und jede Flasche ist jeden Cent wert.

Um 10:50 Uhr verlassen wir Chateau la Canorgue wieder, leicht beswingt, was die auch hier zum Teil hautengen Straßen gleich etwas komfortabler erscheinen lässt und steuern Robion an. Um 11:15 Uhr parken wir den Franz auf dem verschlafenen Kirchplatz von Robion und betreten den Laden von La Roumanière, einer Marmeladenmanufaktur. Die Konfitüren von La Roumanière sind nicht nur ohne Farb- und Konservierungsstoffe, sondern, sofern es sich nicht um Exoten handelt, allesamt aus Früchten der Region produziert - und zwar fast ausnahmslos von Behinderten. Diese Initiative unterstützen wir, wenn immer wir hier sind, diesmal mit Konfitüren für 80 €. Man kann die Konfitüren von La Roumanière auch über Internet bestellen, muss dann aber deutlich tiefer in die Tasche greifen. Vor Ort kosten die Standardmarmeladen zwischen 3,70 und 4,70 € einige neue Kreationen auch mal 5 €. Im Internet beginnen die Preise bei 6,45 €. Man kann sich jetzt ausrechnen, ab welcher Menge sich eine Sonderfahrt nach Robion lohnen würde, wir nehmen an, dass sie die Lagerkapazität unseres Kellers überfordern würde, aber wenn man in der Gegend ist, sollte man hier vorbeischauen, gleich am Kirchplatz von Robion, bei La Roumanière (www.laroumaniere.com), wo man ebenso höflich, freundlich und herzlich bedient wird wie bei La Canorgue. Diese Provençalen haben das Herz einfach am rechten Fleck.

Wir bleiben am Kirchplatz stehen und nehmen uns vor, einen Spaziergang durch den Naturlehrpfad zu machen, der hier beginnt, doch schon nach kaum einer Viertelstunde wird die Reiseleiterin wieder unruhig, zieht ihre Unterlagen zurate und befiehlt: Anker auf, wir fahren nach Fontaine-de-Vaucluse, dort gibt es einen Stellplatz an Anouk an der Sorgue in Fontaine-de-VaucluseAnouk - sorglos an der Sorgueder Sorgue und mit Entsorgungsmöglichkeiten. Die Richtung ist nicht ganz verkehrt, weil unser Tagesziel heute sowieso Isle-sur-la-Sorgue ist, wir dort aber erst später einlaufen können. Also fahren wir um 12:15 Uhr nach Fontaine-de-Vaucluse weiter und finden schon 20 Minuten später einen Platz auf dem Stellplatz Aire de Camping-cars. Wer sich informieren möchte, findet den Platz bei www.promobil.de oder direkt an der Avenue Robert Garcin. Die 50 Plätze befinden sich links und rechts von der Zufahrt. Zwischen dem Stellplatz und der Sorgue ist ein breiter Parkstreifen unter Bäumen, während die Stellplätze selbst ohne Schatten sind. In der Saison zahlt man dort bis 5 € Gebühr/Tag, wir haben noch nichts bezahlt.

Die Sorgue in Fontaine-de-VaucluseDie Sorgue in Fontaine-de-VaucluseWir machen einen Spaziergang in den Ort, der sich direkt an den Stellplatz anschließt. Fontaine-de-Vaucluse ist aus zwei Gründen ein ausgesprochener Touristenort. Zum einen entspringt dort die Sorgue aus einem mächtigen Quelltopf, der an guten Tagen immerhin 23 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ausspuckt. Das erklärt, warum dieser Fluss schon am Stellplatz ein richtiger Fluss ist und kein armseliges Rinnsal, wie man vermuten könnte. Die Sorgue ist dabei von einem glasklaren Smaragdgrün, wie man es nur bei Flüssen findet, die im Kalkgebirge entspringen. Kein geringerer als Jacques Cousteau ertauchte und ergründelte mit seinen Teams die Höhlen dieser Quelle. Der zweite Grund, den Ort zu besuchen, ist der Dichter Petrarca, der hier den Großteil seines Lebens verbrachte und dessen Leben man in einem für ihn eingerichteten Museum nachvollziehen kann. Dieser Petrarca soll übrigens 1336 als erster den Mont Ventoux bestiegen haben. Wir bummeln durch den zu dieser Jahreszeit nur mäßig heimgesuchten Ort, wir haben ihn auch anders in Erinnerung…

Fährtensuche am Strand der SorgueDamit die Fährte kein Sorguenkind wird...Anschließend wird das Nachmittagsprogramm angeworfen, Kaffee und süße Stückchen aus der Boulanscherei und dösen. Fianna darf eine kleine Fährte am Sorgue-Ufer suchen und danach noch eine ordentliche Fahrradtour mit der Chefin tippeln. Der Chauffeur macht sich derweil um den Franz verdient, scheuert ihm den Sand aus den Eingeweiden und bringt wieder etwas Ordnung in dessen Leben. Dabei fällt ihm auf, dass Fiannas Kacktütchen vom Morgen nicht da ist. Eigentlich sollte sie zusammen mit dem Korken des Abend-Muscadets und ein bisschen anderem Kleinmüll in einer Plastikdose vor sich hin stänkern. Aber die Plastikbox ist nicht da und mit ihm kein Fianna-Häufchen. Und da fällt es dem Chauffeur wie Schuppen von den Augen: die Box mit Fiannas Morgenrückstand steht noch auf dem Parkplatz von Chateau Les Eydins! Wir haben sie neben das Womo gestellt, um sie zu entsorgen und zwar gleich neben die Tür, damit wir sie unter keinen Umständen vergessen. Volltreffer. Wir bitten also auf diesem Wege die Familie Seignon um Vergebung und diejenigen, die diesen Text lesen und demnächst dort vorbeischauen, unsere Entschuldigung zu überbringen: es tut uns leid und soll bestimmt nicht wieder vorkommen. So ein Mist aber auch.

Wenn sich schon die Stimmung des Herrn verfinstert, ist es ein kleiner Trost, dass der Herr über das Wetter dagegenhält. Die 20° C bei blankblauem Himmel vor dieser Kulisse lassen sogar die grauen Gedanken des Chauffeurs langsam wieder ins Himmelblau gleiten. Um kurz vor 19 Uhr entsorgen wir noch unser Klo an den Gestaden der Sorgue, aber keine Sorge, schon ganz legal in einem dafür vorgesehenen Gully und machen uns davon, weil nämlich um 19 Uhr hier die Schlagbäume runter und bis morgen Früh nicht mehr hochgehen. Wir steuern unser zweites Pflichtziel dieser Reise an. Das erste war Manosque und L’Occitane, Mas de Cure Bourse in Isle-sur-la-Sorgue ist das zweite (http://www.masdecurebourse.com). Zweimal haben wir dort schon einige Tage verbracht, lange ist es her, unseren Honeymoon haben wir dort verbracht, aber aus dem Sinn gekommen ist es uns nie. Etwas außerhalb der Stadt, versteckt unter riesigen Platanen und Eichenbäumen, liegt diese alte Poststation aus dem 18. Jahrhundert. Wer sein Haupt zur Ruhe legen möchte, kann das in rustikalen Zimmern in der Tradition dieses Landstrichs tun, an einem prächtigen Swimming-Pool seine vom tiefenentspannten Schlummer noch dösigen Beine reaktivieren und wem der Geist nach erstklassiger Küche steht, der ist hier nicht nur bestens bedient, sondern wird auch bestens bedient, draußen im kuscheligen Hof unter uralten Platanen. Wer sich hier nicht wohlfühlt, wurde von seinem Schöpfer für Malle gemacht. Wir hatten schon lange Sehnsucht nach „unserer Mas“, einem Ort der Herzen und der Erinnerung, jetzt musste es wieder sein. Telefonisch haben wir abgeklärt, ob wir mit unserem Franz bei ihnen übernachten können, und es hätte uns gewundert, wenn es Einwände gegeben hätte. Nun also sind wir auf dem Weg – nur TomTom, der Vollpfosten, legt sich unserer Sehnsucht in den Weg, besser gesagt: er legt uns eine Bahnlinie in den Weg, weil er doch tatsächlich versucht, uns durch eine Bahnunterführung mit 2 Metern Durchfahrtshöhe zu lotsen: Da hätte sich der Franz aber eine ordentliche Glatze eingehandelt. Wenn man heute bei TomTom auf die Webseite geht, findet man ein Gerät für Camper und Wohnwagen und den feinsinnigen Aufmacher: „Hochleistungsfähige TomTom Navigation für Wohnmobil und Wohnwagen. Vermeiden Sie Umwege und unangenehme Überraschungen. Das sollte einem mit einem Wohnmobil oder Wohnwagen nicht passieren.“ Wie recht die doch haben! Umwege beschert uns unser TomTom mit Sicherheit keine, im Gegenteil, wenn wir ihm sagen, er soll uns die schnellste Strecke zeigen, wirft er zuverlässig die kürzeste aus, über die abartigsten landwirtschaftlichen Nutzwege, durch Bauernhöfe und um Ecken, an denen man sich schon mit einem ausgewachsenen Pkw scheuern kann. Besonders beliebt sind bei unserem Tom auf die Frage nach der schnellsten Route die Straßen, auf denen man maximal 3,5 t Gewicht mitbringen darf, das trifft für uns zwar zu, aber diese Straßen sind nicht umsonst für den Schwerverkehr gesperrt, und manche dieser Hinterland-Highways befährt man mit dem Gefühl, Adrenalin im Tank zu haben und keinen Diesel. Schneller sind diese „schnellsten Routen“ nicht, dafür sorgen schon die vielen Ausweichstopps zehn Zentimeter neben den Entwässerungsgräben und der Hoffnung im Herzen, dass das Bankett wenigstens hält, sonst erübrigt sich die Frage nach der „schnellsten Route“ sowieso. Weil uns der Tom schon bis Lettland geleitet hat, ist er noch auf dem Bonusprogramm, aber der Eindruck verdichtet sich, dass er uns die längste Zeit an der Nase herum und über die krummsten Wege geführt hat. Die leicht brodelnde Wut und das klammheimliche Gefühl, ständig auf den Arm genommen zu werden überwiegt den nicht zu leugnenden Effekt, dass, wer nicht Womo fahren kann, es mit diesem Tom mit Sicherheit lernt. Den Chauffeur schreckt inzwischen keine hohle Gasse und kein Feldweg mehr. So halten wir es auch in diesem Fall mit der Geduld, ignorieren die Bahnunterführung, fahren einfach rechts in Richtung Stadtzentrum, lassen den Tom zur Strafe ordentlich rechnen, und nachdem er sich durch Isle-sur-la-Sorgue wie ein Matheabiturient gerechnet hat, rollen wir tatsächlich auf den Parkplatz von Mas de Cure Bourse, zwar auch auf einer Zufahrt, die keinen Gegenverkehr ratsam erscheinen lässt, aber dafür kann der Tom nichts, die ist eben nicht breiter, war noch nie breiter und wird aller Wahrscheinlichkeit nach nie breiter sein. Angekommen. Irgendwie zuhause. Es ist 19:20 Uhr.

Wir lassen die Hunde schnell auf eine kleine Pinkelrunde hinaus, machen uns ein bisschen schick, landfein, wie der Seefahrer sagen würde, und betreten seit vielen Jahren die für uns fast schon heiligen Hallen des Mas de Cure Bourse, aber auch mit etwas Sorge (an der Sorgue), ob die Vorfreude nicht durch Enttäuschung ersetzt würde, es sind immerhin fast 13 Jahre vergangen seit unserem letzten Besuch. Zwar war das Telefonat sehr erfreulich, aber Freundlichkeit ist die Tugend der Rezeptionisten auf der ganzen Welt, selbst wenn sie nur im Sinn haben, dich auszurauben und hinterher totzuschlagen. Doch schnell verfliegt der Argwohn, drinnen hat sich eigentlich nichts verändert, die Empfangsdame versprüht diese charmante Freundlichkeit, die Herzen gewinnt und vom geschäftstüchtigen Süßholz etwas so weit entfernt ist wie die Küche dieser alten Poststation vom Buffalo Grill. Das hoffen wir zumindest und allem Augenschein nach nicht ohne Grund. Ein Kellner begrüßt uns wie wir es gewohnt sind und fragt nach, ob wir den Aperitif im Speisesaal, in der Bar oder im Garten nehmen wollten. Wir entscheiden uns für einen Aperitif unter alten Platanen, knappe 12° C werden ihn frisch halten und wir werden es aushalten. Der Hausaperitif (Champagner mit Mango und einem Hauch von Lavendel) bringt sofort die Erinnerungen zurück, als wir hier draußen vor einer Glück verheißenden Menükarte saßen und an einer geradezu unerhörten Weinkarte scheiterten; was soll man auch wählen, wenn man Weine aus der Region trinken will, diese aber noch nicht kennt. Wir haben uns also beraten lassen, immer mit der Sorge, mit den teuersten Tropfen beglückt zu werden (und die sind ordentlich teuer!). Aber weit gefehlt, wir bekamen zu jedem Gang nicht nur einen genau passenden Wein, sondern einen aus den unteren Regionen der Mittelklasse kredenzt. So etwas nennt man dann wohl Stil. Selbst als wir an einem Abend einen Schlummertrunk aus der Premiumkategorie bestellten, öffnete dies am nächsten Tag beim Personal nicht die Schleusen zur Maßlosigkeit; sie blieben bei Stil und Anstand. So etwas prägt sich ein, wie die Weine, von denen wir einige bis heute zu unseren Lieblingen zählen, die in unserem Keller nicht ausgehen dürfen. So macht man sich Freunde, die über Jahre hinweg Sehnsucht verspüren und nach 13 Jahren dieser nicht mehr widerstehen können. Ein besseres Geschäftsmodell gibt es nicht. Es ist das Geschäftsgebaren des Bankiers, nicht das des Bankers. Bei unserem TomTom, so müssen wir leider vermuten, ist dies nicht Grundlage des Geschäftsmodells, knapp zwei Jahre nach Kauf ist er eigentlich nur noch Schrott, Ablaufdatum und Zwang zum Neukauf eingebaut. Es könnte allerdings sein, dass es dann kein TomTom mehr wird, das wiederum ist das Risiko des Bankermodells.  

Nach dem Aperitif lassen wir uns im Speisesaal nieder, der eigentlich den Namen Saal nicht verdient, es ist eher ein heimeliges und kuscheliges Kaminzimmer, intim, ohne die Nähe als unangenehm zu empfinden. Bis 23:15 Uhr widmen wir uns hingebungsvoll unserem Menü: Entenleber mit Feigenconfit und Brioche, Lotte im Speckmantel, zwei Arten von Lamm mit knackigem Gemüse, süßes Dessert, das wir nicht definieren, weil zu aufwändig (den Weinsauger-Käse lassen wir wegen Kapazitätsüberschreitung aus), das Ganze begleitet von einer Flasche Weißen (Ventoux St. Heyries 2011) und einer Flasche Roten (Vacqueyras Intuition Alain Ignace), beschlossen mit einem Schälchen Espresso und Konfekt von der Etagerie. Mon Dieu, très formidable! Wenn man schon platzen muss, dann wenigstens mit Stil und dem Gefühl, dass es dieses Ende wert ist. Vorher lassen wir noch schnell 183 Euros liegen, das heißt, wir würden gerne, aber die Money-Maschine der alten Poststation mag heute keine Kreditkarte und keine EC-Karte. Das bringt die hier auch nicht aus der Fassung, sie schreiben unsere Adresse auf, sagen, sie befragen ihre Maschine morgen noch einmal und verabschieden uns mit großer Geste in die Nacht. Diese Nacht ist nicht wegen der unbezahlten Rechnung die bestbewachte unserer Womo-Zeit, sondern weil wir auf dem Parkplatz direkt unter dem Scheinwerfer und der Überwachungskamera stehen; ein nächtliches Pinkeln vor der Womo-Tür wäre zwar nicht strafbewehrt, aber peinlich. Aber wer macht denn auch sowas?

Heute Nacht ist Anouks diagonale Schlafposition besonders verquer, weil wir in unseren Bewegungen doch stark beeinträchtigt sind. Mannomann, dass so viel Gutes so unanständig viel Platz braucht…

 

Donnerstag, 4.4.2013

Wir starten den letzten Tag in der Provence um kurz nach acht, 10° hat es draußen und bedeckt ist es. Genau richtig für die Abreise. Die Chefin führt die Damen Gassi, der Chef klart das Reiseschiff auf und wagt einen Reparaturversuch an der Schiebetür der Dusche, die irgendwie ihren Dienst verweigert, sich sperrt und unbeweglich zeigt. Da hat sich der Führungsgummi eingewurstelt und außerdem ist vermutlich die ganze Gleitschiene voller Sand. Da ist jetzt nicht viel zu machen, aber es gelingt soweit, dass man wenigstens mit einiger Mühe und etwas Trickserei die Tür zumachen kann, wenn man aufs Klo geht. Ein bisschen privat darf es auch im Womo noch sein.

Um 9 Uhr fahren wir los, Frühstück entfällt heute, wäre auch noch nicht wirklich nötig. Es fühlt sich inwendig so an, als wäre gerade erst der Nachtisch in Verarbeitung. Heute stehen noch zwei Punkte auf dem Programm: ein Besuch im Chateau Mont-Redon in Chateauneuf-du-Pape, auch eine Herzensangelegenheit und die Suche nach einem ganz bestimmten Haarwaschmittel und einer Lotion für eine Kollegin der Chefin, die es eigentlich nur bei Carrefour gibt (die Lotion, nicht die Kollegin), aber gelegentlich auch in anderen Supermärkten zu finden ist. Wie das Leben so spielt, haben wir auf unserem ganzen Aufenthalt bis heute keinen Carrefour gesehen, das glaubt zwar niemand, ist aber so. Man stößt ja immer auf das, was man nicht sucht, aber nie, auf das was einem unter den Nägeln brennt. Hat schon mal jemand eine öffentliche Toilette gefunden, wenn er sie dringend gebraucht hätte? Na, also. Dabei stolpert man sonst immer über diese stinkenden Kulturgüter.

Wir beschließen also, auf unserem Weg übers Land nach Chateauneuf-du-Pape einen Super U oder Intermarché anzusteuern, in der Hoffnung, dass wir dort auch fündig werden. Nach wenigen Kilometern neigen wir dazu, uns besser für Lidl zu entscheiden, weil es den überall gibt – aber keinen Intermarché oder Super U. Der Unterschied zwischen Lidl und Intermarché ist nämlich der, dass Lidl, wie wir es kennen, einfach am Straßenrand steht und nicht verfehlt werden kann. Bei Intermarché und Super U verhält es sich so, dass man einem Hinweisschild am Straßenrand entnehmen kann, dass in zwei Minuten von hier, in Richtung Schniedelwix ein Intermarché zu finden ist. Dann gibt es keinen Hinweis mehr. Spätestens am nächsten Kreisverkehr, und Frankreich ist ein einziger großer Kreisverkehr, an dem auch kein Hinweis mehr auf Schniedelwix erfolgt, ist guter Rat teuer. Zwar gibt es gute Gründe einfach geradeaus zu fahren, wenn keine andere Direktive erfolgt, aber eine Garantie ist das nicht. Kurz: wir sind den Spuren zweier Intermarchés gefolgt und haben sie, ohne sie zu finden oder zu erröten, wieder verloren. So ganz fremd ist uns dieses Phänomen nicht, deswegen bleiben wir einigermaßen gelassen. Wenig später stolpern wir über einen Super U, der geradezu lidlmäßig am Straßenrand steht, tanken dort für 1,37 € / l, insgesamt für 47 € voll und füllen ein letztes Mal unsere Vorräte auf, man weiß ja nie. Bei der Gelegenheit fallen uns noch zwei Hummer zu einem Sensationspreis zum Opfer, die auch gleich im Gefrierfach verschwinden und schon geht es weiter nach Chateauneuf-du-Pape.

Chateau Mont-Redon in Chateauneuf-du-PapeChateau Mont-RedonGegen 11 Uhr rollen wir auf den Parkplatz von Chateau Mont-Redon (www.chateaumontredon.com). Die Degustationsstube ist leer, der Kundenberater ist gerade nicht da, dafür werden wir von einer ausnehmend freundlichen jungen Dame in Empfang genommen, die sich als eigentlich nicht zuständig, weil nicht ausreichend kompetent, vorstellt, aber so viel Kompetenz einräumt, dass sie in der Lage und berechtigt sei, uns einen Tropfen zu kredenzen. Was wir denn begehrten? Und so bekommen wir von ihr einen eingeschenkt, einen weißen Lirac nämlich, und zwar gleich ein halbes Glas. Sie labert uns nicht mit irgendwelchem Smalltalk voll, sondern ist einfach nur unaufdringlich präsent. Wir machen es ihr leicht, erzählen ihr, dass wir gerne hierher kommen und vor zwei Jahren zum letzten Mal hier waren, das freut sie und bricht das Schweigen. Dann kommt der Chef. Es ist derselbe, der uns all die Jahre verköstigte. Er kennt uns natürlich nicht mehr, wäre auch ein bisschen viel verlangt. Aber er ahnt sofort, dass wir die mit dem Wohnmobil sind. Ob wir nicht hier herunter, direkt vor den Keller fahren wollten. Ob wir denn bleiben wollten, wir könnten bleiben, solange wir wollten. Ja, ja sagen wir, wir würden gerne noch ein bisschen mit den Hunden hier spazieren gehen, bevor wir weiterfahren. Da war er fast enttäuscht, nein, meint er, wir könnten hier bleiben, solange es uns gefällt. Wir haben wirklich keine Ahnung, mit welcher Sorte Franzosen diejenigen zusammengetroffen sind, die alle gebetsmühlenartig lamentieren, dass die Franzosen so arrogant und abweisend Ausländern und vor allem Deutschen gegenüber seien. Wir sind jedenfalls in einem anderen Frankreich, vielleicht so eine Art Parallellfrankreich. Wir werden überall nur wie Könige behandelt.

Wir plaudern ein bisschen herum, fahren das Womo vor die Tür, kaufen dabei zwei Kartons Lirac und zwei Kartons roten Côtes du Rhone, alle so lecker, wie wir sie kennen. Bei der Buchung im Computer (267 €) weiß dann auch der Chef, dass wir hier schon eine gewisse Tradition haben, was ihn freut, aber nicht schmierig werden lässt. Dann bekommen wir noch eine Beschreibung, wo wir am besten unsere Hunde herumführen könnten, einfach hier hoch, durch den Wein und so weiter und so fort.

Anouk und Fianna im weinberg von Chateau Mont-Redon Viel Steine gab's und wenig Fleisch Das machen wir auch und erleben auf diese Weise hautnah den Weinanbau im Chateauneuf. Von der Straße aus haben wir das ja oft gesehen, aber so mitten drin… Hier gibt es keine Vegetation außer dem Wein, hier gibt es nur Steine, Steine so weit das Auge reicht. In diesen Steinen sitzen die knorrigen, zum Teil uralten, noch niedrigen Pflanzen, aus denen das wird, was wir gerade in unseren Franz geladen haben: ein Extrakt aus Stein, Sonne und Aromen. Man ahnt bei diesem wechselwolkigen Himmel und den heraufziehenden 20° C, was für eine Hitze hier über den Steinen wabert, wenn es erst einmal Sommer ist.

Der Chef fühlt sich direkt in seine Schulzeit zurück versetzt und an das bekannte Gedicht „Der wackere Schwabe“ von Ludwig Uhland erinnert, der einen wenig erfreulichen Kreuzzug zum Thema hat, aber von dem eben noch einige Textfetzen hängen geblieben sind: „…Daselbst erhub sich große Not, / viel Steine gab's und wenig Brot, / und mancher deutsche Reitersmann / hat dort den Trunk sich abgetan; …“ Das ist der Unterschied vom finsteren und blutrünstigen Mittelalter zur Jetztzeit und zum Chateuneuf: gerade weil es hier viel Steine gibt, hat sich mancher deutsche Fahrensmann den Trunk erst richtig angetan. Und Brot gibt es dazu auch noch reichlich. Aber hier sieht man ja auch nicht „zur Rechten wie zur Linken einen halben Türken heruntersinken“, höchstens mal einen vollen Deutschen. Die Zeiten sind zuträglicher geworden seit den Zeiten des alten Barbarossa, keine Frage. Einer seiner Mathelehrer materialisiert sich auch wieder in seiner Erinnerung, jener nämlich, der ihm verhieß, dass er einstmalen zum Steineklopfen gehen müsse, wenn er nicht endlich in die Gänge käme. An diese Art von Steineklopfen, wie es hier praktiziert wird, hat jenen seine weinfreie Allgäuer Lebenserfahrung vermutlich nicht denken lassen, schon gar nicht, dass es zwar harte Arbeit ist im Weinberg, aber bestimmt keine Höllenstrafe für säumige Matheschüler. Die Welt hat eben immer noch eine Facette mehr auf der Palette, als man sich vorstellen mag. Steine klopfen im Weinberg und anschließend links oder rechts voll darnieder sinken – es gibt Schlimmeres.

High Noon sind wir zurück von unserem Rundgang, gerade als die Sirene loslegt. Mit einem Mal gehen so viele Türen auf, wie wir gar nicht geahnt haben, dass es sie gibt, und überall huschen die Arbeitsbienen im Weinberg des Herrn heraus, eilen in die Autos, auf Mopeds und Fahrräder, um in die Mittagspause nach Hause zu fahren, Mittagsruhe auf Chateau Mont-RedonSiesta - und Omili bewacht das Womiliund keiner, der uns nicht gegrüßt und uns einen schönen Tag und einen schönen Mittag gewünscht hätte. Auch der Kellerchef macht sich auf den Weg, verschließt die heiligen Hallen, wünscht uns eine schöne Zeit und gute Fahrt, strahlend, herzlich – und wir sind alleine hier, plötzlich die Herren von Chateau Mont-Redon in Chateauneuf-du-Pape. Wir machen auch Mittag im Franz, eine kleine Vesper vor der großen Fahrt, immerhin haben wir heute das Frühstück ausfallen lassen und langsam meldet der Magen doch sein Recht an, wenn es auch noch nicht so dramatisch ist wie bei Uhland: … den Pferden war so schwach im Magen, fast musste der Reiter die Mähre tragen“. Wenn man auch zugeben muss, dass die gewissenhafte Verkostung von Lirac und Côtes du Rhone eine gewisse Bedürftigkeit des Magens heraufbeschwor.

Um 12:30 Uhr brechen wir auf, lassen alles fahren und fahren dahin. Nach Hause, aber einen genaueren Plan haben wir nicht. Wir wissen nur, dass wir nicht über Italien fahren, was für uns die Tour der Wahl wäre, aber wir wollen auf jeden Fall den Osterrückreiseverkehr meiden. Deswegen fahren wir zurück, wie wir gekommen sind, über Freiburg. So steuern wir unseren Stammsitz von Norden her an und nicht wie alle anderen aus dem Süden herauf.

Kurz vor der Autobahn winkt uns ein Carrefour-Markt. Herr Jesus, du gibst uns Zeichen: wir dürfen nicht ohne das Shampoo und die Lotion zurückkehren, nicht den Zorn der duftumwölkten Kollegin heraufbeschwören. Also biegen wir hinein ins Parkcarrée von Carrefour und tauchen noch ein letztes Mal in die Welt des französischen Supermarktes. Der Chef hat alle Hände voll zu tun und alle seine Überzeugungskraft einzusetzen, dass wir nicht mit einem Wagen voll unverzichtbarer Leckereien für die nächsten drei Wochen durch die Kasse fahren. Es bleibt Fianna mit Kosmetika im Womobei den Kosmetikartikeln für die Kollegin (und einer großen Portion Fischsuppe). Die Kosmetika werden im Franz auf den Tisch platziert, Fianna wird daneben drapiert und dann wird ein Beweisfoto geschossen und per What‘s nach München ge-appt, damit die Kollegin sich schon ein paar Tage vorfreuen kann. Die Zeiten der Geheimnisse und stillen Überraschungen sind weg gewhatsappt heutzutage. Vermutlich weiß man jetzt schon vor dem Geschlechtsapp, dass man mit Kindersegen rechnen darf. Na denn… pack ma’s. Homeward bound.

Um 13:15 Uhr besteigen wir an der Anschlussstelle 22 bei Courthézon die A 7 Richtung Norden, um 15 Uhr verlassen wir diese wieder südlich von Lyon, um uns östlich auf der A 46 um Lyon herumzudrücken. Weiter geht es auf der A 42 und die A 39. Jetzt liegen wir ziemlich stramm auf Nordkurs, passieren bei Bourg-en-Bresse die Hühnerfabriken der sagenumwobenen Bresse-Hühner, die dem Augenschein nach auch keine glücklichen Hühner sind, sondern wie die meisten anderen, auch nur bedauernswerte Käfigluder. Aber schmecken tun sie sensationell, vielleicht nach dem Anblick dieser Vernichtungslager nicht mehr ganz so sensationell. Kurz nach fünf Uhr gehen wir auf Ostkurs und steuern auf der A 36 Mulhouse an. Bei Montbéliard schwant uns, dass wir unserem Franz noch ein bisschen Kraftfutter geben müssten, befragen den TomTom, wo die nächste Tankstelle sei und folgen seinen Empfehlungen getreulich. Er lotst uns von der Autobahn und über den wohlbekannten Zubringer-Schmetterling wieder zurück und wieder hinunter – und wenn wir unserem Tom nicht schon längst auf die Schliche gekommen wären, würden wir vermutlich noch immer in Kleeblattkringeln um die Anschlussstelle Montbéliard herum kreiseln, oder besser: unser Franz würde mit leerem Magen am Wegesrand liegen und wir würden ihm das Kraftfutter in Kanistern herbei schleppen. Ach ja, der Tom, ein klarer Fall für die Abwrackprämie! Wir schaffen es doch noch bis zum Intermarché in Mulhouse-Pfastatt, aber der Tankstutzen dort macht nach exakt 50 Liter zu. Dieselrationierung in Frankreich, auch eine neue Erfahrung; liegt wahrscheinlich an den unglückseligen Sozialisten und ihrem Trauerengel Hollande. Kaum regieren die, geht schon der Sprit zur Neige. Gazole mio …

Um 19.30 Uhr überqueren wir die Grenze und Punkt acht sind wir am Wohnmobil Stellplatz Freiburg, Bissierstraße in der Nähe des Sportparks (N 48° 00‘ 01‘‘ E 7° 49‘ 35‘‘; www.stellplatz-freiburg.de). 8 € kostet der Platz für den Tag, an manchen Plätzen gibt es Strom und Wasser, was aber extra berechnet wird. 50 Stellplätze gibt es dort (in Ferienzeiten kann auch noch der Parkplatz des angrenzenden Schulzentrums benutzt Stellplatz Freiburg BissierstraßeStellplatz Freiburgwerden) und die Plätze sind immer gut ausgebucht. Selbst heute an einem urgewöhnlichen Donnerstag zum Ende der Osterferien ist der Platz proppenvoll, weshalb wir auf dem Schulparkplatz stehen. Der Vorteil dieses Platzes ist, dass man in einer knappen Viertelstunde im Zentrum Freiburgs ist, der Nachteil, dass der Platz im Dreieck zwischen zwei Bahnstrecken liegt, der Stadtbahn und der Güterbahn, was ihn nicht gerade zu einer Oase der Stille macht. Aber für eine Nacht ist er immer zu empfehlen. Für Hundebesitzer ist der Auslauf trotz eines kleinen Parks einigermaßen beschränkt, vor allem, weil die Bahnen mit Gitterzäunen von den Fußgängerwegen abgetrennt sind und diese von Fahrradfahrern okkupiert sind - ausweichen unmöglich; Freiburg ist eben eine Fahrradstadt. Wer mehr Muße hat, findet aber bestimmt Möglichkeiten seinen Hunden ausreichend Auslauf zu verschaffen. Wir begnügen uns mit einer Runde um das Schulzentrum und durch den Park; für Anouk reicht das, sie ist nicht mehr so anspruchsvoll und bei Fianna sind auch zwei Stunden kaum hinreichend, um ihren Bewegungsstau nach einer langen Fahrt abzubauen. Das verschieben wir auf zuhause.

Abschied im WomoAus is' und laar is' und schad is', dass' wahr is'Als letzte Reminiszenz an Frankreich laben wir uns an der Fischsuppe von Carrefour, sozusagen unsere Bodylotion für die Innenseite. Dazu gibt es ein letzes Baguette und danach Fondanttörtchen mit Vanillesoße, auf die vor allem die zwei Felldamen gierig spekulieren. Na klar, bekommen die auch noch einen letzten Rest Frankreich zum Schlabbern. Und um 22 Uhr geht das Licht aus.

 

Freitag, 5.4.2013

 

Um 7 Uhr ist die Nacht zu Ende – wir wollen vor dem großen Rückreiseverkehr zuhause sein. 4° C hat es draußen und es ist mausgrau allüberall. Saintes-Maries wir kommen - machen dann aber doch den gleichen kleinen Spaziergang wie gestern Abend und fahren um 8:20 Uhr ohne Frühstück los, das gibt es heute irgendwo bei McDonalds.

Der Tom möchte uns über Donaueschingen und am Bodensee entlang schicken, was wir einigermaßen nett von ihm finden, aber auf die Kurverei im verkehrstechnisch vergessenen Südwesten der Republik wollen wir uns heute nicht mehr einlassen. Wir fahren über Karlsruhe und Stuttgart. Im Nachhinein hätten wir auch die Touristenroute nehmen können, schneller ist man auf diesen Autobahnen auch nicht unterwegs, auch ohne Rückreisestau. Genau genommen sind wir in einer einzigen Baustelle unterwegs, die A 5 ist seit Jahren eine Katastrophe, die die Verantwortlichen zum Desaster machen, weil sie sich nicht scheuen, an einem solchen Freitag Wanderbaustellen einzurichten, um Seitenstreifen zu kleben! Und in diesem Stil geht es dann weiter, Baustellen-Hopping bis Ulm, ab wo es dann wieder ruhiger wird – Dauerbaustelle bis Augsburg. Ach, rutscht uns doch alle den Buckel runter.

Punkt 15 Uhr haben wir es dann geschafft, home, sweet home im Mangfalltal, aber der zähe Hochnebel lässt Sehnsucht aufkommen. Sehnsucht nach den Heiligen Marien und dem Luberon und den Steinkulturen des Chateauneuf…

Rund 3200 Kilometer liegen hinter uns … wenn wir über die Schweiz fahren … Moment … das wären nur gute 1000 Kilometer bis Saintes-Maries … der Chauffeur ist noch fit … das kriegt er noch hin … morgen früh zum Frühstück in der Boulanscherei und abends eine Meeresfrüchteplatte, die steht ja noch aus … Der Schnupfen wäre weg … das ginge! … aber die Reisebegleiterin schüttelt den Kopf und die Damen drücken mit den Nasen schon die Tür vom Franz auf … Na denn - eben nicht...

P.S.: Zwei offenen Punkte, die den Leser möglicherweise noch beschäftigen könnten, sollen noch schnell geklärt werden. Erstens: das geschiente Tischbein hat ohne weiteren Wackler bis zum Ende durchgehalten und zweitens, das klärende Gespräch mit Anouk über ihre unsozialen Bettbesetzung hat natürlich wegen immer mangelnder Gelegenheit nicht stattgefunden und ist ganz bestimmt (!) nur verschoben, nicht aufgehoben. Ehrlich...         

 

Hier ein kleiner Eindruck von unserem Urlaub: 
Durch Anklicken des Bildes kommt man auf eine groessere Ansicht, bei der auch Kommentare zu den Bildern zu sehen sind.