Ostern 2015 in der Toskana

 MG 4732 1 72 200 Anstatt uns dem unwirtlichen Osterwetter dieses Jahres auszusetzen, beschlossen wir spontan, unser Wohnmobil zu aktivieren und in die Toskana zu fahren. Wir haben es keine Minute bereut.

Ostern ist dieses Jahr ein Heimspiel, so ist es ausgemachte Sache beim Blues, es gibt genug zu tun, was sich andernfalls zu einem schwer abzutragenden Berg aufhäufen könnte. Aber Ostern droht auch eine meteorologische Absage an den Gleichmut zu werden. Frostig soll es werden, genau genommen bleiben, nass dazu, schneien soll es: alles, was man Anfang April zwar einkalkulieren muss, aber nicht mehr will. Dazu fegt noch das Orkantief Niklas übers Land und sorgt für zusätzliche Misslaune. Beim Blues fegt er die Außenjalousie eines Dachfensters vom Dach und nimmt sich gleich noch ein paar Firstziegel mit. Ja, da kommt Laune auf. Deshalb reift am Sonntag, 29. März, erstmals der Gedanke, doch einen Abstecher in den Süden zu machen und auf ein bisschen Wärme für die alternden Knochen bei Mensch und Hund zu hoffen. Die bewährte Camargue ist uns, vor allem wegen Anouk, die nun schon knapp vor ihrem 14. Wiegenfeste steht, für eine Woche einfach zu weit. Bleibt also eigentlich nur Italien. Die Reiseleiterin klemmt sich demnach sofort hinter den Bildschirm und entscheidet am Montag: Toskana. Wir sind zwar keine ausgewiesenen Italienfans, aber pragmatisch genug, das Machbare anzusteuern, nicht nur das Wünschenswerte. Die große Städte- und Historientour ist nicht geplant, eher der Müßiggang ohne Verpflichtungen unter südlicher Sonne. Wir entscheiden uns für den Campingplatz „Mareblu“ in Cecina, südlich von Livorno.

Am Dienstag kommt der Franz, unser geliebtes Womo, aus dem Winterlager, am Mittwoch wird er beladen und in Fahrbereitschaft gebracht. Und dann kann es losgehen.

 

Gründonnerstag, 2.4.2015

Um 8:15 Uhr starten wir bei stark bewölkten und verregneten 4° C. Das Sturmtief Niklas ist durch und auf dem Weg nach Finnland. Jetzt regiert mit grimmem Gebaren Tief Oscar, das nach Ungarn zieht und den Österreichern noch schnell eine kräftige Schippe Schnee ins Osternest wirft. Auch in Bayern ist es, wie überall in Deutschland, noch immer frostig kalt und ekelig. Doch für uns wird das nun bald ein Ende haben. Die Aussichten für die Toskana sind vielversprechend.

Um 10:10 Uhr übergeben wir den Österreichern an der Europabrücke die obligatorischen 9 € Maut, die dort nicht Infrastrukturabgabe heißen muss, sondern einfach Maut heißen darf, also: Straßenzoll.

Um 10:30 Uhr überqueren wir am Brenner die Grenze nach Italien und müssen erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass im Inntal noch mächtig Schnee liegt, zum Teil bis an die Autobahn, aber, je mehr wir uns dem Brenner nähern, die Schneelage steigt. Hier oben hat sich der Schnee auf die Gipfel zurückgezogen. Wie viel Glück wir dabei haben, erfahren wir erst später. Nur wenige Stunden nach uns, tobt hier oben ein Schneesturm und legt alles in weiße Windeln. Wenn Engel reisen …

Bei Fortezza (Franzensfeste) grüßen uns goldgelb die ersten blühenden Forsythien. Bald tragen auch die südtiroler Spalieräpfel schon ihr grünes Kleid.

Kurz vor Verona erigieren die ersten Zypressen in den blauen Himmel und dem Chauffeur ist es in seinem oberbayerischen Biberpelz so warm, dass er ihn sich während der Fahrt vom Leib reist.

Der Verkehr besteht hier überwiegend aus LKW, das kennen wir von unseren Stammlanden, und wirft schon wieder die Frage auf, was die Franzosen mit ihrem stark reduzierten LKW-Verkehr anders machen. Wir wissen es immer noch nicht und warten sehnlichst auf Aufklärung. Der Reiseverkehr ist überschaubar, weshalb wir zügig vorankommen. Dann signalisiert uns der Tom einen Stau wischen Mantua und Bologna: 62 Minuten Verzögerung. Wir planen um und verlassen um 13 Uhr die Autobahn bei Mantua Nord in Richtung Parma. 19,10 € müssen wir in den elektronischen Klingelbeutel werfen, die jetzt Renzi-Lire heißen und die wertlosen Berlus-Coins abgelöst haben. Auf der B 420 geht es Richtung Parma.

Um 13:30 Uhr machen wir am Straßenrand von Campitello eine halbe Stunde Imbiss- und Pinkelpause für alle und fühlen uns von leicht windigen 23° C so umschmeichelt, wie wir uns das erhofft hatten.

Kurz darauf pumpen wir Franzens Tank bis zum Überlaufen für sensationelle 1,39 € / l an einer Selbstbediener-Tanke voll. Schade, dass wir nur 36 Liter unterbringen. Die Spritpreise sind hier luxuriös; das exklusivste Diesel-Angebot lag bisher bei 1,64 €, später sollten es noch 1,84 € werden. Italien ist nicht nur das Land, wo die Zitronen blühen, sondern jenes, wo auch beim Tanken die Scheckkarten glühen. Zuhause haben wir noch für 1,17 € Diesel geschlürft. Diese Preispolitik versteht sowieso längst niemand mehr, weil bandenkriminelle Geschäftsmodelle noch nie durchschaubar waren und es auch nicht sein sollen.

Um 14.50 Uhr biegen wir bei Parma auf die A1 in Richtung Milano und wechseln zehn Minuten später auf die A15 Richtung La Spezia. Eine Stunde später fahren wir bei La Spezia auf die A12 nach Livorno.

DSC05577 1 72 200Die Mamorfelsen von Carrara und die dazugehörigen VerarbeitungsbetriebeUnd plötzlich, wir sind gar nicht darauf vorbereitet, passieren wir die berühmten Steinbrüche von Carrara. Carrara und die Steinbrüche sind schon immer hier und waren nie anderswo, aber sie hatten in unsere Planung keinen Platz, weil die klassische Anreise über Bologna und Florenz führt – und nun sind sie einfach so da, wie von Geisterhand uns in den Weg geworfen. Links und rechts ist die Autobahn von Millionen Tonnen edelster Traumsteine gesäumt, ein einziger dieser Quader, würden wir ihn klauen wollen, würde nicht nur ausreichen, unser ganzes Haus innen und außen prächtig erstrahlen lassen, sondern unseren Franz ultimativ in die Knie zwingen. Nur noch ein Haufen eingeknickter Schrott wäre er, unser Franz, was er nicht verdient hätte, weil er selbst ein Juwel ist, das keines protzigen Faceliftings bedarf.

Um 17:15 verlassen wir bei Rosignano die Autobahn und sollen dem Straßenzoll 26,70 € aushändigen, aber der Automat spuckt unser Geld und unsere Karten wieder aus, dafür scheppert er in einer unverständlichen Sprache Anweisungen, die uns verschlossen bleiben. Es bleibt ein Rätsel, warum man sich in einem internationalen Reiseland starrköpfig einer aussterbenden Sprache bedient, ohne andere auch nur in Betracht zu ziehen. Gerade noch ein paar Italiener sprechen diese Sprache und auch sie sprechen sie kaum noch, sondern gestikulieren und mimikrieren sie mehr als dass sie sie sprechen. Eigentlich ist Italienisch längst eine Taubstummensprache, etwas für Gebärdendolmetscher, Worte fließen zwar wasserfallartig, sind aber seit Generationen völlig überflüssig. Aber am Kassenautomat versteift man sich auf diese tote Sprache! Die Reiseleiterin muss aussteigen und ihr Glück versuchen, weil der Chauffeur selbst mit Verrenkungen, die weit oberhalb und unterhalb seiner Reichweite angebrachten Fressschlitze für Karten und Geld, kaum erreichen kann. Auch sie scheitert. Wir blockieren den Durchlass, obwohl hier fast kein Verkehr ist. Eine Italienerin aus dem folgenden Auto eilt zu Hilfe, spricht sogar etwas Deutsch, weiß aber auch nur, dass wir eine Nummer anrufen sollten, die auf dem biglietto aufgedruckt ist. Das steckt aber im Automat. Und plötzlich öffnet sich die Schranke, wir nehmen hastig unsere Plätze wieder ein und schlüpfen durch, bevor es sich der Automat wieder anders überlegt. Ob die 26.70 € nun doch noch abgebucht werden, oder ob uns die Maut erlassen wurde oder wir sie geprellt haben, werden wir noch erfahren; unseren 50-€-Schein haben wir jedenfalls immer noch und unsere Karten auch.

 MG 4728 1 72 200StrandempfangWir fahren auf der Via Aurelia (206) nach Cecina. Um 17:30 Uhr sind wir am Camping „Mareblu“ (N 43° 19‘ 05‘‘; E 10° 28‘ 26‘‘). Hinter uns liegen gute 700 Kilometer, 700 Kilometer, die unsere Nörgel-Anouk ohne Widerspruch absolvierte. Die Autobahnen verdöste sie im Bett, die Landstraßen, viele waren es ja nicht, verbrachte sie bei uns im Cockpit, um uns gelegentlich zu beraten (Am Mautautomaten, wo wir sie mal wirklich gebraucht hätten, blieb allerdings auch sie stumm und ratlos). Wir hatten uns viele Sorgen gemacht, ob die in den letzten Monaten sichtlich gealterte Donna, diese Reise noch durchstehen würde; aber sie stand diesen Tag in bestechender Form und Gelassenheit durch. Fianna ist in dieser Hinsicht sowieso nicht der Rede wert. Bei ihr müssten wir, wenn wir es nicht besser wüssten, den Eindruck haben, dass sie im Womo gezeugt wurde.

Der Empfang in der Rezeption ist ausgesprochen entgegenkommend und freundlich, wir bekommen einen Lageplan ausgehändigt, auf dem ein paar Stellplätze angegilbt sind, unter denen wir uns einen auswählen könnten, einige seien vollsonnig, andere halbschattig¸ Wir sollten uns einen Eindruck verschaffen. Das tun wir auch, wählen den Platz Nummer 238, eine von Kirschlorbeerhecken eingerahmte Box unter mächtigen Pinien und etwas mickrigen Robinien, nach Süden offen und nur wenige Schritte vom Ausgang zum Strand entfernt, somit müssen wir mit unserer gebrechlichen Anouk nicht noch den halben Campingplatz durchqueren, wenn wir zum Strand wollen. Zu den Sanitäranlagen sind es auch nur ein paar Schritte, aber dennoch genug, dass uns die Prozession nicht übers Grundstück läuft. Das Schwimmbad, das wir eher nicht in Anspruch nehmen werden, liegt nebenan und könnte noch laut werden. Pizzeria, Pub und Laden sind auch in Griffweite - also alles bestens. Wir melden an der Rezeption unsere Wahl, bekommen unseren Einlassschein und bauen uns auf. Das Thermometer zeigt 21° C. Wir sind am Ziel und erfolgreich dem deutschen Winter entflohen.

Den Gepflogenheiten der Reiseleiterin folgend, möglichst noch vor dem Abstellen des Franzensantriebs die Umgebung zu erkunden, brechen wir sofort in Richtung Strand auf. Nur etwa 400 Meter durch ein Pinienwäldchen müssen wir dafür zurücklegen, aber wir brechen unser Unterfangen schon nach 150 Metern wieder ab: Anouk ist restlos erschöpft und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Weil auch Fianna keine Lust zeigt, mit dem Chauffeur alleine an den Strand zu schlendern, sondern sich im Rudel wohler fühlt, auch, weil sie Anouks Befindlichkeit befremdet, wackeln wir wieder zum Franz zurück. Statt einer kleinen Strandwanderung holen wir unsere Sitzgarnitur aus Franzens Bauch und stellen sie für die Zeremonie des Ankerschlucks auf. Der Strand muss warten.

 MG 4729 1 72 200Abendspaziergang am MeerUm 19 Uhr hat er dann nach Ansicht der Reiseleiterin genug gewartet und wir brechen mit Fianna auf. Anouk packen wir ins Bett, und die hat keine Einwände, sondern scheint froh zu sein, endlich eine Mütze Schlaf zu bekommen. Der Strand, dieser Strand jedenfalls, hält keinen Vergleich mit denen aus, die wir aus Frankreich oder Polen kennen. Keinen. Er ist schmal, schmuddelig und mickrig. Fairerweise muss man zugestehen, dass dieser Landstrich weder für die Italiener, noch für die Touristen das Badeziel Nummer 1 ist, aber ein bisschen mehr würde man schon erwarten, auch so früh in der Saison. Allerdings bleiben uns dadurch auch Badeliegen und Sonnenschirme erspart. Das Gefühl, das uns schon so oft auf einem reinen und endlosen Strand ergriffen hatte, will sich heute einfach nicht einstellen. Wir machen noch schnell ein paar Neidfotos mit Sonnenuntergang für die Zurückgebliebenen zuhause. Postwendend bekommen wir ein Foto von einem Thermometer zugeschickt: 1° C zeigt es an, dazu die Information „und viel Wind“.

Nachdem wir die Mädels gefüttert haben (Anouk hat wenig Appetit), gehen wir ins Camp-Ristorante, weil wir nach 700 Kilometern einfach keine Lust mehr haben zu kochen. Für eine Grillplatte „Mare“, einen Teller Spaghetti Scoglio (ebenfalls Meeresfrüchte), 1 Flasche Wein, una birra (0,66 l!), 1 Fl. Wasser, 1 Tartuffo, 1 Tiramisu, und 2 Espresso zahlen wir 48 €. Das Essen ist sehr ordentlich, der Service der Chefin freundlich, also haben wir nichts zu meckern, dafür umso mehr zu verdauen.

Um 22:15 Uhr sind wir zurück und lassen uns nicht mehr lange lumpen: Wir verschwinden bald in der Klappe. Draußen ist es sternenklar und windstill bei 14° C.

 

Karfreitag, 3.4.2015

(und kein Feiertag in Italien, weil die Leidensorgie vornehmlich ein Fest der Lutherischen ist; die Römischen bevorzugen die Wiederbelebung)

Anouk hat schlecht geschlafen und viel gehechelt, sie hatte Durst und obwohl fast alle Luken geöffnet waren, war es ihr zu warm. Nach vier Uhr fand sie dann in den Schlaf, nachdem sie nochmal einen Trog Wasser geschlürft hatte. Dementsprechend zweifelhaft war das Schlafvergnügen des Chauffeurs. Die Reiseleiterin schläft fast immer störungsresistent. Um 7:45 Uhr bricht sie dann frisch wie der junge Tag mit den Mädels zu einem Spaziergang auf – und kommt erst eine Stunde später wieder zurück. Anouk ist wieder bei Kräften und hatte den Strandspaziergang mit allen Fasern genossen! Das Glück bezahlt häufig mit ganz kleinen Münzen. Dazu strahlt der Himmel wie wir auch, begnügt sich aber noch mit bescheidenen 10° C.

Kurz vor 9 Uhr holen wir die gestern bestellten Frühstückssemmeln, die bekommt man nämlich nur auf Bestellung, freier Verkauf ist nicht vorgesehen. Manchmal muss man die Gallier einfach verstehen, wenn sie vermuten, dass die Römer spinnen. Kein Gebäck im Laden, außer dem bestellten!

DSC05536 1 72 200Frühstück in der Sonne - während es zu Hause ganze 2°C hatDann gibt es für alle Frühstück im Freien. Dabei müssen wir konstatieren, dass die Italiener in Sachen Brot nichts dazu gelernt haben, seit wir das letzte Mal im Lande waren, und das ist schon bald fünf Jahre her (wobei wir uns damals in einem Hotel mit Anspruch nicht über die Qualität der Backwaren zu beklagen hatten). Vor uns auf dem Teller liegt immer noch der gleiche geschmacklose Drachenkleister, dazu trocken wie Sperrholz. Und halt auch nur eine Sorte, entweder in der langen oder kurzen Variante. Dagegen war das Angebot in einem DDR-Konsum geradezu verschwenderisch. Wozu geben wir uns eigentlich mit diesem Europa so viel Mühe? Doch auch, dass wir alle immer ein bisschen mehr Europa werden und sind. Sogar die Franzosen haben eingesehen, dass es neben Baguette noch sehr schmackhafte Rezepturen gibt und lassen sie sich schmecken. Aber wenn die Italiener wenigstens etwas dem Baguette Vergleichbares auf den Tisch brächten, wäre das doch schon ein freudvoller Einstieg in den Tag. Aber so…

Nach dem Frühstück legen wir uns den Tag und uns selber zurecht. Wir recken unsere bleichen Bäuche der immer mächtigeren Sonne entgegen. Die Mädels lümmeln entspannt im Halbschatten. Wir müssen uns zugutehalten, dass die gestrige Platzwahl ein Volltreffer war; wer Sonne will, kann sie unverstellt genießen, wer Halbschatten will, findet genug davon und sogar vom Schatten ist reichlich vorhanden. Ein Traumplätzchen unter den mächtigen Pinien und darbenden Robinien. Wir lesen und dösen, schreiben Chronik und sinnieren dem Leben hinterher. Zum Beispiel hinter dem Miesbacher Camper, der schräg gegenüber residiert. Miesbach ist vom Familiensitz des Blues nur schlappe zehn Kilometer Luftlinie entfernt, also eigentlich eine typische Konstellation, die zur heimatlichen Konversation im heimischen Idiom anregt. Nicht so in diesem Fall. Wir haben den Miesbacher schon gestern schräg drüben liegen gelassen und er hat uns ebenfalls aktiv ignoriert, obwohl ihm unser Rosenheimer Kennzeichen nicht entgangen sein konnte. Der Miesbacher hat eine Frau, die man nie sieht und zwei viertelwüchsige Stammhalter mit Basecaps bis über die Ohrläppchen, deren Schild so lang ist wie ihre kleinen Schildbürger dereinst werden sollen. Er selbst, der Miesbacher, ist so ein Dauer-Hyper-Aktiver, der sogar die Reifen seines Rennrads abbürstet, der ständig um sein Womo kreist und etwas zu verrichten hat, und wenn es nur eine Wäscheklammer auf dem Trockner ist, die er an seinem FC-Bayern-Duschtuch zehn Zentimeter versetzt, so einer, der selbst in der Sekunde seines Todes noch eine Radmutter nachzieht und deshalb nie erfahren wird, dass er ein Rad ab hat. Normalerweise ist so ein Gesandter aus der Heimat ein gern genommenes Stückchen Nähe in der Ferne, aber nur selten war uns die Ferne so viel lieber und näher als die Nähe des Miesbachers, und das obwohl er uns nichts tut und nicht einmal spricht.

Gleich neben uns steht ein greiser und sehr wackliger Fischkopp mit seinem Caravan. Nachmittags befiehlt ihm sein Tagesplan, dass er nun dringend seine Antennenschüssel aufbauen müsse und zwar so, dass ein Bein seines dreibeinigen Teleskopstativs ein paar Zentimeter auf unserer Parzelle zu stehen komme, direkt hinter dem Liegestuhl der lesenden Reiseleiterin. Die ist schwach befremdet, sagt aber nichts. Auch der Chauffeur schweigt, sehr zur Zufriedenheit der Geschädigten. Zur Verteidigung des Grenzübertreters hält er ihm zugute, dass er bestimmt schon seit der Reichsgründung auf diesem Platz steht und seine Schüssel seither immer genau an diesem Fleck errichtet hat, allen Widrigkeiten und Zeitläuften zum Trotz. Möglicherweise wurde gar ohne sein Einverständnis die Parzellierung verändert. Wir lassen uns nicht stören und nicht provozieren. Bei 20° C und einer munteren Thermikbrise erträgt man auch sozial eruptive Fischköppe. Aber weil die Welt eine Art Schneekugel ist, in der nichts verloren geht, bekommen wir bald Gelegenheit, es ihm auf unsere Weise heimzuzahlen, dann nämlich, als er zu seiner Antenne strebt, um sie empfangsfreundlich auszurichten und dabei über die Verspannung seines Vorzelts stolpert. Hinter dem Rücken der nichtsahnend lesenden Reiseleiterin und im interessierten Angesicht des Chauffeurs schnappen seine Hände nach Halt, bekommen aber nur Luft zu fassen, bis er nach mehreren Flugschritten, die ihm die Anmut eines landenden Albatros‘ verleihen, direkt hinter der Reiseleiterin und vor der Kupplung seines Caravans einen höchst uneleganten Niedergang zelebriert. Bauz. Da liegt er, verdutzt, beschämt, puterrot im Gesicht und demnächst blau am ganzen Körper und angeschlagen. Wir erheben uns gemessen, ohne Eile, aber mit guten Absichten im Blick und helfen ihm auf die wackligen Beine, von Bandscheibenvorfall murmelt er, wir von Bedauern. Wieder auf den Schlackerbeinen, bleibt ihm nichts, als sich zu bedanken, immer wieder bedanken für die Hilfe. Und sogar seine Gemahlin eilt herbei aus dem Wohnwagen und muss sich bedanken für die Rettungsaktion. Den Wink mit dem himmlischen Zaunpfahl hat er aber nicht verstanden und seine Antenne nicht relokalisiert, dafür eine ganze Parade von Putzwimpeln an seine Vorzeltverspannung geknotet, um sie nicht noch einmal zu übersehen. Die Interpretation der Wahrnehmung ist eben immer subjektiv, aber nicht immer kompatibel im Zusammenleben.

Um 15 Uhr gibt es Kaffee und einen Rest Zwetschgenkuchen aus der Heimat. Aus jener erreicht uns eine SMS mit der erfreulichen Mitteilung, dass sich das Wetter dort um 100 Prozent zum Besseren gewendet habe: 2° C. Na also, geht doch, obwohl es zum Bikini und kurzen Höschen noch nicht ganz reichen dürfte, was wir auch genau so erwidern. Wir sind in bester Stimmung, besser könnte sie kaum sein.

 MG 5070 1 72 250Spazierweg zum Stand - wie in einem MärchenwaldUm 17 Uhr brechen wir mit Fianna zu einem Spaziergang auf. Anouk schicken wir ins Bett, wogegen sie sich ausnahmsweise nicht wehrt. Wir stapfen erst ein bisschen kreuz und quer durch den Pinienwald, der die Campingplätze vom Meer trennt. Hier gibt es eine Menge Wege, auf denen man sich ergehen kann, und was auch reichlich genutzt wird. Dann stapfen wir am Strand entlang zur Marina Cecina gen Süden.  MG 4910 2 72 200am Strand dann leider auch weniger märchenhaftesUnd erst jetzt offenbart sich uns das ganze traurige Dasein dieses Strandes. Überall auf der Welt trägt das Meer seine organische und anorganische Fracht an die Küsten und Strände, aber fast überall gibt es Menschen, die sie wegräumen. Nicht so hier. Hier gibt es niemanden, der so etwas in seiner Arbeitsplatzbeschreibung stehen hat. Was sollte einen Urlauber bewegen, sich zwischen all dem Unrat, unter die Sonne legen? Und folgerichtig liegt hier niemand in der Sonne. Alle paar Meter stoßen wir auf Baudenkmäler oder –ruinen, je nachdem, welche Interpretation man vorzieht, denen man nicht ansehen kann, ob sie ein Viertel fertig oder zu drei Vierteln zerfallen sind. Der aktuelle Status zwischen Werden und Vergehen ist nicht auszumachen. All das ist hinter schäbigen Bauzäunen eingepfercht, garniert mit Müll und Abfall. Eine erstorbene oder entstehende Bar-Rotunde, deren Porphyrwände von jeglichem Putz befreit und vom Meer zerwaschen und geschändet sind, stellt sich uns bräsig in den Weg. Man weiß nicht, ob davon irgendetwas irgendwann touristisch genutzt werden soll und wenn ja, wann. Zur Hochsaison? Die jedenfalls an Ostern noch nicht anzubrechen scheint. Und wiederum: wenn ja, zu welcher Hochsaison? Man muss heulen, wenn man begreift, wie dieses Volk immer noch nicht verstanden hat, dass ihm sein Schöpfergott das pralle Leben zu seinem Nutzen vor die Füße geworfen hat, es aber von diesen nur getreten und geschändet wird. Dieses Italien hat alles und mehr im Überfluss und nichts davon im Griff. Wir haben schon viele Strände Frankreichs gesehen, aber keinen wie diesen, und die Strände Polens sind das wahre Paradies dagegen. Warum nur so viel Desinteresse am eigenen – kostenlosen! – Kapital und Erbe? Überall auf der Welt trägt das Meer seine organische und anorganische Fracht an die Strände - mit einer Ausnahme: Schnecken und Muscheln entdecken wir hier keine. Nicht ein Schneckenhaus. Keine Muschelschale. Es sieht so aus, als ob nicht einmal diese Kreaturen hier begraben sein wollen. Italien ist nicht nur das Land, wo die Zitronen blühen, sondern vor allem das Land, wo Schlamp und Ignoranz blühen. Was ist los mit dem Land, das einst fast die ganze damals bekannte Welt eroberte und beherrschte, von dem kleinen gallischen Dorf mal abgesehen, das trotz der Gewalt, die alle Unterdrücker und Vergewaltiger verbreiten, Kultur, Lebensart und Weltläufigkeit exportierte. Heute ist dieses Volk kaum mehr in der Lage, ein ordentliches Brot zu backen (und da legen wir keinen hybriden deutschen Standard zugrunde). Wahrscheinlich haben wir uns alle schon einmal gefragt, wie es sein konnte, dass nach dem Verschwinden der Römer aus den besetzten Gebieten mit einem Schlag alle Errungenschaften der römischen Hochkultur verschwanden. Plötzlich versanken die Menschen Europas wieder im Dreck, als hätten sie nie etwas von Hygiene erfahren, so als ob es nie ein römisches Badehaus gegeben hätte. Und die römischen Aquädukte standen ungenutzt in der Landschaft, weil mit einem Mal keiner mehr zu wissen schien, wozu sie einst errichtet wurden. Heute ist das gleiche Volk, das diese Hightech-Bauwerke errichtete, nicht mal mehr imstande, einen Strand in Schuss zu halten. Vielleicht ist die Antwort unserer Fragen darin zu finden, dass dieses Volk selbst das fleischgewordene Vergessen ist, dass hinter ihm nicht nur alles in Vergessenheit gerät, sondern dass es sich, wenn es sich überlebt hat und bar jeder historischen Relevanz ist, einfach selbst vergisst, einer selbstvergessenen Volksdemenz erliegt. Wir sind konsterniert und ratlos, irgendwie erschüttert und tief traurig.

Um 19 Uhr sind wir zurück und machen uns Spaghetti mit Kräuterpesto und Bratpaprika. Wenigstens Italiens Küche wird in den Herzen der Welt weiterleben, wenn der Rest abgeschmiert sein wird.

Den Abend verbringen wir mit der Dokumentation italienischer Kapitalsünden und der Bearbeitung unserer Bilder. Das zieht sich bis deutlich nach Mitternacht hin, obwohl wir noch nicht einmal den Versuch machen, die italienische Realität weg zu retuschieren.

 

Karsamstag, 4.4.2015

Früh am Morgen muss Anouk raus, und die Chefin zeigt sich sehr besorgt über ihre Motorik. Eigentlich, so weiß sie zu berichten, ist sie nur getorkelt, eingeknickt und umgekippt. Dann legt sie sich wieder aufs Ohr (Anouk, die Reiseleiterin natürlich auch) und erst kurz nach 9 Uhr kriecht der Blues aus den Betten, weil Fianna uns deutlich macht, dass sie sich demnächst wundliegt, wenn sie nicht umgehend raus darf.

Es ist sehr bewölkt bei 15° C.

 MG 4862 1 72 200Großer Hund - großer StockDIMG 4808 2 72 200und kleiner Hund (bzw. junger Hund) - kleiner Stock er Morgenspaziergang folgt dem Plan, dass wir so lange miteinander gehen, bis der Chauffeur mit Anouk umkehren muss und die anderen beiden fürbass schreiten. Doch Anouk wäre nicht Anouk, wenn sie jemals einem Plan folgen würde, schon gar, wenn es unserer ist und nicht der ihre. Sie ist top ausgeschlafen und stapft und stapft, wacklig und langsam, aber strebsam und immer mit der klaren Maßgabe, dass wir nicht auf die Idee kommen sollten, für sie einen geriatrischen Notfallplan abzurufen. Durch den Wald stapft sie, knutscht einen Aussie-Welpen mit ihrem ganzen warmen Mutterherzen, sie stapft den Strand entlang, nicht ohne Stock, nein, mit einem unverschämt großen Prügel, dem sie unermüdlich dem Chauffeur zum Spiel anbietet. Der Hund wackelt und taumelt und strahlt von der Nasen- bis zur Schwanzspitze. Fast fünf Viertelstunden ist sie so mit uns unterwegs und lässt sich nur zurück geleiten, weil das alte Skelett zunehmend seinen Dienst verweigert. Es stört sie auch nicht, dass es zu regnen beginnt, was uns schon die aus den Fellpelzen rieselnden Sandburgen im Womo voraus ahnen lässt.

Um fast 10:30 Uhr sind wir zurück. Wir machen uns Frühstück, während die Mädels in einen schöpferischen Tiefschlaf fallen, der uns signalisiert, dass sie ausnahmsweise auch mal ohne Frühstück über den Tag kommen würden, zumal es draußen regnet, was runter geht, und große Anstrengungen heute eher nicht auf dem Programm stehen dürften. Die Toskana nimmt sich heute eine Dusche, und auf Anweisung der Reiseleiterin hat ein Neidfoto für die Heimat heute zu unterbleiben. Die Wahrheit ist halt immer proprietär.

Ab Mittag widmen wir uns wieder unseren Tagesgeschäften: Lesen, schreiben, das Geschriebene lesen, weiter schreiben, Fotos aufbrezeln und manipulieren, dösen, lesen … was man eben so treibt, wenn man einen Regentag zu bewältigen hat.

Um 12:30 Uhr kommt die Sonne wieder heraus, und der Chauffeur befürchtet, dass man ihm jetzt bald eine Fahrradtour schmackhaft machen würde. Da gilt es, in Deckung und geschäftig zu bleiben.

Das Schicksal bleibt dem Chauffeur erspart: Es regnet in Schüben und in Güssen, gelegentlich so massiv, dass man um Franzens Dach Sorge haben darf. Der Blues entspannt sich in süßem Schlendern, auch geistiger Art – und die Reiseleiterin bildet sich derweil zur Magierin des Photoshops weiter. Das erspart dem bisherigen Motivaufwerter in Zukunft eine Menge Arbeit.

16 Uhr: Regenpause und 14° C. Die Sorge um die Sandburgen im Womo waren mehr als berechtigt. Fianna wechselt regelmäßig ihren Ruheplatz zwischen ihrem Polster und unserem Bett (was die neue Bildbetrügerin nicht beanstandet). Beides, Überdecke des Bettes und Sitzpolster, haben wir seit unserer Rückkehr bereits dreimal von einer dicken Sandschicht befreit. Wir haben schon einige Strandurlaube verbracht, aber so eine „Verwüstung“ hat eine neue Qualität. Anouk liegt seit unserer Rückkehr bewegungslos unter dem Tisch; welche Sandburgen wir unter ihr vorfinden werden, können wir noch nicht absehen.

Wir warten gespannt auf die Touristenlawine, die sich zu Ostern eigentlich einstellen müsste. Es ist jetzt Karsamstag und langsam müsste touristisch etwas in die Gänge kommen, aber um uns herum tut sich kaum etwas. Da der Karfreitag in Italien kein Feiertag ist, war klar, dass der Zustrom später einsetzen würde, aber schön langsam lohnt es sich fast nicht mehr, wenn man noch nicht da ist. Aber die Italiener ticken, wie wir wissen und erleben, eben doch ganz anders. Vielleicht kommen sie erst am Montag. Vielleicht haben sie nur vergessen. Wer weiß.

Langsam verrinnt der Regen – und der Miesbacher beginnt zu sprechen! Nicht, dass er uns plötzlich zur Kenntnis genommen oder ins Herz geschlossen hätte, nein, er erbittet unsere Hilfe, ob wir seinen Sohn gesehen hätten, der schon seit geraumer Zeit überfällig sei. Haben wir nicht, und wir bieten ihm auch nicht an, die Hunde zum Einsatz zu bringen. Aber immerhin: er spricht.

Um 19:30 Uhr gibt es Abendessen, auch für unsere Mädels, die ja bislang fasten durften, was ihnen nicht schadete. Für uns gibt es Spaghetti mit Tomatensoße, Thunfisch, eingelegten Auberginen Lauch, Kapern und dem vorzüglichen Berner Chili-Knoblauch-Dip. Wir nennen diese Kreation der Einfachheit halber Spaghetti „Cecina“. Die Spaghetti munden vorzüglich, leider klappt es mit den Bundesliga-Ergebnissen nicht, wo man doch wissen sollte, wie Bayern gegen Dortmund gespielt hat. Dass wir hier zwischen den riesigen Pinien wahrscheinlich keinen Fernsehempfang haben würden, überrascht uns nicht. Dass aber wieder einmal keine Internetverbindung zustande kommt, macht uns langsam ärgerlich. Man zahlt, bekommt aber nichts dafür. Italienische Verhältnisse.

Wir verbringen den Abend mit den bereits mehrmals erwähnten Verrichtungen und machen um 22:45 Uhr das Licht aus.

 

Ostersonntag, 5.4.2015

 Um 7:45 Uhr regnet es immer noch, wenn auch ziemlich moderat, von einem dick verhangenen Himmel bei 10° C. Ein Neidfoto scheint auch heute nicht angebracht. Die Reiseleiterin führt die Hunde aus und der Hauswichtel trägt zum ungezählten Male die Sandberge aus der Herberge. Man fragt sich, ob wir bei einer solchen Sandüberfrachtung der Damen, sollten wir jetzt losfahren, nicht das zulässige Gesamtgewicht überschritten.

Aus der Heimat erreicht uns die Nachricht und die Beweisfotos dazu, dass es wieder geschneit hat und die Chefin beginnt, sich langsam über ihre (sehr) früh ausgebrachten Sämereien und Erdbeeren zu sorgen. Aber ändern kann man da jetzt sowieso nichts mehr. 

Heute gibt es zum Frühstück Baguette, das die Reiseleiterin gestern in ihrer ganzen Weisheit bestellt hat, um den zähen Trockenbrocken zu entgehen. Das Baguette war eine sehr kluge Entscheidung, obwohl es dem französischen nicht das Wasser reichen kann, aber es ist wirklich eine Verbesserung um mindestens 200 Prozent. Dass es preislich nicht mit dem subventionierten Franzosenstängel (0,80 €) mithalten kann, ist ihm nicht anzulasten, zumal es mit 1,80 € immer noch günstiger ist als bei uns zuhause, wo die französische Exotik erst bei 2 € beginnt.

Um 12:50 Uhr hat die Reiseleiterin bereits die Fahrräder vom Heck montiert: Einkaufen im Supermarkt von San Pietro in Palazzi. Der Himmel ist nun etwas höher und er zeigt gelegentlich schon wieder einen fahlblauen Bauch, aber der Wind pfeift uns noch immer kräftig um die Ohren. Etwa 20 Minuten strampeln wir gegen ihn an, nur um uns für den Abendtisch einzudecken. Als wir den Eindruck haben, dass wir den Supermarkt mit Hilfe des Plans, der uns vorgestern an der Rezeption ausgehändigt wurde, nicht finden würden, fragt die Reiseleiterin einen x-beliebigen dahergelaufenen Italiener nach dem Supermarkt. Der rollt die Augen und staunt: Oggi? Dann noch erklärend hinterher: Pasquale. Ja, daran hätte man auch denken können, dass am Ostersonntag nicht nur in Deutschland die Supermärkte geschlossen haben. Langjährige Frankreicherfahrung verdirbt die religiösen Sitten. Wir, ein pedalierender Busfahrer und eine Reiseverleiterin, radeln wieder zurück, jetzt eher mit dem Wind, und leisten uns in der Camping-Bar zwei Kaffee und zwei süße Stückchen; 4,20 € zahlen wir dafür, dass wir unseren Schmacht, der sich nach einem nicht allzu üppigen Frühstück eingestellt hatte, in den Griff bekommen. Um 14 Uhr sind wir wieder bei unseren Wegbegleiterinnen.

17:15 Uhr: Die Chefin legt Fianna das Fahrradgeschirr an; sie soll sich bewegen und Gas geben, damit ihr ein bisschen Gas entweicht. Es ist nämlich kaum zu leugnen, dass sie an solchen Ruhetagen Energie zum Bersten aufbaut. Die soll jetzt abgebaut werden. Der Plan scheitert, weil Anouk Wind davon bekommt, unter ihrem Tisch hervor kreucht und sich formatfüllend vor der Tür aufbaut: Nicht ohne eure Omi! Das Geschirr kommt wieder ab, die Omi hat Vorrang. Also muss auch der Chauffeur mit, weil im Notfall jemand mit der alten Dame wieder nach Hause muss und damit Fianna sich weiter austoben kann. Der toskanische Himmel lädt jetzt auch wieder zum Spaziergang ein, fast makellos blau ist er, Wind pustet er noch herum, aber 14° C reichen für einen anregenden Strandspaziergang.

 MG 4759 1 72 200FiannaWir spazieren heute den Strand in nördliche Richtung hoch, dort ist er auch nicht erwähnenswerter als sein südlicher Bruder, eher noch weniger, aber dieser hier trägt herrliche Steine, die wir gerne eingesackt hätten, aber nicht nur uns, sondern auch unseren Franz überfordert hätten. Richtiger echter Marmor liegt hier einfach so herum. Ein kleines Stück aber hat das Format, dass es der Chauffeur mitnehmen kann, was er auch tut. Beschrifteter Marmor fürs Gemüsebeet, beispielsweise „Bamberger Hörnla“, das hat was. Ein pechschwarzer Quader hat es ihm besonders angetan, so einer, wie er in der Kaaba von Mekka von den Gläubigen umwandert wird. Aber auch dieses kofferraumgroße Modell einer Kaaba ist nicht Franz-kompatibel, also muss es liegen bleiben und darf nicht ins Mangfalltaler Paradies auswandern und auch nicht mit „Grünkohl“ beschriftet werden.

 MG 4919 1 72 200Blick nach Elba Nach dem Regen ist die Luft perlklar und wir können bis nach Elba, Capraia und Gorgona blicken und ganz hinten im Dunst grüßt Sardinien herüber.

Auf dem Rückweg treffen wir Ares (von den Heiligen Pfühlen), einen Berliner Hovi-Rüden, drei Jahre alt und ebenso bekloppt wie Fianna; jetzt kann sie ein bisschen Gas geben und den Kerl nerven. Die beiden hatten schon das Vergnügen miteinander, weshalb die Verständigung unkompliziert ist und man ohne Umschweife zur Sache kommt. Ein wenig Dampf kann sie also heute noch abbauen.

 MG 4870 1 72 250Omi Anouk unterwegs am StrandUnd unsere Omi ist im Urlaubsmodus; sie stapft unverdrossen und selig den Strand rauf und runter, und wenn ihr mal der Hintern weg knickt, richtet sie ihn wieder gerade und stapft weiter. Wenn wir wüssten, dass ein permanenter Urlaubs- und Reisemodus das ewige Leben garantieren könne, würden wir uns sofort mit ihr auf eine Reise ohne Ende machen. Aber dafür will niemand die Hand ins Feuer legen. Immerhin: Bob Dylan ist auch schon seit vielen Jahren auf seiner Never Ending World Tour, möglicherweise aus dem nämlichen Beweggrund: Er will halt bis in alle Ewigkeit „Like A Rolling Stone“ ins Mikro knarzen und rollen und rollen und... Vermutlich wird auch das ein Versuch bleiben. Unsere Omi hält eine ganze Stunde mit und läuft über vor Glück und hat dabei noch immer genug Reserven, den aufdringlichen Jungmann Ares zur Ordnung zu rufen, wenn er ihr zu sehr an die Wäsche will. Und auch er fügt sich, wie alle, wenn die Grand Dame ein Machtwort spricht. Die wird, soviel ist klar, dereinst mit Zepter und Reichsapfel vor ihren Schöpfer treten. Knarzen wie der Dylan tut sie jedenfalls auch schon.

Um 17:30 Uhr zelebrieren wir eine kleine Happy Hour mit Martini Bianco und Pizza-Crackern. Und der Platz erstrahlt im hellen Licht der gewaschenen toskanischen Sonne. Da könnte man doch schon wieder ein Neid-Foto… ja, könnte man, wenn nicht der Chip voll und noch nicht wieder entladen wäre.

Um 20 Uhr gehen wir ins Camping Ristorante, weil unsere Vorräte wegen des einkaufsfreien Ostersonntags einigermaßen aufgebraucht sind, und das, was noch zur Verfügung steht, nicht den aktuellen Vorstellungen entspricht. Heute nehmen wir Anouk mit, die sofort der Star ist und Objekt einer Streichelorgie. Die Italiener sind wirklich hundeverrückt. Warum ihre Verwaltung und Bürokratie alles tut, dem entgegen zu wirken, bleibt ihr Geheimnis (für diesen Campingplatz gilt das nicht, hier gibt es Hunde über Hunde und alle sind willkommen). Heute gibt es Muscheln und die gleichen Spaghetti wie das letzte Mal, dazu noch gegrilltes Gemüse, das große Bier, eine Flasche Wein, ein großes Wasser, aber kein Dessert. 38 € werden fällig.

Kurz vor 22 Uhr sind wir wieder zurück und Anouk scheint der glücklichste Hund der Welt zu sein. Fianna auch - weil es jetzt endlich etwas zwischen die Kiefer gibt.

Die toskanische Nacht ist voller Sterne und um 23 Uhr haben wir genug davon gesehen.

 

Ostermontag, 6.4.2015

Heute gibt es wieder Frühstück im Freien!

Aber zunächst ist es morgens um 7 noch sehr frisch: 6° C. Bis wir dann in die Gänge kommen und gegen 7:45 Uhr los marschieren, schmeichelt die Luft schon mehr um unsere Haut – und Anouk ist wieder mit ganzem Herzen dabei. Den unvermeidlichen Waldweg versucht sie zu durchsprinten (Wald haben wir zuhause auch) und uns auf direktem Weg zum Strand zu lotsen. Dort ergeht sie sich dann in ihrem alten Klabauterglück. Fast anderthalb Stunden hält dieses Glück für sie an; eigentlich haben wir gar keine andere Wahl, als diesen Urlaub ins Unendliche zu verlängern.

Das anschließende Frühstück gibt es dann tatsächlich im Freien, allerdings nur, weil wir ganz in die Sonne rücken, im Schatten zählen wir noch immer nur 11° C.

Wir biegen wieder in die gewohnte Womo-Routine ein: lesen, dösen, schreiben, Bilder veredeln. Von Minute zu Minute steigt die Temperatur mit der Sonne, um 14 Uhr messen wir schon 14° C, dann werden es 16° C bei fast eingeschlafenem Wind. Jetzt heißt das Programm: lesen, dösen, Sonne huldigen. Der Himmel ist jetzt weiß-blau, eine Farbe, die eigentlich nur jenem diebischen Bergvolk jenseits der Alpen zusteht, das uns Heimat und Herberge ist, hier jedoch nichts zu suchen hat; hier darf man azurblau erwarten, schließlich sind wir bei den Azzurris.

Wer so offensiv dem Müßiggang frönt, hat Zeit, sich mit dem Daumenkino des Lebens zu beschäftigen. Zum Beispiel mit dem Miesbacher, der ja neuerdings spricht. Heute Morgen lässt er im Vorbeieilen wissen, dass er heute abzureisen gedenkt. Seine Aktivitäten rund ums Womo lassen auch kaum einen anderen Schluss zu. Dessen Stauraum, in der Blues-Rhetorik auch Tamilenfach genannt, wird einmal aus-, um- und eingeräumt, obwohl kein Zweifel besteht, dass in diesem Fach alles seinen zugewiesenen Platz hat und dem jeweiligen Reisezustand entsprechend ordnungsgemäß untergebracht ist. Das Brauchwasser wird, wie jeden Tag, in einen Eimer abgelassen, der ebenfalls seinen festen Platz unter dem Womo hat, und zur Entsorgung gebracht; der Miesbacher trägt nach jedem Wassergebrauch das Abwasser fort. Auch die Toiletten-Kassette wird entleert, natürlich nicht das erste Mal heute. Dann, es ist etwa 13 Uhr, als der Abreise nichts mehr im Wege zu stehen scheint, werden aus dem Tamilenfach die Rennräder geholt, dabei die gesamte Ordnung wieder über den Haufen geworfen. Die Räder werden auf die mitgeführten Serviceständer gebockt und zum Einsatz vorbereitet: Die Pneus gebürstet, die Ketten gewartet und geschmiert, Dinge justiert, deren Justierbarkeit dem Chauffeur bisher verborgen geblieben waren und dann erscheint die ganze Familie im perfekten Renndress mit Profi-Helmen und Profi-Handschuhen, windschlüpfrig wie eine rollende Viererbande von Litfaßsäulen. Und stürzen sich gemeinsam auf die Waldwege. Nach einer Stunde sind sie zurück. Das Renn-Outfit muss bürgerlicher Freizeitkleidung weichen, die Räder werden wieder aufgebockt, gereinigt, die Reifen gebürstet, verstaut, ebenso wie der ganze Rest der Ausrüstung. Brauchwasser wird wieder ins Eimerchen abgelassen und entleert, obwohl niemand in der Nachbarschaft einen Gebrauch bezeugen könnte, das Klo wird auf ein Neues entsorgt, weil möglicherweise ein Basecap-Jüngelchen vor der Ausfahrt noch schnell einen Angstbiesler absonderte. Anschließend werden die Auffahrkeile fortgetragen und geduscht. Das alles verrichtet der Miesbacher eigenhändig. Die Miesbacher Familie wartet in den Campingstühlen, die eigentlich längst verstaut sein müssten, auf das Startsignal. Die Reiseleiterin ist beeindruckt und empfiehlt dem Chauffeur, sich dies ganz genau anzusehen, weil sie gedenkt, diesen Ritualen in Zukunft einiges abgewinnen zu wollen. Der Chauffeur macht sie darauf aufmerksam, dass kein Chauffeur der Welt, sofern er etwas auf sich hält, Handlangerdienste verrichtet. Das ist weltweit die Domäne des Begleitpersonals. Er erinnert sie an eine Szene vor über zwanzig Jahren im Fernbus auf einer thailändischen Straße. Damals war der Bushupe die Sprache abhandengekommen, und thailändische Busse können ohne Bremse und Kupplung fahren, aber niemals ohne Hupe, allenfalls können sie in leicht erhöhtem Schritttempo dahinrumpeln. Die Hupe garantiert die absolute Straßenhoheit und kommt anstatt der Bremse zum Einsatz. Anderthalb Stunden mühte sich damals ein Helferlein, bei uns so etwas wie ein Schaffner, mit einem furchterregenden Küchenmesser, der Hupe die Sprache wieder zu geben, währenddessen der Fahrer reglos in seinem Fahrersitz ruhte, rauchte und dosenweise eine Vorgängerversion von Red Bull mit viel Taurin in sich hinein literte. Kein Denken daran auszusteigen und einen Finger für die Genesung der Hupe krumm zu machen (Fazit er Geschichte: Wir rollten ohne Hupe unter Angstschweißausbrüchen des Chauffeurs im Schritttempo nach Bangkok). Die Reiseleiterin erinnert sich an die Szene und rückt von ihrem Ansinnen ab.

Um 16 Uhr eilt der Miesbacher mit Frau und ohne Söhne noch einmal an uns vorbei und in den Pinienwald („Letzter Sightseeing-Versuch“, spricht er) einen Fotoknipser vor der Brust haltend und taucht schon zwanzig Minuten später wieder aus ihm auf. Wieder wird das Womo nach Checkliste umrundet und endlich die Familie, jetzt auch wieder die Frau, von den Stühlen verscheucht, diese verstaut und um 5 p.m. sharp, nach einem hastigen „Servus und pfiat eich“ rollt der Landsmann vom Hof und über die Alpen.

Eine andere Geschichte schreibt der Holländer direkt uns gegenüber, der diesen Platz gestern besetzte, nachdem die junge italienische Familie mit der ebenfalls jungen Schäferhündin abgereist war. Der Holländer hat einen Wohnwagen, wie zu vermuten war, und einen Malamut. Außer diesem ist der Holländer ohne Begleitung und sieht auch nicht aus wie ein Holländer, sondern wie ein Italiener. Der Holländer sitzt in der Tür seines Wohnwagens, raucht und trinkt Bier. Der Malamut liegt angehängt daneben und scheint glücklich zu sein. Der Malamut liebt seinen Holländer, ist dem Ende nahe, wenn der Holländer auf die Toilette geht und erhängt sich fast, wenn er wieder kommt. Wenn dem Holländer in seiner Wohnwagentür langweilig wird, nimmt er seinen Malamut und geht zum Strand. Dort sitzt er auf einem Stein und raucht, den Malamut neben sich. Der Holländer geht oft zum Strand. Ansonsten sitzt er in der Tür seines Wohnwagens und raucht und trinkt. Ein Campingtisch markiert die Reviergrenze zum Nachbargrundstück. Der Holländer spricht nicht. Der Holländer ist vollständig stumm.

Heute Mittag verschwindet der Holländer mit Malamut in der Zugmaschine, Wohnwagen und Tisch zurücklassend. Wenige Minuten vor der Abreise des Miesbachers kommt der Holländer zurück, eine Dame auf dem Beifahrersitz, der Malamut im Kofferraum. Die Dame trägt eine Hose im kleinteiligen Schwarz-Weiß einer Holländerkuh, wahrscheinlich soll aber eher die Fellzeichnung des Schneeleoparden nachempfunden werden, weshalb wir sie Tiger-Lilly nennen. Mit der Ankunft Tiger-Lillys ändert sich das Leben des Holländers. Der Tisch, noch immer die Gemarkungsgrenze symbolisierend, muss auf Anweisung Tiger-Lillys drei Meter südlich in die Sonne verschoben werden, also auf den Boden des – immer noch unbesetzten - Nachbargrundstücks. Diese Anweisung erfolgt, da hat Tiger-Lilly noch den Mantel über der Tigerhose und lässt keinen Zweifel daran, wer ab sofort die Hosen anhat. Als der Tisch verrückt ist, wird eine Tischdecke eingeklagt. Der Holländer reicht eine Tischdecke aus dem Caravan, keine Brüsseler Spitze, nur Wachstuch, aber eine Tischdecke. Nun sitzt der Holländer nicht mehr in der Caravantür sondern neben Tiger-Lilly auf einem Campingstuhl, trinkt kein Bier mehr, sondern Cidre oder Saft aus einer Literflasche (eventuell auch in ein in unverdächtiges Gebinde umgefüllten Genever). Der Holländer sieht auch nicht mehr aus wie ein Italiener, sondern wie ein Holländer, nur der Malamut ist noch der Malamut, liegt am gleichen Platz, mag aber Tiger-Lilly nicht sonderlich. Und der Holländer spricht, mehr als der Miesbacher je gesprochen hat. Die Welt ist ein nimmer lösbares Rätsel.

Der Fischkopf ist seit seinem Sturz und unserem Rettungsversuch ein Sprechwunder, hat unentwegt gute Worte für uns, wünscht Frohe Ostern und stellt fest, als die Sonne unsere Bäuche wärmt, dass man es so aushalten könne. Wir wünschen dem Fischkopf insgeheim einen guten Fernsehempfang mit seinem parzellenübergreifenden Antennenkonstrukt, obwohl zu uns noch immer kein Bit und kein Byte aus dem Äther dringt. Der Kosmos eines Campingplatzes folgt anderen Gesetzen als der eines Hotels; auf einem Campingplatz liegt alles offen und dennoch bietet er lauter Schlüssellöcher.

Was sich nicht ändert, ist die Netzverbindung. Meist haben wir keine, gelegentlich eine schlechte. Keine SMS, kein Mail, kein Wetter und keine Fußballergebnisse Wie soll dieses Land im Konzert der Großen mitblasen wollen, wenn es ihm schon an der Tröte fehlt. Unbestätigten Gerüchten zufolge ist die Netzstabilität sogar in Burundi besser als in Cecina, mitten in Europa.

Nach Kaffee und einem süßen Stückchen macht die Reiseleiterin einen weiteren Versuch, mit Fianna eine kleine Radwanderung zu unternehmen. Diesmal gelingt es, Anouk zuvor selbst kurz auszuführen, was ihr ein Gefühl von Exklusivität zu vermittelt scheint, worauf sie sich anstandslos ins Womo verfrachten lässt und die Radvorbereitungen mit Fianna nicht torpediert.

 MG 5012 1 72 200Im Hinterland alleine unterwegs - einfach traumhaftUm MG 5007 1 72 200Die Toskana wie man sie kennt und liebt 17:30 Uhr verschwindet die beiden und kommen erst kurz vor 19 Uhr zurück. Sie berichten von Menschenmassen in Cecina Marina, von touristischen Zuständen, wie man sie etwa vom Teutonengrill gewohnt ist und wovon wir in unserem Reservat offenbar verschont geblieben sind. Hier hat sich zwar seit Samstag auch etwas mehr Publikum eingestellt, aber es ist noch viel frei und alles ist sehr entspannt. Als wir unsere Happy Hour mit Martini und Pizza Crackern zelebrieren, sieht der Chauffeur die Tiger-Kuh-Hose der Holländerin zum Trocknen auf der Leine hängen. Hat sie sich vor Freude gleich mal in die Hose gemacht? Hat ihr der Holländer den Cidre drüber geschüttet? Oder ist ihr ein Freudentröpfchen abgegangen? Oder – ach, eigentlich will man es ja gar nicht so genau wissen, aber die Tür des Wohnwagens ist seit geraumer Zeit verschlossen, was sie bisher nur nachts war. Und der Malamut ist auch dabei.

Um 20:30 Uhr gibt es Spaghetti mit der restlichen Soße „Cecina“ von vorgestern, dazu Radischensalat. Drüben heult der Malamut. Warum wissen nur der Holländer und Tiger-Lilly. Vielleicht haben sie ihn schlicht vergessen oder noch nicht fertig.

Als der Chauffeur seine Mädels zur letzten Runde nach draußen nimmt, sitzt der Malamut immer noch und heult. Aber sie haben ihn nicht vergessen, sondern kommen gerade vom Essen. Der Malamut musste draußen bleiben, draußen vor dem Caravan und draußen vor dem Restaurant. Off limits for Malamuts.

 

Dienstag, 7.4.2015

Um 7:30 Uhr kommt Leben in den Franz. Draußen ist es wolkenlos. Wir bereiten uns mental auf unsere Abreise vor. Es hätte ja viel zuhause zu tun gegeben und ein bisschen davon wollen wir noch erledigen, bis die Ferien der Reiseleiterin zu Ende gehen. Außerdem wollen wir nicht erst dann zurückreisen, wenn alle fahren, wie es beispielsweise die Berliner mit dem Hovi vorhaben. Sie scheinen in Berlin noch nie etwas von Nationen übergreifenden Stauschlangen gehört, deshalb wollen sie erst samstags abreisen – unseren dringenden Warnungen zum Trotz. Man hat zwar als Wohnmobilist keinen samstäglichen Bettenwechsel zu beachten, aber man möchte den Urlaub bis zur letzten Minute auskosten. Das werden dann allerdings sehr, sehr lange letzte Minuten. So entstehen die Blechlawinen, die uns, die wir an den Ausweichrouten der Transitautobahnen leben, fast jedes Wochenende, vor allem aber die Ferienenden zum Horror machen. 

Um 8:00 Uhr machen wir uns zu unserem letzten Strandspaziergang auf, der sich zieht. Weil nämlich die Reiseleiterin die nächste Qualifikationsstufe erklommen hat und nun auch Reisefotografin ist, dürfen sich die Spaziergänge so lange hinziehen, wie es früher undenkbar gewesen wäre. Jetzt hat man Muße, jetzt bekommt jedes Blümlein am Wegesrand die Zeit, die ihm zusteht, um ins rechte Licht gesetzt und digital katalogisiert zu werden. Jetzt darf der Fortschritt so gemächlich sein, wie es Anouks Gangwerk favorisiert; wir sind also im Einklang mit der Natur und Anouks Bedürfnissen. Nur der Chauffeur steht jetzt länger herum als er früher zur Motivsuche und zum Verdruss der Reiseleiterin herum gestanden hat. Und er, der Chauffeur, ist plötzlich sogar Motiv, was er sich auf die späten Tage auch nicht mehr gedacht hätte.

Deswegen erstreckt sich dieser weiß-blau-freundliche Morgenspaziergang bis 9:30 Uhr.

Bis alles seine Ordnung und seinen Platz hat, dauert es, und um 12 Uhr verlassen wir Camping „Mareblu“ in Cecina. 90 € zahlen für die gesamte Zeit (inkl. Rabatt ASCI-Karte) und resümieren, dass das der billigste Urlaub seit langem war. Das war zwar nicht unser Bestreben, aber wir nehmen es gerne zur Kenntnis.

Über den Campingplatz können wir eigentlich nur Gutes sagen. Wie schon eingangs erwähnt, sind hier alle sehr freundlich und kundenorientiert, ohne dabei aufdringlich zu sein. Die Stellplätze, soweit wir sie gesehen haben, sind geräumig und bieten für jeden etwas, Sonne für den Sonnenanbeter und Schatten für Schattenliebhaber. Der Laden ist klein und bietet das Nötigste; wer frische Wurst oder Fleisch braucht, sucht hier vergeblich und muss auf die Supermärkte der Umgebung ausweichen. Das Restaurant ist schmackhaft und reell, ohne einen Stern für sich reklamieren zu wollen. Darauf spekuliert man auf einem Campingplatz auch nicht. Die Sanitäranlagen waren 24 Stunden immer sauber, die Dusche immer heiß, das Ambiente allerdings etwas in den siebziger Jahren hängen geblieben. Solange aber die inneren Werte stimmen, soll uns das egal sein. Wie das hier in der Hochsaison abgeht mit einem überfüllten Pool und Animationsprogramm, können wir nicht beurteilen. Der Zugang zum Strand geht direkt durch einen Pinienwald, 400 Meter etwa in der Direttissima, aber auf verschlungenen Wegen kann man hier auch viel mehr Zeit verbringen; für Jogger und Walker ein Paradies. Und auch wir Hundehalter können nicht klagen; Hunde sind willkommen. Und solange wir hier waren, hat sich auch jeder bemüht, die Hinterlassenschaften der Lieblinge zu entsorgen.

Nur der Strand – aber den haben wir schon gewürdigt. Als Badeurlaub wäre dieser Strand sicher nicht unsere erste Wahl und sogar für die zweite würde es nicht reichen. Allerdings wissen wir nicht, ob der Strand vielleicht noch eine wundersame Wandlung auf die Saison hin erfährt, aber aus Steinen und Geröll wird wohl kaum ein Sandstrand.

Nun geht es also den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren, weil wir zwar die Standard-Rennstrecke über Florenz und Bologna diesmal nehmen wollten, uns aber heute heftiges Verkehrsaufkommen rund um Florenz angekündigt wird; also wieder Carrara, Parma, über die B 420 Richtung Mantua. Bei Parma verlassen wir also die Autobahn um 15 Uhr, zahlen 26,70 € Straßenzoll – und entscheiden uns, nicht Mantua anzufahren, sondern bei Casalmaggiore auf direktem Weg über Landstraßen in nördlicher Richtung zu fahren; unser Ziel heißt heute nämlich Peschiera am Gardasee.

Und so bummeln wir durchs Land, tanken noch einmal und sind um 17 Uhr am Camping „Butterfly“ in Peschiera, wo uns die Schwester der Reiseleiterin mit ihrem Mann erwartet, die dort ein paar Tage ausspannen. Der Gardasee-Tourismus ist nun überhaupt nicht unser Ding, aber für eine Nacht soll es uns recht sein, zumal der Stopp die lange Rückreise für Anouk entzerrt. Schon vorab haben wir mal anfragen lassen, ob wir reservieren können, denn dass am Gardasee, der Lieblingsbadewanne der Bayern, erheblich mehr los ist als weiter südlich, stand zu befürchten. Nicht unter drei Nächten sei eine Reservierung möglich, war die Antwort. Na klar, auf Tageslandstreicher kann man gut verzichten, Laufkundschaft, die nur der braucht, bei dem es mit der Stammkundschaft hapert. Wir sollten eben sehen, ob noch etwas frei wäre. Unter normalen Umständen hätte der Chauffeur sich diesen Abstecher nun schon verkniffen. Aber wegen der Verwandtschaft lässt man sich seinen Wert als Kunde schon mal vorrechnen, auch wenn das Resultat auf Prekariat hinausläuft. An der „Schmetterlings“-Rezeption hat man für uns doch noch einen einzigen, allerletzten Stellplatz, der jedoch, so viel müsse man zugeben, sehr abseitig läge und ziemlich klein sei, jedenfalls nicht dem Platzstandard entspräche. Wir sollten erst mal sehen, ob uns das konvenieren würde. Was für eine Wahl haben wir? Die Verwandtschaft enttäuschen oder uns selbst? Da zieht man sich selbst vor, schließlich sollte man sich in jeder Lebenslage selbst der nächste sein. Wir steuern das Abstellloch an, das wirklich der Katzentisch der „Schmetterlinge“ und so klein ist, dass wir schon mal Mühe haben, den Franz unterzubringen, schräg nur, weil es vertikal oder horizontal nicht reicht. Na, prima! Fragt sich nur, wie wir da wieder rauskommen. Allerdings, das muss man auch erwähnen, haben wir direkt neben uns eine piekfeine kleine Sanitäranlage fast für uns allein. Klar, Katzen sind ja mehrheitlich reinliche Tiere, auch wenn sie am Katzentisch untergebracht sind.

DSC05586 1 72 200Seepromenade von PeschieraWir treffen uns mit der lieben Verwandtschaft, die nur ein paar Parzellen weiter untergebracht ist und genehmigen uns bei 21° C einen kleinen Willkommensschluck vor deren Wohnhütte. Aber windig ist es, windig und frisch; mit schulterfrei ist das heute nichts. Anschließend machen wir uns zu einem kleinen Rundgang auf, ein bisschen an der Seepromenade entlang – was Anouk eben nach einer mehrstündigen Autofahrt noch leisten kann, wenn die alten Knochen verknotet sind. Später sitzen wir bei Bier, Wein und Spaghetti Carbonara zusammen und plaudern der Nacht ein Ohr ab.

 

Mittwoch, 8.4.2015

Der Rest ist nun schnell erzählt. Nach den üblichen Morgenroutinen, einem kleinen Müesli-Frühstück und der familiären Abschiedsherzerei verlassen wir „Butterfly“. 16 € plus 2 € Kurtaxe muss uns der Abstellplatz wert sein. Für Hundebesitzer ist anzumerken: „Butterfly“ ist eine Asphalt- und Kieswüste. Es gibt keinen Auslauf, weder auf dem Platz noch außerhalb, wo man zwischen Straßen und Strandpromenade wählen kann, zumindest ist das der Eindruck, den wir bei unserem Kurzaufenthalt gewinnen mussten. Grün findet man hier höchstens in Form von Algen an der Hafenmole. Im Campingplatz gibt es eine Dog Area, ein etwas größerer Sandkasten. Diese Dog Area ist natürlich nicht als Auslauf, sondern für die Erledigung der großen und kleinen Geschäfte vorgesehen. Als wir ihn inspizierten war diese Area so voll geschäftigt, dass sie kein Hund, der auch nur eine Spur von Ekelgefühl und Anstand hat, noch betreten würde. Offenbar ist es nicht vorgesehen, dass die Hundebesitzer die Dog Area von den Hinterlassenschaften befreien, und auch sonst scheint dafür niemand zuständig zu sein.

Um 9:45 Uhr werfen wir Franzens Turbinen an, aber, was heißt da: wir? Die Reiseleiterin thront plötzlich, als der Chauffeur aus der Toilette kommt, hinter dem Steuer. Offenbar möchte sie beweisen, dass auch Reiseleiterinnen fahren, sogar aus einem Loch, das einer Sardinenbüchse gleicht, manövrieren können. Und tatsächlich schafft sie es und schnurrt erhobenen Hauptes davon. Sie wird auch heute das Steuer nicht mehr übergeben. Der Chauffeur ist kein Chauffeur mehr, und in dieser Stimmung auch kein Charmeur mehr. Er steht quasi vor dem existentiellen Aus. Wenn Reiseleiter selbst fahren und Reiseleiter auch schon selbst fotografieren, bleibt für den Chauffeur nur noch, was ihm schon in „Mareblu“ dezent nahegelegt wurde: die niederen Handlangerdienste zu erledigen. Der Chauffeur mutiert auf der Fahrt zum Vorleseur (Karl May, Durch die Wüste. Da kommen wir schließlich auch gerade her). Dabei hat die Chauffeuse alle Hände und Arme voll zu tun, dem widerstrebenden Franz, der auch ein Gewohnheitstier ist und den sanften Fahrstil des Chauffeurs vermisst, Herr zu werden, vor allem aber, weil es draußen bläst, wie in einem Windkanal.

Um 15:45 Uhr stellt die Chauffeuse den Franz vors Haus. Aus. Und der Chauffeur wird jetzt wieder zum Chronisten, einer Tätigkeit, die ihm die Reiseleiterfotografierchauffeuse bestimmt nicht streitig machen wird; es gibt nämlich Dinge, die kann man nicht lernen. So wird er auch in Zukunft wieder hoch auf dem weißen Wagen mitreisen dürfen, um den Zurückgebliebenen von den Schönheiten und Marotten der Welt und des Blues berichten zu können.

Eindrücke vom Osterurlaub: