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Urlaub mit Hund
- Sommer 2018 – Einmal mit dem Womo rund um Sardinien
Sardinien?
Im August?
Mit zwei Hovawarthündinnen?
Ist doch viel zu heiß!
Nein, ist es nicht. Jedenfalls nicht für uns im Sommer 2018.
Prolog
Im Sommer geht es dieses Jahr nach Schottland, so verfügt es die Reiseleiterin. Vier Wochen Schottland, mehr ist für die lehrbeauftragte Planerin nicht drin, aber immerhin. Darauf hat sie sich lange gefreut.
Dann allerdings, schon sehr früh im Jahr, legt sich der Termin für ein unumgängliches Familienfest quer vor die Reiseplanung, ein Termin, dessen Nichtwahrnehmung einen tiefen Riss wie der Marianengraben ins Familienleben sprengen würde. Das Fest steigt am 11. August, einem Datum, an dem wir eigentlich schon mit Nessie auf die deutsch-schottische Freundschaft anstoßen wollten. Gegen die nach diesem Termin verbleibenden drei Wochen Schottland legt der Chauffeur sein Veto ein – und wird erhört. Unerhört! Drei Wochen Schottland mit An- und Abreise scheinen selbst der flinken Reiseleiterin zu sehr nach japanischem Europatripp zu schmecken. Und nun?
Das Glück hat zwar manchmal, wie der Spaß, ein Loch, aber nicht immer muss dahinter und darunter gähnende Leere sein. Gelegentlich öffnet sich dort ein neues Loch, auch Aussicht genannt, durch das man in ein neues Leben fällt. Dieses Loch öffnet sich uns in Person einer befreundeten Nachbarin, die uns von ihren „sensationellen“ Urlauben auf Sardinien vorschwärmt.
Sardinien?
Im August?
Mit zwei Hovawarthündinnen?
Ist doch viel zu heiß!
Nein, ist es nicht, widerspricht die Nachbarin. Dort, an der Nordküste, wo sie seit Jahren campierten, sei es zwar immer warm, aber durch den steten Wind sehr angenehm. Wenn man im Inneren des Campingplatzes unterm Piniendach untergebracht werde, habe man zwar Schatten, aber wenig Luft, direkt am Strand jedoch volle Sonne, dafür fast immer mit einer angenehmen Brise. Hört sich verlockend gut an.
Sardinien...
Der Chauffeur seufzt: Italien! Das Land, in dem noch immer für viele Deutsche die Zitronen blühen, für ihn aber eher die Sumpfblüten wuchern und zu dem er aus unterschiedlichen Gründen schon lange ein reichlich gespaltenes Verhältnis pflegt. Teuer, verschlampt, vermüllt, elende Straßen, dazu hundeunfreundlich oder, wie er es ausdrückt: misocan. Überall Bauruinen, Heimat der Mafia und der Geldwäscher und dazu ein Volk, das sein Land kulturell und politisch konsequent in den Abgrund wählt, und diese Talfahrt zu allem Überfluss auch noch zum fast einzig verbliebenen Exportschlager macht. Und nun auch noch Cinque Stelle! Den Roten in der Sowjetunion war ein Stern genug, um ein ganzes Volk zu knechten, und auch Mao mit seiner Viererbande kam mit einem Stern aus, um ein Milliardenvolk klein zu halten. Aber im unscheinbaren Italien braucht man fünf davon. Und wozu? Ein Volk, das jedem Sandalenträger mit kurzen Hosen seine Grotten anbiedert und jeder Bezopften die Kirchentore sperrangelweit aufreißt, aber den armen Ludern an seinen Grenzen die Türen vor der Nase zuschlägt. Das ist ganz im Sinne der neuen Herren, aber nicht im Sinne des Herrn, kann aber am Sonntag wieder weggebeichtet werden. Und wenn die Leichen erst einmal im Mediterraneum ohne Tedeum abgetaucht sind, löst sich jeder Tatvorwurf in Unschuld auf, weil es ohne Leiche keine Tat gibt; das lernt man schon im Vorabendkrimi.
Italien, also. Sardinien gehört dazu, das lässt sich nicht wegdiskutieren, obwohl die kürzeste Seeverbindung von dort nicht nach Italien reicht, sondern nach Tunesien. Immerhin, eine Art Notausgang für die gequälte Seele. Nun gut, wenn es denn sein soll. Bevor man eine Speise ablehnt, sollte man sie wenigstens gekostet haben. Der Chauffeur ist bereit.
Im Februar buchen wir bei Sardinia Ferries Hin- und Rückfährt mit Kabinen für 588 €. Für die Kabinen entscheiden wir uns, weil ein Nachtlager an Deck mit zwei Wachhündinnen zwischen all den Klemmern und Pluderhosenträgern allen wenig Vergnügen bereiten würde.
Doch bevor es losgehen kann, muss unserer Fianna am 3. Juli eine Zyste an der Wirbelsäule entfernt werden. Keine einfache Angelegenheit. Auf jeden Fall sind anschließend einige Wochen Schonung angesagt: kurze Spaziergänge an der Leine, keine Sprünge ins Auto und aus dem Auto, keine Kampf- und Fangspiele mit ihrer Tochter Hedda, kein Bällejagen, einfach nix ist erlaubt.
Also doch nix mit Sardinien? Ganz im Gegenteil, meint der Doc nach der sehr geglückten OP, bis dahin seien wir doch mit der Genesung schon fünf Wochen vorangekommen und vor allem: warme Luft, warmes Wasser, Wassertreten am seichten Strand – perfekt. Nur halt nichts übertreiben, mahnt der Doc. Strandgänge im weichen Sand seien jedoch ein Halleluja für die Regeneration und den Muskelaufbau. Nur eben nichts übertreiben. Wir übertreiben nie. Cinque settimane, Cinque Stelle, sieht doch jetzt schon ganz nach einem Fünf-Sterne-Urlaub aus.
Das letzte Juliwochenende verbringen wir mit Freunden und Womos im venezischen Friaul, am Fuße des Plöckenpasses und bauen dort unser neu erstandenes Vorzelt auf, das wir gegen die sardische Sonne bestellt haben. Wir bauen es auf, befinden es als untauglich, bauen es wieder ab und schicken es in der folgenden Woche wieder dorthin, woher es gekommen war. Stattdessen besorgen wir uns für die Markise ein Sonnensegel mit viel UV-Schutz und eine Isolierhaube für die Vorderfront, weil die Innenjalousien nur den Blicken den Zugang verwehren, nicht aber der Hitze. Die Reiseleiterin näht zudem aus Material vom Dänischen Bettenlager Sonnenschutzplanen zu Sonnenverhüterli für die Hekis und Seitenfenster um, weil uns die Lieferzeit für die Originalverhüterli zu knapp wird. Solche Ausrüstung haben wir bisher nie gebraucht, weil es entweder zu wenig Sonne oder zu viel Wind oder beides gab. Unsere Markise war bisher jedenfalls kaum zum Einsatz gekommen; die Bretagne, die Normandie, Schweden, Polen oder auch die Camargue im November sind keine Sonnenstudios, die besonders viel Schutz erfordern. Aber für Sardinien wollen wir gerüstet sein.
Nun sind wir aufgerüstet und rüsten den Franz II für die sardische Sommerreise aus. Am 11. August tragen wir uns und unseren Teil zum hohen Familienfest bei. Alle sind glücklich und zufrieden, und nun kann es losgehen.
Seit dem bayerischen Ferienbeginn hält sich die benachbarte Freundin mit ihrer Familie bereits an ihrem Stammplatz im Norden Sardinien auf – und uns auf dem laufenden. Ab sofort und der Einfachheit halber wollen wir sie Iris nennen, ihren Mann Jens und die Tochter rufen wir Anna-Maria. Ihre Hündin, einen Cockerpoo, die sich durch den andauernden und zweifelhaften Umgang mit unseren Hündinnen wie ein Hovawart fühlt und, wenn möglich, auch so verhält, nennen wir Krümel, obwohl sie im Taufschein Quirina stehen hat. Dieses Quartett, das wir zukünftig auch als „die Krümels“ führen wollen, macht nun also im Norden Sardiniens Quartier für uns. Seit zehn Jahren verbringen sie ihre Sommerferien dort und sind beste Stammgäste. Für Stammgäste halten die Betreiber des Campingplatzes ein paar ausgesuchte Premiumplätze am Strand vor, die man nicht buchen kann, weil dort eben nur Stammgäste stehen dürfen und die bleiben, so lange sie wollen, weshalb eine Planung und Buchung gar nicht möglich ist. Aber die vier aus der Heimat haben die Lage und den Betreiber, den sie auch Freund nennen dürfen, im Griff und melden uns schon vor unserer Abreise, dass wir gute Chancen auf den begehrtesten Logenplatz hätten, weil der Holländer, der dort seit Wochen residiert, Anstalten zur Abreise träfe. Sehr vorteilhaft erweist sich dabei natürlich der Umstand, dass der Betreiber und Besitzer des Platzes einen Hovawartrüden hat und wegen des fotografischen Dauerbeschusses durch unsere Freunde, seine Ungeduld auf unsere Mädels kaum noch zügeln kann. Das macht auch sardische Businessherzen weich. Beste Voraussetzungen also für einen gedeihlichen Start in unseren Sardinienurlaub.
Sonntag, 12. August 2018
Vagen – Nößlach am Brenner
Wir haben keine Eile. Unsere Fähre sticht erst morgen Abend in See. Wir machen uns und den Franz in aller Ruhe endgültig reisefertig und verschließen die Tür hinter uns um 15:15 Uhr. Der Bombensommer begleitet uns mit 25 °C aus dem Mangfalltal hinaus, hinauf auf die A 8 und übers Inntaldreieck auf die A 94. Eine Vignette brauchen wir diesmal nicht, die haben wir schon bei unserer Reise über den Plöckenpass für zwei Monate erstanden. Um 17:15 Uhr machen wir in Stafflach, kurz vor dem Brenner, Halt. Dort gibt es einen kleinen Stellplatz und das Gasthaus Wolf, das sehr gelobt und sehr verrissen wird. Das Anwesen sieht etwas ältlich und wenig einladend aus, was natürlich nichts über die Küche sagt, aber der Stellplatz liegt direkt an der alten Brennerstraße [N 47° 04‘ 16,3‘‘ E 011° 29‘ 07,2‘‘]. Ein kurzer Blick in die Augen, dann ein weiterer in die Stellplatz-App – und wir fahren um 17:25 Uhr weiter in Richtung Nößlach. Ein kurzes Stück geht es auf der Stellplatz am HumlerhofBrennerstraße zurück und dann sausteil und ebenso saueng den Berg hinauf. Bei einem genaueren Blick auf die Karte wäre uns nicht verborgen geblieben, dass es ein paar hundert Meter weiter in Richtung Brenner sehr viel gemütlicher den Berg hinauf gegangen wäre. Doch um 17:40 Uhr stehen wir auf einem der Stellplätze des Humlerhofs auf 1386 Metern (N 47° 04‘ 00,1‘‘ E 011° 28‘ 18,4‘‘] und ahnen noch nicht, dass diese Bergfahrt ein perfektes Training für Sardinien war. Der Humlerhof hat Platz für acht bis zehn Womos und eine gutbürgerliche Küche. Bevor wir diese kosten, bewegen wir Fianna und Hedda noch etwa eine halbe Stunde unter einem atemberaubenden Blick in die Berge hinein
und auf den LKW-Parkplatz von Gries am Brenner.
Aus der gutbürgerlichen Küche bestellen wir uns dann zweimal Rehragout, sind zufrieden und schauen uns dann im Womo das Supercup-Spiel zwischen Bayern und Frankfurt an (falls es jemanden interessiert: 5:0). Als wir uns zur Ruhe legen, ist es fast wolkenlos bei 17 °C.
Fahrtstrecke Vagen – Nößlach a Brenner
Montag, 13. August 2018
Nößlach – Livorno
Nößlach, 7 Uhr, wolkenlos, 16 °C.
Tiroler Aussichten am MorgenWir haben es immer noch nicht eilig und nehmen ein beschauliches Müslifrühstück zu uns. Um 8:45 Uhr machen wir mit den Mädels einen Morgenspaziergang in der Tiroler Sonne und fahren um 9:40 Uhr weiter über den Brenner und hinein ins Land der Fünf Sterne, der Teutonenstrände und der vielen braunen Flecken, die nicht von der intensiven Sonnenbestrahlung rühren (oder doch?). Wir registrieren nun 21 °C und wolkenlos. Über diesen Sommer müssen sich nur die beklagen, denen kein Wetter passt und jene, die der Meinung sind, dass das Wetter nichts mit dem Klima zu tun hat, das sie selbst vermasseln. Wir finden es für den Moment nur beglückend, wenn auch auf lange Sicht eher bedrückend. Aber die Sonne, die uns bestrahlt, tragen wir ohne schlechtes Gewissen im Herzen.
Um 12:30 fahren wir auf den Rasthof Povegliano Ovest. Jetzt sind es bereits 34 wolkenlose Grade. Wir stellen uns in die Schlange der Hungrigen, holen uns eine Hähnchenbrust und einen sautierten Lachs, jeweils mit Kartoffeln, und hoffen inständig, dass uns die lokale Gastronomie in den kommenden Wochen mehr Freude bereiten wird. Man erwartet ja auf einem Rasthof keine Sterneküche, nicht einmal im Land der Fünf Sterne, aber so einen sternebefreiten Fraß haben wir selbst auf einem Rasthof noch selten vorgesetzt bekommen. Aber die italienischen Durchreisenden füttern ihre kleinen Bambini-Sternchen ungeniert mit diesem Gummi- und Pappmaché-Zeug, das wir ziemlich schnell beiseitestellen. Und da wird der Chauffeur immer getadelt, wenn er behauptet, die Italiener hätten eigentlich keine Esskultur. Q.e.d.
Um 12:55 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg. Zwischen Florenz und Lucca schüttet es wie aus Eimern, und als wir den Franz um 16:15 Uhr in Livorno auf dem Stellplatz (Campeggio Campo Auto Livorno) im Süden Livornos abstellen [N 43° 30‘ 16,8‘‘ E 010° 19‘ 17,3‘‘], bleiben uns die Regenspuren nicht verborgen; überall mächtige Wasserlachen, und es hat nur 26 °C bei ziemlich bewölktem Himmel.
Für unsere Reisedokumentation notieren wir 558 Kilometer heutiges Etmal und 41,80 € für die gesamte Maut vom Brenner bis hierher und machen uns über die Reisemobilisten lustig, die zwei Jahresgehälter in ihr Womo investieren und dann wegen 41 € über Land fahren.
Fahrtstrecke Nösslach – Livorno
Wenige Schritte vom Stellplatz liegt ein völlig verdorrter Park, auf dem wir nun versuchen, Heddas Darm in Schwung zu bringen. Gestern hatte sie nämlich Durchfall und heute ist er oder sie verstockt und will nicht liefern. Für eine Fährfahrt von acht Stunden sind das keine beruhigenden Aussichten. Also wird Hedda erst von der Reiseleiterin, dann vom Chauffeur hin und her über die livornische Stadtwüste geführt, die sie sichtbar anekelt und jeglichen Darmreflex verhindert. Wir strecken uns ein wenig aus und bereiten uns anschließend Tomaten mit Mozzarella zu. Danach führen wir Hedda nochmals herum. Und jetzt erhört sie uns und liefert doch noch ein wenig.
Um 19:15 Uhr kurven wir etwa fünf Kilometer auf verschlungenen Wegen Richtung Norden zum Fährhafen, der Barcode unseres Tickets wird gescannt, für korrekt befunden, und wir werden in die Womo-Spur eingewiesen. Dort stehen wir jetzt, neben der Mega Express I von Sardinia-Corsica-Ferries, die uns übers Mittelmeer tragen soll. Stehen tut allerdings nur unser Franz. Der Chauffeur sitzt und die Reiseleiterin flitzt. Wie ein Kind auf einem Abenteuerspielplatz. Mit strahlenden Augen, mit feurigen Backen, hier und da und dort, misst mit langen Schritten die Rumpflänge der Fähre ab, wieselt hier hin und wuselt dort hin, ist überall, nur nicht bei ihren Mitreisenden. Der Chauffeur sitzt im Franz mit seinen Mädels und fühlt hier nichts außer Misstrauen. Segelschiffen, auch solchen, die die handelsüblichen Längen überschreiten, also gerne mal 20 Meter und mehr messen, vertraut er, empfindet sie als Freunde und Vertraute. Stählernen Riesensärgen von 176 Metern Länge und 25 Metern Breite misstraut er jedoch zutiefst, weil er ihnen, ihren Betreibern und ihrem Personal wenig traut und alles zutraut. Und das nicht nur in Italien.
Als die Reiseleiterin zurückkommt, ist sie voller Sehnsucht auf die Seefahrt, klemmt sich hinters Steuer, das sie schon den ganzen Tag bedienen durfte, weil sie immer fahren darf, wenn ihre Qualitäten als Navigatorin nicht gefragt sind. Da sitzt sie nun und strahlt. Und wartet. Kann es kaum erwarten, bis es losgeht. Aber es geht nicht los, weil die Womos immer zuletzt eingewiesen werden. Wir vertreiben uns die Zeit damit, die PKW-Fahrer zu beobachten, wie sie versuchen, sich einen vermeintlich günstigeren Startplatz zu erschleichen. Am meisten Vergnügen bereiten uns all jene, die vom Fährpersonal herausgewunken und ans Biglietti-Kiosk verwiesen werden. Was haben die verbrochen? Ah, das sind die Schlaumeier, die bei der Buchung ihre Dachbox nicht angegeben hatten und jetzt nachzahlen müssen, weil sie auf eine andere Position mit mehr Lufthoheit eingewiesen werden müssen. Da werden manche aber richtig unruhig, denn so eine Nachbuchung kann dauern. In Italien zumal, und bei einem routiniert dauerüberlasteten Personal. Da wartet man schon mal zwanzig Minuten, während alle, die um einen herumgestanden sind, einer nach dem anderen, im Bauch des Kolosses verschwinden. Da wird man schon mal laut, nicht so sehr die Deutschen, weil ihnen die Sprachkompetenz dazu fehlt, aber die Italiener ergießen Wortfluten und tanzen schon mal eine Tarantella vor dem Schalter. Wir grinsen vergnügt. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.
Die Mega Express IDer Andrang an Womos ist sehr überschaubar, außer uns zählen wir noch sechs: die glorreichen und letzten sieben für diese Partie. Um 21:35 Uhr werden wir herbeigewunken und die Chauffeurin darf die Rampe rückwärts hochfahren, wie das hier üblich ist. Sie bewältigt die Aufgabe unter der gespannten Aufmerksamkeit des gesamten Einweiserteams souverän, und wir stehen sozusagen auf dem Logenplatz im Bauch der Mega Express I. Good job, Baby. Die Machos von der Rampe zeigen deutlichen Respekt. Das war der Plan des Chauffeurs, den He-Men eine souverän chauffierende Blondine zu servieren. Der ist aufgegangen.
Wir nehmen das kleine Nachtgepäck und die Hunde und steigen, wie angewiesen, auf das vorgesehene Deck, bekommen unsere Kabine zugewiesen, eine Außenkabine, die man nachts nicht unbedingt braucht, und werden gebeten, darauf zu achten, dass die Hunde nicht an unserer Stelle das Bett belegen. Das führt zu der bestechenden Idee, noch einmal in den Bauch der Mega Express hinunterzusteigen und unsere Tagesdecken aus dem Franz zu holen, um sie über die Pritschen zu legen. Das ist Aufgabe des derzeit freigestellten Chauffeurs, der aber nicht sicher ist, dass ihm das noch gelingt, denn gewöhnlich wird der Zugang zu den Autodecks sofort verschlossen, wenn die Beladung abgeschlossen ist. Also hinunter, hinein in den Fährbauch. Niemand verwehrt ihm den Zugang, aber er wird nicht aus den Augen gelassen. Wenige Minuten später ist er mit den begehrten Decken wieder bei den Seinen. Nun nagen Zweifel an der Hobby-Chauffeurin, ob sie die Handbremse angezogen hat? Ein flehender Blick – und der hauptamtliche Chauffeur klettert wieder in den Bauch des Monsters, diesmal noch flinker, denn eigentlich müsste dort schon alles verrammelt sein. Aber nein: Noch einmal darf er seinen Franz konsultieren, ihm die Bremse stramm ziehen und sich unter den stoischen Minen des Bauchpersonals wieder entfernen. Jetzt müsste alles zum Wohle der Reisetruppe bestellt sein und ein lobendes Wort über das Fährpersonal fallen. Entspannung macht sich in der Kabine bereit. Die Tagesdecken werden auf die Betten gelegt, Wassernäpfe befüllt und bereitgestellt, die Reisehunde angewiesen, sich ruhig und wohlerzogen zu verhalten, weil wir jetzt an Deck müssten: Undenkbar, dass die Mega Express I Livorno verlässt, ohne dass ihr Ableger von der Reiseleiterin gebührend gewürdigt wird. An Deck natürlich, unter einem monströs stinkenden Schornstein.
An Bord der Mega Express IDieser Spaziergang an Deck gibt uns die Gelegenheit, die Umstände auf diesem Mittelmeertransporter in Augenschein zu nehmen. Anschließend beglückwünschen wir uns, eine Kabine genommen zu haben, denn die Fähre gleicht eher einem Aussiedlerschiff als einer Fähre vom italienischen Festland nach Sardinien. Überall lagern die Sardinienreisenden wie Sardinen in der Büchse, mit Kindern und mit Hunden, auf Decken, in Schlafsäcken und auf mehreren Quadratmetern großen Schlafmatratzen, auf den Decks und in den Treppenhäusern. Jede Ecke ist belegt. Und dazu sollen dann auch wir uns noch mit unserem engstirnigen Wachpersonal zwischen all die Hundefreunde, Hundestreichler und Kuschelbedürftige gesellen? Das fehlte noch. Eine gruselige Vorstellung. Schlaflos übers Mittelmeer. Nein: Kabine gekauft, alles richtig gemacht.
Um 21:50 Uhr, zehn Minuten vor dem offiziellen Termin, legt die ME I ab, schlüpft unter Anleitung eines Lotsen aus dem Hafen und nimmt Kurs auf, während wir an eine Bar schlendern und einen Schluck aufnehmen: Campari Orange und Spritz. Wir sehen uns um, während die ME I gewaltige Schwaden aus ihren Rohren stänkert, die uns schnell wieder unter Deck treiben. Selber schuld, wer sich hier oben zum Zwecke der Optimierung des Reisebudgets eine Feinstaub- und Kohlenmonoxidvergiftung holt. Ist halt nix umsonst in der Welt. Alles hat seinen Preis.
Wir sind schnell wieder bei unseren Mädels, die sich allem Anschein nach vorbildlich verhalten haben, sind ja reiseerfahren und vertrauen uns bis aufs Schafott. Die Betten scheinen tatsächlich unbenutzt zu sein. Mit langwelligem Schwurbeln schlurzt die Mega Express durchs Mare Nostrum, und der Chauffeur fasst langsam Vertrauen zu ihr. Die See ist ruhig. Die Nacht ist schwarz und schweigt. Sag mir, wie viel Sternlein stehen? Mehr als fünf sind es allemal. Der Schlaf der Viererbande ist ruhig und erholsam.
Dienstag, 14. August 2018
Golfo Aranci – Valledoria
Uuuups – Fehlbelegung5:30 Uhr: Wir werden auf Italienisch und Englisch geweckt und darauf hingewiesen, dass um 6:30 Uhr unsere Seereise zu Ende geht. Fianna und Hedda räkeln sich genüsslich auf dem Boden – und auf dem Bett, während der Chauffeur die Mega-Express-Dusche bemüht. Um 6:15 Uhr stehen wir mit Sack und Hundepack bereit, um in die Autodecks gelassen zu werden und um 6:35 Uhr verlässt der Franz mit seiner kostbaren Fracht als Erster die Mega Express und rollt im Hafen von Golfo Aranci auf sardischen Boden. Heute chauffiert der Chauffeur. Es ist bewölkt und hat 24 °C.
Wir richten unseren Franz II nördlich aus, die Costa Smeralda hoch und machen kurz darauf einen Tankstopp in San Pantaleo bei Esso, wo wir für den Diesel 1.51,4 € bezahlen; ein echter Fünfsternepreis, aber, wie wir lernen sollten, noch längst nicht das Ende der Preislage. In der Bar neben der Tankstelle holen wir uns ein Schoko- und ein Limonencroissant (cornetto) und mampfen es am Straßenrand. Zum ersten echten italienischen Frühstück fehlt eigentlich nur noch der Espresso (caffè). Es beginnt ein wenig zu regnen. Weiter.
Stellplatz unterhalb der FestungWir lassen
Die Treppe zur Festungdie Luxusplätze der Costa Smeralda, wie etwa Porto Cervo, an Steuerbord liegen und steuern über Arzachena Palau an. Um 8:15 Uhr parken wir zu Füßen des Fortezza di Monte Altura [N 41° 11‘ 2,54‘‘ E 009° 21‘ 51,3‘‘). Es hat aufgehört zu regnen und wir steigen zur Festung hoch, die im späten 19 Jh. gegen die französische Flotte erbaut wurde und im 1. Weltkrieg auch noch gute
Was von der Festung übrigbliebDienste leistet, und
Morgendliche Aussicht von der Festungwerfen einen Blick über die überwältigende Wasser- und Insellandschaft unter uns. Das Fortezza mit seiner Zugangsrampe aus hundert Treppenstufen erweckt den Eindruck eines Majatempels und ist ebenso verschlossen, allerdings, anders als ein solcher, gänzlich menschenleer. Und eigentlich interessiert uns die Festung auch nicht, aber die Mädels müssen bewegt werden und die Aussicht ist einen kurzen Stopp wert.
Etwa 200 Meter vom Fortezza entfernt, stutzt Fianna, bleibt stehen, macht einen langen Hals: Da liegt oder steht etwas auf dem felsigen Sandweg zwischen all dem dürren Gestrüpp herum, etwas, das ihr sehr fremd und äußerst suspekt vorkommt. Auch der Chauffeur macht einen langen Hals, um sich zu vergewissern, ob es das sein könnte, was er zu sehen meint. Wir nähern uns, beide mit langem Hals, der Chauffeur schon nach wenigen Schritten sicher, Fianna mit immer längerem Hals und wachsender Neugier. Die Reiseleiterin und Hedda sind bislang noch nicht einmal optisch bis zum Objekt der Neugier vorgedrungen. Aber jetzt, kein Zweifel: eine Schildkröte, eine stattliche sardische Breitrandschildkröte (Testudo marginata; in der Landessprache Cuppulàta oder Testàinu), die ihre Wärmetanks in der Morgensonne auffüllt. Jetzt ist auch die Begegnung mit einer sardischen BreitrandschildkröteNachhut angekommen und staunt nicht schlecht; man denkt ja an manches, wenn man über Sardinien nachdenkt und sich darauf vorbereitet, aber eine Schildkröte als erste Begegnung gehört kaum dazu. Wir erleben nun ein zauberhaftes Schauspiel der zeitgerafften Wissensanreicherung: Die Hunde nähern sich mit ihren langen Nasen sehr misstrauisch dem Panzerträger, ganz gegen ihre Art, ihre Unsicherheit lautstark zu übertönen, völlig stumm. Wortlos recken beide die Hälse nach vorn und im Gegenzug zieht der Panzerträger seinen Hals zurück. Das macht die Sache nicht einfacher: Etwas, das offensichtlich Leben in sich trägt, aber in der Lage ist, ohne Kopf zu existieren?! Und wenn man das da anstupst, beißt es nicht zurück, sondern hält sich einfach komplett bedeckt.
Um 9:15 Uhr setzen wir die Reise fort, zum Capo d’Orso, dem Kap des Bären, das seinen Namen von einem mächtigen Granitfelsen in Form eines Bären hat, den Roccia dell’Orso. Dazu müssen wir wieder ein Stück zurückfahren und hinter Altura nach Osten abbiegen. Wir durchqueren Palau und kommen um 9:30 Uhr beim Bären an, bezahlen 3 € Parkgebühr + 3 € pro Person für den Besuch des Felsens [N 41° 10‘ 20,48‘‘ E 009° 21‘ 51,3‘‘]. Und hier ist mächtig was los zur frühen Tageszeit. Man traut es sich fast nicht zu sagen: Hier ist der Bär los. Es sind nur wenige Schritte zum Felsen, aber genug, um den Zorn im Chauffeur und Fotografeur Roccia dell' Orso – Der Felsenbäranzufeuern. Die eine Sache ist die, dass man den Felsen in seiner ganzen malerischen Bärenform von nirgendwo zur Gänze fotografieren kann, weil alle Zugänge außerhalb eines engen und vorgegebenen Pfads gesperrt sind. Nach offizieller Lesart, weil es zu viele Unfälle mit Touristen gab, die sich für ihr Foto auf halsbrecherische Abwege begeben haben sollen. Nach der Lesart des Chauffeurs sollen jedoch die von den vielen erfolglosen Fotografierversuchen demoralisierten Touristen am Kiosk für viel Geld die offiziellen Bärenbilder erstehen. Unter diesen Umständen taugt der Besuch des Bären also nicht, ihn ins rechte Licht zu setzen, sondern bestenfalls dazu, ihn als malerischen Vordergrund für beeindruckende Bilder der unter ihm liegenden Wasserwelt zu schießen. Das macht den Felsenbären zum Posen- und zum Selfiebär. Mit dieser Form der Selbstinszenierung ist bei Ankunft des Chauffeurs und Fotografeurs bereits eine kleine Horde schnatternder und gackernder Teenager eifrig am Werk. In nicht enden wollenden Posen und Gruppeninszenierungen verballern sie Gigabyte um Gigabyte, jeder mit jeder, stehend, hockend, kniend, liegend, verschlungen und verwachsen, gestikulierend, grimassierend und enervierend, eine jugendliche Laokoongruppe, ein fotografisches Kamasutra, eine morgendliche Springprozession unter blauem Himmel und 100 Dezibel. Etwas erhöht über dem geschäftigen Pulk weilt und wartet derweil der Chauffeur mit seiner Reiseleiterin und Hedda (Fianna hütet den Franz, weil wir sie nach ihrer OP noch nicht über die Felsen klettern lassen wollen) und greift sein gesamtes Fluchrepertoire ab. Die Reiseleiterin bemüht sich, ihn zu besänftigen. Man habe doch Zeit. Man sei doch nicht auf der Flucht (seine Worte benutzt sie!). Und die Reise ginge doch erst los. Und: Irgendwann werden sich die da unten auch verkrümeln, könnten ja nicht ewig dort bleiben. Für den aufgeheizten Chauffeur ist das alles nur Geschwätz und fade Sülze. Natürlich werden die ihre Gruppeninszenierungen nicht bis in die späte Nacht durchhalten, aber man sei nicht allein hier im Wartestand, und wenn sich die einen verdrücken, stünden, wie man sieht, schon die nächsten bereit, den freigegebenen Platz zu besetzen und mit ihren Inszenierungen zu
Ein Blick durch die Bärenbeinebespielen. Der Chauffeur hat definitiv nicht die Absicht ein Bild des Felsenbären mit zwanzig schnatternden Touristen um dessen Beine zu machen! Er will nur einmal durch dessen Beine hindurch die Costa Smeralda ablichten. Mehr Ansprüche hat er nicht. Bescheiden ist sein Ansinnen. Und: Ganz sicher wird er kein Bärenbild am Kiosk kaufen!
Nach über einer halben Stunde ist der kurze, aber ersehnte Augenblick gekommen: Der Bär erhebt sich über uns und unter seinen Beinen gravieren hunderte von Schiffen und Booten ihre weißen Heckwellen in das blaue Meer zwischen dem Capo d’Orso und dem La Maddalena-Archipel.
Um 10:15 Uhr richten wir die Franzennase nach Südwest. Bei 28 °C, Sonne und Wolken rollen wir durch das nördliche Hinterland Sardiniens, durch Macchia und Korkeichen, bis nach Valledoria und unserem heutigen Ziel: Camping International Valledoria [N 40° 55‘ 31,1‘‘ E 008° 47‘ 44,8‘‘], wo wir um 12 Uhr einchecken. Ganz unbeschwert war unsere Anreise allerdings nicht: Kurz nach halb zwölf erfahren wir aus dem Radio, dass die Morandi-Brücke in Genua eingestürzt ist und viele Tote zu beklagen seien. Da ist man schon etwas mitbestürzt, denn wären wir im westlichen Deutschland ansässig, hätten wir möglicherweise die Fährverbindung über Genua gewählt. Wer weiß, welche Folgen das gehabt hätte. Möglicherweise hätten wir dann tatsächlich alle Brücken hinter uns abgebrochen. Aber es ist anders gekommen.
Fahrtstrecke Golfo Aranci – Valledoria
Nun sind wir dort, wohin wir in vielen Werbegesprächen mit unseren Nachbarn gelockt wurden. Die erwarten uns schon in der Freiluftbar mit einem Willkommenstrunk. Manu, die Chefin der Anlage, hat uns bereits beim Einchecken herzlichst willkommen geheißen, Kiri, der Hovawartrüde, läst es sich ebenso nicht nehmen, unsere Damen aus seinem Freilauf heraus eingehend, aber landesuntypisch stumm, zu begutachten. Und dann gibt uns auch Glauco, der Chef des Hauses, noch seinen Segen – ziemlich viel Ehre für Neulinge und Erstbesucher. Aber mit den richtigen Wegbereitern findet man sogar Zugang zum Weißen Haus, wobei man sich dann fragen müsste, ob man die richtigen Leute kennt. In unserem valledorischen Fall sind Zweifel unangebracht. Jetzt erst einmal einen Spritz und ein Bier, dann bekommt der Franz eine Ladung Wasser für die nächsten Tage Traumplatz! spendiert, und wir werden zu unserem Liegeplatz gelotst. Direkt über dem Strand. Weg vom Gewimmel. Ein Blick bis in den Himmel. Ostende der Anlage. Nur 50 Meter und in Rufweite von Iris, Jens, Anna-Maria und Krümel. Premiumplatz 56 A. Hallelu-JA!
30 °C und reichlich Wind hier an der Dünenfront begleiten unsere Bemühungen, die Markise aufzubauen. Jetzt rächt es sich, wenn man immer nur Gegenden bereist, in denen man zwar Wind kennt, aber keinen Sonnenschutz benötigt: Wir haben nur einen Niederhaltergurt für die Markise, die zwar verhindert, dass die Markise nach oben wegfliegt, aber nicht davor schützt, dass sie vom Wind nach unten eingedrückt wird. Und genau das ist jetzt der Fall. Während die Reisebegleiterin unter den gelangweilten Blicken von Fianna und Hedda versucht, den Niederhalter zu verankern und festzuzurren, stemmt sich der Chauffeur wie Herkules unter die Markise, um sie am Einknicken zu hindern. Und dann? Soll er jetzt die kommende Woche hier den klassischen Helden spielen, statt des Himmels die Markise stützen und vom Personal gefüttert werden? Die Rettung naht mit dem Sardinien-erfahrenen Jens in Gestalt zweier Sturmstangen, welche die Markise gegen das Womo abstützen und ihr Einknicken verhindern. Dann wird der Franz mit Fronthaube und Fensterverhüterli vollverkleidet, die UV-Plane wird in die Markise gefädelt, die Gartenmöbel aus der Garage befreit – und die Sandburg ist einzugsbereit. 32 °C und Wind lassen keine der Vorsichtsmaßnahmen übertrieben erscheinen. Und das Meer rauscht und randaliert dazu.
Angekommen bei FreundenUm 14:30 Uhr hocken wir bei einer sardischen Brotzeit aus Käse, Wurst und Oliven vor dem Nachbar-Caravan und kommen langsam, aber vollständig an. Anschließend stürzen wir uns in eine zünftige Dünung, die uns eine Vorstellung vermittelt, dass das Mare Nostrum derzeit ziemlich aufgewühlt ist. Der Mittelmeerraum ist in diesem Jahr eine latente Unwetterzone; ob diese Brandung die Nach- oder Vorhut ist, lässt sich nicht zweifelsfrei bestimmen. Wir werden es sehen.
Das Abendmahl nehmen wir ab 20 Uhr im Camping-Restaurant ein. Wir schlemmen uns ein wenig durch die Speisekarte und sind sehr zufrieden. Währenddessen treibt das Meer endlose weiße Bänder an den Strand, angetrieben von einem mächtigen Gebläse, das sich den Tag über bis auf elf Knoten aufplusterte und jetzt immer noch neun Knoten liefert. Um 23:30 Uhr sind wir wieder in unseren sturmfesten Behausungen und bestaunen fast eine halbe Stunde lang ein prächtiges, aber etwas verblasenes Feuerwerk über Castelsardo, das den morgigen Ferragosto willkommen heißt. Und im Hintergrund schwurbelt ein stummes, aber grimmes Wetterleuchten. So viel Ehre für Neuankömmlinge in Valledoria…
Als wir gegen 1 Uhr morgens die Luken dicht machen, hat es immer noch 25° C und Sturm. Aber die Markise und die Verhüterli halten durch.
Mittwoch, 15. August 2018
Valledoria
Ferragosto!
Zuhause feiern katholische Christen heute Mariä Himmelfahrt, in Italien auch, aber hierzulande hat der Tag eine viel weitreichendere Bedeutung. Er ist vermutlich der wichtigste Familien- und Kirchenfeiertag und, weil er auf die dreitägige Siegesfeier von Kaiser Augustus zurückgeht (lat.: feriae Augusti = Festtag des Augustus, 13. - 15. August 29 v. Chr.), begnügt man sich nicht mit einem Feiertag, sondern macht gleich richtig Ferien daraus. Im traditionellen Volksgedächtnis der Italiener ist der 15. August zudem der heißeste Tag des Jahres und markiert für sie somit die Sommerwende. Gründe genug, die Familie mit Sack und Pack einzupacken und in Ferien zu fahren. An diesen Tagen sind die Städte leer, die Betriebe außer Betrieb und die Strände voll. Unter diesen Umständen ist es geradezu ein achtes Weltwunder, dass wir in Valledoria eine Bleibe gefunden haben, was wir natürlich nur der langjährigen Ortstreue unserer Krümels zu verdanken haben. Valledoria ist, wer hätte es gedacht, rappelvoll. Und so wird es bis einschließlich kommendes Wochenende auch bleiben, was zur Folge hat, dass es hier gar nicht so schlecht und grässlich sein könnte, um eine vorzeitige Abreise auch nur in Betracht zu ziehen, denn die Aussicht auf eine andere Unterkunft geht inselauf und inselab gegen Null; es sei denn, es wäre unter Wildschweinen und Wölfen.
Zeitmanagement in ValledoriaBereits um 6:30 Uhr treibt es die Reiseleiterin
Ferragosto mit ihrer Reisebegleiterin Fianna um und hinaus und hinunter zum Strand. Um 7 Uhr dreht sie die zweite Runde mit Hedda, Krümel und dem Hausherrn Kiri. Es ist windstill bei 23 °C und das Meer schiebt weiße Schaumbänder auf den Strand. Nach dem Frühstück passiert – nichts. Jedenfalls nichts, das erwähnenswert wäre. Wir putzen ein wenig, lesen, dösen, schwimmen und surfen im Internet.
Am frühen Nachmittag zeigt uns das Thermometer 28 °C an und der Wind nimmt Fahrt auf. Das Meer unter uns rumort und brüllt so laut, dass man in jeder Hotelanlage die Zahlung verweigern würde, wenn andere Gäste sich so aufführen würden. Doch das Meer darf das, dem Meer nehmen wir fast nichts übel. Jetzt ahnen wir auch, worauf der Begriff „Meerwert“ zurückzuführen ist.
Wir besuchen nachmittags das Camping-Restaurant für ein Bier und etwas Kaffee und sind gegen 17 Uhr zurück, als sich schwere Wolken aufbauen und bald auch etwas Regen niedergeht.
Um 20 Uhr, der Regen ist durch, spazieren wir zur Osteria dei Poeti. Das sind knapp zwei Kilometer in Richtung La Mudizza. Nachdem unsere telefonische Reservierung dort offenbar nicht bis auf die Doing-Ebene durchgedrungen war, gerät die Belegschaft bei unserer Ankunft ein wenig in Hektik, denn wir sind nicht die einzigen, die sich heute Abend, schließlich ist Ferragosto, hier niederlassen wollen. Aber so schusselig Italiener gelegentlich sein können, so pragmatisch finden sie auch eine Lösung und einen Tisch für uns: Ein bisschen hin und her, ein bisschen gestikulieren, ein bisschen überreden, ein bisschen überzeugen, ein paar Tische rücken – und wir sind untergebracht. Der Abend ist dann ein voller Erfolg und das Essen über alle Zweifel erhaben.
Spät abends nehmen wir unter einem weiteren Feuerwerk noch einen Absacker bei den Krümels und verkrümeln uns wieder erst gegen 1 Uhr morgens.
Und was macht das Meer? Es dünt und rauscht und schmatzt. 24 °C – alle Luken auf…
Donnerstag, 16. August 2018
Valledoria
Castelsardo im MorgenlichtDas ist erst unser zweiter kompletter Tag in Valledoria, und schon jetzt ist jeglicher innere Umtrieb vertrieben.
Wir holen uns Frühstück vom Camping-Supermarkt, frühstücken und tun anschließend nichts. Anfangs bläst der Wind noch um den Franz, dann bei 30 °C will auch der nicht mehr und legt sich zur Ruhe. Am Himmel treiben kleine weiße Wolkenschiffchen wie Schafe, die uns in den Schlummer helfen wollen.
Um 17 Uhr servieren wir eine sardische Brotzeit unter der standhaltenden Im gütigen Licht des letzten Lichts ...Markise und um 20 Uhr duftet es verführerisch von
Abendstimmung am StrandKrümels Grill. Der Himmel wird rot und roter und ein angewelktes Pärchen verstellt uns den freien Blick auf die schamrote Sonne mit grazilen Handy-Posen. So viel jugendliche Grandezza von hinten und, ach, so viel Verfall der Sonn‘ entgegen. Es ist ein Jammer, aber unterhaltsam…
Heute ist um Mitternacht schon Schluss. 24 °C, windstill – alle Luken auf…
Freitag, 17. August 2018
Valledoria
Die Nacht war geradezu gespenstisch ruhig; wir sehen vorsorglich nach, ob unser Meer noch da ist. Gott sei Dank, es existiert noch. Wäre es nicht mehr da, müsste man wohl mit einem Tsunami rechnen. Aber so geht auch heute wieder alles seinen valledorischen Gang.
Nach einem italienischen Frühstück mit cornetti und crema limone geschieht nichts mehr. Das Meer schwappt träge wie ein toter Wal in seiner Wanne, und unter den 27 °C um 10 Uhr traut sich auch keine Wolke mehr ins Freie. Was treibt man an Tagen, wie diesen? Man schlägt nach, ob der Name Valledoria etwa Goldenes Tal bedeutet und lernt, dass der Name auf die Genueser Patrizierfamilie Doria zurückzuführen ist, die im 12 Jh. größere Teile des sardischen Nordens in Besitz genommen hatte. Das wäre damit geklärt.
StrandlilienUnd was sind diese weißen Blüten rund um uns herum, üppig und stolz im Dünensand? Es sind Strandlilien, auch als Dünen-Trichternarzissen bekannt (Pancratium maritimum). Warum ausgerechnet der römische Märtyrer Pancratius, der bei uns zu den Eisheiligen zählt, Namensgeber für diese Wüstenpflanze sein muss, erschließt sich dem Chronisten nicht. Die Welt ist voller Rätsel. Vor allem, wenn sie den Geist nicht mit Tagesmüll verrümpelt. Canapé diem!
Yes, you can den ganzen Tag liegen, lesen und dösen!
Yes, you can den ganzen Tag Wolken zählen und der hypnotisierenden Litanei des Meeres lauschen (was heute mangels Wolken und eingeschlafenem Meer nicht geht).
Fianna – Glücklich mit Sonne, Sand und BallYes, you can den ganzen Tag Salzwasser nippen, dolci crunchen und Kaffee schlürfen.
Yes, you can das alles und völlig ohne schlechtes Gewissen und Mangelsyndromen.
Yes, you can den Tag genießen.
Canapé diem!
Um 15 Uhr zeigt sich bei 30 °C immer noch keine Wolke, aber der Wind weht uns als Mikrobrise um die Nasen. Fianna und Hedda schlummern entrückt im Sand unter Franzens Bauch eingegraben. Weggetreten. Canapé diem.
Happy HourUm 16 Uhr
Anna-Maria und Hedda – Unzertrennliche Freundeschleppen wir uns in die Bar auf ein bisschen rinfresca bei caffè und birra. Anschließend lohnt es sich nicht mehr, die Lokalität zu verlassen; wir bleiben zum cena, wo wir uns festgesessen haben. Erst um 23:15 Uhr sind wir wieder in unseren Strandburgen zurück: 24 °C, windstill und keine Wolke.
Samstag, 18. August 2018
Valledoria
Der Himmel ist noch immer reglos blau, während Fianna und Hedda morgens ihr Strandtraining absolvieren. Beim Frühstück um 9 Uhr messen wir 26 °C. Angenehm. Wir pflegen anschließend unsere Wäsche und dann uns.
In Schottland, so hört man, ist seit Tagen landunter. Da haben wir ja nochmal Glück gehabt – und eine Familienfeier.
Stand-UpLangsam zieht sich ein schmutzgrauer Vorhang vor den blauen Himmel, und davor schieben sich, schwarz und anthrazit, fette Gewitterwolken. Das Meer wird kabbelig. Aber die Reiseleiterin und die Krümels haben schon gestern beschlossen, heute zum Stand-Up-Paddeln zu gehen. Und so geschieht es, unter für Anfänger wenig idealen Bedingungen. Gestern, in der trägen Badewanne, das wäre es gewesen, doch heute staucht und taucht es die Vier nach Belieben.
Go downDer Chronist hat sich wegen der fotographischen Dokumentation von der Paddel-Premiere freigenommen. Gegen halb vier nimmt das Gestochere ein abruptes Ende: Gewitter ziehen auf und das Gebläse dreht auf. Um 15:45 Uhr haut es uns eine solche Sintflut um die Ohren, dass uns Hören und Sehen vergeht. Weit über eine Stunde wettern wir im Franz ab, der mächtig durchgeschüttelt wird, und werfen immer wieder einen Blick durch die Bullaugen, ob die Markise hält: Sie hält! Aber die Geräusche des am Gestänge zerrenden Windes zerreißen uns das Herz. Erst kurz nach 17 Uhr geben die Wolken ihr letztes Tröpfchen und der Wind haucht langsam sein Leben aus. Eine Inspektion ergibt: Alles sitzt weiterhin an seinem Platz. Statt eines Dankgottesdienstes richten wir um 19 Uhr eine Pastaparty unter unserem unversehrten Dach aus, und der Chronist gibt noch bis Mitternacht ein Hauskonzert: Schmähgesänge gegen die bösen Geister.
Als die Lichter ausgehen und die Stimme verhaucht, hat es nur noch 21 °C, und auch der Wind ist fort, irgendwo oder nirgendwo, jedenfalls nicht mehr in Valledoria.
Sonntag, 19. August 2018
Valledoria
8 Uhr: bewölkt, 22 °C. Kommt jetzt das Schottenwetter nach Sardinien?
Wer schläft, sündigt nichtWir frühstücken, machen etwas Hausputz und gehen dann zur Routine über: lesen, dösen und die Seele im Takt der Strandlilien schaukeln lassen.
Um 14 Uhr ist es noch bewölkt bei 26 °C und recht windig. Aber gleich darauf geht eine anhaltende Dusche auf uns nieder, rings herum rumoren Gewitter, allerdings so weit weg, dass ihr Wind nicht bis zu uns reicht. Drei Stunden eimert es, dann ist alles plötzlich vorüber und wir gehen ein paar hundert Meter die Via la Ciaccia in Richtung Osten zu einem Obst- und Gemüseladen, um uns für das Abendmahl zu versorgen.
Um 19:15 Uhr strahlt die Sonne und auf Krümels Grill brutzeln Steaks und andere Schweinereien, dazu liefern wir Gartenfrüchte aus unserem Omnia.
Und um 24 Uhr ist der Tag vorüber, der Himmel ist klar, das Thermometer zeigt 22 °C – und die Ferragosta-Urlauber sind fast alle weg.
Montag, 20. August 2018
Valledoria
Morgens an der LaguneEtwa 30 km südlich von Valledoria liegt die Kleinstadt Ploaghe. Ganz in deren Nähe entspringt der Coghinas, ein Fluss, der sich durch die raue Landschaft nach Norden windet und nach 116 Kilometern bei Valledoria ins Meer ergießt. Bevor er jedoch seiner Existenz Lebewohl sagt, formt er noch schnell die Lagune La Perla Blu. Dorthin ist es von uns aus nur einen schwachen Kilometer den Strand entlang. Und diese Lagune ist das Ziel unseres heutigen Morgenspaziergangs mit den Vierläufigen.
KrümelJetzt, um 7:30 Uhr, ist es windstill bei 21 °C. Der Strand ist frei von all den abgereisten Ferragostini, ebenso zeigen sich keine Aufrechtpaddler oder Surfer.
Hedda und Fianna beim MorgensportDer Strand und die Lagune gehören praktisch uns allein. Eineinhalb Stunden dürfen die Damen über den Strand und durch die Lagune toben, bis es uns alle zum Frühstück zieht, das gegen 10 Uhr Wirklichkeit wird. Jetzt messen wir bereits 27 °C ohne einen
Ein Strand für uns alleinHauch. Um die Mittagszeit zieht es die vier Aufrechten, Heike, Iris, Jens und Anna-Maria, wieder zum Paddeln aufs Meer hinaus, das sich heute deutlich freundlicher verhält und nur mit kleinen Kräuseln aufwartet. Das stellt sich auch bald als dringend notwendig heraus, denn schnell registriert man auf den Brettern, dass die Wasserwelt darunter heute voller Quallen ist, in die man nur ungern stürzen möchte. Unter diesen Umständen macht sich die kabbelige Trainingseinheit vom Samstag bezahlt, und die sichtbar stabileren Paddelanfänger kommen sicher wieder ans Ufer – sicherheitshalber schneller als geplant.
Der vorzeitige Abbruch der Seefahrt wird zudem durch ein aufziehendes Gewitter beschleunigt, das sich um 14 Uhr in Position bringt. Finster, sehr finster dräut es rundherum. Wir zurren alles noch einmal fest, was rund um und an unserem Franz davonfliegen könnte. 30 °C hat es und die Luft vibriert. Aber nichts passiert. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man auf die Attacke wartet, den Angreifer in seiner Nähe weiß, der sich jedoch nicht aus der Deckung wagt. Es rumort im Süden, dort scheint es heftig zu spektakeln. Bei uns bleibt es finster und bedrohlich, aber dabei scheint es dann auch zu bleiben. Dem Chronisten kommt der Dialog von Karl Valentin und Liesel Karlstadt in den Sinn. Sie: „Ich lauf‘ noch auf und davon!“ Er: „Auf brauchst du gar nicht laufen, davon genügt völlig.“ Dieser Ansicht sind auch wir: Auf braucht das Unwetter nicht zu laufen, Hauptsache davon. Und es tut uns tatsächlich den Gefallen und zieht weit im Süden vorüber. Dort zündet man vermutlich schwarze Wetterkerzen an.
Wir bleiben verschont und feiern das um 17 Uhr mit einer Happy Hour in der Camping-Bar. Anschließend stapeln wir uns alle in den Krümel-BMW und fahren in Richtung Littingheddu ins Ristorante Cross Country. Das liegt gute fünf Fuchs, du hast den Pizzarand gestohlen Kilometer südlich, erscheint uns aber wie ein Trip ans Ende der Welt. Hier ist Sardinien dürr, wild und unnahbar. Ganz anders das Ristorante. Dort werden wir freundlich empfangen, bestens bedient und köstlich bespeist. Von der Terrasse aus geht der Blick weit übers Land und endet mitten in einem unverschämt glühenden Sonnenuntergang. Neben der zweifellos leckeren Küche sind allerdings zwei junge Füchse die Hauptattraktion dieses Restaurants, die sich täglich, ziemlich pünktlich gegen 22 Uhr, unter die Gäste mischen und mit deren Essensresten versorgen lassen. Irgendwo zwischen den Sträuchern und in der Macchie wird die Beute dann zusammengetragen und ein neuer Beutezug gestartet. Die Gäste sind entzückt und viele kommen nicht zuletzt wegen dieser kleinen und vorwitzigen volpi. Auch wir sind begeistert und
hoffen, dass die vielen Pizzaränder ihrem Leben kein allzu frühes Ende bereiten. Für uns ist dieses Mahl allerdings die Henkersmahlzeit in Valledoria. Morgen ist für uns hier Schluss. Morgen machen wir uns auf den Weg, mehr von Sardinien kennenzulernen als nur Valledoria, das für sich aber Grund genug wäre, bald wieder vorbeizuschauen.
Um 23:30 Uhr beschließen wir den Tag und die Gastfreundschaft von Glauco, Manu und Kiri mit einem Absacker in der Bar und gehen gegen 1 Uhr ins Bett. 23 °C hat es immer noch, klar und windstill ist es auch wieder, so, als ob nichts gewesen wäre. Wir sind uns sicher, weiter im Süden schläft man heute Nacht nicht so sorglos.
Dienstag, 21. August 2018
Valledoria – Alghero
Es wird höchste Zeit, dass wir hier verschwinden. In das Vakuum, das die abziehenden Ferragosti hinterlassen haben, strömen nun deutsche Camper, vornehmlich solche aus dem deutschen Norden und Westen. Es wird – man muss es so deutlich sagen – unangenehm hier. Die Italiener waren laut, die Neuen lärmen, übertönen alles und spielen sich auf. Sie reisen mit sündteuren Wohnmobilen an und feilschen schon fünf Tage vor Beginn der Nebensaison um 4 € Nachlass. Wir schämen uns. Eine Woche war hier alles piccobello, so piccobello, wie ein voller Platz eben sein kann. Aber nun werden aus den Spülbecken keine Essensreste mehr entfernt, Klopapier häuft sich in den Toiletten, alles Ein letztes Lächeln zum Abschied
Hedda, Fianna, Krümel und Kiriversifft langsam, und das Personal kommt kaum noch nach. Aus dem 5-Sterne-Camping Valledoria machen die deutschen Vandalen eine 2-Sterne-Absteige. Wir können gar nicht mehr aufhören, uns zu schämen. Wenn wir nicht sowieso vorgehabt hätten abzureisen, spätestens jetzt hätten wir die Flucht ergriffen.
Wir machen unseren Franz reisefertig, brechen unsere Zelte ab, lassen für eine Woche Sterne-Urlaub 343 € liegen, umarmen die Krümels und machen uns um 12:45 Uhr auf und davon – bei 34 °C. Kein Windhauch und das Meer schwappt wieder träge in seiner Wanne.
Schon eine Viertelstunde später statten wir dem Elefantenfelsen einen Besuch ab [N 40° 53‘ 24,7‘‘ E 008° 44‘ 42,6‘‘]. Der Reiseleiterin, deren Haus mit Der ElefantenfelsenElefanten jeglicher Größe und Machart vollgestellt ist, wäre eine Missachtung des Roccia dell’Elefante nicht zu vermitteln. Also mischen wir uns unter die zahlreichen Besucher, die diesen tatsächlich einem Elefanten sehr ähnlich sehenden Felsen umkreisen. Anders als beim Bären, läuft hier alles recht zivilisiert und ohne Selfie-Orgien ab. Das liegt vielleicht auch daran, dass der Touristenbrennpunkt Costa Smeralda weit weg ist und der Elefant sich nicht über einem Abgrund versteckt, sondern einfach an einer Straße steht, als ob er sie gerade überqueren wollte. Schon zu Zeiten der Nuragher, lange vor unserer Zeitrechnung, soll dieser Elefant eine Kultstätte gewesen sein, obwohl gar nicht sicher ist, ob die damals schon jemals einen lebenden Elefanten zu Gesicht bekommen hatten und wussten, warum sie diesem Tier huldigen sollten. Sachen gibt’s.
Da hier zwar einige Leute herumlaufen, deswegen aber trotzdem kein Rummel herrscht oder Wartezeiten anfallen, ist man mit der Besichtigung des Elefanten schnell durch, und wir ziehen schon nach zehn Minuten weiter. Der Chronist ist gespannt, ob diese Reise auch weiterhin eine so tierische sein wird: Bären, Elefanten, Füchse, Schildkröten… Mal sehen, was uns noch erwartet. Wenn die Reise tierisch gut wird, hätte er daran nichts auszusetzen.
Weitere zehn Minuten später, um 13:20 Uhr, stehen wir auf dem Parkplatz vor den Toren von Castelsardo [N 40° 54‘ 41,1‘‘ E 008° 43‘ 20,3‘‘]. Im goldenen Morgenlicht, im roten Abendleuchten und flackernd bunt beleuchtet des CastelsardoNachts, war dieser kleine Küstenort der einzige Blickfang, wenn wir die Augen öffneten und aufs Meer hinaussahen. Wie eine Karotte vor der Eselsnase hing dieses Städtchen als Versprechen vor unseren Augen. Jetzt würden wir dem Flecken mit knapp 6000 Einwohnern gerne einen Besuch abstatten. Aber wir belassen es bei einem Blick vom Parkplatz aus: 34 °C verbieten es, die Hunde mit auf eine Inspektion zu nehmen, und sie im Womo zu belassen, verbietet sich ebenso. Also muss es reichen, dass man einen distanzierten Blick auf diesen malerischen Flecken wirft, der wie mit Powerkleber an das Felskap geheftet scheint und, der Belegung des Parkplatzes zufolge, in seinen engen Gassen auch sehr gut durchflutet sein dürfte. Castelsardo wird zu den „schönsten Orten Italiens“ gezählt. Seine Sehenswürdigkeiten bleiben uns demnach vorenthalten, was sie zu einfachen Würdigkeiten macht, uns aber nicht den Schlaf rauben werden.
Noch einen Blick in die Geschichte: 1102 von der Familie Doria gegründet. Wieder diese Dorias. Anders als das berühmte und besungene Schiff Andrea Doria, das nach dem Admiral Andrea Doria, einem Nachkommen der Genueser Familie Doria aus dem 16 Jh. benannt wurde, hängt Castelsardo noch fest am Felsen und liegt nicht seit 1953 vor der Küste von Nantucket. Ist eben schon noch aus einem anderen Holz geschnitzt, so ein altes Kastell als ein schnell zusammengeschweißter Blechkahn aus dem frühen Wirtschaftswunder. Was Wunder.
So ein ferner Blick auf eine Felsenburg dauert auch nicht länger als einer auf einen steinernen Elefanten und deswegen halten wir den 10-Minuten-Takt ein: Um 13:30 Uhr geht es weiter, erst mal westlich an der Küste entlang, dann südlich durch die Provinzhauptstadt Sassari, mit über 120.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Sardiniens, und dann in Generalrichtung Südwest bis nach Alghero. Dort machen wir auf dem Parkplatz am Hafen um 14:55 Uhr fest [N 40° 33‘ 45,6‘‘ E 008° 19‘ 01,9‘‘]. Das waren heute beschauliche 89 Kilometer. Wir füttern den Parkautomaten mit 10 € und dürfen dafür bis morgen um 10 Uhr hier stehen.
Fahrtstrecke Valledoria – Alghero
Die Frage ist, ob wir das wollen. Dieser Parkplatz ist rammelvoll. Direkt daneben, am Hafen, ist Volksfest, das zwar jetzt ruht, aber bald in Schwung kommen dürfte. Wir beantworten die Frage nicht, sondern verschieben sie auf später, weil es jetzt zu gewittern und zu regnen beginnt und wir uns bis zu deren Ende aufs Ohr legen. Allerdings ruht es sich bei 29 °C und kräftigem Regen nur unvollständig, weil man die Luken nicht so weit öffnen kann, wie man es eigentlich müsste. Aber wir kommen klar, und unsere Felldamen belasten sich nicht mit solchen Gedanken; sie schlafen, dösen und schnarchen. So lasst uns ihrem Vorbild folgen…
Um 17:15 Uhr ist es dann soweit, dass wir bei einem leichten Restregen mit Fianna und Hedda losspazieren können, um einen kleinen, ersten Eindruck von Alghero zu gewinnen. Dieser erste Eindruck ist: sehr touristisch. Ein Haufen Volks eben, wie es beim Evangelisten Joel heißt. Die Zahl der Touristen wird fast von Regenschirmverkäufern aufgewogen. Pferdekutschen chauffieren ältliche Damen mit Plastikhauben auf ihren Föhnfrisuren durch die engen Gassen. Vor den Bootsstegen locken Skipper die Touristen auf die Boote zu Grottenbesichtigungen. Kurz gesagt: Die volle Touri-Nummer, und deswegen nicht unsere Kragenweite. Aber die Altstadt, das centro storico, ist wirklich schön und sehenswert. Wenn die Sonne scheinen würde, wäre sie bestimmt noch schöner, nicht umsonst gilt Alghero als schönste Stadt Sardiniens. Was allerdings nur für den historischen Stadtkern gilt, der Rest drumherum ist teils nett, auch sehr sympathisch, gleicht aber meist einer beliebigen italienischen Provinzstadt. Aber die Altstadt hat was! Und die Leute sind sehr freundlich, umgänglich und hundeverrückt, was man, das letztere betreffend, vom italienischen Festland nicht immer behaupten kann.
Einst waren die Phönizier das bedeutendste Volk des Mittelmeerraums und besiedeln einen schmalen Landstreifen dort, wo wir heute Israel, den Libanon und Syrien verorten. Als Seefahrervolk machen sie sich bald überall breit und gründen unter anderem Karthago, worauf sie überall als Karthager bekannt werden und von dort aus den gesamte westlichen Mittelmeerraum beherrschen. Etwa 800 v. Chr. gehen sie bei Alghero ans sardinische Land und setzen sich dort fest. Dort sitzen sie dann lange und ärgern vermutlich die Römer, denen diese Karthager, wie wir wissen, gehörig gegen den Strich gehen. Als die Römer die Karthager besiegt hatten, macht die Stadt eine wechselreiche Geschichte durch, bis im 11. Jh. die nun hinlänglich bekannte Familie Doria die Stadt von sarazenischen Piraten befreit und in eine Festung gegen die feindlichen Pisaner verwandelt. Im Jahre 1354 erobern die Katalanen aus dem Hause Aragon die Stadt, bauen die Festung aus und verjagen die einheimische Bevölkerung. Jetzt ist Alghero spanische Kolonie und der Stützpunkt Aragons auf Sardinien. 200 Jahre halten die Spanier die Stadt gegen die Versuche der Genueser, sie zurückzuerobern. Erst 1720 fällt sie an Savoyen.
In der Altstadt von AlgheroDiese katalanische Geschichte ist noch überall in der Stadt lebendig: die sehr engen Gassen, die spanische Architektur, die Straßenschilder, die meist zweisprachig sind und auf denen beispielsweise neben „Via“ auch „Carrer“ steht oder „Placa“ neben „Piazza“. Vielfach findet man neben „Alghero“ den katalanischen Namen „L’Alguer“, und lange wird hier noch ein spezieller katalanischer Dialekt gesprochen, der allerdings langsam ausstirbt. Aber immer noch nennen die Bewohner von Alghero ihre Stadt liebevoll Klein-Barcelona (Barceloneta).
Das ist also die Kulisse, durch die wir mit unseren Mädels flanieren, bei vom Regen dampfigen 29 °C. Die mächtigen Basteien und Rundtürme auf der meterdicken Stadtmauer, welche die Stadt vom Meer her schützt, müssen noch etwas warten, bis wir ihnen die gebührende Aufmerksamkeit widmen, denn zuallererst sind wir auf der Suche nach einem Restaurant namens „The Kings“, das uns von den Krümels sehr ans Herz gelegt wurde, um dort für heute Abend zu reservieren. Als wir das Ristorante gefunden haben und unseren Wunsch äußern, erfahren wir mit Bedauern, dass der Cheflogistiker (oder Platzanweiser) derzeit nicht verfügbar sei und ohne ihn keine Platzreservierung vorgenommen werden könne. Aber: hier sei seine Telefonnummer. Dort sollten wir anrufen. Na, denn. Der Chefplatzanweiser hebt nicht ab. Dann eben nicht! An Ristorantes hat es hier keinen Mangel. Doch kaum zehn Minuten später ruft der Chef zurück, freundlich, entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten und nimmt unseren Wunsch entgegen: Si, si, heute Abend 19:30 Uhr. Nicht schlecht, dieser Kundenservice. Da staunt man doch und freut sich auf einen königlichen Abend.
The KingsUm 18 Uhr haben wir fürs erste genug gesehen und das Wichtigste erledigt und sind wieder bei unserem Franz. Jetzt ist der Parkplatz noch voller als wir dachten, dass er jemals voll sein kann. Zwischen uns und den Nachbarn klafft kaum eine Körperbreite. Und das Volksfest nimmt Fahrt auf. Na prima. Siesta und Rundumlauschen, was sich um uns herum abspielt. Sagen wir es so: Es ist lebhaft.
Pünktlich um 19:30 Uhr sprechen wir in The King Restaurant (wie man sich selbst schreibt) vor, werden erwartet und herzlich empfangen. Der Cheflogistiker freut sich, uns nicht nur fernmündlich, sondern sogar mündlich sprechen zu können, ist aber immer noch schwer mit seiner Logistik beschäftigt, weil offenbar weit Nachts in Algheromehr Menschen heute speisen wollen als Platz zur Verfügung steht. Und das ändert sich auch den gesamten Abend nicht; es wird geplant und gelöst, als ob das King so groß wie ein Fußballfeld wäre. Aber irgendwie kriegen die hier alles hin und zwar ohne, dass es ungemütlich würde. Wir starten in der Speisekarte mit Dreierlei vom Fisch bzw. Ravioli mit Lamm. Der Hauptgang besteht aus einer Fischsuppe bzw. Thunfischscheiben in Sesamkruste, dermaßen auf den Punkt gebracht, fast noch roh innen und wie Schmelz auf der Zunge; das geht nicht besser. Eine sehr feine Ricottacreme und ein Nougat-Semifreddo mit kandierten Zitronen beschließen das königliche Mahl. Wir hätten es nicht besser treffen können. Zusammen mit einer ansprechenden Weinbegleitung und einem abschließenden caffè lassen wir 121 € auf der königlichen Tafel liegen; nicht ein Cent davon reut uns.
Wir schlendern
Lady in Red im Korallenatelier durch die engen Gassen der Altstadt, die vielfach von Lampions erleuchtet sind. Viele, sehr viele Menschen sind mit uns unterwegs, aufgekratzte Jungbullen und aufgeheizte Sen᷈oritas, Lords und Ladys, Pepitas und Leggins, elegante Damen und Sandalenträger mit Socken, die Welt zu Gast bei Sarden. Wenn man durch diese Gassenschläuche flaniert, bekommt man den Eindruck, dass sich die Einwohnerzahl Algheros von knapp 44.000 hier locker touristisch verdoppelt. Trotzdem genießen wir es, und das soll wirklich etwas heißen. Vielleicht sind es einfach die Glückshormone einer königlichen Küche, die der Tuchfühlung das Derbe nimmt.
Um 22 Uhr sind wir wieder bei unseren Mädels. Der Lärm der Kirmes rollt über uns hinweg, auf den Pfaden zwischen den Autos wuselt es wie auf Ameisenstraßen. Türe öffnen, so weit es eben geht, hineinwinden, Licht aus, Decke über den Kopf. Das ist der Vorteil eines Womos: Man kann so etwas eine Nacht über sich ergehen lassen und vielleicht sogar genießen, und dann kann man sich auch wieder aus dem Staub machen. Der Pauschaltourist sitzt fest wie ein Korken in der Flasche.
Bis 1 Uhr rumort das Volksfest, dann, wir registrieren es nur sehr tangential, beginnt der Abzug der Parker, manche laut, viele flüsternd, wir verschlafen fast alles. Und sogar Fianna und Hedda halten sich an die Gepflogenheiten: Selbst der hautenge Kontakt zu Franz bleibt von ihnen unkommentiert. Es muss ja niemand wissen, dass im Inneren zwei Drachen wachen. Wobei: Der Drache Hedda ratzt zu Füßen des Chauffeurs und der Drache Fianna schläft mit einer Hirnhälfte und hält die andere in Bereitschaft. Wir haben keinen Grund besorgt zu sein, wir sind in bester Obhut.
Mittwoch, 22. August 2018
Alghero – Lago Omodeo
Das "spanische" AlgheroUnser Tag beginnt um 7:30 Uhr mit einem Hundespaziergang. Es ist wolkenlos, und der Regen von gestern hat die Luft immerhin auf 23 °C heruntergekühlt. Der Parkplatz ist so gut wie leer, das Volksfest liegt im Schlummer und wir sind zwar nicht allein unterwegs, aber die nächtlichen Schwärmer liegen, wie das Fest, noch im Schlaf. Gute Gelegenheit, einen innigeren Blick auf Alghero zu werfen.
Bevor wir zu den Lobpreisungen kommen, bringen wir die Ärgernisse hinter uns. Das größte ist die Vermüllung dieses touristischen Kleinods. Auf den ersten Blick macht Alghero einen ordentlichen und aufgeräumten Eindruck, was man im Mittelmeerraum nicht immer voraussetzen darf. Doch dann wirft man einen neugierigen Blick über die Stadtmauer hinunter zum Strand und hinaus aufs Meer und weiß augenblicklich woher die unschuldigen Meerschweine möglicherweise ihren Namen haben: Dort unten, zu Fuß des Touristenstroms, wird entrümpelt. Zwei ge- und verbrauchte Farbeimer – und tschüss, aus den Augen, aus dem Sinn. Ein gebrechlicher Stuhl, wer braucht so etwas – zack und weg. Eine geräumige Holzkiste mit altem Hausrat – hau weg. Das ist nur eine kleine Auswahl, weil sich der Chronist nicht als Leiter eines Wertstoffhofs bewerben möchte. Es ist abstoßend und ärgerlich. Dass es überall Schweine gibt, im Mittelmeerraum eben die besagten „Meerschweine“, darf uns leider nicht aus der Fassung bringen, dass sich aber in einem Touristenort wie Alghero niemand dazu berufen fühlt, wenigstens einmal in der Woche einen Blick über die Stadtmauer zu werfen und einen Räumtrupp loszuschicken, leistet den bekannten Vorurteilen schlimmen Vorschub. Leider zurecht. Wenn man das hier mit Polen, dem Baltikum, Schweden oder dem gerade erst bereisten Slowenien vergleicht, drängt sich schon die Frage auf, ob es an der Hirn verzehrenden Strahlung der Sonne liegen mag, dass alte Kulturvölker so unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung und Umwelt entwickeln. Oder gelegentlich gar nichts davon.
Das zweite Ärgernis ist nicht der Stadt Alghero anzulasten, nervt aber ungemein. Es sind die Jogger. Ja, die gibt es überall, darf es auch überall geben. Aber hier in Alghero scheinen sie die ersten zu sein, die morgens erwacht sind und offenbar alle zugleich das centro storico umkreisen. Natürlich sind die geräumigen Promenaden an den Stadtmauern die beliebtesten Rennstrecken. Und die Jogger in Alghero haben die gleichen Unarten wie überall auf der Welt: Sie passieren einen auf Tuchfühlung. Selbst wenn viele Meter freier Raum zwischen uns und ihnen liegen könnte, nehmen sie Kontakt auf, reiben sich fast an uns, weil ihnen ihre Lauf-App vermutlich genau diesen Weg vorschreibt. Und wer im Weg steht oder geht, steht eben im Weg. Da viele beim Laufen auch in ein gezücktes Smartphone quasseln, nehmen sie nicht laufende Passanten vielfach
gar nicht wahr. Und es sind nicht einzelne, die auf permanentem Kollisionskurs joggen, es sind wirklich viele. Wie auf einer der Korallenketten in den Auslagen traben sie, einer dicht gefolgt von der anderen, hautnah an uns vorbei, sprinten oder schleichen, die einen mit bauchfrei aufgerolltem Shirt, die anderen mit Flatterhose, die Ambitionierten und die Anfänger, fast alle aber mit Brustgurt zum Messen der Herzfrequenz, die einen, wir haben es schon erwähnt, schnattern beim Laufen in ihre Handys, andere werden von ihrem Handy angeschnattert: „Drei Kilometer, 22 Minuten 37 Sekunden“. Für unsere Hunde haben sie noch weniger ein Auge als für uns, weil die sich ihrem gen Himmel gerichteten Blick entziehen. Leider sind die Mädels viel zu gut erzogen, sich gegen die Rüpeleien zu wehren und können niemandem etwas zuleide tun. Schade eigentlich. Ein Morgenspaziergang im morgendlichen Alghero ist wahrlich kein unbeschwertes Flanieren, sondern einfach ein laufendes Ärgernis.
Dafür
belohnen uns die schmalen Gassen mit ihrem frühen Charme. In sie trauen sich die Läufer nicht: zu steil und zu bucklig der Belag. Viele der kleinen Geschäfte schlafen noch, geben uns aber dadurch die Möglichkeit, uns mit ihren Auslagen vertraut zu machen. Andere öffnen gerade und scheinen trotzdem noch nicht für die ersten Gäste bereit zu sein. Brunnen zeigen sich in ihrer ganzen Schönheit, wo sie gestern Abend von vielen touristischen Hintern erdrückt waren. Besonders beeindruckend sind für uns die großformatigen Bilder von über 100-jährigen Einwohnern Algheros an vielen Hauswänden. Die Sarden sind für ihre hohe Lebenserwartung bekannt, in einigen Teilen Sardiniens, vor allen in den Bergregionen werden 31 von 100.000 Einwohnern über 100 Jahre alt. In ganz Sardinien sind es 21. Besonders interessant ist, dass es dabei keinen Unterschied zwischen der Lebenserwartung von Frauen und Männern gibt. Ins Grübeln kommen
Rita, 104 JahreAltersforscher vor allem, weil die traditionelle sardische Ernährung nichts mit der gerühmten und leichten Mittelmeerkost zu tun hat: Sarden lehnen vielfach Fisch ab und stehen auf viel Fleisch. Ja, da sollten sie noch ein wenig nacharbeiten, die Ernährungs-Docs. Jetzt wäre es doch interessant zu wissen, was es mit diesen Höchstbetagten in Deutschland auf sich hat. Also, zum Vergleich: Berlin hat die meisten Hundertjährigen, genau so viel wie die Topregionen in Sardinien: 31 pro 100.000. Der Unterschied: Es ist eine Großstadt mit einer deutlich besseren medizinischen Versorgung und – die Frauen haben die Nase weit vorn. Also: Mit Buletten kann man auch steinalt werden, es muss nicht immer Hammel sein, und eine Frau zu sein, kann auch nicht schaden. Wir schlendern langsam über die akribisch verlegten Granitkieselpflaster der Altstadt und nehmen sie mit ihrem Morgencharme auf, anders, ganz anders nehmen wir sie wahr als gestern. Abseits von Müll, Joggern und Touristenmassen ist Alghero eine Perle des Mittelmeers.
Um 8:30 Uhr bringen wir die Mädels zum Franz zurück und machen uns noch einmal auf den Weg, um noch ein paar Eindrücke zu sammeln, für die es bei nun fast 30 °C für unsere Damen schon langsam etwas warm wäre. In der Bar Ciau Ciau an der Piazza Sulis nehmen wir ein kleines Frühstück und sind um 10:10 Uhr wieder am Parkplatz. Wir erinnern uns: Unser Parkticket ist gültig bis 10 Uhr. Also wird der Franz in Windeseile fahrbereit gemacht und um 10:20 Uhr verlassen wir Alghero, ohne dass irgendjemand von uns ein weiteres Tagesticket einklagt. Das ist eben auch der Süden. Nicht nur der Müll.
GänsegeierWir fahren stramm
Zwischen Alghero und Bosaan der Küste entlang nach Süden, eine Küstenstraße, wie viele. Und dann, unvermittelt über uns stehen sie: die Gänsegeier! Wir haben schon gelesen, dass es in den Bergen zwischen Alghero und Bosa häufig Gänsegeier zu beobachten gibt. Und da sind sie. Viel zu weit weg und viel zu hoch oben, aber kein Zweifel, sie sind es. Und wir sind nicht die einzigen, die die nächste Parkbucht angesteuert haben und das Fernglas in den Himmel richten. Ja, es sind Geier, die da oben ihre Kreise ziehen. Es ist ein erhabener Anblick, obwohl sie so weit weg sind. Aber zu sehen, dass viele Auswilderungsprojekte in Europa offenbar erfolgreich sind, tut unseren Seelen gut.
„Zwischen flache Tafelberge und schroffe Felsgrate hat sich der Fluss Temo ein tiefes Bett gegraben. Mittendrin wie ein Gemälde das mittelalterlich-bunte Städtchen – steil klettern die Häuser einen Hang hinauf, darüber thronen die trutzigen Mauern eines genuesischen Kastells. Kein Wunder also, dass Bosa als eine der hübschesten Kleinstädte Sardiniens gilt.“ So blumig und verschrullt werden im Reiseführer (Eberhard Fohrer, BosaSardinien, Michael Müller Verlag – Individuell reisen) die bestechenden Vorzüge von Bosa besungen. Also wollen wir uns das ansehen. Weil nach unseren Informationen in dem mittelalterlich-bunten Städtchen kein Platz für den 7,30 m langen Franz zu erwarten ist, fahren wir über die Brücke des Temo und steuern die Stadt an der Südseite des Flusses an, weil es dort nicht mittelalterlich ist und etwas geräumiger mit den Parkplätzen zugehen soll. Aber auch hier ist kein Platz für uns, anders gesagt: alles voll. Wir machen einen U-Turn, werfen einen Blick auf eine gar nicht bunte, sondern wegen des Wetters eher graue Häuserfront und beschließen, für diese Chronik ein Bild aus dem Internet zu klauen, weil ein eigenes Foto dieser Stadt nicht gerecht werden könnte. Weiter.
Wildes SardinienEtwa eineinhalb Kilometer südlich von Bosa Marina, bei Sa Lumenera, wenden wir uns nach Osten ins Landesinnere, schließlich besteht Sardinien nicht nur aus Küste und Strand. Und der Reiseleiterin steht der Sinn nach dürren, grauen Hügeln. Bei Magomadas orientieren wir uns in südöstlicher Richtung. Wir rollen durch eine karge, schroffe und abweisende Landschaft und gewinnen den Eindruck, dass es außer uns niemanden hierherzieht. Immer wieder muss unser Franz steile und enge Passagen bewältigen, hinter denen sich überwältigende Panoramen auftun, nur leider ist es heute sehr dunstig und der Blick verliert sich schnell im Grau. Hinter Cuglieri wird die Fahrt noch ein wenig kurviger und
steiler; der Franz und sein Maschinist schuften und wuchten sich gemeinsam in luftige sardische Höhen. Ziemlich auf halbem Weg zwischen Cuglieri und Santu Lussurgiu ordnet die Reiseleiterin etwa bei Position N 40° 09‘ 49‘‘ E 008° 37‘ 26,30‘‘einen Rechtsschwenk an. Dort hinauf geht es zum Wanderparkplatz Monte Ferru, und dieser Parkplatz gehört zur Sendeanlage von RAI, wie uns ein Wegweiser an der Abzweigung dankenswerterweise mitteilt: RAI Radio Televisione Italiana, Centro Trasmittente TV MF, Punta Badde Urbara. Von hier bis zum Parkplatz sind es noch etwa 750 m und rund 80 Höhenmeter. Aber welch eine Straße! Ein Schweizer Käse mit so vielen Löchern würde augenblicklich die Verbraucherzentrale auf den Plan rufen, weil es rund um die Löcher kaum etwas zu knabbern gäbe. Und dann die tiefhängenden Äste! Kaum ein Durchkommen. Schon auf dem Weg hierher waren wir sehr froh, dass außer uns kaum jemand auf den Straßen war, sodass wir den ausladenden Ästen auf die andere Straßenseite ausweichen konnten, aber auf dieser Schotterpiste gibt es kein Ausweichen mehr. Die Reiseleiterin scheint zunehmend Gefallen an ihrer Planung zu finden, während der Chauffeur beim Gedanken an die Außenhaut seines Franz am liebsten aus der Haut fahren möchte.
Am Monte FerruUm 13:10 Uhr stellen wir den Franz zu Füßen eines mächtigen Sendemasten in 960 m. M. ab [N 40° 09‘ 27,5‘‘ E 008° 37‘ 43,2‘‘]. Hier oben hat es nur noch 24° C und es ist bewölkt. Von hier aus führt durch ein Eisengitter mit der Aufschrift „Ente foreste della Sardegna“ ein Wanderweg in westlicher Richtung. Eine knappe Dreiviertelstunde wandern wir in Richtung des Aussichtspunkts Monte Vertigo auf breiten und
Blick vom Monte Ferrusteinigen Wegen durch eine wild zerklüftete Berglandschaft. Wer möchte, kann auf diesen Wegen stundenlang weitergehen, vermutlich, ohne überhaupt ein anderes Lebewesen außer Vögel zu Gesicht zu bekommen. Die von hier vielgerühmte Aussicht auf Bosa und
Fianna und Hedda in ihrer WeltCuglieri endet selbst auf 985 m. M. in grauem Nichts, was kaum Hoffnung auf Besserung macht, wenn man noch weiterstapft. Wir haben uns bewegt, die Mädels kommen auch auf ihre Kosten, vor allem, weil in dieser wilden Einöde ihre Urinstinkte zum Leben erwachen. Sie schweben nicht wie gewohnt, sie laufen auch nicht im Zickzack über Weg und Steg, sondern schnüren wie Wölfe mit tiefer Nase, Rundrücken und Stakkatoschritten und allen Sinnen auf Alarm gestellt. Wir haben keine Bettgenossinnen oder Kuschelpartnerinnen mehr, sondern Hunde, wilde Hunde, solche, die in jedem Augenblick bereit und in der Lage wären, sich zu verteidigen oder sich selbst mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen.
Um 14:15 Uhr sind wir wieder am Parkplatz und stärken uns mit einem Tässchen Kaffee und hübsch süßen, sardischen Keksen.
Fahrtstrecke Alghero – Lago Omodeo
Am Lago OmodeoUm 16:30 Uhr erreichen wir nach 116 Kilometern den See und legen uns gleich an die vorderste Position – wir sind hier völlig allein. Kein Mensch, kein Auto, kein Womo auf einem 250 m langen Stellplatz direkt am See [N 40° 6‘ 35‘‘ E 008° 54‘ 23‘‘]. Es regnet, aber die mittlerweile herumziehenden Wolken liefern kein Gewitter ab. Wir machen es den Betreibern des Ristorante nach und halten auch Siesta.
Um 19:30 Uhr stehen kalte Nudeln mit Mozzarella und Tomaten auf dem Tisch – und direkt neben unser Wohnzimmerfenster rollt ein Cinquecento mit einem triebgeladenen Pärchen, das sich umgehend an ihre dringend nötigen und unumgängliche Verrichtungen macht. Direkt unter unserem Wohnzimmerfenster und unseren Kalte Nudeln – heißer AusblickNudeln versucht man für sardischen Nachwuchs zu sorgen, dass uns die Pasta beim Blick aus dem Fenster, hinein in den Cinquecento, beinahe wieder aus den Mäulern gleitet: Peep-Show am Lago Omodeo. Und der ganze 250 Meter lange Stellplatz ist gähnend leer. Warum, bitteschön, auf unserer Terrasse? Wir ziehen die Rollos zu und ahnen, was sich später noch bestätigen wird: Dieser einsame Parkplatz ist eine Art Kontakthof für bremsigen und rolligen sardischen Nachwuchs. Außer dem heute geschlossenen Ristorante ist hier auf Kilometer nichts, was die Zwei- und Mehrsamkeit stören könnte. Außer einem deutschen Womo. Aber das denkt man sich einfach weg oder nutzt es zur Triebbeschleunigung.
Abend über dem Lago OmodeoEs regnet weiter, der Cinquecento unter unserem Wohnzimmerfenster ächzt und stöhnt, im Westen ist der Himmel rosarot. Als der Kleine neben uns verrichteter Dinge in der Nacht verschwindet, richten wir uns auf eine ruhige Nacht in der Abgeschiedenheit des Lago Omodeo ein. Der Regen hat sich um 22 Uhr ebenso zur Ruhe gelegt wie wir. Die Nacht ist lau und ruhig.
Doch gegen Mitternacht wird es unruhig. Wieder parken direkt neben uns zwei Autos, aus denen bei einem Blick aus dem Franz sechs Jungfrauen und zwei bis drei Jungbullen steigen. Laut sind sie und lärmend. Da wir Franzens Nase mit Blick auf den See direkt vor dem Geländer geparkt haben, das einen Sturz den Abhang hinunter verhindern soll, haben wir die Jalousien der Windschutzscheibe nicht zugezogen, weil wir uns den Blick auf den See gönnen wollen. Und genau dort, zwischen Motorhaube und Geländer, quetscht sich der sardische Nachwuchs durch und lärmt hin und her, natürlich in der Hoffnung, einen Blick in den Franz werfen zu können. Ums Heck herum gäbe es genug Platz, aber nein: dort vorn muss es sein. Diese offensichtliche Distanzlosigkeit lockt unser bislang schweigend abwartendes Wachpersonal aus der Reserve und lässt es ein paar Mal urgründig aufknurren und -grummeln. Und auf einen Schlag ist die Parade vorüber und der Pulk verzieht sich hinunter zum See, wo man sich die Nacht mit den in Nächten üblichen Spielen vertreiben wird. Uns interessiert das nicht. Wir verlassen uns aufs Personal und verschlafen den Abzug der rammeligen Horde.
Donnerstag, 23. August 2018
Lago Omodeo – S'Ena Arrubia
Schafe zur Linken...Schafe zur Linken, das Glück tut dir winken. Schafe zur Rechten bringen alles zum Schlechten. Um 6:30 Uhr werden wir durch freudiges Gebimmel geweckt und sehen uns von einer Schafherde umzingelt, die von nirgendwo nach irgendwo getrieben wird. Jetzt können wir es uns also aussuchen, ob uns heute das Glück winkt oder Ungemach ins Haus steht. Das einzig Sichere sind die zahlreich um den Franz verteilten Schafköttel. Gestern die durchtriebene Jugend, heute Morgen die durchgetriebenen Bimmelschafe – einsam ist dieser Lagerplatz und trotzdem überlaufen. Ein Platz der Entspannung ist er nicht, jedenfalls nicht während unseres Aufenthalts. Wir lassen die Mädels, die unser Anwesen tapfer verteidigt haben, zu Wasser und ein bisschen Unterordnung gibt es auch noch, damit der Spaß und der Ernst des Lebens nicht zu kurz kommen.
Hedda beim FrühsportAnfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde hier der Oberlauf des Tirso aufgestaut, um den Landwirten der Region eine geregelte Landwirtschaft ohne Überschwemmungen und anhaltende Trockenperioden zu gewährleisten. Mit über 20 Kilometern Länge ist mit dem Lago Omodeo der größte Stausee Italiens entstanden. Charme haben solche künstlichen Seen in aller Regel nicht, aber um den Hunden ein Morgenbad zu ermöglichen, sind sie gut genug.
Um 9:30 Uhr verlassen wir einen der denkwürdigsten Übernachtungsplätze all unserer Womo-Reisen. Es ist bewölkt bei 21 °C. Fürs erste fahren wir ein gutes Stück dahin zurück, woher wir gestern gekommen sind. In Ghilarza füllen wir im Supermarkt unsere Verpflegungslager, wenden uns dann aber nach Südwesten: Es ist uns wieder nach Wasser, nach echtem Wasser, nach Meerwasser eben, nicht nach abgestandenem Stauwasser.
Die Qarzkiesel von Is ArutasEiner der Sehnsuchtsorte für Sardinien-Urlauber scheint der Strand von Is Arutas auf der Sinis-Halbinsel zu sein, der mit seinen winzig klein geschliffenen Quarzkieseln, die von weiß über rosa bis bernstein schimmern, ein Erlebnis sein soll. Der Strand ist als Reiskornstrand bekannt, weil die Kiesel tatsächlich die Größe von Reiskörnern haben. Schon die Annäherung an diesen Strand lässt ahnen, dass wir nicht die Einzigen sein werden, die sich von den Beschreibungen verführen ließen. Schon gleich hinter Cabras, etwa dort, wo man die Verbindung zwischen dem Meer und dem Stagno di Cabras, einem flachen Binnensee wie die provençalischen Etangs, überquert, nimmt der Verkehr deutlich zu. Ab San Salvatore, von dort sind es immerhin noch etwa sieben Kilometer zum Strand, geht es nur noch schleppend voran, auch wegen der vielen am Straßenrand abgestellten Fahrzeuge. Der Chauffeur plädiert auf umkehren,
was allerdings nicht einfach zu bewältigen wäre. Die Reiseleiterin beschließt: weiterfahren. Und so arbeiten wir uns voran, bis es kaum noch Zweifel geben kann, dass wir uns schon auf Rufweite zum Strand befinden müssen. Und nun? Die Straßenränder sind beidseitig zugeparkt. Der Franz II ist 7,30 Meter lang. Etwa 450 Meter vor dem Strand biegt rechts ein Schotter- und Sandweg nach Norden ab. Davor und auch in diesem Weg ist alles zugeparkt. Aber direkt in dieser Abzweigung tut sich eine Lücke auf, die muss soeben jemand frei gemacht haben. Die gilt es, sofort zu schließen, weil sie auch von anderen schon geortet wurde. Jetzt ist Franzens Größe von Vorteil, denn dort, wo Franz rangiert, rangiert kein anderer mehr. Wir blockieren die gesamte Abzweigung. Und dann stehen wir, etwas abschüssig und waghalsig, aber wir stehen – und die anderen suchen weiter. Altruismus ist eine schöne und liebenswerte Eigenschaft; in manchen Situationen wäre er eine Dummheit.
Der Strand von Is ArutasEs ist 11:30 Uhr und hat leicht bewölkte 27 °C [N 39° 57‘ 10,6‘‘ E 008° 24‘ 22,2‘‘]. Wir lassen die Mädels im Womo, weil wir angesichts des Trubels längst wissen, dass wir diesem Strand nur einen Augenblick gewähren und so schnell wie möglich weiterfahren werden. Auf dem knappen halben Kilometer hinunter zur smaragdfarbenen Bucht sind wir fortlaufend eskortiert von Sonnenanbetern mit Surfbrettern, Schwimmreifen, Sonnensegeln, -schirmen, Kühlboxen und, was man eben an einem Traumstrand so benötigt. Der erste Blick auf den Badestrand bestätigt dann unsere Befürchtungen: Sardinenbüchse. Copa Cabana. El Arenal. Selbst wenn uns heute der Sinn nach Selbstversuch
stünde, wüssten wir kaum, wo wir für unsere vier Pobacken angemessen viel Raum finden könnten, um uns niederzulassen. Und dann das Publikum! Offensichtlich haben die Valledorias völlig andere Bedürfnisse als die Arutas. Und sie kleiden sich auch anders. Die Valledorias sehen aus wie Badegäste, aber, zumindest die Damenwelt von Is Arutas, ähnelt der einer Tabledance-Bar. Die Kleidungsstücke sind maximal die Hälfte derer von Valledoria und sind nicht nur dieser Knappheit wegen kaum in der Lage, den teilweise schwer erschlafften Inhalt vorn und hinten zusammenzuhalten. Selbst die Goldlamé-Ausführung ist da keine Hilfe und löst beim Betrachter mitleidige Trauer aus.
Wir ziehen nach wenigen Minuten wieder ab. Wir haben genug gesehen. Später erfahren wir, dass etwas nördlich der Strand von Mari Ermi fast genauso schön sei, und es sogar ausreichend Platz für Womos geben soll; also vormerken für die nächste Sardinienreise. Wir fahren schon um 12 Uhr über Oristano weiter nach Süden und vor allem auf dieser Strecke vertieft sich unser Eindruck, dass zumindest der Westen Sardiniens ein Armenhaus ist. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand, Häuser häufiger Ruinen als bewohnbar. Was belebt und bewohnt ist, droht der Zerfall, und der Müll ist allgegenwärtig. Tristezza legt sich nicht nur über das Land, sondern auch auf die Herzen der Reisenden. Um 12:50 Uhr checken wir am Campingplatz S’Ena Arrubia, nördlich der Kleinstadt Arborea, ein [N 39° 49‘ 00,4‘‘ E 008° 33‘ 23,9‘‘]. 100 km hat uns der Franz heute chauffiert.
Fahrtstrecke Lago Omodeo – S'Ena Arrubia
Die Gegend war früher Sumpfgebiet, das unter Mussolini für die Landwirtschaft urbar gemacht wurde. Das lässt sich schon bei der Anfahrt ahnen, weil fast direkt nach Oristano aus dem wilden und zerklüfteten Sardinien ein in tausend Parzellen aufgeteiltes Flachland wird, alles streng in Rechtecken parzelliert und zu einem großen Teil von der Milchwirtschaft genutzt.
Camping S'Ena ArrubiaWir stehen hier nahezu allein unter mächtigen Pinien, rund herum nicht viel mehr als Sand. Da heute Donnerstag ist, nehmen wir allerdings an, dass sich das morgen ändern wird, was uns jedoch nur interessieren sollte, wenn wir uns zu einem etwas längeren Aufenthalt entschließen sollten. Dazu haben wir bei unserer Ankunft noch keine Meinung. Wir richten uns ein, gehen mit den Hunden ein paar Meter zum Strand, damit sie sich frisch machen können, machen uns einen Kaffee, genießen ein Cornetto Crema dazu und legen uns anschließend aufs Ohr.
Um Der leere Strand von S'Ena Arrubia16:30 geht über dem Landesinneren ein Gewitter nieder; Rübezahl grollt und prollt herum, traut sich aber nicht zu uns ans Wasser, weil er keine nassen Füße mag. Er bespritzt uns nur mit ein paar flüchtigen Tropfen, wie ein Pfarrer seine Schäfchen mit Weihwasser. Nach einer Stunde hat er sich ausgetobt, kommt aber gleich wieder zurück, wieder mit sehr wenig Wasser, dafür hat er einen Windbeutel im Gepäck. Apropos Wasser: Wir empfinden Rübezahls Hinweis als sehr vernünftig und nutzen die Zeit, um zu duschen. Und das liefert reichlich Grund zur Klage. Die Sanitäranlagen sind ein Offenbarungseid: marode, verrostet und längst überständig. Abgerissene Kleiderhaken und Schließriegel. Teilweise sind Duschen komplett geschlossen, weswegen sich alle Anwesenden in vier Duschen drängeln, von denen nur zwei verschließbar sind. Das mag mit all den Wochenendurlaubern ja noch heiter werden. Der Wasserdruck ist so lausig, dass er es kaum schafft, die Hinterlassenschaften aus den Toiletten abzutransportieren.
Um 19:30 Uhr besuchen wir das Camping-Restaurant und dürfen zur allgemeinen Erleichterung feststellen, dass dessen Qualität sich nicht an den Sanitäranlagen orientiert. Das Essen ist gut, sardisch und reichlich.
Um 22 Uhr machen wir Schluss für heute. Es hat 20 °C bei bedecktem Himmel, und Rübezahl treibt sich immer noch irgendwo in der Nähe herum.
Freitag, 24. August 2018
S'Ena Arrubia
Die Lagune von S'Ena Arrubia im MorgenlichtDer Campingplatz S’Ena Arrubia liegt zwischen einer etwa 300 ha großen Lagune (Stagno di S’Ena Arrubia), einem Überbleibsel aus den alten Sumpfzeiten, und dem Golf von Oristano. In der Lagune tummeln sich Flamingos und jede Menge anderer Wasservögel. Kurz: Die Lage des Campingplatzes
Die Pinien von Arrubia ist ausgesprochen schön. Kurz vor acht Uhr nehmen wir Fianna und Hedda auf einen Morgenspaziergang hinaus. Gleich an der Ostseite des Campingplatzes dehnt sich die Lagune aus, wir schlendern an ihr entlang nach Norden und biegen dann links in einen unheimlich schönen Pinienhain ein, der uns bis an den Strand führt. Rübezahl hat immer noch schlechte Laune, jedenfalls treibt er immer wieder Wolkenbänder über uns hinweg und grummelt in der Ferne. Ein Bad sparen wir uns für später auf. Um 8:30 Uhr sind wir wieder zurück und es ist bei 22 °C zunehmend sonnig. Frühstück, danach lesen, dösen und anfallende Hausarbeiten.
Fianna im GlückGegen 14 Uhr steht ein ausgiebiger
BadenixenStrandaufenthalt auf dem Programm, bei dem die Mädels bis zur Beinahe-Erschöpfung plantschen dürfen. Aber sie kennen kein Limit; es gibt keinen Ball, den sie nicht aus den Wellen tauchen würden. Eher machen wir schlapp. Es ist wolkenlos über dem Golf von Oristano, und über die 27 °C kann sich der Wassertreter nur freuen.
Anschließend geben wir uns wieder dem anregenden Nichtstun hin und nehmen zur Kenntnis, dass wir immer mehr eingekreist und zugebaut werden: Die Sarden kommen zum Weekend. Es ist ja eine Sache, ob man Ein freundlicher Nachbarbedauert, dass man nun nicht mehr allein steht, andererseits gibt es kaum einen interessanteren Film als den mit dem Titel: „Das Raumwunder italienischer Familienkutschen“. Die reisen ja nicht mit Großraum-Vans an, schon gar nicht mit gehobenen Mittelklassewagen. Die kommen mit all den Fahrzeugen, die sich auf italienischen Straßen, in italienischen Gassen und auf italienischen Parkplätzen seit Generationen bewährt haben. Und ihnen entsteigt nicht ein gesetztes Paar der späten Lebensmitte, sondern ein Kleinfamilie mit mindestens zwei Kindern. Das Dach ist beladen mit Dachboxen und Hausrat, das Heck trägt ebenso viele Fahrräder wie Menschen aus dem Auto steigen, und wenn man denkt, jetzt ist der Transporter leer, dann beginnt erst die richtige Entladung: Zelt, Vorzelt, eine ganze Küche mit Küchenregalen, Kocher, Herd, Nahrungsmittel, Getränke, Matratzen, Luftmatratzen, Schlauchboot… und ein Hund, der sofort Freundschaft mit unseren Damen schließen möchte, aber wegen seiner Leine nur bis zu unserer Grundstücksgrenze kommt. Jenseits davon ist Sehnsuchtsland.
Bevor jedoch alles seinen fürs Wochenende zugewiesenen Platz findet, verschwindet der Tross am Strand. Sonnenuntergang in S'Ena ArrubiaUnd wir im Ristorante. Heute bleiben wir ganz schlicht bei Pizza. Alles gut.
Um 24 Uhr machen wir die Lichter aus. 24 °C und keine Wolke.
Samstag, 25. August 2018
S'Ena Arrubia – Buggeru
Wir lassen es ruhig angehen und machen uns erst gegen 8:30 Uhr auf den Weg. Es ist windig bei einem makellosen Himmel und 25 °C. Wir verlassen den Campingplatz wieder an seiner Ostseite und gehen an der Fischerboot in S'Ena ArrubiaLagune entlang so lange nach Norden, bis es nicht mehr weitergeht, dann wenden wir uns nach Westen, dorthin, wo sich die Lagune in den Golf ergießt. Am Ende des kleinen Kanals liegt ein lauschiger Fischerhafen. Von dort geht es spielend und badend über die Dünen und am Strand entlang wieder südlich zurück. Um 9:30 Uhr sind wir zurück und genießen ein beschauliches Frühstück unter den Augen all der Neuankömmlinge von gestern. Dann packen wir zusammen, machen den Franz klar und versenken beim Wassertanken wieder einmal die Schlauchdüse im Tank. Es lässt sich mit einfachen Worten nicht erklären, warum Franzens Belegschaft auf eine Schlauchdüse besteht, obwohl ein Anschlussadapter die beste Lösung oder ein Schlauch ganz ohne irgendetwas die zweitbeste wäre, nein: Das Wasser muss aus einer Düse in den Franz rauschen. Und jetzt hat sie der Franz verschluckt. Sein Vorgänger hat das vor Jahren in der Normandie auch schon mal gemacht, weil auch er offenbar der Meinung war, dass es nicht waidgerecht sei, Wasser mit so einem Spritzding eingeflößt zu bekommen. Doch in jenem normannischen Fall konnten wir die Düse aus dem sehr offen zugänglichen
Hedda nimmt Abschied von S'Ena ArrubiaWassertank herausfingern. Beim aktuellen Franz gelingt uns das nicht, weil sein Tank so verbaut ist, dass kein Arm so lang und elastisch ist, die Düse zu greifen. Wenn wir Pech haben, hängt sie sogar im Einfüllschlauch; sehen können wir sie nirgends. Da kann man nichts machen, das ist ein klassischer Fall für McGyver. So lange wir auf diesem Weg Wasser in den Tank bekommen, und nicht über die Revisionsklappe im Wohnzimmer befüllen müssen, soll uns das nicht aus der Fassung bringen.
Wir bezahlen für den Franz, uns beide und die beiden Mädels für zwei Tage 78 € und wären geneigt, darüber nicht zu klagen, wenn nicht die Sanitäranlagen dazu reichlich Anlass gäben. Camping S’Ena Arrubia könnte ein herrlich lauschiger Platz sein… Aber vielleicht ist ja in diesem Fall nicht nur das Gute vergänglich. Vielleicht erbarmt sich mal jemand. Vielleicht gibt es ja in der Gegend auch einen tüchtigen McGyver?
Um 12:30 Uhr verlassen wir bei wolkenlosen 30 °C den Golf von Oristano und fahren weiter dem Süden entgegen. Anfangs rollen wir durch die parzellierte Landwirtschaft des ehemaligen Sumpfs, durchqueren Arborea und steuern dann Terralba an. Ab dort geht es auf der SS 126 (Strada Stadale Sud Occidentale Sarda) stramm nach Süden. In Guspini schwenken wir nach Westen und finden uns mit einem Mal in einer wilden Bergwelt wieder. Ab jetzt geht es auf und ab und hin und her, dass uns möglicherweise das Hören, keinesfalls aber das Sehen vergeht. Um 13 Uhr drängt die Reiseleiterin auf einen Zwischenstopp in Fluminimaggiore.
Ein knappes Jahrhundert hatte der Ort eine gewisse Bedeutung für den Bergbau, der allerdings nach dem 2. Weltkrieg zum Erliegen kam. Der Niedergang dieser Kultur soll in einigen sehr schönen Wandmalereien (murales) entlang der Hauptstraße von Fluminimaggiore dokumentiert sein. Die möchte sich die Reiseleiterin ansehen. Wenn es sie noch gibt, entziehen sie sich jedoch unseren aufmerksamen Blicken; wir fahren im Schleichgang durch die mittäglich leblose Stadt und finden nichts. Die Ruine des antiken Tempels von Antas, die aus der Zeit der Phönizier stammt und östlich der Stadt besichtigt werden kann, interessiert uns nicht so sehr, dass wir diesen Abstecher machen wollen. Also geht es die SS 126 wieder zurück, um dann auf die SP 83 abzubiegen und westwärts dem Meer entgegenzurollen. Aus dem Nichts öffnet sich der Blick und legt uns einen endlos schönen Strand zu Füßen. Nach 81 Kilometern bitten wir um 14:30 Uhr am Kassenhäuschen des Stellplatzes (Area di Sosta Camper) von Buggeru um Einlass [N 39° 24‘ 09,9‘‘ E 008° 24‘ 06,7‘‘].
Fahrtstrecke S'Ena Arrubia – Buggeru
Der Check-In ist nicht besetzt, also stellen wir uns an die felsige Kante zum Strand und warten bis jemand kommt. Der Stellplatz ist etwa 130 Meter lang und wird in zwei Reihen belegt, eine an der Wasserkante, die andere an der rückwärtigen Hangseite. Wir ziehen den direkten Blick aufs Meer vor. Nach etwa einer halben Stunde kommt die SBuggeru – Freie Sicht aufs Meerchließerin und erbittet 20 € für den Stellplatz (Saison Juli + August), plus 5 € für den Strom. Wasser, Sanitär und Entsorgung inklusive. Das ist kein Schnäppchen, aber für eine Premiumlage zahlt nicht nur der Häuslebauer gerne etwas mehr. Was der
Unruhiges Meer vor BuggeruDame allerdings nicht gefällt, ist die Position, die wir ohne ihre Anweisung eingenommen haben: Wir müssten ungefähr einen Meter weiter nach links rücken, meint sie, weil wir zu nahe an der Treppe zum Strand stünden und außerdem heute noch zahlreiche Gäste erwartet würden. Enger zusammenrücken, ein bisschen kuscheln ist die Devise. Links neben uns steht ein Mobil aus Unterfranken, mit denen ist normalerweise gut Kirschen essen. Also rangieren wir ein bisschen und machen uns an die Franken ran.
Und dann dürfen die Mädels ans Wasser. Es ist wolkig und sehr windig bei 27 °C. Das Meer ist laut und irgendwie unbeherrscht. Eine mächtige Brandung wirft sich an den Strand, was diesen Strand zum Paradies für Surfer und Kiter macht. Danach gibt es Kaffee und dolci und dann bummeln wir noch ein bisschen in den Ort, der allerdings nicht viel hergibt. Mit dem Überreste des BergbausErstarken des Erzbergbaus wird Buggeru 1864 gegründet. Bald entwickelt es sich zum Zentrum des Bergbaus in dieser Region. Allerdings sind auch hier, wie so häufig in der Zeit der Industriellen Revolution, die Lebens- und Arbeitsbedingungen unmenschlich und ausbeuterisch. 1904 kommt es zu einem Streik, der blutig niedergeschlagen wird und Todesopfer fordert. Die Zeit des Erzbergbaues geht bald zu Ende und wird nach dem 2. Weltkrieg eingestellt. Daraufhin setzt man auf die überwältigende Natur und den Tourismus. Vom ehemaligen Bergbau profitieren heute nur noch die Fledermäuse, die zu Tausenden in den aufgelassenen Schächten eine Heimat gefunden haben.
Da der Ort nichts hergibt, gibt es bei uns heute einen Zucchini-Auflauf und sonst nix. Und ein bisschen Vino, dem bekanntlich Veritas innewohnt.
Licht aus um 23 Uhr. 25 °C, jetzt allerdings deutlich nachlassender Wind, aber immer noch ein lärmendes Meer.
Sonntag, 26. August 2018
Buggeru – Chia
Viel Salz liegt in der LuftDer erste
So viel Gischt – Mist!morgendliche Kontrollblick aus dem Womo jagt dem Chauffeur Schrecken in die Glieder: über Nacht blind geworden. Der zweite Blick gibt dann Entwarnung. Was seinen Blick hinaus aufs Meer so stark eintrübte, ist das Salz auf unseren Fenstern. Die ganze lange Nacht trug das Meer Salzluft ans Land, die unseren Franz in eine Art Salzteig wickelte. Und es gibt keinerlei Anzeichen einer Entspannung, denn das Meer wirft noch mächtigere Brecher auf das Land als gestern. Es ist herrlich sonnig, aber sehr windig bei 22 °C.
Süßes FrühstückWir machen erst
Buggeruheeinmal einen Inspektionsgang an den Strand und die Hafenmauer entlang und lassen uns ebenso in Salz packen wie unseren Franz. Danach schlendern wir in den Ort zum Bäcker und decken uns mit einer Portion dolci fürs Frühstück ein; mit was sonst könnte man Salz besser bekämpfen als mit Zucker?
Nach dem Frühstück lümmeln wir uns neben den Franz in unsere Stühle und lassen uns weiter einsalzen wie die Heringe. Aber irgendwann müssen wir uns losreisen, denn wir haben nur für eine Nacht bezahlt und für eine weitere ist uns das Angebot denn doch zu dürftig, nix als Wind und Wellen und Salz. Schön, aber nicht gut genug. Wir befreien uns und den Franz vom Salz und fahren um 14 Uhr los. Der wolkenlose Himmel beschert uns 31 °C, die der ruppige Wind aber locker auf 25 °C herunterdimmt.
Atemberaubend schöne KüstenstraßenUnser
Masua und der Pan di ZuccheroWeg führt uns heute in den tiefen Süden Sardiniens und über die bisher schönsten Küstenstraßen. Diese Straßen bieten uns mitunter geradezu atemberaubende Ausblicke auf Buchten und Strände, die dem Paradies entrissen scheinen. Schon bald, nachdem wir Buggeru verlassen haben und die SP 83 sich aus den Bergen heraus wieder dem Meer zuwendet, taucht unter uns die ehemalige Bergarbeitersiedlung
Atemberaubende KüstenMasua mit seiner markant aus der Bucht ragenden Klippe Pan di Zucchero auf. Bis Fontanamare, wo wir wieder ins Hinterland ausweichen müssen, kann sich das Auge nicht mehr ausruhen und wird von einem Augenschmaus zum nächsten gereicht. Hinter Teulada liegt uns dann das Meer wieder zu Füßen, und wir passieren eine schönere Bucht nach der anderen; es ist Mittelmeerkitsch vom Feinsten. Das bleibt so, bis wir um 17 Uhr in Chia im Camping Torre Chia ankommen [N 38° 53‘ 53,6‘‘ E 008° 53‘ 03,7‘‘]. 103 Kilometer sind wir heute durch ein abenteuerlich schönes Sardinien gefahren.
Camping Torre ChiaDer
Finsteres Heerlager Platz ist proppenvoll und wir werden in den hintersten Winkel gelotst, wo gerade noch ein Katzentisch frei ist. Aber was für ein Publikum ist das hier! Es sieht hier aus wie in einem Heerlager, alles eng auf eng gestellt, zwischen den Parzellen meterhohe Windschutzplanen, jeder schottet sich ab und wo es noch freie Sicht gibt, verstellen Wäscheleinen mit der ganzen Monatswäsche den Blick.
Wir können nicht behaupten, dass wir uns hier spontan wohlfühlen, aber vielleicht ist das der Preis, den wir für die atemberaubende Fahrt bezahlen müssen.
Wir haben das Bedürfnis, uns umzusehen, um den Eindruck, den wir beim Durchfahren der Anlage gewonnen haben, zu bestätigen oder zu revidieren. Leider bestätigt er sich. Bei genauem Hinsehen fällt uns ein gewisses Durcheinander auf, auch Äste und Blattwerk, das vermutlich nicht zur Alltagsausstattung der Anlage gehört. Wir nehmen an, dass sich die Gewitter und Stürme der vergangenen Tage hier im Süden austobten, was den Windschutzplanen zumindest ein gewisse Berechtigung verliehe. Was aber nicht dem Wetter zuzuschreiben ist, ist das Publikum, das sich laut, misstrauisch und prollig präsentiert.
Der Strand Sa Colonia mit dem Torre ChiaWir sehen uns in der Nähe um, vor allem wollen wir einen Blick auf die in höchsten Tönen besungenen Strände von Chia und den Torre werfen. Der Torre di Chia ist ein Wehrturm aus dem 16. Jahrhundert, der auf einer Art Vorgebirge zwischen den Stränden Su Porto und Sa Colonia steht. Er gehört zu einem System von über hundert sogenannten Sarazenentürmen, die Sardinien vor Piratenangriffen schützen sollten. Der Turm hat die typische Kegelform, ist 13 m hoch und hat einen Durchmesser von zehn Metern. Sonst hat er nichts, das uns verlocken könnte, uns intensiver mit ihm zu beschäftigen. Der Strand Su Portu an seiner Ostseite besticht tatsächlich durch den gerühmten weißen Sand und ist jetzt, gegen 19:30 Uhr fast verlassen. Wenn man die endlosen, weißen Strände Polens, der Normandie, der Bretagne und der französischen Atlantikküste zum Vergleich heranzieht, ist dieser Strand nicht mehr als ein Kindersandkasten, der mit höchstens 300 m Länge tagsüber überlaufen sein muss. Eine Sehnsucht danach stellt sich bei uns nicht ein. Wir wandern um den Turm herum, um uns auch noch den Strand Sa Colonia anzusehen. Der scheint zwar etwa doppelt so lang zu sein, entfacht bei uns aber auch kein inneres Feuer. Auch hier herrschen Feierabendbetrieb und eine seltsame Endzeitstimmung. Der Campingplatz ist nicht angetan, uns hier festzuhalten und diese beiden Strände können daran auch nichts ändern. Fans von Chia werden wir wohl nicht mehr, so viel steht jetzt schon fest.
Mal sehen, was das Campingrestaurant zu bieten hat. Zuerst bietet es uns keinen Platz, weil alles voll ist, obwohl das Restaurant nicht klein ist. Aber 20:30 Uhr ist halt auch eine beliebte Essenszeit. Zur Kenntnis werden wir vom Personal nicht genommen, das müssen wir schon selbst in die Hand nehmen. Daraufhin bietet uns eine sehr freundliche Kellnerin an, mit einem Aperitif im Garten die Wartezeit zu verbringen. Wir nehmen an. Wenn wir die folgende Wartezeit tatsächlich mit Aperitifs über die Runden gebracht hätten, wäre unsere nächste Autofahrt nicht im Franz sondern im Notarztwagen vonstattengegangen; kurz: wir wurden vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nach einer halben Stunde machen wir wieder einmal von uns aufmerksam, und bekommen unter vielen Entschuldigungen einen winzigen Tisch neben der Theke zugewiesen. Das hat den Vorteil, dass wir einen detaillierten Eindruck von den Internas des Hauses bekommen. Um es zu präzisieren: Etwa acht Kellner und Kellnerinnen treiben sich herum – und zwei arbeiten. Es ist faszinierend, mit vieviel Nichts man sich beschäftigen kann, um nicht arbeiten zu müssen. Denjenigen, die nichts tun, bleibt verborgen, dass wir herumsitzen und warten, nur der umtriebigen Kellnerin, die uns schon zum Aperitif in den Garten gebracht hat, fällt auf, dass wir offenbar noch immer nicht bedient werden. Das geschieht etwa zwanzig Minuten, nachdem wir diesen Tisch bezogen haben. Nachdem die Aufforderung an einen Kollegen, sich um uns zu kümmern, zwar willig entgegengenommen, aber nicht in die Tat umgesetzt wird, nimmt sie sich selbst unser an. Wir bestellen zwei Pizzen, weil wir uns nicht trauen, etwas anderes zu ordern, wer weiß, wie lange wir noch gesessen hätten. Die Pizzen sind ohne Tadel. Mit den Aperitifs, Bier, Wein und Wasser lassen wir hier nicht nur über zwei Stunden liegen, sondern auch noch 35 €.
Um 23 Uhr machen wir die Lichter aus. Es ist windstill und klar bei 23 °C.
Montag, 27. August 2018
Chia – Torre Salinas
Um 7:15 Uhr ist es windstill und wolkenlos bei 18 °C.
Unser Tagwerk beginnt in der Dusche. Dort muss man 0,50 €-Marken für je drei Minuten Wassergabe kaufen. Das Wasser kommt mit einem Strahl aus der Wand und ist genauso wenig regelbar wie die Temperatur. Ablagen gibt es keine, für die Klamotten ist ein Haken vorgesehen, der sich völlig losgelöst um sich selbst dreht. Bei der Benutzung des Föhns fliegt dreimal die Sicherung. Aber immerhin ist alles sauber. Wir frühstücken und fahren um 9 Uhr los, weil ab zehn Uhr eine weitere Tagesgebühr fällig wird. Das verhüte der Allmächtige. Für diese eine Nacht ohne Seligkeit zahlen wir 33,50 €. Wir beschließen und empfehlen, diesen Campingplatz in Zukunft großräumig zu umfahren.
Wir wechseln heute aus dem tiefen Süden Sardiniens auf die Ostseite der Insel an die Costa Rei. Die „Königsküste“ erstreckt sich etwa zehn Kilometer zwischen dem Felsen Punta di Santa Giusta im Süden und dem Capo Ferrato im Norden. Feinster Sandstrand ist hier zu erwarten – und vermutlich viele Touristen, denn die Costa Rei ist ein touristischer Hotspot. Erst einmal umkurven wir die Hauptstadt Cagliari genauso weiträumig wie wir in Zukunft den Campingplatz Torre Chia umkurven werden. Entlang der Südostecke Sardiniens durchqueren wir einen Teil des Sarrabus, einer wilden Landschaft aus Granitmassiven, sommertrockenen Flusstälern, die sich jäh zu verheerenden Strömen füllen können, und Schwemmlandebenen mit salzigen Lagunenseen an der Küste.
Einer der wichtigsten Eindrücke, seit wir uns im Süden und jetzt im Südwesten bewegen, sind die deutlich freundlicheren Ortschaften. Die Häuser sind sehr gepflegt, viele neu, nicht grau und abgeblättert, sondern weiß oder bunt. Auch die Straßen scheinen sich extra für uns fein gemacht zu haben, viele sind neu, ebenso viele bestens aufbereitet und statt der anstrengenden (aber auch schönen) Serpentinenstraßen, durchqueren wir jetzt die Berge via Tunnels. Es lässt sich nicht übersehen, dass wir in der deutlich besser situierten Gegend Sardiniens angekommen sind. Der Westen ist das Armenhaus und kann es nicht verbergen.
Costa ReiUm 11:45 Uhr rollen wir vor die Tore des Campeggio Capo Furato, inmitten der Costa Rei und südlich des Ferienortes Costa Rei, der eigentlich Monte Nai heißt, aber der Einfachheit kurz den Namen der Region angenommen hat. Aber hier ist alles ausgebucht; die Gegend ist beliebt, Cagliari ist nicht weit und somit stellt sich die Frage, ob wir an dieser Küste noch öfter abgewiesen werden.
Wir fahren weiter nach Norden, schlagen einen Bogen um das Capo Ferrato, genießen dafür wieder die grandiose Bergwelt und steuern den Campingplatz Torre Salinas an. Und hier finden wir Gehör. Der Platz ist sehr eng, auch ziemlich voll, bietet viele Plätze für Zeltfreunde und ist noch mehr mit Mobile Homes zugestellt. So gesehen, kriechen wir im Schritttempo durch die engen Wege, um eine Lücke für den Franz zu finden und werden schließlich fündig. Um 12:25 Uhr machen wir nach 135 Kilometern die Maschinen aus [N 39° 21‘ 58,7‘‘ E 009° 35‘ 49,5‘‘]. Es ist wolkenlos bei 27 °C.
Fahrtstrecke Chia – Torre Salinas
Wir richten uns ein, strecken uns aus und verschaffen uns einen ersten Überblick. Wir sind tatsächlich von vielen italienischen Familien in den Mobile Homes umlagert, eine Infrastruktur, die uns wenig zusagt, weil sich dabei schnell die raum- und besitzergreifende und nicht selten lärmenden Umgangsformen der Dauercamper breitmacht; wer lang bleibt, hat schnell das Gefühl, Platzhirsch zu sein und Durchreisende als störend zu empfinden. Unser erster Eindruck bestätigt diese Befürchtung jedoch nicht. Mal sehen, ob wir morgen noch der gleichen Meinung sind. Ein zweiter Eindruck sind Gärtnertrupps, die durch das Lager ziehen und Berge von zusammengeschobenen Pflanzenresten einsammeln; es hat sich das stramme Wetter der vergangenen Tage also auch hier ausgetobt. In manchen Ecken sieht es hier aus, als ob ein Tsunami durchgezogen wäre und überall seine Mitgift hinterließ.
Das Thermometer schiebt sich gemächlich auf die 30 °C hoch und wir dösen und werfen einen Blick auf das Leben um uns herum, das rege ist, ohne aufzuregen.
Die Mädels fühlen sich sofort wohl am Strand von Torre SalinasUm 18:30 Uhr zieht es die Reiseleiterin und die Begleiterinnen an den Strand. Die Neugierde lässt den Chauffeur sich anschließen. Wenn man den Campingplatz verlässt, geht man nur wenige Meter die Straße in Richtung Strand entlang, überquert diese und folgt den Pfaden und Wegen durch die Dünen hinüber zum Strand. Rechterhand grüßt der Torre Salinas, ein Wehrturm aus dem 17. Jh., von seinem Kap, und nach nicht
Am Strand von Torre Salinaseinmal 300 Metern liegt ein atemberaubender Strand vor uns. Sein Ende ist nicht zu sehen, fast 10 Kilometer zieht er sich bis Porto Corallo. Im Süden versperrt nur das Kap mit dem Turm den Blick, aber dahinter geht es noch einmal mindestens sechs Kilometer bis Capo Ferrato. Offiziell gehört dieser Riesenstrand nicht mehr zur Costa Rei, aber ob jener königlicher sein kann als dieser hier, darf bezweifelt werden: nichts als feinkörniger Sand, im Rücken Dünen mit ruppigem Bewuchs und dahinter wiederum Salinen mit allen möglichen Seevögeln und Flamingos. Die Camargue lässt grüßen. Und dann ist dieser Strand fast leer! Hier und da ein Jogger, alle hundert Meter ein Strandhocker, noch ein paar Plantscher, sonst nichts, auf einem Strand, der stellenweise hundert Meter breit ist. Wenn wir hier nicht richtig sind, wo dann? Der Campingplatz ist Teil des Villaggio Torre Salinas, einem kleinen Villendorf mit allem, was man für die Versorgung braucht, ohne dass man von Touristenscharen umspült wird. Die gesamte Anlage ist harmonisch in die Natur integriert und verzichtet auf Krawall-Infrastruktur. Eine Stunde schlendern wir den Strand entlang, lassen die Mädels schnorcheln und tauchen bis der Arzt kommt und sind uns wortlos einig: ein Traumplatz.
Um 20:30 Uhr begeben wir uns ins Restaurant. Heute entscheiden wir uns für eine Vorspeise aus Meeresfrüchten und als Hauptspeisen für Spaghetti Vongole beziehungsweise Malloreddus alla campidanese. Malloreddus sind eine Art sardischer Gnocchi, die gerne mit einem Salsiccia-Ragout gegessen werden, eben alla campidanese. Ein Sardinenurlaub ohne Malloreddus ist vertane Zeit, und für uns wird es höchste Zeit, dieses Nationalgericht einer Probe zu unterziehen. Seltsam, dass es uns nicht schon früher begegnet ist. Die erste Begegnung mit den Malloreddus macht jedenfalls Lust auf mehr davon. Torre Salinas entwickelt sich schon nach einem halben Tag zum Sehnsuchtsort.
Um 23 Uhr sind wir wieder beim Franz und den Mädels. Es hat 24 °C und es ist windstill. Wir träumen unter unserem Eukalyptusbaum und den Johannisbrotfrüchten in die Nacht hinein und sind froh, dass der Campingplatz Capo Furato belegt war. Aber vielleicht tun wir ihm ja nur unrecht aus Unwissen. Uns ist es hier mehr als recht. Und außerdem sind wir wegen des vielen Nichtstuns rechtschaffen müde.
Dienstag, 28. August 2018
Torre Salinas
Morgens in den DünenBei wolkenlosen und windstillen 21 °C bricht die Reiseleiterin um 7 Uhr mit Hedda zu einem langen Morgenspaziergang auf; der Zwerg ist gestern eineinhalb Jahre geworden und hat Energie für drei. Wenn Autofahrer über Standgas sprechen, könnte man sich bei Hedda tagelang über Strandgas unterhalten: Sie ist unermüdlich, unerschrocken und unverwüstlich. Also macht es Sinn, wenn sie sich gleich morgens ein wenig auspowert. Der Chronist stößt später mit Fianna zu den beiden. Heddas Mama wird im November sieben und ist ja noch in der Rekonvaleszenz nach ihrer Rücken-OP. Die Wasserspiele tun ihr sichtlich gut, sie ist fit und bester Laune, aber übertreiben sollte man eben noch nicht. Und so geht man gelegentlich getrennte Wege, und allen ist Genüge getan.
Nach dem Morgenspaziergang, der für Hedda immerhin vier Kilometer (reine Messstrecke!) betrug und bei ihrem Bewegungsprofil sich gerne aufs Doppelte summieren dürfte, lassen wir uns zum Frühstück nieder. Danach steht die Welt still. Für uns, nicht für das Personal hier, das sich ausgiebig und ungewöhnlich lange der Reinigung der Sanitäranlagen widmet und weiter die Sturmrückstände beseitigt. Die geben sich hier wirklich sehr viel Mühe und sind außerdem sehr freundlich und hilfsbereit.
Camping Torre SalinasWir ruhen unter unserer Markise mit Sonnenplane wie Einsiedlerkrebse in ihren Schneckenhäusern. Wir ruhen in uns und um uns herum. Der befürchtete Um- und Auftrieb in den Mobile Homes gibt keinen Anlass zur Beschwerde. Im Gegenteil, es kommt sogar zu herzerweichenden Begegnungen. Eine beginnt damit, dass ein sardisches Knäblein auf seinen Stummelbeinen lärmend und wirklich sehr nahe an unserer Burg vorbeistolpert, was unser Wachpersonal auf den Plan ruft. Die Mädels sind zwar sicher am Franz angeleint, aber wenn sie sich lauthals aus ihren Schlafkuhlen unter dem Womo hervorstürzen, kann das auch stabileren Gemütern als so einem Hosenmatz einen ordentlichen Schrecken einjagen. Wir rufen sie zur Ordnung und der Knirps verschwindet schreiend und klagend in einem Mobile Home einige Meter weiter. Bei solchen Vorkommnissen rechnet man normalerweise mit Ärger durch eine besorgte Mutter. Doch statt mit dieser, kommt er nach wenigen Minuten mit seiner nonna zurück, die uns und die Mädels freundlich begrüßt und sich erkundigt, ob sie ihren Enkel etwas näher heranführen dürfe, damit er Bekanntschaft mit den Hunden machen könne. Wir locken die Damen aus ihren Höhlen, der Kleine steht mit Respektabstand, heult nicht mehr, lutscht am Daumen und lauscht aufmerksam seiner Großmutter, die ihm mit der Grabesstimme einer Kettenraucherin verdeutlicht, dass die Hunde ungefährlich sind, wenn man etwas Abstand hält und nicht herumschreit. Wir sind begeistert: eine sardische Großmutter mit ausgeprägtem Hundeverstand. Womit haben wir das denn verdient? Sie will die Damen auch noch ein wenig streicheln und zieht dann freundlich und sich bedanken wieder ab. Eine halbe Stunde später wackelt der Junior ohne Oma, offensichtlich angstfrei, in gebührendem Abstand und lautlos an uns vorbei zu den Toiletten, und die Wächterinnen nehmen keine Notiz von ihm. Heureka, was für eine Großmutter! Wir beschließen, sie für uns heilig zu sprechen. Dafür muss nach den vatikanischen Regeln mindestens ein Wunder nachgewiesen werden. In unserem Falle können wir gleich mit zwei dienen: Ein italienisches Kind ist gegen seine Natur still und langsam an uns vorübergegangen und die zwei grimmen Weiber haben nicht einmal versucht, ihn zu fressen. Wenn das nicht ausreichend viele Wunder sind!
Wie schon häufig auf dieser Reise durften wir feststellen, dass die Sarden offenbar deutlich hundefreundlicher sind als die Festlandsitaliener. Ein weiterer Beleg dafür wird uns geliefert, als uns der Siedler einer anderen Wohnburg wegen unserer tollen Hunde anspricht und uns bei dieser Gelegenheit warnt, dass die Hunde des benachbarten Schäfers ziemlich aggressiv seien und wir uns vorsehen sollten. Tatsächlich haben wir schon gestern die angrenzende Schäferei bemerkt, deren Schafe aber irgendwo in den Dünen weiden. Hunde haben wir gehört, aber nicht gesehen.
Um 19 Uhr bewegen wir uns nach einem erschöpfend erholsamen Tag wieder zum Strand. Und diesmal sehen wir die angesprochenen Hunde durch die Macchia der Schäferei streifen. Als wir die Straße überquert haben und in die Dünen eingetaucht sind, folgen sie uns, eine Leithündin, etwas kleiner als Fianna und Hedda, ein etwas kleinerer Rüde und zwei Zwergkläffer, ohne die wir gar nicht bemerkt hätten, dass der Trupp hinter uns her ist. Diese Maulhelden sind laut und unangenehm, aber immer mit einer Pfote am Rückwärtsgang. Die beiden anderen geben den Takt an. Die Reiseleiterin geht mit Hedda vorweg, der Chauffeur folgt ihr mit Fianna. In etwa acht Metern Abstand formieren sich die Verfolger. Als die Meute etwas näher heranrückt und einer der Fanfarenbläser zu nahe kommt, bleibt Fianna für einen Augenblick stehen – die Meute stoppt – und wirft einen kurzen, aber mörderischen Blick über ihre linke Schulter. Dann nimmt sie wieder Fahrt auf. Der Geleitzug hinter uns steht erstarrt. Die Maulhelden maulen, der Rüde blickt sich nach einem sicheren Unterschlupf um und die Leithündin bläst zum Rückzug. Ein Blick! Nur ein Blick! Dieser eine Blick von Fianna hat genügt, dieser Straßengang den Schneid abzukaufen. Wie viele Hunde hat diese Meute wohl schon in Furcht Sonnenuntergang am Strand von Torre Salinasund Schrecken versetzt? Schließlich wurden wir nicht umsonst gewarnt. Fianna benötigt nur einen Blick, um ihnen das Herz in die Hose rutschen zu lassen. Wir drücken sie ganz fest, aber sie versteht gar nicht warum. Ist doch logisch, oder? Ein Hovawart, dazu noch eine erfahrene Mutter, braucht doch keine Kavallerie, um ein paar Macchia-Mafiosi in ihre Schranken zu weisen.
Eine Stunde verbringen wir nach diesem Intermezzo fast allein mit der sinkenden Sonne am Strand und im Wasser. Um halb neun verbrüdern wir einen Rinderbraten aus unseren Vorräten mit sardischen Malloreddus und machen um 23 Uhr die Rollos dicht. 25 °C, windstill, keine Wolke am Himmel.
Mitwoch, 29. August 2018
Torre Salinas
Tochter...Um 7:30
... und MutterUhr messen wir 22 °C ohne Wind und Wolken. Heute zieht es uns in den Süden, unter dem Torre vorbei an den Strand von Colostrai und durchs Villaggio Colostrai zur Lagune von Colostrai mit ihren Flamingos. Und dann geht es unter ausgedehnten Spielrunden wieder zurück zum Camp, wo wir um 9 Uhr ankommen. Zwischen unserem Franz und der Lagune liegt etwa ein Kilometer Luftlinie, aber wir haben es heute Morgen schon auf fast fünf Kilometer gebracht. Da regt sich der Frühstücksappetit zu Recht.
Den Rest des Tages verleben wir im Torre Salinas-Rhythmus, der neben den allfälligen Hauswirtschaftsarbeiten vor allem aus ruhen, lesen dokumentieren und kommunizieren besteht. Das Kommunizieren ergibt sich bei einer so eng gestellten Belegschaft automatisch. Gestern hatten wir das besondere Erlebnis mit der Oma und ihrem Enkel, heute verdichten sich die Dialoge mit einem benachbarten Wohnmobilisten aus dem Schwabenland. Gestern gab es noch ein paar wenige und freundliche Kurzdialoge mit ihm und seiner Gemahlin, heute würde es uns nicht wundern, wenn er demnächst bei uns einziehen wollte. Dieser Mensch ist ständig unterwegs, hat dauernd etwas zu erledigen und zu schaffen, und jedes Mal macht er bei uns einen Stopp, textet uns voll und fragt uns aus. Wenn seine Frau mit von der Partie ist, wird die Gesprächslage unübersichtlich, weil die beiden konsequent parallel quasseln. Der Nachbar ist Mitglied einer schwäbischen Winzergenossenschaft, also Winzer und erkennbar nicht notleidend, bemüht sich jedoch nach Kräften, alle Vorurteile über Schwaben zu bestätigen. Das macht besonders der schwäbischen Reiseleiterin zu schaffen, die sich ein Leben lang bemüht, diesen Vorurteilen durch Freigiebigkeit und Weltläufigkeit zu begegnen. Heute beginnt der offenbar wohlsituierte Winzer das Gespräch mit der Frage, ob wir Tipps für Campingplätze in Richtung Norden hätten; es gäbe dort offenbar nicht sehr viele. Jede Menge gäbe es an der Ostküste, wundern wir uns, es sei ja schließlich eine touristische Rennstrecke dort hinauf nach Olbia und weiter zur Costa Smeralda, wo denn sonst, wenn nicht dort? Er präzisiert seine Anforderung mit der Einschränkung, dass er grundsätzlich nur dort campiere, wo es Rabatt gäbe. Wer keinen Rabatt gäbe, fände bei ihm keine Gnade. Und Rabatt-Plätze scheine es entlang der Ostküste nicht so viele zu geben. Jetzt ist er in seinem Element, feilscht mit roten Winzerbäckchen um jeden Eurocent und erläutert uns seine ultimative Logistikstrategie: Stellplätze, die nur zu bestimmten Tageszeiten abkassiert würden, also solche, wo jemand beispielsweise morgens um 9 Uhr und abends um 18 Uhr vorbeischaut und kassiert. Da komme man eben nach 18 Uhr und mache sich vor 9 Uhr wieder davon. Im weltweiten Web kursieren solche Informationen reichlich, aber Korsikas Ostküste sei ein weißer Fleck auf der Schnäppchen-Landkarte. Und, wie gesagt, Rabatt scheine man hierzulande auch nicht für nötig zu halten. Man müsse ja sehen, wo man bleibt; zu verschenken habe man schließlich nichts. Fianna und Hedda schämen sich in ihren Schlafkuhlen unter dem Franz fremd. Inzwischen hat offenbar sein Geldbeutel die Gesprächsführung übernommen, denn nun ist er nur noch Sprachrohr, zischendes und grollendes Sprachrohr: Vorgestern seien sie in Calgary gewesen … – Wir stutzen: Calgary? Vorgestern? Logo: Der Kosmopolit meint Cagliari, kann ja passieren im Eifer, Titisee oder Titicacasee, egal – … eine sehr touristische, unfreundliche und überteuerte Stadt. Wer hätte das gedacht, denken wir uns und können da nicht mitreden, weil wir Calgary rechts liegen gelassen haben, erfahren aber postwendend, warum wir das auch in Zukunft tun werden: Dort sollten sie in einem Restaurant doch tatsächlich etwas verzehren! Essen in einem italienischen Restaurant, wer kommt denn auf so eine Idee? Wo sie doch schon im Womo gegessen hatten! Letztlich hätten sie es nicht übers Herz gebracht, das Ristorante ohne Verzehr wieder zu verlassen und bestellten eine gemeinsame Portion sardischer Bratkartoffeln (patate arrosto), natürlich nicht vergleichbar mit schwäbischen Bratkartoffeln oder gar Kartoffelsalat, dafür unverschämt teuer. Wir schütteln voller Unverständnis und Mitgefühl die Köpfe und danken den gleich neben uns campierenden Nachbarn, die sich mit einer Frage an uns wenden, weswegen wir uns nun diesen zuwenden und den Winzer verabschieden können.
Der neue Gesprächsfäden entsteht mit einem sehr alternativ angehauchten Paar aus Schrobenhausen, das direkt neben unserer Parzelle sein ganz eigenes Ding macht, Drähte zu Schmuck windet, Fäden zu Armbändern knüpft, Wachs modelliert und uns gelegentlich ein paar Fragen zu unseren Hunden stellen, weil sie zu Hause einen Golden Retriever hätten, der sich, wie sie meinen, von unseren Mädels noch etwas abschauen könne. Nette Leute, unaufdringlich und entspannt, total in ihrer Welt und trotzdem mitten unter uns. Sehr angenehme Zeitgenossen, die man gut in seiner Nähe leiden kann. Warum aber, so fragen wir uns insgeheim, nehmen sie ihren Goldie nicht mit auf die Reise? Das fragen wir aber nur uns. Wir wollen ja nicht wie der Winzergenosse rüberkommen.
So verstreicht der Tag in Torre Salinas. Wir haben noch selten so viel nichts gemacht wie hier. Nur faulen, essen, plaudern und baden. Wir sind völlig aus der eigenen Art geschlagen. Es sieht fast so aus, als ob wir uns für fünf Sterne selbst verraten würden. Die Reiseleiterin zeigt demnach schon ernst zu nehmende Anzeichen von Unrast, der Chauffeur ist dagegen völlig bei sich selbst. Unbehagen empfindet man in einer solchen Lage nur, wenn man sich selbst nicht gut genug ist und mit sich selbst langweilt. Der Chauffeur langweilt sich nie mit sich und ist mit sich völlig im Reinen. Die Reiseleiterin bedient ihre Unrast mit intensiven Recherchen im Internet und allen einschlägigen Foren, um den weiteren Reiseweg auszubaldowern. Der Chauffeur wechselt in die Rolle des Chronisten und dokumentiert die Zwangshandlungen der Reiseleitung.
Mutter...Um 18:30
... und TochterUhr beschließen wir den Tag wieder am Strand. Die Schäfermeute nimmt uns zur Kenntnis, verlässt aber den Schutz ihrer Schäferei nicht. Fianna nimmt sie nicht einmal zur Kenntnis. Nicht einmal zu ihnen hinüber wirft sie einen Blick, geschweige denn einen über die Schulter.
Gegen 21 Uhr bereiten wir uns Rigatoni al forno im Omnia und machen um 23 Uhr die Luken dicht.
Donnerstag, 30. August 2018
Torre Salinas – Coccorrocci
Um 7 Uhr sind wir am Strand von Torre Salinas fast allein; die wenigen Jogger verlieren sich auf diesem weitläufigen Strand. Wir haben es nicht eilig, wir lassen uns Zeit, eigentlich wollen wir nicht weg. Aber heute ist der Tag der Trennung gekommen. Sie fällt uns schwer.
Nach dem Frühstück räumen wir unsere Siebensachen zusammen, machen den Franz reisefertig und verlassen diesen Flecken, der uns sehr ans Herz gewachsen ist, um 11:45 Uhr. Für jeden dieser drei erinnerungswürdigen Tage zahlen wir hier 17 €, und das war’s: 51 €! So preiswert kann ein schöner Urlaub sein, was die Anwesenheit des schwäbischen Winzers, vermutlich ganz ohne Rabatt, erklärt. Es hat 30 °C, und keine Wolke lässt sich blicken.
Nach wenigen Minuten machen wir in Muravera einen Logistikhalt und füllen unser Vorratslager. Das dauert über eine Stunde, bis wir endlich von dieser Gegend loskommen. Über die neue SS 125 var (Strada Statale Orientale Sarda) rollen wir entspannt nach Norden. Viele dieser neuen Abschnitte der alten SS 125, die den Opuntien, die treuen Begleiter auf allen Wegengesamten Osten Sardiniens von Cagliari bis Palau verbindet, sind wie aus dem Traumbuch des Womo-Fahrers. Wer die holprigen und engen Straßen im Westen kennengelernt hat, weiß diese geschmeidige neue Straße mit ihren Tunnels zu schätzen. Die Landschaft, die wir durchqueren, wird dadurch nicht weniger schön, aber wir haben mehr Muße, sie zu genießen. Doch es gibt eine Spielverderberin, die uns schon länger die Nerven strapleziert: die Quasseltante unseres Garmin. Man muss kein Kampfvertreter des süddeutschen Idioms sein, um dieses, das Italienische verachtende Geschnarre, nur schwer ertragen zu können. Man fragt sich, ob man tatsächlich dort ist, wo man zu sein glaubt, wenn man von dieser artikulatorischen Scharfmacherin konsequent zur nächsten Stadthalle geschickt wird; so nämlich klingt bei ihr die Strada Statale: „Strada Stadthalle“! Und würde man diese Stadthalle verlassen und auf eine Strada Provenciale (SP) ausweichen, würde man sich 1500 Kilometer nach Nordosten versetzt fühlen, weil man dort nämlich tatsächlich auf einer „Strada Polenziale“ führe. Nach zweieinhalb Wochen sardischem Italienisch im Kopf klingt das nach Grünkohl mit Pinkel anstatt nach Malloreddos campidanese. Diese Sprachignoranz ist uns schon in Frankreich oft genug aufgefallen und scheint bei Garmin systemimmanent zu sein. Für Sprachkurse scheint kein Geld übrig zu sein.
Trotz diesen Ärgernisses kommen wir sehr gut voran, schlagen nördlich von Tertenia einen mächtigen Bogen nach Osten um das Massiv des Monte Ferru herum, wenden uns nördlich von Museddu wieder nach Süden und stehen
Bar with a view um 14:30 Uhr vor den verschlossenen Toren von Camping Coccorrocci [N 39° 43‘ 45,2‘‘ E 009° 40‘ 24,1‘‘]. Hier herrscht Mittagsruhe bis 15:30 Uhr. Wir erinnern uns, auf unserer Anfahrt an der Küste entlang, eine Bar oberhalb einer paradiesischen Bucht gesehen zu haben. Dorthin fahren wir zurück, den Berg und all die Kurven wieder hoch und dann wieder in Schlangenlinien bergab. In dieser Bar herrscht entspannte Mittagsruhe, wir bestellen uns einen kleinen Drink und lassen die Augen sich an der Aussicht abmühen: Welch eine Kulisse! Eine Handvoll Badegäste treiben sich auf dem Kiesstrand herum, ein paar hängen in der Bar herum, es ist, als ob in dieser Gegend die Zeit nicht erfunden worden sein konnte. Es scheint durchaus denkbar, dass die gewitzte Eva genau hier ihren spröden Adam vom Unterschied zwischen Apfel und Kaktusfeige überzeugte. Wo sonst?
Fahrtstrecke Torre Salinas – Coccorocci
Unterschlupf in Camping CoccorrocciUm 16 Uhr haben wir uns wieder über die kurvenreiche Zufahrt zu Coccorrocci geschwungen und werden nun eingelassen. Als wir uns auf die Suche nach einem passenden Ankerplatz machen, kommt uns der Verdacht, dass es uns ziemlich magisch auf diese Art Abenteuerspielplätze zieht. Dieser Campingplatz ist eng, verwunden, verwunschen und verwinkelt, ein Traum für Zelter auf der Suche nach Hideaways, aber eine Herausforderung für Womos. Wieder einmal muss der Franz sehr um seine Außenhaut bangen. Aber natürlich finden wir nach einigem Hin und Her einen Platz zwischen viel Grünzeug und lassen uns nieder. Schnell stellt sich heraus, dass eine so verwunschene und verstrauchte Ecke nicht umsonst geliefert wird: Mücken gehören da zur Mitgift. Da wir aber bisher fast komplett von diesen Plagegeistern verschont waren, nehmen wir die kleinen Biester gern in Kauf; es gibt ja Möglichkeiten, sich ihrer zu erwehren.
Der Kieselstrand von CoccorrocciEs ist drückend schwül bei 30 °C und wolkenlos. Wir machen einen kleinen Spaziergang mit den Mädels am Strand und den Rest des Nachmittags verbringen wir in unserem Versteck, sehen uns mal um, wie es um die Infrastruktur bestellt ist und nehmen zur Kenntnis, dass es viele Spülbecken über den Platz verteilt gibt, ebenso Mülldepots und alles sehr gepflegt scheint. Das macht wirklich einen sehr guten Eindruck. Nur: Der Platz scheint fest in deutscher Hand zu sein, die Autokennzeichen lassen keinen anderen Schluss zu: TÖL, OAL, N, TS, LL, nichts als Bayern, allerdings auch DÜW, HB, KN und weitere. Viele Kleinbusse und Kastenwagen, die sich hier bestimmt wohler fühlen als unser raumgreifender Franz, stehen versteckt in den zahlreichen Grün-Nischen.
Ein wenig trübt sich dieser erste Eindruck von Coccorrocci, als wir gegen 20 Uhr das Restaurant der Anlage aufsuchen, denn das Personal scheint hier Dienst nach Vorschrift zu leisten. Diese Arbeitseinstellung dürfte sich auch die Hälfte des Küchenpersonals zu eigen gemacht haben, denn die zwei Portionen Malloreddus sind exzellent, während die beiden Hähnchengerichte sich einer Bewertung entziehen: Es wäre ungerecht, sie zu tadeln, aber auch nicht angebracht sie zu loben. Sie liegen in unsern Mägen und erfüllen ihren Zweck.
Die schwüle Hitze zieht auch abends nicht ab: Die Luft steht. Um 22:30 Uhr messen wir noch immer 27 °C, reißen alle Fenster auf und die Fliegengitter runter und hoffen, die Nacht gut zu überstehen.
Freitag, 31. August 2018
Coccorrocci
Schönes, wildes LandUm 8 Uhr hat es wolkenlose 24 °C. Wir machen einen Spaziergang, dann Frühstück und anschließend nichts. Wir hocken in unserem grünen Versteck und halten todbringende Zwiesprache mit den Stechmücken.
Mittags wird die Freifläche neben uns von einer sardischen Familie in Beschlag genommen. Wenn es uns in S’Ena Arrubia die Sprache verschlagen hatte, was die Nachbarn dort alles aus ihrem Wohnwagen zerrten, so glauben wir hier und heute ein paar Trickmagiern aufzusitzen. Die Familienkutsche, die gerade vorgefahren war, ist ein Citroën Xsara (Golfgröße, älteres Baujahr). Diesem entsteigen zwei Erwachsene (jüngeres Baujahr) und drei Kinder (sehr junges Baujahr). In der folgenden Stunde wird der Citroën von Gepäck für gut und gerne zehn Personen entbunden. Wichtigstes Mitbringsel ist natürlich das Zelt, in diesem Fall ein Riesenzelt, das auch noch zwei bis drei zukünftige Familienmitglieder aufnehmen könnte. Ein Küchenzelt, wie es manche mitführen, entwächst dem Xsara nicht. Zum Zelt gehören natürlich eine Bodenplane und das nötige Rüstzeug, um das Eigenheim aufzurichten. Es folgen aufblasbare Matratzen für die gesamte Familie, folgerichtig ein elektrischer und, für alle Fälle, ein manueller Blasebalg. Ein mobiles Küchenregal wird aus dem Citroën gezerrt, mit allem, was eine Küche für ein Wochenende braucht: Geschirr, Töpfe, Besteck, Gläser, Gewürze, Pasta, Tomaten, Getränke; die Aufzählung ist nahezu beliebig erweiterbar. Da selbst die sardische Sonne nicht genügend Energie liefert, um in ihrem Schein kochen zu können, trägt der Xsara auch zwei Gaskocher und zwei Gasflaschen in seinem Bauch, die er jetzt ausspuckt. Essen tut man auch in Sardinien längst nicht mehr auf der Erde, sondern an Tischen, also kommen zwei Campingtische mit Stühlen und Hockern zum Vorschein. Und womit beschäftigt man drei Kinder, wenn nicht gekocht, gegessen oder geruht wird? Mit Baden: Luftmatratzen, Schwimmreifen, Schwimmnudeln, Decken, Liegestühle, Spielsachen, Kühltasche… Trotz unserer fast ungeteilten Aufmerksamkeit sind uns noch eine Reihe von Gepäckstücken entgangen, Klamotten etwa. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir schon auch zugeben, dass wir die Dachbox des Xsara unterschlagen haben, die einen großen Teil der Last getragen hat. Etwa eine Stunde dauert die Einrichtung des sardischen Lagers und nimmt uns so gefangen, dass wir sogar die Stechmücken vergessen. Eine solche Landnahme kostet Kraft und schreit nach Nahrungsaufnahme, deshalb steht auf dem Nachbargrundstück unverzüglich die Zubereitung einer kleinen Nudel-Orgie auf dem Programm, die Gaskocher kommen zu ihrem ersten Einsatz und die ganze Familie stürzt sich auf die Zubereitung einer mächtigen Portion Pasta. Dass der Kocher seine Flammen direkt unter dem dürren Blätterdach der uns separierenden Buschreihe vor sich hin züngelt, muss wegen der drohenden Pasta-Unterversorgung in Kauf genommen werden. Wir begleiten das Ende der Besiedelung bei Kaffee und dolci.
Noch heute rätselt der Chronist, ob es der Anblick der langsam vor seinen Augen entstehenden Pasta auf dem Nachbargrundstück oder die süßen Stückchen zum Kaffee jene Tropfen auf den heißen Stein waren, die ihn Malattia coccorrocciauf einen Schlag in eine gesundheitliche Depression stürzen, die er sein Leben nicht vergessen wird. Ohne Vorwarnung zwingen ihn schneidende Leibschmerzen, begleitet von heißen und kalten Schweißausbrüchen in die Horizontale. Natürlich stellt sich die Frage nach einer Lebensmittelvergiftung und richtet das Augenmerk auf den gestrigen Abend. Aber sowohl die viel zu lange Inkubationszeit wie auch die Tatsache, dass wir beide das gleiche aßen und die Reiseleiterin sich bester Gesundheit erfreut, machen diese Variante sehr unwahrscheinlich. Der Chronist schwitzt und zittert wie Espenlaub. So verstreicht der Nachmittag, der ein spontaner Blick in die Hölle ist. Gegen 17 Uhr ist der Spuk fast so schnell vorüber wie er gekommen ist, der Körper wieder einigermaßen gefestigt und der Chronist vom Flüssigkeitsverlust vermutlich ein Kilo leichter.
Die Reiseleiterin empfiehlt zur Lockerung des Körpers und der Seele gegen 18 Uhr einen Spaziergang zu einem nahegelegenen Wasserfall. Knapp
Plantschbecken zweieinhalb Kilometer stapfen wir bei schwülen und bewölkten 30 °C bergauf und bergab ins Hinterland, bis wir nach etwa 30 Minuten in einer dicht bewachsenen und engen Schlucht vor dem Wasserfall stehen. Dieser ist, wie so häufig, ein Rinnsal, an guten Tagen vielleicht ein Bach, der sich über Felsterrassen in fadendünnen Kaskaden in kleine Becken stürzt, weshalb man auch von piscinas spricht, also von Planschbecken, was den Nagel auf den Kopf trifft und von unseren Mädels auch umgehend richtig interpretiert wird – Badepause.
Wir wandern wieder zurück und sind nach insgesamt etwa 6 Kilometern wieder in unserem Abenteuercamp. Wir sind tropfnass von der Schwüle und füllen unsere Energietanks mit größeren Wasser- und Limogaben – und binnen Minuten liegt der Chronist wieder flach. Jetzt noch heftiger geschüttelt und gepeinigt. Wie ein Tiger im Käfig wechselt er schweißgebadet, zitternd und mit Schmerzen am ganzen Leib vom Bett zum Esstisch und wieder zum Bett. Buscopan soll seine Leibschmerzen besänftigen, schafft es aber nicht. Wenn er die Augen schließt, tanzt Dantes gesamte Teufelswelt einen ausgelassenen und gehässigen Reigen. Sieht so das Ende aus? Kann das so banal und niederträchtig sein wie der plumpe Sturz in eine Güllegrube? Nichts Edles, nichts Erhabenes, keine Regenbogenfarben, keine Retrospektive und schon gar kein verheißendes Licht am Ende eines Grafitti-Tunnels? Einfach nur Schweiß, Tremor, Herzrasen und Schmerzen am ganzen Leib. Die Reiseleiterin lässt ihn still leiden, kommuniziert jedoch mit fast der ganzen ihr bekannten Welt, um Hinweise und Therapien zu erkunden. Hedda macht sich Sorgen und hält sich ständig in seiner Nähe auf. Nur Fianna hält Distanz und die Sache nicht der Rede, schon gar nicht der Nähe wert. Gegen 20:30 Uhr ist der Spuk dann so gut wie vorüber. Eineinhalb Stunden können eine Ewigkeit sein.
Zuckerschock doziert die Reiseleiterin.
Wie bitte? Zuckerschock ist doch das Privileg von Diabetikern, wenn das Insulin durch die Decke geht. Der Chronist und Chauffeur ist sich bisher keines derartigen Defekts bewusst. Iris ist es, die in Valledoria mitgestrandete Krümlerin, selbst fructoseintolerant und zwischenzeitlich heimgekehrt, die bei der telefonischen Schilderung der Symptome sofort im Bilde ist und aus der fernen Heimat die treffende Diagnose liefert. Einfach ausgedrückt heißt das, dass die komprimierte Zufuhr von Weißmehl, Pasta und sardischen Süßwaren, die deutlich gehaltvoller sind als unsere, den Sugarboy erlegten, weil eine kurzfristige hochdosierte Zufuhr von Zucker die Insulinausschüttung dermaßen intensiv anregen kann, dass die üblichen Kompensationsmechanismen überfordert sind. So sieht es aus, und die Aussichten sind nun erst einmal gar nicht süß. Jetzt gibt es zur Stärkung fette Hühnersuppe aus dem Glas. Kein Reis, keine Nudeln, kein Brot. Nur energiespendende, eingekochte Hühnersuppe, die wir immer im Lager haben. Für alle Fälle. Heute ist ein solcher Fall.
Um 22:30 Uhr ist Nachtruhe. Es geht wieder, etwas wacklig noch, aber es geht wieder seinen Gang. Es ist noch immer schwül bei 26 °C.
Und schuld war doch die Pasta-Orgie der Nachbarn. Hundertprozent!
Samstag, 1. September 2018
Coccorrocci
EMorgenspaziergangigentlich wollten wir heute weiterreisen, beschließen jedoch einen Rekonvaleszenztag einzuschieben, weil der Berichterstatter zwar wieder auf den Beinen und beschwerdefrei, aber in- und auswendig noch ein bisschen wackelig ist. Deshalb macht sich die Reiseleiterin gegen 8 Uhr mit den Mädels allein auf den Morgenspaziergang, obwohl das keine Ausnahme ist, weil der Chauffeur auch die Lizenz für die Bereitstellung des Frühstücksbüffet hat, und beides passt nicht immer. Heute trifft sich das ganz gut. 26 °C hat es schon wieder, schwül ist es und wolkenlos.
Für den Rest des Vormittags gibt es nichts zu berichten. Um 12:30 Uhr bummeln wir bei nun 30 °C zum Strand hinunter und registrieren weiße Wolkenflocken. Fianna und Hedda sind keine besonderen Liebhaberinnen von Kieselstränden, erstens weil man sich dort nicht so komfortabel bewegt wie auf Feinsand und zweitens, weil man sich in Kies nicht panieren kann; so oft man sich wälzt und kugelt, es Pferdebesuchbleibt einfach
Frühstücknichts hängen, was man zum Ärger des Personals im Womo ablagern kann. Wir nehmen auf ihre kleinliche Befindlichkeit keine Rücksicht, schicken sie dafür ausgiebig ins Wasser, damit sie einigermaßen ausgelastet sind. Gegen 14 Uhr sind wir wieder zurück und verträumen den Nachmittag. Allerdings bekommen wir heute noch einige Überraschungen serviert, tierische Überraschungen. Dass überall Eidechsen herumhuschen und Stechmücken
Eselei in Coccorroccidas Regiment führen, überrascht natürlich nicht, dass aber plötzlich eine Ziegenherde unbegleitet durchs Lager zieht, muss man nicht erwarten. Ein Esel gesellt sich auch noch dazu, und plötzlich stürmt eine kleine Pferdeherde so zielstrebig quer durchs Camp, dass kein Zweifel daran besteht, dass sie das nicht zum ersten Mal tut. Es stört auch niemanden, die Pferde bleiben souverän und gelassen und akzeptieren unsere Anwesenheit, wie wir die ihre akzeptieren. Sogar die Mädels halten sich verblüfft zurück und die Klappe.
Abends wird es dann zunehmend windig. Wir bereiten uns Tomaten mit Mozzarella, alles ganz ohne Weißmehl und Zucker, und rollen gegen 22 Uhr die Markise ein, damit sie uns nicht davonfliegt. Es wird stürmisch. Um 24 Uhr stürmt es dann tatsächlich, und der Franz wackelt wie ein Fischerboot bei Windstärke 10. Aber es kühlt nicht ab und bleibt bei 27 °C, weil es kein Gewitter und keinen Regen gibt. Es ist, als ob Rübezahl von S’Ena Arrubia herübergetrampelt wäre und unaufhörlich „Coccorrocci, Coccorrocci“ grummeln würde. Die Nacht ist unruhig, aber der Leib des Herrn ist wieder im Gleichgewicht.
Sonntag, 2. September 2018
Coccorrocci – Cala Gonone
Sonnenaufgang am Strand von CoccorrocciKurz vor 7 Uhr sind wir bei Sonnenaufgang mit unseren Mädels am Strand. Vom Sturm der Nacht und den Wolken ist nichts mehr übrig. Eine Stunde lang müssen sich die Vierläufigen mit den Kieseln arrangieren, bis wir wieder zurück sind und uns gegen 9 Uhr zum Frühstück niederlassen. Es ist windstill und wolkenlos bei 26 °C.
Jetzt heißt es, Abschied zu nehmen von Coccorrocci. Wir packen zusammen und legen für die drei Tage 99 € auf den Tisch des Hauses. Das ist nicht gerade geschenkt, aber hier an der Ostküste Sardiniens wird einem generell nichts geschenkt (das macht den Winzer traurig). Rückblickend kann man gegen diesen Campingplatz nichts vorbringen: verwunschen, verhuscht, verwinkelt, sauber und gepflegt und für Familien ist auch gesorgt (Windsurfing etc.), anders ausgedrückt: eine Empfehlung, und je kompakter das Mobil, desto empfohlener. Einzig der Service des Restaurants bringt Punktabzüge (inzwischen kann man im Internet nachlesen, dass ein neues, engagiertes Team die Leitung des Platzes übernommen habe. Hoffentlich schließt dies das Restaurant ein).
Bei makellosen 30 °C kriechen wir um 11:30 Uhr wieder die Serpentinen hoch und dann wieder hinunter und steuern über Buoncammino Bari Sardo an, wo wir wieder auf unsere bewährte Strada Stadthalle treffen (SS 125), der wir bis Tortoli folgen, wo wir nach Osten in Richtung Arbatax abbiegen.
Die Porphyrfelsen von ArbataxUm 12:20 Uhr stellen wir den Franz am Hafen von Arbatax ab [N 39° 56‘ 19,8‘‘ E 009° 42‘ 31,7‘‘]. Arbatax hat einen Fährhafen, von dem aus das Festland erreicht werden kann, etwas über 2000 Einwohner und viel zu viele Touristen, die alle nur kommen, um sich zu Füßen der berühmten roten Porphyrfelsen (rocce rosse), dem Wahrzeichen von Arbatax, ins Wasser zu stürzen. Diese Felsen sind auch der einzige Grund, warum wir auf Anweisung der Reiseleitung hier einen Zwischenstopp einlegen. Und was bleibt von der Sehenswürdigkeit? Vor dem Hafenbecken ragen ein paar rostige Felsen aus dem Wasser, zu deren Füßen eine Handvoll Urlauber paddelt. Porphyr ist ein Gesteinsmix vulkanischen Ursprungs und besticht durch seine Farbe. Mehr ist hier nicht geboten. Und das ist nun wirklich keinen längeren Aufenthalt wert, weshalb wir auch schon eine Viertelstunde später wieder in Richtung Tortoli unterwegs sind, um unsere Reise gen Norden auf der Strada Stadthalle fortzusetzen. Häufig halten eben die vollmundigen Anpreisungen der Tourismuslautsprecher nicht, was sie versprechen. Aber wenn sie nicht mehr als 15 Minuten kosten, soll’s uns recht sein.
Im Osten
Sardiniens falten sich beachtliche Gebirgszüge auf und das macht eine Fahrt durch dieses wilde Land einzigartig. Schon von weitem kann man sehen, um welchen Bergstock uns die Serpentinen in wenigen Minuten führen werden. Wir blicken in atemberaubende Schluchten und Täler, kurven um kahle Felskaskaden und würden am liebsten nach jeder Kurve stehen bleiben, um dieses Panorama zu genießen. Aber das ist natürlich auf dieser Strada mit ihren tausend Windungen nicht möglich, obwohl es ein Vergnügen ist, sie zu befahren.
Um 13:15 Uhr
stellen wir den Franz in Baunei an der Seite ab, um einen Blick in diesen verwinkelten Ort und über seine schroffen Abhänge hinaus zu werfen. Der Ort liegt auf etwa 480 m. M. an einem steilen Südhang, und vom Meer im Osten ist er durch eine Gebirgskette getrennt, was für viele Ortschaften im Osten gilt. Um diese Zeit ist natürlich auch im verschlafenen Baunei Mittagsruhe, weshalb wir fast völlig allein durch das Örtchen schlendern können. Allerdings ist außer der atemberaubenden Aussicht erwartungsgemäß sonst nicht viel geboten. Also weiter gen Norden.
Auf dem Weg zum Passo Genna SilanaWir stemmen uns immer weiter hoch und genießen den Vorteil, gegen den Strom zu fahren, der von den Reiseführern meist im Uhrzeigersinn um die Insel gelenkt wird. So sind wir in Richtung Norden fast allein auf der SS 125 unterwegs. Und die Landschaft wird immer bizarrer und abweisender. Um 14:30 Uhr machen wir auf dem Passo Genna Silana (1017 m. M.) auf etwa 1000 m. M. einen Stopp [N 40° 09‘ 08,68‘‘ E 009° 30‘ 38,18‘‘]. Um uns herum breitet sich eine kahle und wüste Schotterlandschaft aus.
Auf dem Passo Genna SilanaWir lassen die Mädels raus, damit sie sich die Füße vertreten können und den nächsten Kiesstrand zu schätzen lernen. Hier besteht der gesamte Untergrund aus Kalkschotter. Bäume gibt es hier nicht, dafür einen Wind, der uns fast aus den Schuhen bläst, aber die Temperatur auch auf komfortable 23 °C drückt. Gleich nebenan wartet ein verwaister Campingplatz (Area Sosta Silana) auf Gäste. Derzeit kostet der Aufenthalt hier 15 €. Dafür könnte man sich auf dem höchstgelegenen Campingplatz Sardiniens zur Ruhe betten. Fragt sich nur, wie weit es mit
Passhöhe mit Hotel Silana und Stellplatz der Ruhe her ist. Ein Silana-Campingaufenthalt setzt sich aus folgenden Attributen zusammen: Sonne ohne Schatten, Wind ohne Bremse, Steine ohne Ende. Es ist zwar richtig, dass es hier oben trotz der vollen Sonne nie so heiß werden wird, wie im Tal, weil der Wind dagegenhält, aber das, was an Sonnenenergie ankommt, speichert sich im Schotter. Man darf also mit ziemlich heißen Füßen rechnen und sollte gegen die Bestrahlung von oben die Markise ausfahren. Diese wird jedoch postwendend vom Wind abgeräumt, weil man im Schotterboden die Stützen nicht verankern kann. Ja, man hat hier oben ein beneidenswertes Panorama, ob man es aber ungetrübt genießen kann, ist sehr fraglich. Für alle, die hier eine Nacht verbringen
Der Passo Genna Silanawollen, empfiehlt sich das Hotel Silana, das nur wenige Meter weiter auf Gäste wartet.
Aber keine Frage: Die Landschaft ist schroff und abweisend und trotzdem eine Augenweide. Westlich von unserem Standort erstreckt sich der Nationalpark Gennargentu, der mit etwa 730 km² zu den größten Naturschutzgebieten des Mittelmeerraumes gehört und die höchste Erhebung Sardiniens aufweist, die Punta La Marmora (1834m). Diesen Berg könnte man natürlich erwandern, was uns heute jedoch nicht in den Sinn kommt. Aber für einen zukünftigen Besuch Sardiniens könnte man sich das schon mal vormerken. Die Steinböcke, Mufflons und wilden Schweine müssen also noch ein wenig auf uns warten.
Wir rollen wieder auf die SS 125, überqueren nun endgültig die Passhöhe von 1017 m. M. und kurven weiter in Richtung Norden. Allerdings haben wir keine große Strecke mehr vor uns. Unser Ziel ist heute Cala Gonone, und bis dahin liegen noch rund 25 km Reiselust vor uns. In Dorgali geht es nach Cala Gonone rechts ab, erst durch ein Tunnel und anschließend von 450 m. M. in wenigen Minuten und vielen Serpentinen hinunter auf Meereshöhe in Cala Gonone. Bevor wir jedoch diese Abzweigung nach Cala Gonone nehmen, gönnen wir uns eine kurze Auszeit für eine kleine Anekdote, weil solche Anekdoten häufig mehr Licht ins Geschehen bringen, als die großen Erzählungen. Am 6. Mai 2017, also vor gut einem Jahr, führte die 2. Etappe des 100. Giro Italia von Olbia über den Passo Genna Silana bis Tortoli, also gegen die Richtung, die wir gefahren sind – und bergauf. Die etwas mehr als 18 Kilometer und gut 600 Höhenmeter von dieser Abzweigung in Dorgali, an der wir gerade unsere Denkpause einlegen, hinauf zum Passo legten die Radprofis in 38 Minuten zurück. Wir haben die Strecke bergab in rund 30 Minuten zurückgelegt. Kaum vorstellbar, wie schnell wir mit EPO statt Diesel im Tank die Berge hinuntergeflogen wären.
Zu unseren Füßen: Cala GononeJetzt, nach diesem kleinen Intermezzo, biegen wir also rechts ab, kurven die Serpentinen und Spitzkehren nach Cala Gonone hinunter und checken um 15:30 Uhr im Camping Cala Gonone ein [N 40° 17‘ 03,8‘‘ E 009° 37‘ 59,7‘‘]. 104 Kilometer sind wir gefahren und werden mit wolkenlosen,
Camping Cala Gonone etwas windigen 27 °C willkommen geheißen. Der Platz ist rappelvoll, aber wir bekommen noch eine Parzelle, super schattig, aber so eng von Pinien und Kleingehölz umstellt, dass die Gelegenheitschauffeurin bei der rückwärtigen Ansteuerung der Lücke fast einen Baum auf den Fahrradträger geladen hätte. Das muss ihr verziehen werden, weil diese Parzelle das vermutlich engste Loch ist, in das wir je rangieren mussten und so von Bäumen und Sträuchern umstellt ist, dass praktisch kein Platz zum Ausholen besteht. Doch dann liegen wir fest und legen uns aufs Ohr: Siesta.
Fahrtstrecke Coccorocci – Cala Gonone
Am späteren Nachmittag nehmen wir eine erste Ortsbesichtigung vor und finden, was wir erwartet hatten: Tourismus, nichts als Tourismus. Vom Campingplatz zum Hafen und zur Hafenpromenade sind es in der Luftlinie nur rund 400 Meter, aber das genügt, um im Bilde zu sein. Cala Gonone ist ein Ortsteil von Dorgali und malerisch unter den bis zu 800 Meter hohen Felswänden des Supramonte hingegossen. Kilometerweit schließen sich nach Norden und Süden Strände, Buchten und Klippen an, und vor allem die Grotten in den Kalkwänden sind ein touristischer Anziehungspunkt. Noch vor wenigen Jahrzehnten standen hier nur Fischerhütten, die bessere Gesellschaft lebte geschützt vor Sturm und Wellen jenseits der Berge in Dorgali. Aber natürlich blieb das kleine Paradies nicht unentdeckt und es entstand, was immer in solchen Umständen entsteht: Hotels, Ferienhäuser und -wohnungen, Restaurants, Bars, Clubs, Souvenirläden und die ganze Intrastruktur, ohne die der moderne Bade- und Eventtourist nicht auszukommen glaubt. Zur Ehrenrettung muss eingeräumt werden, dass die ganz großen Hotelanlagen, wie fast überall in Sardinien, vermieden wurden, sodass sich der Ort immer noch einigermaßen natürlich in seine Umgebung einfügt. Trotzdem wäre es kaum anzunehmen, dass wir ohne Grund diesen Touristenort besuchen würden. Aber wir haben einen, genau genommen sogar fünf: Sabine, Stefan, Lotta, Joschi und Nala. Sabine und Stefan sind Freunde aus München und Kollegen der Reiseleiterin, Lotta ist die dazugehörige Tochter, Joschi ein Flat-Coated Retriever und Nala eine in die Jahre gekommene Mischlingshündin. Stefan ist väterlicherseits Sarde und macht mit seiner Familie im sardischen Familienanwesen Urlaub. Und dorthin sind wir eingeladen, weil es nicht angehen kann, dass wir Sardinien bereisen und den Fünfen nicht unsere Aufwartung machen.
Sardische NachtDas Familienanwesen liegt nur wenige Schritte vom Campingplatz entfernt, und so stehen wir ohne großen Aufwand um 20:30 Uhr vor der Tür und werden freudig empfangen. Der alte Familienbesitz zeigt sich von der Straßenfront, wie so häufig im Mittelmeerraum, abweisend und verschlossen, entfaltet aber auf der Rückseite seinen ganzen Charme mit Garten und Hinterhof. Der Rest des Abends ist angefüllt mit Grillgut, geistreichen Gesprächen, geistigen Getränken, Lachen und Fröhlichkeit. Es ist ein Abend, den man nicht so leicht vergisst und der überall auf der Welt den Seelen Flügeln gibt. Gegen 0:30 Uhr haben wir uns genug gutgetan und kehren zu unserem Franz zurück. 26 °C hat es noch immer, es ist klar und windstill.
Montag, 3. September 2018
Cala Gonone
Uuuups – ein Morgenspaziergang für GemsenUm 8 Uhr hat es
Hier macht "Kuschelrock" mal Sinnsehr angenehme 24 °C bei wolkenlosem Himmel. Wir machen uns mit den Mädels auf zum Morgenspaziergang und haben heute eine besondere Überraschung für sie im Gepäck: Felswandern! Statt der ungeliebten Kiesel, bieten wir ihnen nun brettharten und superbuckligen Fels. Mal sehen, ob sie sich nicht bald wieder nach Kiesel zurücksehnen. Wenn man vom Hafen über die Via Lungomare dell‘ Acqua Dolce nach Norden spaziert, findet man sich unversehens in einer bizarren Felswüstenei wieder. Hier geht man nicht mehr, hier hüpft und haspelt man sich über Kalk- und
SüßwasserDolomit
Kneippen im Acqua dolcegestein, das von Basaltblasen durchzogen ist, vorwärts. In diesen Felsen haben sich unzählige Wasserbecken ausgebildet, in denen sich Regenwasser sammelt, was den Namen der hierherführenden Straße erklärt: Acqua dolce (Süßwasser). Die Mädels sind anfangs sehr skeptisch, was diese seltsamen Löcher angeht und nähern sich ihnen mit einigem Argwohn. Aber mit der Zeit fassen sie Vertrauen und nehmen auch mal ein Fußbad (mehr geht eh nicht). Diese mesozoische Buckelpiste vulkanischen Ursprungs ist zwar spektakulär, lädt aber nicht zu einem ausgiebigen Flanieren ein, sondern eher zur baldigen Rückkehr, die dann um 9:30 Uhr auch abgeschlossen ist: Wir sind wieder beim Franz unter unserem Piniendach.
Um 10 Uhr gibt es Frühstück – und dann nichts mehr, bis sich um 16:30 Uhr die Reiseleiterin von den Freunden auf einen Ausflug zum etwas abgelegenen Strand von Cala Cartoe, nördlich von Cala Gonone, abholen lässt, der mit dem Womo kaum zu erreichen ist, was uns auch nicht in den Sinn kommt, schließlich müssten wir den Franz ohne Not aus dem winzigen Schlupfloch heraus- und wieder hineinmanövrieren. Da das Freundestaxi nicht für uns alle, schon gar nicht mit Hunden, Platz
bietet, hält der Chauffeur mit seinen Leibwächterinnen Stallwache. Jeder hat seine ganz eigene Art zu stranden, sie dort im Pulversand (!) und wir hier unter Pinien. Der für die Rückfahrt vom Strand geplante Besuch der Schwefeltherme "Su Anzu" [N 40° 19' 15,49'' E 009° 37' 05,52''], welcher der Geschmeidigung der sonnen- und wasserstrapazierten Haut der sonenanbetenden Damen dienen sollte, fällt der Reinigung der Therme zum Opfer: Vorübergehend geschlossen. So hat wenigstens die Therme ihr Wellnessprogramm.
Über den Dächern von Cala GononeNach erfolgreich vertrödeltem Spätnachmittag beschließen wir den Abend kulinarisch am Hafen. Der erste Teil spielt sich auf der kuscheligen Dachterrasse des Hotels Bue Camino ab, wo wir einen Aperitif zu uns nehmen und das nächtlich erleuchtete Cala Gonone von oben erleben. Das Hotel bezieht sich mit seinem Namen auf die größte und meistbesuchte Grotte Cala Gonones, in der früher Mönchsrobben Unterschlupf gefunden hatten, die sich aber längst nicht mehr blicken lassen, und die von den Einheimischen Bue Marino genannt wurden. Anschließend ziehen wir nur wenige Schritte weiter ins Ristorante Il Cormorano. Stefan ist hier so gut wie zuhause, weil er viele Urlaube mit der Familie und zum Tauchen hier verbracht hat, und so genießen wir einen sehr umsorgten und kulinarisch ausgezeichneten Abend. Um 24 Uhr ist der Tag zu Ende und wir nehmen bis demnächst Abschied von Freunden.
Dienstag, 4. September 2018
Cala Gonone – Golfo Aranci
Vom Campingplatz
Lieber "Gebak" als "tipische Brot von Dorgali"aus in Richtung Hafen findet sich nach kaum 100 Metern eine Bar, dort nehmen wir um 8 Uhr unser Frühstück ein – das letzte für längere Zeit in Italien. Heute ist Finale auf Sardinien. Seit seinem Kreislaufzusammenbruch am 31. August wagt es der Chauffeur heute erstmals wieder, italienisch, also süß, zu frühstücken. Sein Körper verzeiht ihm das ohne Widerworte; die Welt ist wieder im Lot.
Wir räumen zusammen, ver- und entsorgen den Franz, zahlen für zwei Nächte 56,80 € und ziehen Bilanz, dass dieser Campingplatz zwar ideal liegt, aber dringenden Nachholbedarf in vielen Aspekten hat. Man kann ihn anfahren, muss aber nicht, jedenfalls ist das im August 2018 so. Man hat den Eindruck, dass man hier mit Laufkundschaft rechnet, die sowieso nicht wieder kommt und um die zu kümmern es nicht lohnt. Allerdings darf man ihn nicht mit Torre Chia vergleiche, dazwischen liegen tatsächlich Welten.
Um 9:15 Uhr verschwinden wir und kurven wieder die Serpentinen nach Dorgali hoch. Was macht man mit einem Tag, wenn die Fähre erst um 21 Uhr ablegt, die Strecke dorthin aber nur rund 130 Kilometer beträgt? Den Rat von Freunden folgen! Die haben uns als ausgewiesene Kenner der Gegend einen Traumstrand in der Nähe von Orosei empfohlen, und der liegt nur rund 25 Kilometer nördlich. Traumstrände hatten wir schon und Der Stagno Su PetrosuTraumstrände gibt es in Sardinien
wie Sand am Meer (sic!), aber wenn noch einer praktisch am Weg liegt, wäre es töricht, ihn nicht zu besuchen. Wir fahren von Dorgali Richtung Norden bis Orosei und dann zum Strand von Osalla, wo wir um 10 Uhr ankommen [N 40° 20‘ 39,9‘‘ E 009° 41‘ 10,6‘‘]. Parallel zum Strand verläuft eine Art Lagune, der Stagno Su Petrosu, an der wir mit Fianna und Hedda entlang spazieren und uns kaum genug begeistern können von diesem Schlussbild, das uns hier geboten wird: Pinien, weißer Sand, tiefblaues Wasser und kristallblauer Himmel. Ungefähr eine Stunde atmen wir diese Panorama ein, während der sich der Himmel immer weiter bezieht. Als wir um 11 Uhr beim Womo zurück sind, ist es komplett bewölkt und gleich darauf beginnt es zu regnen. Wir wettern ab, fest davon überzeugt, dass uns Sardinien einen solchen Abschied nicht antun wird. Und das tut es auch nicht.
Um 12:45 Uhr gehen wir bei wieder blankblauem Himmel allein baden: Abschied nehmen, ohne die Hunde zu bespaßen. Nach dem Bad lassen wir uns in der Strandbar „Su Petrosu“ nieder und staunen nicht schlecht, dass man sich hier nicht auf die touristischen Badesnacks beschränkt, sondern echte sardische Küche zu bieten hat. Wir entscheiden uns für
Zum Abschied noch einmal: die "Seele Sardiniens" eine gemischte Fischplatte und Penne Arrabiata als Vorspeisen und und als Hauptspeisen wählen wir Hackfleischbällchen (polpetti) und Schweinebraten in Orangensoße (arrosto al arancia). Als Begleitung wählen wir Wasser und eine Abschiedsflasche Ichnusa (sardisches Bier). Und das alles ist exzellente und sehr unverfälschte sardische Küche. Der Knaller aber ist der Gruß aus der Küche: Schwarzer Reis mit Rosinen und Graupen. Was uns umhaut, ist nicht die Qualität dieses Amuse Geules, sondern, dass wir in dieser Bar am Strand den ersten Gruß aus der Küche in Sardinien serviert bekommen. Das ist sicher keine typische kulinarische Tugend Italiens, sondern eher in Frankreich beheimatet, aber ausgerechnet in einer Strandbar! Und das auch noch zum Abschied, gerade so, als ob man es uns ansehen würde, dass wir uns schon auf einen gewissen Entzug vorbereiten. Wir sind gerührt und genießen „Su Petrosu“ mit allen Magennerven.
Gegen 15 Uhr lassen wir dann die Hunde Abschied vom Mediterraneum nehmen. Es ist windig, teils wolkig bei 30 °C und wir schwitzen uns mehr als das doppelte Ichnusa aus den Poren. Schön war es auf Sardinien – Auf WiedersehenEigentlich sind wir heute schon ungefähr dreimal durchgeschwitzt, weil der Regen eine schweißtreibende Allianz mit der Sonne eingeht. Da bleibt keine Faser trocken.
Um Porto Aranci in Sicht15:50 Uhr reißen wir uns von Osalla, dem Stagno und der Bar los und machen uns auf unsere letzte Etappe in Richtung Norden. Um 17:50 Uhr stellen wir uns am Fährhafen von Porto Aranci in die uns zugewiesene Wartespur für die Rückfahrt. 140 Kilometer hat uns der Franz noch einmal durch eine bezaubernde Landschaft getragen, und nun heißt es abwarten und Kaffee trinken.
Fahrtstrecke Cala Gonone – Golfo Aranci
Warten und Kaffee trinkenUm 20:30 Uhr werden wir fast als Letzte in den Bauch der Fähre gewunken, die erwartungsgemäß wieder einem Aussiedlerdampfer ähnelt. Im Unterschied zur Anreise ist jedoch die Organisation an Bord ziemlich chaotisch, und wir sind nicht die einzigen, die in drangvoller Enge mit ihren Hunden die gebuchte Hundekabine suchen. Aber Hundehalter helfen sich meist gegenseitig, so weiß der eine, wo er Nummer XYZ gesehen hat und die andere erinnert sich an ZXY. Schließlich finden wir unsere Nr. 5244 und quartieren unsere Mädels ein, die uns ohne Stress die langen Gänge rauf und runter, hinüber und herüber auf unserer Suche gefolgt sind, nie gemurrt haben, schon gar nicht angesichts ebenfalls irrender Artgenossen geknurrt haben;
Und tschüß...sie sind einfach sensationell souverän in Stresslagen, wenn uns schon mal die Geduld zu reißen droht. Aber dann ist es geschafft, die Mädels machen es sich gemütlich und wir machen uns auf den Weg zum Oberdeck, um den Ableger mit einem Cocktail zu begießen und Rasmus einen Schluck zu spendieren. Um 20:55 Uhr werden die Leinen losgemacht und wir dampfen dem Festland entgegen.
Um 22 Uhr legen auch wir uns aufs Ohr und hoffen auf eine ruhige Überfahrt. Aber was sonst? Unwetter ist weit und breit nicht in Sicht.
Mittwoch, 5. September 2018
Golfo Aranci – Vagen
Die Nacht ist sehr unruhig, nicht wegen der See, sondern wegen der Temperatur und des Lärms in der Kabine. Die Klimaanlage ist so laut, dass man meint, im Maschinenraum zu schlafen; dreht man sie runter, wird es zwar leiser, aber so warm und stickig, dass man immer noch meint, im Maschinenraum zu schlafen. Fianna und Hedda stecken das erstaunlich souverän weg, obwohl gerade sie mit nächtlicher Wärme ihre Probleme haben. Die Reiseleiterin schläft überall, wenn es sein muss auch im Maschinenraum. Also ist der Chauffeur wieder ein Einzelschicksal, das mit sich und seiner Befindlichkeit allein klarkommen muss.
Um 5:15 Uhr werden wir freundlich per Lautsprecher geweckt, wir testen die Fährdusche und die Reiseleiterin holt sich einen Kaffee. Um 6:15 Uhr legen wir in Livorno an und stecken hinter einem Münchner Allrad-Mobilisten fest, der entweder nicht aus dem Bett oder sein Auto nicht gefunden hat. Das ist natürlich ärgerlich, weil wir nahezu als letzte an Bord gefahren sind und demnach als eine der ersten wieder draußen sein könnten. So müssen wir Zentimeter um Zentimeter zwischen dem Allrad vor uns und einigen Lkw rangieren, bis wir uns von der Fähre machen können. Der Münchner im Himmel wartet vermutlich noch immer auf eine göttliche Eingebung. Aber dann sind wir raus und verschwenden keinen Gedanken daran, die Mädels zum Pipimachen auf den dürren Park unserer Anreise zu lassen, sondern geben sofort Gas, weil direkt nach uns noch zwei Fähren einlaufen, eine weitere aus Sardinien und die Moby aus Korsika; da ist der Stau in und um Livorno programmiert.
Wir fahren parallel zur Autobahn auf der Schnellstraße SGC Fi-Pi-Li (Strada di grande comunicazione Firenze-Pisa-Livorno), die vierspurig und deutlich weniger befahren ist als die Autobahn. Um 7:15 Uhr machen wir einen Tank- und Pipistopp östlich von Lavaiano, aber die Damen haben es noch immer nicht eilig, ihre Blasen zu entleeren; es ist immer wieder eine Sensation, wie lange Hündinnen zukneifen können. Gestern vor dem Boarding, kurz nach 20 Uhr, hatten sie ihren letzten Toilettengang, das sind elf Stunden. Wir nehmen ein kleines Frühstück auf die Faust und die Fahrt wieder auf. Bei Florenz entern wir die Autobahn und dann geht es auf direktem Weg nach Hause.
Um 12 Uhr überqueren wir den Brenner und frösteln bei sonnigen 20 °C. Um 14 Uhr betreten wir Bayern bei Kiefersfelden und um 14:35 Uhr steht der Franz nach 1798 Kilometern und insgesamt 2468 Kilometern wieder vor seinem Garten. Es hat 23 °C und der Himmel begrüßt uns in bayerischem Weiß-Blau.
Epilog
Unser erster Sardinienbesuch bereitete uns viel Freude, ohne uns zufriedenzustellen. Trotz der Fülle von unvergesslichen Eindrücken, bleibt ein unspezifisches Gefühl unerfüllter Sehnsucht, ähnlich dem, das sich uns bemächtigt, wenn wir nach einem gelungenen Menü resümieren: wunderbar, aber irgendetwas fehlte.
Eine Woche Badeurlaub in Valledoria muss von diesen Betrachtungen ausgeschlossen werden; es war Badeurlaub bei und mit liebenswerten Menschen, bei dem man abhängt, durchhängt, seinen Gedanken nachhängt, plaudert, isst und trinkt, den Tag kommen und gehen lässt und – eben – zum Schwimmen geht. Dabei fühlt man sich wohl, wenn die Rahmenbedingungen geeignet sind, ein Wohlgefühl herzustellen. Wenn nicht, dann nicht, und das hängt eben von den Umständen ab, die bei uns nichts anderes als stille Zufriedenheit auslösen konnte. Die Rahmenbedingungen stimmten, und somit gibt es an Valledoria nichts auszusetzen.
Unsere Reise um die Insel lieferte dann ein ziemlich ambivalentes Bild. Der Westen karg, einfach, teils armselig und heruntergekommen, der Osten blühend, offenbar wohlhabend und von den Behörden bevorzugt. Die meisten Campingplätze gaben keinen Anlass zur Klage, manche fügten sich perfekt in unsere Vorstellungen ein, was für andere Reisende nicht gelten muss, und wieder andere vergisst man, bevor man mehr als angemessen darüber sagt.
Wer in Sardinien, auch als Womo-Reisender, einen Badeurlaub machen möchte, findet überall, wirklich überall, herrliche Strände, versteckte Strände und kaum bevölkerte Traumstrände. Dazu muss man sich nicht an einen Reiskornstrand drängeln oder sich an der Costa Smeralda die Ersparnisse abnehmen lassen.
Die Sarden, soweit man sie als Durchreisender einschätzen kann, sind sehr freundlich und zugänglich: Arroganz gegenüber Touristen ist uns nirgendwo begegnet, wenn man von Torre Chia mal absieht, wo man offenbar auf Laufkundschaft setzt, die man weiterreicht, damit sie möglichst nicht wiederkommt. Auffällig war die Liebe zu unseren Hunden, die man so auch nicht überall in Italien findet.
Die Landschaft ist bergig, karg, gelegentlich geradezu abweisend, und in ihrer Strenge zugänglich wie eine viktorianische Erzieherin. Aber im Gegensatz zu dieser trägt sie nicht schwarz oder anthrazit, sondern alle Farben des Universums; die Pflanzenfülle und deren Blütenpracht ist sogar im August noch überwältigend. Oleander, Wandelröschen oder Bougainvilleas wachsen hier wie bei uns Gänseblümchen und Hollerbusch. Gummibäume, welche in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die gehätschelte und stolze Zierde eines jeden deutschen Wohnzimmers waren, stehen hier wie Unkraut zum Abholen herum. Und natürlich die Opuntien, die mit ihren fetten Früchten den ahnungslosen Adam locken, um ihn zu malträtieren, bevor er sie seiner Eva als Liebesapfel anbieten könnte. Dazu Eukalyptus, Johannisbrotbäume und … wir kommen mit der Aufzählung an kein Ende. Sie alle geben dem schroffen, dürren und kargen Land seinen unverwechselbaren Duft und Farben, unbeschreibliche Farben, die das Auge übermüden.
Dass wir die Natur in solcher Pracht erleben dürfen, liegt an dem für hiesige Verhältnisse nassesten, kältesten, kurz: schlechtesten Sommer seit Jahrzehnten, wie uns Einheimische und Sardinienkenner versichern. An Temperaturen um 40 °C war dieses Jahr nicht zu denken, dafür fiel reichlich Wasser aus dem Himmel. Für uns war das ein echter Glücksfall, nicht nur, weil die Vegetation selbst im Hochsommer noch in vollem Saft steht, sondern vor allem, weil 40 °C mit Hunden trotz der ambitionierten Sonnenschutz-Ausrüstung kein Vergnügen sind. Unter diesem Aspekt formuliert sich ein neues Ziel fast von selbst: Sardinien in der Pfingstzeit. Das könnte eine Zauberformel sein. Mal sehen…
Impressionen