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Urlaub mit Hund
- Schottland 2019 – Single Malt with Passing Places
Eine Reise unter tausend RegenbögenSchon im Sommer 2018 stand eine Schottlandreise auf dem Programm. Vor allem die Reiseleiterin des Bairischen Blues zog es in den hohen Norden Europas. Doch ein noch höheres Familienfest Mitte August schrumpfte das Reisefenster auf maximal drei Wochen, wogegen der Chauffeur Einspruch einlegte. So hatte sich Sardinien ins Zentrum unserer Reiseplanung geschoben. Der Aufschub des Brexits bis Ende Oktober 2019 gab Schottland nun eine neue, vielleicht sogar letzte Chance, weil ja niemand weiß, wie das europäische Mit- und Durcheinander danach aussehen würde. Vor allem gab es keinerlei Sicherheiten für eine Reise mit zwei Hunden auf die Insel; schließlich erinnern sich die Älteren unter uns noch an Zeiten mit wochenlanger Quarantänepflicht. Sollte es wieder darauf hinauslaufen, wäre die Insel für uns womöglich für immer in weite Ferne gerückt.
Jedoch: Die Reiseleiterin verzehrt sich seit Jahren nach gut gebauten Männern in kauzigen Röcken und Dudelsäcken. Obwohl die ersten Darstellungen der Sackpfeife bis tief ins Altertum zurückgehen, schien der Krawallsack seine Bedeutung für Musik und Tanz längst verloren zu geben, dafür hatten die Schotten seinen unbestreitbaren Wert in der Kriegsführung erkannt: Eine Kohorte besoffener Sackpfeifer war durchaus in der Lage einen unbedarften Gegner in die Flucht zu schlagen. Das könnte auch heute noch funktionieren. Da sich aber unsere Gesellschaften schon seit etwa einer Generation in der musikalischen Disharmonie eingerichtet haben, verlor der gedudelte Sack seinen Schrecken und erlebt sogar eine Renaissance. Tausende von Touristen lockt die schottische Loreley nun jährlich mit seinem schaurigen Gesang in die Highlands. Die Reiseleiterin gehört trotz einer gewissen Neigung zu amerikanischer Discountermusik dazu. Und der Chauffeur freut sich auf das seiner Meinung nach einzig Harmonische in diesem ruppigen Land: das schottische Englisch, dessen Singsang dem unseres Kurpfälzer Dialekts wohl am nächsten kommt. So kommt es, wie es uns aufgezeichnet ist: Wir fahren nach Schottland.
Fàilte gu Alba – Willkommen in Schottland!
Der Start sollte am 1. August sein, aber die Meldungen von Fährüberlastungen ab Freitag (2.8.) lassen uns einen Tag früher in das Abenteuer starten. Franz II, unser Womo, steht vollgepackt in den Startblöcken und kann es kaum erwarten, dieser notorische Reiseonkel.
Mittwoch, 31. Juli 2019
Vagen – Bonn
Unsere Schottlandreise beginnt mit einer Bosheit und einer Nachlässigkeit. Die Bosheit: Fianna wird genau einen Tag vor Abreise läufig! In dieser Hinsicht haben uns unsere Hündinnen nie etwas geschenkt. Aber drei Wochen mit einer menstruierenden Hündin im Wohnmobil hat was. Unserer ehrwürdigen Anouk haben wir eine geistige Grabstelle in der Kathedrale von Tréguier bereitet, Franzi tragen wir in unseren Herzen, aber Fianna hat gute Chancen ungesehen im Loch Ness zu verschwinden. Die Gelegenheit wäre günstig.
Die Nachlässigkeit tritt erst nach Reiseantritt ins Rampenlicht. Wir starten um 11:20 Uhr bei 18 °C und Regen, was den Chauffeur zu der Anmerkung verleitet, dass wir uns ja dann nicht mehr viel umstellen müssten, denn seiner Meinung nach besteht Schottland, abgesehen von den Dudelsäcken, vornehmlich aus Gegend, Gegend, Gegend, Regen, Regen, Regen und dreimal schlechtem Essen. Die Reiseleiterin überhört die Anmerkung, erledigt noch eine Kleinigkeit im Nachbarort, um sich anschließend zum Hundeplatz in Siegertsbrunn chauffieren zu lassen, wo sie noch eine letzte Schutzdiensteinheit mit Hedda absolvieren möchte; schließlich wird das die letzte für mindesten vier Wochen sein. Von dort soll es direkt auf die Autobahn und ins gesackdudelte Glück gehen. Doch sie erfährt, dass sie eine andernorts dringend benötigte Datei nicht versandt hat, diese aber nur lokal auf des Chauffeurs Arbeitsplatzrechner zur Verfügung steht, also nicht von hier und jetzt gleich per Internet verschickt werden kann. Statt in den Norden geht es jetzt also wieder nach Hause. Die Stimmung im Cockpit gleicht der eines Dudelsacks: bramarbasierende Basslinien liegen im Widerstreit mit disharmonischen Diskantsätzen.
Um 13:30 Uhr sind wir nach einer Aufwärmrunde von 64 Kilometern wieder an unserem Ausgangspunkt: Vor unserem Eigenheim. Zehn Minuten später ist die Datei verschickt und auch wir machen uns auf die Reise, jetzt bei 16 °C und noch mehr Regen. Der Chauffeur belässt es bei anzüglichen Gedanken und konzentriert sich auf seine Aufgabe.
Wer nach Schottland möchte, muss über den Kanal und hat dafür mehrere Möglichkeiten. Wir sind kein Reisebüro und werden deshalb an dieser Stelle nicht die zahlreichen Möglichkeiten, über den Kanal zu setzen, erörtern. Grundsätzlich gilt: Kurze Überfahrt – lange Anfahrt auf der Insel, lange Überfahrt – kurze Anfahrt. Anders ausgedrückt: Wer die kurze Überfahrt Calais-Dover wählt, quält sich anschließend im Chaos um London herum und hat noch knappe 600 Kilometer bis Schottland vor sich. Wer die lange Überfahrt wählt, spart sich das alles und ist praktisch schon in Schottland. Geschmacksache. Aber nicht nur! Wer mit Hunden reist, hat noch einen kleinen Nebenaspekt zu berücksichtigen. 13 Stunden von IJmuiden nach Newcastle, dort nach elf Stunden ausgeruht am Morgen ankommen, hat seinen Charme, aber nicht mit Hund. Denn auf diesen und all den anderen Fähren gibt es keine Hundekabinen, die Hunde müssen in eine Box ins Unterdeck. Für uns und viele Hundebesitzer ist das ein Unding. Um es kurz zu machen: Wir wählen den kurzen See- und langen Landweg, nicht zuletzt auch wegen des Preises. Calais – Dover mit P&O Ferries kostet je nach Jahreszeit, Tag und Tageszeit zwischen 110 € und 250 € (Womo mit zwei Personen und zwei Hunden). Die gleiche Strecke mit DFDS (auch von Dünkirchen aus) kostet im Schnitt 100 € mehr. Die Überfahrt von Amsterdam nach Newcastle kostet 1.500 €. Dafür kann man viel Diesel verfahren, und auf die Nerven des Chauffeurs kommt es sowieso nicht so sehr an: die hat man oder man hat sie nicht. Wäre er halt kein Chauffeur geworden!
Also: Calais – Dover mit P&O. Wie aber nach Calais kommen, es führen ja viele Wege dorthin. Die Schwäbin entscheidet, nicht quer durch Frankreich, weil da noch jede Menge Maut aus der Reisekasse rauscht. Der Chauffeur entscheidet: Nicht über Luxemburg, weil seine letzte Erinnerung an diese Strecke eine, wegen der Streckenführung, eher fragwürdige ist und am Ende auch wieder Maut in Frankreich anfallen würde. Also geht es über Brüssel, was wir aus vergangenen Zeiten bestens kennen und uns eine Art Dejà Vu bescheren würde, außerdem: schöne Strecke und keine Maut.
Wie aber dorthin gelangen? Jedenfalls nicht über die A 8, weil bei Ulm schon wieder einmal ein mächtiger Stau steht. Also über die A 9 und Nürnberg. Bald darauf entscheiden wir uns, die A 9 schleunigst wieder zu verlassen und über die A 93 nach Regensburg auszuweichen, weil bei Allersberg und im Altmühltal auch schon wieder alles steht. Was soll's: Alle Wege führen in die Highlands. Oder anders ausgedrückt: Head east to go west. So betrachtet liefert diese Variante eine zusätzliche Charmenote: Via Rainsburgh to Edinburgh. Geht doch.
Jetzt läuft es: Die A 3 ist uns freundlich gesonnen und die disharmonierenden Dudelsackklänge sind aus dem Cockpit verschwunden. Die Reiseleiterin schläft und der Chauffeur chauffiert. Niemand echauffiert sich mehr. Der Urlaub wirft seine good vibrations voraus.
Um 20:55 Uhr schicken wir den Franz II auf dem Stellplatz Rheinaue in Bonn-Bad Godesberg in den vorübergehenden Ruhestand [N 50° 42‘ 33,9‘‘ E 007° 08‘ 23,1‘‘]. Dort treffen wir uns mit der Schwester der Reiseleiterin, die in Bonn lebt, verbringen einen lauen Abend im Restaurant Rheinaue und legen uns gegen 23:30 Uhr aufs Ohr.
Mit der Aufwärmrunde zu Beginn sind wir heute 705 Kilometer gefahren, ohne sie 641.
Die Rheinaue ist nach der Gebietsreform 1969 entstanden, als die Städte Bonn, Bad Godesberg und Beuel zusammengelegt Abendunterhaltung im Restaurant Rheinauewurden, was nicht jedermanns Gefallen fand. So legte man die Rheinaue als Bindeglied und Klammer zwischen den Gemeinden an und landete damit einen Volltreffer. Sie ist ein quirliger Treffpunkt und ein Ort vieler Veranstaltungen. Jetzt, im Juli und August, finden hier im Restaurant täglich kostenlose Konzerte von Coverbands statt und an den Wochenenden schließen sich viele hochwertige Konzerte internationaler Stars an. Da ist was geboten und die Bevölkerung nimmt das Angebot gerne an. Sogar für unsere Mädels hält der Park etwas Schönes bereit: Kaninchen, Kaninchen und nochmals Kaninchen. Überall hoppelt und mümmelt es, dass die beiden ganz wuschig werden. Für Hedda ist es jedenfalls so aufregend hier, dass sie sogar konsequent darauf verzichtet, ihren Darm von der Last zu befreien, die sich seit gestern Abend angesammelt hat, denn heute Morgen musste sie sicherstellen, unsere Abreise nicht zu verpassen und hatte keine Zeit für Nebensächlichkeiten.
Bonner VerhältnisseSo schön die Rheinaue ist
Stellplatz Rheinaue(wenn auch derzeit ausgedörrt und braun), so bescheiden ist der Stellplatz. Dass sich eine Stadt, die sich noch immer als bedeutend und unverzichtbar versteht, nur einen winzigen Wurmfortsatz für etwa zehn Wohnmobile leistet und das ohne jeden Service, außer ein paar überquellenden Mülleimern, ist, ohne Umschweife, eine Schande. Noch schändlicher ist, dass dieser traurige Wurmfortsatz den Namen eines der bedeutendsten, ehrlichsten und unverdächtigsten Politiker der jungen Bundesrepublik bekommen hat: Carlo-Schmid-Straße. Die Rennstrecke, von der dieser Wurmfortsatz abgeht, und die uns die ganze Nacht über die Ohren volldröhnt, ist dagegen dem vermutlich gescheitertsten aller gescheiterten Kanzler gewidmet: Ludwig-Erhard-Allee. Die Formulierung des Grundgesetzes und die Vorhersage des baldigen Scheiterns der Adenauerschen Rentenrefom durch Carlo Schmid (1957) kann offenbar mit Erhards Sozialer Marktwirtschaft nicht mithalten, selbst wenn von der nur noch der Markt übriggeblieben ist, wogegen Carlo Schmids Grundgesetz noch immer lebt und das vorhergesagte Scheitern der Rentenreform spätestens seit den 80er Jahren Wirklichkeit ist. Schwamm drüber, aber staunen darf man schon mal über eine solche Namensvergabe.
Donnerstag, 1. August 2019
Bonn – Wendens Ambo
Um 8 Uhr, als wir uns aus der Koje heben, messen wir wolkenlose 18 °C. Während der Chauffeur sich ums Frühstück kümmert, bewegt die Reiseleiterin die Hunde hinüber in die Rheinaue, um nach einer halben Stunde unverrichteter Dinge zurückzukommen: Hedda hält ihren Darm verschlossen und versiegelt. Und dann dudelt uns der SWR 1, der unser Frühstück begleitet, doch tatsächlich „Mull of Kintyre“ von Paul McCartney in die Ohren. Woher wissen die denn von unseren Reiseplänen? Wir nehmen es gerne als nette Geste und Hinweis darauf, diesen südwestlichen Zipfel Schottlands nicht aus den Augen zu verlieren.
Bonn RheinaueNach dem Frühstück schlendern wir noch einmal in die Rheinaue, weil sich Hedda von ihrer Darmlast befreien soll und wir die Nutrias sehen wollen, die die Reiseleiterin auf ihrer ersten Runde aus einiger Entfernung fotografieren konnte. Die Nutrias, so hört man, seien vor Jahren irgendwo entlaufen oder wurden ausgesetzt und ließen sich hier häuslich nieder.
Diese Der Blues steht auf BeethovenMorgenrunde könnten wir uns jedoch sparen: Die Nutrias sind weg, haben sich offenbar schlafen gelegt, dafür bevölkern Scharen von Graugänsen die Ufer der Teichlandschaft und kleistern die ganze Rheinaue voll, was Hedda immerhin so weit inspiriert, dass sie ein kleines Häufchen nach deren Vorbild hinterlässt. Da muss allerdings noch jede Menge drin sein. Uns soll es egal sein, wenn sie sich mit so viel Ballast auf die Reise begeben möchte.
Um 10:30 Uhr fahren wir los und machen gleich in Bonn noch Franzens Tank voll. Es ist wolkig bei 22 °C. Um 11:50 Uhr überqueren wir hinter Aachen die belgische Grenze und machen zwei bedauerliche Feststellungen: Erstens rollen jetzt hier genauso viele Lkw wie in Deutschland, während die Autobahnen vor 20 Jahren, als wir in Brüssel lebten, nahezu Lkw-frei waren. Das andere ist, dass die Belgier inzwischen auf den Autobahnen ebenso selbstmörderisch fahren wie seinerzeit nur in den Städten. Damals war die Autobahn eine Wellness-Oase und die Stadt eine Art Autoscooter jenseits der 100 km/h. Jetzt machen die Belgier offenbar keinen Unterschied mehr.
Um 14:30 Uhr gönnen wir uns auf einem Rasthof eine von jenen unverzichtbaren warmen belgischen Waffeln, die der Chauffeur in Erwartung zweifelhafter britischer Kost mit besonderer Andacht verspeist. Und um 15:10 Uhr passieren wir bei Gravelines die Grenze zu Frankreich: Willkommen bei den Schti’s.
Käfighaltung in CalaisDer Weg zum Fährhafen von Calais lässt die Wochen der großen Flüchtlingstrecks aus der jüngsten Vergangenheit noch einmal Gegenwart werden: Kilometerlang fahren wir durch Stacheldraht bewehrtes Gitterspalier und kommen uns vor wie Raubtiere im Zirkus auf dem Weg zur Manege. Und trotzdem haben es damals immer wieder ein paar Findige geschafft, sich durchzumogeln und als blinde Passagiere eine Passage zu bekommen. Gottlob ist der Mensch noch immer schlauer als Mauern, Gitter und Stacheldraht. Die Hoffnung lebt, auch wenn sie einem gelegentlich eiskalte Schauer über den Rücken treibt.
Um 15:50 Uhr erreichen wir den Fährhafen von Calais. Der Ärmelkanal begrüßt uns mit 23 Der Fährhafen in Calais°C und nur einer kleinen Hand voll Wolken. Die Reiseleiterin bucht eine Passage über den Kanal, wofür wir 185 € bezahlen. Und dann heißt es: anstehen. Sie verlassen den europäischen Sektor! Das steht zwar nirgendwo angeschrieben, liegt aber lesbar in der Luft. Zwei Grenzkontrollen müssen wir bestehen, wobei wir uns noch glücklich schätzen dürfen, keine britischen Bürger zu sein, denn die werden nach Strich und Faden gefilzt, quasi bis in die Unterhosen. Warum kehren Menschen eigentlich immer wieder freiwillig an den Ort ihrer Geburt zurück, obwohl ihnen dort mit so viel Misstrauen begegnet wird? Der letzten Prüfung müssen sich Fianna und Hedda unterziehen, das allerdings in respektvollem Abstand. Hundepapiere vorzeigen, dann wird ein Chiplesegerät durchs Fenster in den Franz gereicht, wir dürfen prüfen und das Ergebnis wieder aus dem Fenster reichen. Was, wenn wir einen alten Ausweis unserer längst verstorbenen Anouk hinausgereicht hätten und die Messung an einem Teddy mit Anouks Chip vorgenommen hätten? Die freundliche Beamtin hätte sicher nicht bemerkt, wenn wir einen sibirischen Tiger eingeschleust hätten. Oder eben einen Syrer. Oder einen neuzeitlichen Lenin. Wir erinnern uns, dass GB kein Schengenland ist und sich mental schon auf den Brexit vorbereitet. Im Niemandsland zwischen Baum und Borke ist man offenbar besonders verletzlich. An dieser Grenze fühlt man sich ans Europa der 50er Jahre zurückversetzt. Die Älteren unter uns erinnern sich noch ungern. Und augenscheinlich ist zumindest England mental noch nicht viel weiter vorangekommen. Jedenfalls zerschellt der großspurig aufgetragene Geist eines versunkenen Imperiums an dieser Grenze an den Klippen eines sehr kleinen Karos im Geiste. Gerade diese halbherzig pingelige Hundekontrolle hat etwas Satirisches. Aber immerhin sind viele
Zwei Hunde an BordMitbürger auf diese Weise in Arbeit und Brot und dürfen sich wichtig fühlen. Wie dieses Szenario nach dem Brexit aussehen wird, mag man sich nicht vorstellen, obwohl es schon in großen Lettern an vielen imaginären Wänden geschrieben steht.
Um 17:00 Uhr haben wir alles Warten und die Kontrollen hinter uns und einen gelben Aufkleber auf der Windschutzscheibe, der darüber Aufschluss gibt, dass wir zwei Hunde an Bord haben und stellen uns in die Warteschlange in der Lane 119. Um 18:00 Uhr rollen wir an Bord der „Spirit of France“ und um 18:35 Uhr heißt es: Leinen los. England, ach was: Schottland, wir kommen! Fianna und Hedda bleiben für die kurze Überfahrt im Franz, wir begeben uns nach oben und stimmen uns mit einem Ale und einem Guinness auf die kommenden Wochen ein. Was sehen wir da? Ein Stirnrunzeln? Bier für den Chauffeur? Na, bitte sehr: Bier gehört in Großbritannien noch mehr zu den Grundnahrungsmitteln als in Bayern. Soll sich der Chauffeur tatsächlich völlig nüchtern in das Inselabenteuer stürzen? So ein klein bisschen spirituelle Unterstützung kann dabei nicht schaden. Um 20:00 Uhr (Ortszeit 19:00) legen wir unter den von unendlich vielen Bildern bekannten Kreidefelsen von Dover an und fügen uns geschmeidig in den britischen Linksverkehr ein. Kein Problem, geht alles wie von selbst.
Wer Die Klippen von Dover im späten Lichtvon Dover nach Schottland möchte, muss an London vorbei. Und man tut gut daran, sich kundig zu machen, denn einmal falsch abgebogen oder eine Abfahrt verpasst – und schon steht man in Londons Umweltzone, für die man keine Lizenz hat. Und das wird richtig teuer! Wir haben uns schon zuhause schlau gemacht und plaudern in Calais mit einem ebenfalls wartenden englischen Ehepaar, die einerseits echte Brexiteers sind, uns aber andererseits noch einmal bestätigen: Generalrichtung Canterbury und Dartford Crossing über die A 2 und M 25. Das wäre schon einmal geklärt und läuft wie geschmiert. Nun hat man allerdings eine zweite Hürde zu nehmen, über die man praktisch nie informiert wird und in England selbst nur an der Autobahn per Infoboards hingewiesen wird: die Mautstelle Dartford Crossing. Weil jeder weiß, wie schwierig es ist, längere Textinformationen im Vorbeifahren zu erfassen und richtig zu interpretieren, fassen wir alles Nötige hier zusammen.
Dartford Crossing heißt deswegen Crossing, weil dort etwas überquert wird, und zwar die Themse. Richtung Norden geschieht das unter ihr hindurch, Richtung Süden über die Queen-Elizabeth-Bridge. Dort wird, je nach Fahrzeuggröße, zwischen 6:00 Uhr und 22:00 Uhr eine Maut fällig. Es gibt aber keine Mautstellen; seit 2014 ist die Zahlung nur bargeldlos per Internet möglich. Die Fahrzeuge werden bei der Passage fotografiert und ihre Kennzeichen gegen den Zahlungseingang abgeglichen. Die kann jederzeit im Voraus geschehen, muss aber spätestens bis 24 Uhr des Folgetages erfolgen. Danach wird derzeit eine Strafgebühr von 70 £ fällig. Nach Ablauf von 28 Tagen erhöht sich die Gebühr auf 105 £. Man sollte also nicht versuchen, die Krone auszutricksen: In Gelddingen sind die Engländer schon seit Elizabeth I zugeknöpft und völlig humorlos. Wer daran zweifelt, möge sich Maggie Thatchers „I want my money back“ noch einmal ins Gedächtnis rufen. Maut-Informationen kann man sich auf folgenden Adressen besorgen: www.adac.de/verkehr/recht/bussgeld-punkte/ausland/grossbritannien/mautprobleme/ oder bei www.gov.uk/pay-dartford-crossing-charge.
Im Franz ist für alle Geldangelegenheit die Reiseleiterin zuständig, der Chauffeur kann sich gerade mal daran erinnern, dass die D-Mark ausgedient hat. Diese Reiseleiterin ist seit Kurzem stolze Besitzerin eines neuen IPhones, allerding ist auf dem noch keine mobile TAN eingerichtet, die man braucht, wenn man von irgendwo per Internet bezahlen möchte. Dem Chauffeur entzieht sich solches, weil er dafür ja eine Reiseleiterin hat. Was also nun tun? Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot, sagt der Volksmund, aber wenn man einen richtigen hat, reicht das ja schon. Jens, mit dem und seiner Familie wir letztes Jahr eine schöne Woche auf Sardinien verbrachten, fährt mit seinem nagelneuen Carthago schon seit einer Woche in Schottland herum, und überweist auf unsere Bitte hin unseren Obolus für die Hin- und Rückfahrt an die Queen. Nun rollen wir entspannt in die heraufziehende englische Nacht nach Norden.
Fahrstrecke Bonn – Wendens Ambo
Reif für die Insel65 km nördlich von London und etwa 25 km südlich von Cambridge, stellen wir unseren Franz in der Royston Rd. des kleinen Fleckens Wendens Ambo (Essex) um 21:30 Uhr auf dem Parkplatz des „Bell Inn“ ab [N 52° 0‘ 19,07‘‘ E 000° 11‘ 57,99‘‘]. 630 Kilometer hat uns Franz bis hierher ohne Murren getragen. Dem „Bell Inn“ geht ein guter Ruf voraus: Gutes Essen (!), liebenswerte Wirtin, freundliche Atmosphäre. Die Wirtin heißt uns herzlich willkommen, aber ihre Küche ist schon geschlossen. Macht nichts. Wir bestellen uns jeder ein Pint Bier im Biergarten des Inns, und weil wir uns so wohl- und bestens aufgehoben fühlen, gleich noch eines. Die späten Gäste begrüßen uns auch herzlich, offenbar hält sich der Durchreisetourismus in der Gegend sehr in Grenzen, sodass man sich über Gäste noch herzlich freuen kann.
Nach dem Night Cup führen wir unsere Mädels noch kurz zum Pipimachen im weitschweifigen Grundstück der Kneipe und staunen weniger über die vielen Kaninchen als über eine Heerschar von Insekten, die uns andauernd ins Gesicht brummen. Es gibt sie also doch noch, die Nachtfalter, zumindest hier.
Mal kurz nachschlagen, was dieser äußerst unenglische Name Wendens Ambo bedeutet. Aha! Erste Nachweise dieses Orts gehen auf die Römerzeit zurück. Aus dieser Zeit rührt das lateinische „ambo“ her, das „beide“ bedeutet. Das Ganze bekommt einen Sinn Mitte des 17. Jh., als die beiden Gemeinden Wenden Magna (Great Wenden) und Wenden Parva (Little Wenden) zu einer Gemeinde zusammengelegt wurden, also Beide Wenden = Wendens Ambo. Logisch.
Um 23:30 Uhr (Ortszeit) ist dieses Wissen ein sanftes Ruhekissen in einer summenden und brummenden Nacht.
Freitag, 2. August 2019
Wendens Ambo – Rockcliffe
7:30 Uhr: Der Himmel ist grau bei 18 °C. Wir führen unsere Vierläufigen durch Gepflegte Bürgerlichkeitden kleinen Ort, der so ziemlich alle Vorurteile gediegener englischer Ortschaften bestätigt: schnuckelig, gepflegt, zauberhafte Gärten, lauschige Pfade, keine schreienden Kinder, dafür gediegene Autos. Eines lässt sich jedenfalls sicher sagen: Die knapp 500 Bewohner gehören sicher nicht zu den Ärmsten des Landes – Cambridge ist ja nicht weit.
The Bell InnAls wir zurückkommen (und Hedda endlich einen definitiv leeren Darm hat!) ist unsere Gastgeberin bereits da. Frühstück hat sie für uns noch nicht, aber die Toilette des Inns sperrt sie uns auf, fragt uns, wohin wir nun reisen wollen und lädt uns jederzeit zu einem Comeback ein.
Nach Der Garten des Bell Inneinem kurzen Frühstück reisen wir um 9:35 Uhr bei kaum verändertem Wetter ab. Es geht nach Norden zu den Bravehearts. Um 10 Uhr machen wir in Whittlesford einen Tankstopp, der ein wenig chaotisch ausfällt, weil etwa die Hälfte der Zapfsäulen „Out of Use“ ist und die Engländer keinen Gedanken daran verschwenden, sich ordentlich anzustellen, wie sie es von den Bushaltestellen gewohnt sind. Das hier ist eher eine kleine Kopie des Piccadilly Circus. Aber schließlich schaffen wir es doch, den dicken Franz in den Vordergrund zu schieben und anzudocken. 90 £ kostet uns dieser Aufenthalt in Whittlesford.
Um 15:50 Uhr überqueren wir bei Gretna Green, dem früher so beliebten Heiratsparadies unmündiger Paare, die Grenze nach Schottland und klingeln um 17:05 Uhr an den Toren der Castle Point Caravan & Camping Site in Rockcliffe (N 54° 51‘ 32,59‘‘ W 003° 47‘ 6,08‘‘]. Nach 530 km werden wir mit wolkigen 22 °C begrüßt.
Fahrstrecke Wendens Ambo – Rockcliffe
Am Katzentisch in RockcliffeWeniger e
Castle Point Caravan & Camping Site in Rockclifferfreulich ist der Empfang hier. Der Platz wird vom ADAC empfohlen, aber obwohl wir morgens reserviert haben, ist für uns kein Hocker mehr frei. Nach etwas Verhandeln bekommen wir noch eine Art Katzentisch. Der Platz ist voll von urlaubenden Briten, es sind ja noch Ferien hierzulande. Die Betreiberin des Platzes bräuchte jedenfalls auch dringend Urlaub, denn sie ist offenbar von dem Trubel und dem Kommen und Gehen komplett überfordert. Sie klagt über Kopfschmerzen die ganze Nacht, weil sie nicht mehr ein noch aus wisse, entschuldigt sich mehrmals und braucht ein wenig Nachhilfe, bis sie sich bemüht, für uns irgendetwas Freies zu finden. Das klappt dann auch irgendwie. Und morgen könnten wir umziehen, verspricht sie uns. Das werden wir sicher nicht tun. Als wir dann endlich unsere Parzelle bezogen haben, gibt es keinen Strom. Damit könnten wir natürlich leben, aber gebucht haben wir mit Strom. Auf Nachfrage erfahren wir, dass der ganze Platz stromlos ist, Leitungsprobleme hört man, in der ganzen Gemeinde. Ja, wenn wir noch in England wären, würden uns Leitungsprobleme nicht wundern, die haben die Engländer schon lange. Aber Schottland? Wie soll das erst nach dem Brexit werden?
Schöne AussichtenWer die Reiseleiterin kennt, weiß, dass sie sich jetzt nicht in ihren Campingstuhl setzt, die Anreise ausklingen lässt, sich freut, endlich in Schottland zu sein und sich einen Eindruck von der Nachbarschaft verschafft, nein, sie muss gleich los, hinunter ans Meer, die Mädels auslüften und Salzluft inhalieren. Also stapfen wir los. 400 Meter sind es vielleicht hinüber und hinunter an die Gestade der Irischen See. Sandstrand hatten wir hier nicht erwartet, denn der Name Rockcliffe kommt sicher nicht von ungefähr, aber hier ist es schon ziemlich rockig
Hedda voll verschlammt und rüde, zudem scheinen hinter jedem Felsen biwakierende und grillende Familien zu sitzen, deren Hunde den unseren unbedingt Hello sagen müssen. Die haben jedoch anderes im Sinn: Es herrscht nämlich Ebbe, und binnen Sekunden verschwinden die sonst so feinen Damen in Schlick und Schlamm bis zum Bauch. Das geht ja gut los! Wir klettern und steigen also über die rockigen Klippen von Rockcliffe und sind um 18:30 Uhr wieder zurück beim Franz. Nachdem wir die Schmuddelprinzessinnen vom gröbsten Dreck befreit haben, genehmigen wir uns einen Ankerschluck aus Campari Orange.
Im Camp gibt es kein Kiosk, keinen Pub und auch sonst nichts zu kaufen, noch nicht einmal Bier. Und fußläufig ist auch kein Pub oder Vergleichbares, wo wir unsere ersten ersehnten Fish & Chips zu uns nehmen Sonnenuntergang in Rockcliffekönnten. Wir greifen in die Vorratskiste und tauchen geschmacksicher österreichische Kaspressknödel aus dem Schapp. In die Pfanne mit ihnen, etwas salt dazu, und schon haben wir die schottisch-österreichische Freundschaft besiegelt. Nach dem Abendmahl spazieren wir noch einmal zu den Klippen, dem Sonnenuntergang entgegen, der sich auch nicht lumpen lässt und wie ein Pfauenrad über den Klippen und Vorgebirgen thront.
Um 22:30 Uhr machen wir die Schotten dicht, im übertragenen Sinne natürlich, und legen uns zur Ruhe. 16 °C messen wir noch. Es ist sternenklar, etwas windig und feuchtfrisch.
Samstag, 3. August 2019
Rockcliffe
RockcliffeFeines Ferienambiente in Rockcliffe ist ein kleines Küstendorf in Kirkcudbrightshire mit einem überwältigenden Blick auf Rough Island, Hestan Island, den Solway Firth und, bei idealem Wetter, sogar bis hinüber zur cumbrischen Küste im Nordwesten Englands. Das Dorf mit seinen knapp 150 Einwohnern besteht hauptsächlich aus Wochenend- und Ferienhäusern sowie Ferienwohnungen. Kein Wunder, dass man hier nahezu ausschließlich vom Tourismus lebt. Ergänzt wird diese Monokultur durch ein wenig Lachsfischerei (traditionell mit Netzen!) auf Rough Island und der Wattfischerei nach Herzmuscheln (cockles). Landschaft und Küste sind von einem rauen Charme geprägt, so schön, dass die einstigen viktorianischen Herrschaften gerne mal die hippen Badeorte Brighton oder Bournemouth im Süden liegen ließen, um ihre Sommerfrische hier zu genießen. Zu ihnen zählte auch Charles Dickens, der ein begeisterter Rockcliffer gewesen sein soll.
Blick vom Castle PointUm 8:30 Uhr ist es wolkenlos, aber etwas diesig bei 18 °C. Wir führen unsere Mädels auf eine Anhöhe über dem Campingplatz, wo einst ein römisches Fort stand (castle point) mit einem herrlichen Blick auf Rough Island und die Mündung des Urr River.
Um 9:45 Uhr gibt es dann Frühstück und rund um uns herum leert sich der Platz; jetzt reisen alle ab, die am Montag wieder in die Tretmühle müssen. Und kaum sind sie weg, rollt der Greenkeeper mit seinem Aufsitzmäher heran und trimmt den Rasen um uns herum auf Golfplatzniveau. Die Kiste macht einen Höllenlärm und stinkt erbärmlich. Jetzt, so meint die Kopfschmerz geplagte Eignerin, könnten wir umziehen, aber wir denken nicht daran, wegen einer Nacht den ganzen Aufwand zu betreiben, schließlich gibt es auch anDer neue Nachbar Teeny-Weeny jedem anderen Platz immer noch keinen Strom und vom Rasenmäher blieben wir auch nicht verschont. Dafür bekommen wir neue Nachbarn mit einem Australian Shepherd, der sich eifrig um unsere Damen bemüht. Während sie sich häuslich einrichten und das Mobil noch ein wenig verrücken müssen, meint der halbwüchsige Sohn, es benötige nur a teeny-weeny, ein winziges Stückchen also nur. Das sind die Momente, in denen man den Lohn für die Auslandsreisen bekommt. Teeny-weeny: Wann hat man diesen Begriff das letzte Mal gehört? Es war auf jeden Fall in so grauer Vergangenheit, dass wir diesen Begriff ins Reich der nie benutzten Kunstwörter abgeschoben hatten. 1957 ging dieser Begriff in einem Schlager um die Welt „It was an itsy-bitsy, teeny-weeny, yellow polka dot bikini“ von Paul Vance und Lee Pockriss. Und hier in Rockcliffe werden wir belehrt, dass teeny-weeny tatsächlich noch in alltäglichem Gebrauch ist. Dafür reist man, um seinen Horizont zu erweitern, nicht nur mit Blick auf unendliche Sonnenuntergänge, sondern an der Erbauung durch Sprachminiaturen. Der Chauffeur könnte jetzt schon wieder heimreisen, für ihn hat sich die Reise bereits gelohnt.
Wir verharren an unserem Katzentisch, ignorieren den Lärm des Rasenmähers, lauschen der Kommunikation unserer neuen (und sehr sympathischen) Nachbarn, staunen, wie schnell sich das Camp wieder füllt (abends wird es wieder bis auf den letzten Platz belegt sein), planen unsere Weiterreise, lesen und dösen in den Tag hinein.
Auf dem Küstenweg nach RockcliffeGegen 15 Uhr wandern wir bei 23 °C und bewölktem Himmel auf einem ziemlich urigen Küstenpfad, dem Wegweiser Costal Path folgend, ins Dorf und wieder zurück, nur um uns zu vergewissern,
Mr Whippy macht uns happydass es hier wirklich nichts gibt außer Wasser, Fels und Ferienimmobilien. Als wir gegen 16:30 Uhr zurück sind, bekommen wir den Lohn unserer Mühen in Gestalt eines Eiswagens, der den Campingplatz und die ganze Gegend abtingelt. Wenn es hier schon nichts Landestypisches zu futtern gibt, dann wenigstens Mr Whippy’s Luxury Soft Ice Cream.
Abends bereiten wir uns im Omnia eine feurige Pizza Calzone und ahnen, dass wir in Sachen kulinarischer Eingewöhnung noch Nachholbedarf haben. Aber wenn man es uns so schwer macht… Da hilft es auch nicht, dass wir hier unter lauter Briten – ob Engländer oder Schotten können wir nicht unterscheiden, es sei denn sie sängen ihren schottischen Singsang – die einzigen Festlandseuropäer sind. Allerdings sind wir auch die Einzigen hier, die abends ihre Satellitenschüssel ausfahren, was uns ein wenig peinlich ist, weil wir das Ding eigentlich kaum einsetzen, aber der Chauffeur möchte gern das Supercupspiel zwischen Dortmund und Bayern sehen. Er hätte die Schüssel auch unten lassen können: Dortmund gewinnt 2:0.
Unter diesen Umständen legt man sich besser zur Ruhe: 23 Uhr, 19 °C, bedeckt.
Sonntag, 4. August 2019
Rockcliffe – Culzean Castle – New Lanark
Ab Mitternacht ziehen heftige Schauer über den Franz, aber um 8:00 Uhr ist es nur noch bewölkt bei 18 °C.
Wir vollziehen die üblichen Morgenroutinen, Hundespaziergang, Frühstück, Ver- und Entsorgung, legen der Migränepatientin an der Rezeption für zwei Nächte am Katzentisch ohne Strom 52 £ auf die Theke und lassen wenigstens die Sanitäranlagen in einigermaßen glimpflichem Licht weiterleben: ältlich, knapp, aber gepflegt. Immerhin.
Unverzichtbares für die WeiterreiseUm 10:40 Uhr verlassen wir Rockcliffe. Im nahegelegenen Colvend versorgen wir uns in einem Grocery Store mit Lebensmitteln, und, damit der Franz nicht zu kurz kommt, spenden wir ihm um 12 Uhr in St. John‘s Town of Dalry 54 l Diesel für 72 £.
Um 13:30 Uhr rollen wir nach 106 km auf den Parkplatz von Culzean Castle [N 55° 21‘ 24,18‘‘ W 004° 46‘ 47,65‘‘]. Es ist wolkig bei 21 °C.
Culzean CastleCulzean Castle ist ein romantisches Schloss an der Küste von South Ayrshire, erbaut im 18. Jh. von Robert Adam für David Kennedy, dem 10. Earl von Cassillis. Es steht auf einer mächtigen Klippe über dem Meer, umgeben von einem zwei Hektar
Treppenaufgang in Culzean Castlegroßen Schlosspark mit Schwanensee, Schmuck- und Gemüsegärten, Spazierwegen, Spielplätzen und vielen romantischen Ecken. Kennedy wollte, dem neu aufkommenden romantischen Trend folgend, die alte Festung seiner Familie zu einem dem Zeitgeschmack entsprechenden Herrensitz ausbauen. Die beste Adresse war für ihn Robert Adam, einem der
Großbürgerliche Gemütlichkeit renommiertesten Architekten, Innenarchitekten und Möbeldesigner seiner Zeit, dem allerdings der Erfolg ein wenig abhandengekommen schien. Man schreibt das Jahr 1777, als Adam sich ans Werk macht, das ihn die nächsten 15 Jahre beschäftigen wird und dessen Fertigstellung er nicht mehr erleben wird. Er stirbt, wie sein Auftraggeber, 1792. Dieser ist zuletzt völlig verarmt, seine Nachkommen führen den Bau zu Ende.
Eisenhowers Office in Culzean Castle1945 wird das Castle von den Kennedys an den National Trust for Scotland (NTS) übergeben, der es bis heute vermarktet und unterhält. Als Anerkennung der Verdienste während des Zweiten Weltkrieges um die Befreiung Großbritanniens wird dem General und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower 1945 von den Kennedys das oberste Stockwerk des Schlosses auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt.
WirDas Schloss von der Seeseite mit Kohlegaskraftwerk machen uns auf für einen Besuch des Schlosses, dessen 85 Räume uns allerdings nicht zugänglich sind; die, die zur Schau gestellt werden, genügen jedoch völlig, um beeindruckt zu sein. Das Schloss, so können wir mit den rund 230.000 jährlichen Besuchern bestätigen, ist einen Besuch wert. Es ist nicht nur der romantische und verkitschte Rokoko-Protz, der besticht, sondern natürlich der riesige Park und die Gärten und zu allem der endlose Blick übers Meer. Aber auch das kleine Kohlegaskraftwerk, das in der Bucht unterhalb des Schlosses erbaut wurde und die Gaslichter des Schlosses bis 1947 befeuerte, sind einen Blick wert. Dieses kleine Häuschen mit Schornstein belegt mehr als das ganze Schloss die Raffinesse der Nachfolger von Robert Adam, die das Bauwerk vollendeten und für dieses Kraftwerk verantwortlich zeichnen.
Im Park von Culzean Castle Es liegt nicht ohne Grund dort unten in der Bucht, weil dort erstens die Kohle für das Kraftwerk angelandet werden konnte, zweitens der gänzlich unromantische Zweckbau aus den Blicken der Herrschaften war und drittens das Schloss keinen Schaden nehmen konnte, wenn das Ding einmal in die Luft fliegen sollte. Noch einmal: Wer in der Gegend ist, sollte sich dafür zwei bis drei Stunden Zeit nehmen. Die Reiseleiterin zahlt für dieses Erlebnis 17 £, der Over-60-Chauffeur nur 12,65 £.
Five o'Clock-Tea in Culzean CastleAusklingen lassen wir unseren Besuch mit dem Besuch des Schlosscafés, um endlich Kontakt zu original britischen Spezialitäten aufzunehmen: Tee natürlich, dazu scones, clotted cream, butter and jam für 7,80 £. Scones sind jene Mürbteigstückchen, die gerne zum Tee gereicht werden und ihren Namen vom niederländischen schoonbrood (dt.: „Sauberes Brot“; Brot aus feinem Mehl) beziehen. Clotted Cream (auch Streichrahm)
Scone – Cream firstist eine Art dicker Rahm, der aus roher Kuhmilch hergestellt wird, indem sie in flachen Pfannen lange erhitzt und für mehrere Stunden stehengelassen wird, wobei sich
Culzean Castle und Umgebungkleine Klümpchen bilden (clots), bis am Ende eine sehr gehaltvolle Masse entsteht, die ein bisschen wie Mascarpone schmeckt. Und während wir sitzen und Mürbteiggebäck mit Mascarpone essen wollen, werden wir unversehens mit der allgegenwärtigen und äußert kauzigen, also typisch britischen Diskussion konfrontiert, ob zuerst die Butter oder die Marmelade auf das Gebäck gehört? Die Jam-First Befürworter argumentieren damit, dass das Gebäck noch heiß ist, wenn man es frisch aus dem Ofen isst, und deshalb die Butter verlaufen würde, wenn sie zuerst auf das Brötchen käme. Die berühmteste Jam-First Vertreterin ist Queen Elizabeth II, weshalb wir diese Variante einfach zum Royal Scone machen und uns trotzdem für die Variante Butter-First entscheiden, weil wir das so von zuhause gewohnt sind und unsere Scones bereits kalt sind. Ein klein wenig Widerspruch kann den Royals nur guttun.
Um 17:15 Uhr ziehen wir weiter, von der Küste nach Nordosten, ins Landesinnere. Es hat 21 °C, ist stark bewölkt und dampfig. Nach weiteren 94 km, insgesamt heute also 200 km, fahren wir um 19:10 Uhr auf den Besucherparkplatz von New Lanark [N 55° 39‘ 52,5‘‘ W 003° 46‘ 41‘‘], der jetzt, da alle Besucher ausgeflogen sind, völlig leer ist. Trotzdem gefällt der Reiseleiterin der Platz nicht, den der Chauffeur für die Nacht ausgesucht hat; große Auswahl macht offenbar unbescheiden. Der Chauffeur muss also umrangieren zu einem gefälligeren Nistplatz. Wie wir uns wieder rückwärts wegbewegen und einen großen Bogen schlagen, um in die nächste Parkgasse zu gelangen, breitet sich vor uns eine breite und sehr, sehr frische Wasserspur aus, die nur von uns herrühren kann, ist ja keiner sonst in der Nähe. Wir belegen die neue und jetzt genehme Parkposition und sehen als erstes nach unserem Wasser: Nichts! Nada! Niente! Der Frischwassertank ist leer und aus Franzens Untergeschoß sprudelt es munter wie ein kleiner Quellbach hervor. Sch…! Auf dem Weg nach New Lanark: Das Viadukt bei DalrympleDie Tankkonstruktion unseres LMC, so viel muss einmal gesagt werden, ist eine einzige und hirnverbrannte Fehlkonstruktion. Aber, auch das muss der Wahrheit zuliebe betont werden, wir haben es seinerzeit nicht gesehen, sonst hätten wir diese Missgeburt nicht gekauft. Der Tank ist mittig unter dem Fahrzeug angebracht und ragt unten weit hervor, was bei Bodenwellen und den beliebten Schlafenden Cops in Frankreich immer die ganze Aufmerksamkeit des Chauffeurs erfordert, damit wir nicht hängenbleiben. Hier und heute sind wir definitiv nirgends hängengeblieben, weil es dazu keine Gelegenheit gab. Auf dem Rücken liegend, halb unter der sehr geringen Bodenfreiheit unseres Franz eingeklemmt, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich einige Schrauben des Revisionsdeckels des Tanks gelöst hatten und dem Wasser freien Lauf ließen. Der Versuch, den Deckel wieder anzuheben und einzupassen scheitert, weil wir nicht weit genug unter das Fahrzeug kriechen können (da reichen auch die Auffahrkeile nicht) und sich zudem das Innenleben des Tanks, wie Pumpe und anderer Kram nicht mehr am angestammten Platz befindet, was die Wiederherstellung der korrekten Tankordnung verhindert: Wir können schlicht den Deckel nicht hochdrücken und einpassen. Dann hilft nur des Womo-Fahrers bester Freund: Powertape! Fast eine Stunde kriechen und winden wir uns unter dem Franz herum, um den Deckel so zu verkleben, dass er uns nicht bei nächster Gelegenheit ganz flöten geht. In dieser Disziplin verdient sich die Reiseleiterin ein besonderes Lob, weil sie, noch ein wenig elastischer und rankleibiger als der Chauffeur, den Löwenanteil der Reparaturarbeit erledigt (wie sie sich für solche Drecksarbeiten sowieso nie zu schade ist). Danach dürfen die Damen eine kleine Pipirunde drehen und wir verschwinden einigermaßen unwirsch über unseren „Spooky Franz“ nur mit einem kleinen Imbiss bald in der Koje.
Fahrstrecke Rockcliffe – New Lanark
Montag, 5. August 2019
New Lanark – Oban
Was unserem Wassertank fehlt, liefert der Himmel in schönem Gleichmaß die ganze Nacht über.
New LanarkUm 8:30 Uhr ist es aber nahezu wolkenlos bei 17 °C. Wir nehmen ein kleines Frühstück auf die Faust zu uns und unsere Mädels an die Leinen, um New Lanark zu besichtigen. Auf diese Weise kommen die Vierläufigen zu ihrem Morgenspaziergang und wir zum Zweck dieses Stopps: Einen touristischen Blick auf New Lanark zu werfen. Da wir sehr früh dran sind, können wir die Hunde getrost mitnehmen, weil die Innenräume noch nicht geöffnet sind und wir ganz sicher nicht warten wollen, bis sie geöffnet werden: Wir haben heute noch das Sonderprogramm Autoreparatur zu absolvieren.
New Der Clyde lieferte die EnergieLanark, nur etwa einen Kilometer südlich der Ortschaft Lanark in der Grafschaft South Lanarkshire gelegen, ist eine ehemalige Baumwollfabrik am Oberlauf des Flusses Clyde, das 1785 vom Textilkaufmann David Dale als neuartige Industriesiedlung errichtet wird. Der Standort bietet
Wasserrad sich an, weil das durch eine enge Schlucht schießende Wasser des Clyde ideale Bedingungen zum Antrieb der Anlagen bietet.
Berühmt wird New Lanark aber erst durch die zu seiner Zeit visionären Ideen Robert Owens, der den Betrieb von Dale übernimmt und von 1800 bis 1825 führt. Owen ist überzeugt, dass bessere soziale Bedingungen der Arbeiter zu besserer Arbeit führten. Deshalb verändert er die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Fabrik: Schule für die Arbeiterkinder, Einschränkung von Kinderarbeit, Abschaffung von Prügelstrafen, Pensionsversicherung, eine erste Form von Krankenversicherung, Dorfladen mit Preisen knapp über dem Großhandelspreis. Der soziale Mittelpunkt der Siedlung wird das „Institute for the Formation of Character“ mit einer Bibliothek, einer Werkskantine und Räumlichkeiten für Zusammenkünfte, Veranstaltungen und Weiterbildung.
1968 wird die Textilfabrik stillgelegt und 1975 in den New Lanark Conservation Trust überführt, dessen Einnahmen heute für die Instandhaltung des gesamten Komplexes verwendet werden. In einem Gebäude ist heute das New Lanark Mill Hotel untergebracht, außerdem wurden acht Ferienhäuser errichtet und im Trakt der alten Arbeiterwohnungen sind heute moderne Wohneinheiten eingerichtet. 2001 wird die Anlage von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Die Hoffnung stirbt zuletztDer Besuch des gesamten Komplexes lässt uns ein wenig traurig zurück, nicht weil die ehemaligen Fabrikgebäude zwar sehr gepflegt sind, aber eben nichts anderes als den sperrigen Charme einer Fabrik verströmen, sondern weil wir von den überall angebrachten Schildern mit den Visionen und Gedanken Robert Owens schmerzlich daran erinnert werden, dass sie nach 200 Jahren noch immer Visionen geblieben sind: „In this new world, all will know that far more happiness can be obtained by union, than by disunion.“ In England haben sie davon vermutlich noch nichts gehört. Und leider sind sie damit nicht allein in "this new world".
Zu dieser Befindlichkeit passt der Sprühregen, der unsere Weiterreise um 10 Uhr begleitet. Schon zehn Minuten später rollen wir auf den Hof des Kirk Caravan Service südlich von Braidwood [N 55° 42‘ 56,18‘‘ W 003° 50‘ 1,00‘‘], den die Reiseleiterin aus dem Internet baldowert hatte, um unseren Franz wieder dicht zu bekomen. Doch leider verfügt man hier über keine Rampe, um unseren Franz zu liften, schickt uns aber weiter zu Knowepark Caravans in Livingstone [N 55° 54‘ 19,24‘‘ W 003° 34‘ 18,07‘‘]. Das führt uns zwar viel weiter nach Osten als wir es geplant hatten, aber wir hatten eben unseren Franz nicht in die Pläne eingeweiht. Um 11 Uhr kommen wir dort bei britischem Schmuddelwetter an, schildern dem Meister unseren Schmerz und überlassen ihm vertrauensvoll die Wagenschlüssel. Nach einer halben Stunde sehen wir Franz in der Werkstatt verschwinden und gut 20 Minuten später kommt er wieder verrammelt und versiegelt, die Deckelschrauben mit Silikon gesichert, daraus hervor. Der Service ist superfreundlich und kostet 30 £, auf die wir dankbar und erleichtert noch 10 £ tip drauflegen.
Für Glasgow haben wir heute keine ZeitBeschwingt und um viele Sorgenkilos erleichtert machen wir uns um 12 Uhr auf den Weg gen Westen, lassen Glasgow liegen und schwenken bei Paisley nach Norden. Doch an einer der vielen wirklich knackig engen Stellen bekommt die beschwingte Stimmung schon wieder einen Knacks, weil ein entgegenkommender Kleintransporter, fix wie sie sind, das Blinkerlicht an Franzens rechtem Außenspiegel abfährt. Links eine Felswand, rechts ein Eiliger, und schon hat man den nächsten Schaden. Und wer den hat, baucht sich ja bekanntlich um den Spott nicht zu sorgen.
Die Reiseleiterin hat sich ausgedacht, eine lauschige Nacht am Loch Lomond zu verbringen und sich dafür den Luss Caravaning & Camping Club ausgesucht, wo wir um 13:30 Uhr vorsprechen, aber kein Gehör finden, weil man voll besetzt sei, behauptet man jedenfalls. Das britische Clubwesen ist auch in den Campsites sehr lebendig, und wo Club draufsteht, ist häufig auch Club drinnen: Members only. Der Chauffeur ist nicht sehr traurig, denn der Loch Lomond ist ihm doch ein wenig sehr suspekt.
Loch Lomond ist mit einer Fläche von etwa 71 km² der größte See Schottlands. Er erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung über eine Länge von 39 km, ist bis zu 8 km breit und bis zu 190 m tief. Seine Lage macht ihn in den Augen vieler auch zum schönsten See Schottlands. Und diese Vielen wollen ihn auch alle bewundern, weshalb es hier mehr touristisch ist, als dem Chauffeur lieb ist. Wenn man von der Größe absieht, wird man den Eindruck kaum los, am heimischen Tegernsee entlang zu rollen: herrliches Panorama, tiefgründiges Wasser, hochnäsige Einheimische und flachgründige Touristen. Da ist es fast eine Auszeichnung, wenn man im Luss Caravaning nicht erwünscht ist.
Wir fahren weiter auf der A 82 nach Norden und wenden uns bei Tabert auf der A 83 nach Westen, bis uns Loch Long nach Norden zwingt. Wir umfahren die Nordspitze des Sees und folgen ihm an seiner Westseite bis Ardgartan, wo wir nach Westen ins Landesinnere abbiegen. Um 14 Uhr legen wir auf den Parkplatz des Argyll Forest Parks eine Pause ein [N 56° 13‘ 32,22‘‘ W 004° 51‘ 22,91‘‘]. Der Park wurde 1935 gegründet und gilt bei vielen
Argyll Forest ParkBesuchern als der schönste Naturpark Schottlands. Er erstreckt sich vom Holy Loch, einer Bucht des Firth of Clyde, bis zu den Gipfeln der Arrochar-Alpen. Seine raue Landschaft verdankt er dem großen Riss in der Erdoberfläche, der die Grenze zwischen Lowlands und Highlands markiert. Der Besucher findet hier eine abenteuerlich zerklüftete Landschaft mit tiefen Schluchten, geheimnisvollen Seen und wilden Flüssen. Wer möchte kann tagelang wandern und die Seele baumeln lassen. Wir möchten das nicht. Beim Anblick eines Imbisswagens möchten wir nur noch etwas zwischen die Zähne, weil das Frühstück heute wirklich sehr knapp ausgefallen war. Wir setzen uns mit einem Beefburger und einem Cheeseburger und Chips an einen hölzernen Tisch und sind begeistert: alles frisch und richtig schmackhaft. Der Himmel lächelt auch freundlich dazu – es geht uns gut.
Loch FyneUm 14:30 Uhr fahren wir gestärkt weiter nach Westen, bis uns der Loch Fyne den Weg versperrt. Gut 15 Kilometer folgen wir nun seiner Westküste bis Inverary, wo wir auf der A 819 nach Norden fahren, bis uns das nächste Loch den Weg verlegt: Es ist diesmal Loch Awe. Ihn umkurven wir auch im Norden und folgen seinem West- und Nordufer, bis uns Loch Etive empfängt. Es ist eine augenschmelzende und seelenverzehrende Fahrt zu Füßen der Berge des Trossachs Nationalparks. Bei Connel machen wir einen Stopp bei den Falls of Lora.
Falls of Lora und Connel BridgeDie Falls of Lora sind ein Tidenstrom an der Mündung des Loch Etive. Besonders ausgeprägt zeigt sich das Naturereignis bei Springtide. Für zwei bis fünf Tage bilden sich dann sowohl im Ebbe- als auch im Flutstrom Stromschnellen mit schäumender Gischt. Bei ablaufendem Wasser sind die Stromschnellen deutlich ausgeprägter, beeindrucken jedoch auch bei auflaufendem Wasser. Sie bilden sich an einer Felskante unterhalb der Connel Bridge. Der Loch Etive ist etwa 30 km lang und durchschnittlich 1 km breit. Die daraus resultierende Wassermenge kann die Engstelle, über welche die Connel-Bridge führt, nicht so schnell passieren, wie die Tide steigt und fällt. So staut sich sowohl bei Ebbe als auch bei Flut das Wasser oberhalb und unterhalb der Engstelle, und die Stromschnellen bilden sich. Die Engstelle führt auch dazu, dass der Tidenhub meerseitig viel größer ist als auf der Seite des Lochs; beträgt er im nahe gelegenen Oban etwa drei Meter, so liegt er bei Bonawe im Loch Etive nur bei 1,3 Metern.
Der McCraig's Tower in ObanOban erreichen wir kurz nach 16 Uhr und werden bestätigt, was wir in der Vorbereitung bereits gelesen hatten: Oban ist ein touristischer Zielort. Oban (gälisch: An t-Òban für „Kleine Bucht“) ist eine Stadt mit etwa 8500 Einwohnern in an der Westküste Schottlands. Das ehemalige Fischerdorf hat sich städtisch herausgeputzt und wegen der Fährverbindungen zu den Hebriden, aber auch wegen der idealen Möglichkeiten zum Tiefseeangeln zu einem beliebten Touristenort entwickelt. Das bleibt uns nicht verborgen, schon wegen einer bisher nicht gesehenen Menge deutscher Autos und Wohnmobile. Eines davon ist an einer der engsten Passagen so dämlich auf den Gehsteig geparkt, dass wir die Seitenspiegel einklappen müssen, um durchschlüpfen zu können. O Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Unser Ziel liegt etwa drei Kilometer Luftlinie außerhalb Obans: Roseview Camping & Caravan, wo wir um 16:30 Uhr ankommen [N 56° 23‘ 33,67‘‘ W 005° 30‘ 3,77‘‘]. Mit dem Reparaturausflug, der uns fast bis Edinburgh geführt hatte, waren wir heute 260 km unterwegs. Es ist wolkig bei 19 °C.
Roseview CampingBei
Über Weiden und Berge ans MeerRoseview Camping ist erfreulich nichts los, wir sind fast allein. Es lässt sich unschwer ahnen, was unsere erste Tat nach unserer Ankunft ist: Wasser tanken! Der Franz hat richtig Durst und säuft sich gierig voll. Jetzt geht es ihm und uns besser.
Ein Besuch in der Stadt ist uns zu weit, den verschieben wir auf morgen. Jetzt dürfen die Mädels sich im Grünen austoben. Um 17:15 Uhr gehen wir los, hinunter zum Meer und dann über die Hügel und In den Hügeln von Roseview CampingSchafwiesen
Blick auf Kerrera Islandwieder zurück. Der Spaziergang hat sich fast zwei Stunden hingezogen, als wir um 19 Uhr wieder zurück sind. Hier draußen ist von all dem Trubel in der Stadt nichts zu spüren; wir genießen die Stille, machen uns Gnocchi mit Tomatensoße und steigen um 22:30 Uhr nach einem ausgefüllten und erfüllten Tag sehr zufrieden in unsere Betten. Draußen hat es leicht zu regnen begonnen und das Thermometer auf 17 °C gedrückt. So what …
Dienstag, 6. August 2019
Oban – Fidden Farm (Isle of Mull)
Nachts regnet es, aber um 8 Uhr messen wir 16 °C und die Wolken lösen sich auf.
Heute wollen wir auf die Isle of Mull, deswegen versucht die Reiseleiterin eine Fähre zu buchen, aber die Zahlung per Karte klappt immer noch nicht, weil keine mobile Tan aktiviert ist. Die nächste Dreiviertelstunde verbringt sie in freundlichen Gesprächen mit unserer Bank, um endlich in der Sache voranzukommen. Das Ergebnis: Vielleicht morgen, heute sicher nicht mehr. Wir müssen also auf unser Glück und darauf hoffen, dass an einem Dienstag nicht die halbe Welt auf eine Insel der Inneren Hebriden will.
Morgens auf den SchafwiesenGegen 9 Uhr machen wir einen kleinen Spaziergang mit den Hunden, danach pflegen wir unsere Körper und den Franz, und um 10:15 Uhr verlassen wir Roseview Camping & Caravan, denen wir nichts Schlechtes nachsagen können: sehr freundlicher Umgang, ältliche, aber saubere Sanitäranlagen, und mit 25 £ pro Nacht kommt man in GB noch glimpflich davon.
Um Oban – Vom Fischerdorf zum Touristentreffkurz nach halb 11 Uhr parken wir den Franz nahe des Hafens und neben einem großen Parkplatz auf der Lochside Street [N 56° 24‘ 38,9‘‘ W 005° 28‘ 16,73‘‘]. Von hier ist man mit wenigen Schritten im Herzen Obans. Das Städtchen hat nicht wirklich viel zu bieten, wie alle Ortschaften, die sich von einem Fischerdorf zum Touristenmagneten hochgearbeitet haben, einen Hafen, Kneipen und Imbissbuden und, falls man Oban heißt, einen Augenschmaus und einen Kehlenschmaus. Der Augenschmaus ist eher ein fragwürdiger, gibt aber der Stadt etwa sehr Eigenes, nämlich einen echten Blickfang, dem man nicht entkommt: Der McCaig’s Tower, Nachbau des römischen Kolosseums über der Stadt und optisch allgegenwärtig. 1897 lässt der ortansässige Bankier John Stuart McCaig das Monument errichten, um die einheimischen Arbeiter während der arbeitsarmen Wintermonate zu beschäftigen und seiner Familie ein Denkmal zu setzen. Das erste war sehr nobel von ihm, das zweite ist ihm gelungen, schade nur, dass alle Familienmitglieder verarmt oder verstorben waren, bevor der Bau vollendet werden konnte.
Den Kehlenschmaus findet man in der Stafford Street, direkt am Hafen und unter dem Schutz des Kolosseums: die Oban Distillery. Seit 1794 wird dort feinster Single Malt destilliert, was auch heute noch gilt, obwohl die Destille seit 1986 zum weltweit agierenden Diageo-Konzern (ehemals United Distillers) gehört.
Bevor wir uns Oban etwas näher ansehen, buchen wir eine Fähre, was wegen der fehlenden mobilen TAN bisher nicht gelungen war. Für 28 £ reservieren wir uns ein Plätzchen auf der 17-Uhr-Fähre, haben allerdings die Chance eine frühere zu bekommen, wenn etwas frei ist; wir sind also quasi auf Stand-by gebucht und haben ausreichend Zeit, Oban unsere Aufwartung zu machen.
Da wir noch nicht gefrühstückt haben, holen wir das mit einer mächtigen Portion Fish & Chips für uns beide gleich hier am Hafen nach. 9 £ zahlen wir dafür und es ist keinen Cent zu teuer. Dann bummeln wir ein wenig durch Oban, das uns nicht vom Hocker reißt, und landen schließlich – wer hätte es gedacht? – vor den Toren der Whisky-Destille. Mit genug Zeit im Gepäck und einer kräftigen Unterlage im Bauch, schließen wir Gute Laune an der Whiskybaruns zwar keiner Führung an, begeben uns aber in den ersten Stock, um uns mit den Hausbränden vertraut zu machen. Ein ausgesucht freundlicher und exzellent deutsch sprechender Bar-Tender berät und serviert uns, mal kehlenschmeichelnd, mal torfig, mal rauchhauchig, mal kratzbürstig, doch am Ende verlassen wir die Destille ohne eine Flasche, weil der einzige Brand, der ins Schwarze unseres Geschmacks getroffen hatte, vergriffen ist und erst im nächsten Jahr wieder verfügbar sein würde. Alles andere war ok, aber mal zu ruppig, mal zu gewöhnlich, mal viel zu teuer. Was wir allerdings mitnehmen, ist eine gelöste und fröhliche Stimmung, die uns Oban plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt; sogar Städte kann man sich also schön saufen. Wer hätte das gedacht? Reisen bildet.
Stärkung vor der SeefahrtUm 13:30 Uhr sind wir wieder beim Franz und seinem Wachpersonal und gehen gleich noch zu TESCO einkaufen. Der Supermarkt liegt gleich um die Ecke. Anschließend rangieren wir den Franz zur Tankstelle bei TESCO, flößen ihm 42 l für 53 £ ein und stehen um 14:15 Uhr in der Unbooked Lane der Fähre nach Mull. Von dieser Stand-by-Spur wird man abgerufen, wenn auf einer früheren Fähre Plätze frei sind. Es hat 19 °C und ist sehr wolkig, und die verschiedenen Torfgaben sowie der freie Blick auf futternde Menschen an einem Imbiss regen in unseren Mägen einen gehörigen Appetit an, den wir mit einer Seafood-Platte befriedigen, die wir im Womo genüsslich abarbeiten. 18 £ kostet dieses Schlemmerparadies und muss sich vor keiner Restaurant-Kreation verstecken.
Hedda ist ganz hin und wegUm 15 Uhr beginnt es zu regnen und bald darauf werden wir auf die Fähre eingewiesen. Um 15:55 Uhr segeln wir los, immerhin eine Stunde früher als vorgesehen. Der frühe Vogel fängt das Schiff. Oder so ähnlich.
Um 16:40 Uhr legen wir in Craignure auf derIsle of Mull Isle of Mull an. Die nächsten eineinhalb Stunden lassen uns erstmals tief in das eintauchen, was man sich gerne unter Schottland vorstellt: Eine geradezu unwirkliche Landschaft, hautenge Täler, durch die sich sehr schmale Straßen winden, ständig wechselnde Panoramen, vom finsteren Bergmassiv bis zu blitzblauen Meeresbuchten mit Schaumkrönchen, dazu ständig wechselnd Sonne, Regen, Wolken, Wind. Als Chauffeur muss man sich Minute für Minute zwingen, nicht andauernd anzuhalten, sondern einfach seinen
Isle of Mull Job zu machen und zu fahren. Das Anhalten ergibt sich auf dieser Straße von Craignure im Osten der Insel hinüber in den äußersten Westen allerdings ganz von selbst. Diese Straße ist fast durchgängig eine Single-Track-Road, also einspurig. Doch in sehr kurzen Abständen und natürlich an allen unübersichtlichen Stellen und engen Kurven sind Passing Places eingebaut: Ausweichstellen. Man sieht sie meist von weitem, manchmal sind sie auch mit einem hohen
Single Track mit Passing Placefarbigen Pfosten gekennzeichnet, dass man sie auch wirklich rechtzeitig sehen kann und dann blinkt man sich an, einer sagt „komm, ich warte hier“, das ist meistens derjenige, welcher der nächsten Ausweichstelle näher ist und man fährt aneinander vorbei, lächelt, macht ein freundliches Winke-Winke, blinzelt auch mal kurz mit den Lichtern und alles läuft wie geschmiert. Auf diese Weise entsteht keine Hektik, niemand kommt in Bedrängnis, weil einer meint, es besonders eilig haben zu müssen (nur ein Busfahrer fällt in dieser Hinsicht negativ auf, weil er seine Masse für ein angemessenes Argument hält). Wer sich vor diesen einspurigen und oft auch schlechten Straßen scheut, sollte wissen, dass jede deutsche Landstraße mehr Stress und Gefahren in sich trägt als diese knapp 60 km Single Track auf Mull.
Wir sind richtig zufrieden und irgendwie tiefenentspannt als wir um 18:15 Uhr Fidden Farm Camping im äußersten Westen der Insel ansteuern [N 56° 18‘ 20,87‘‘ W 006° 21‘ 55,76‘‘]. Das waren heute nur 67 km. Unter einer charmant lächelnden Sonne mit weißen Wolken nehmen wir einen Ankerschluck und sehen uns um.
Fahrstrecke Oban – Fidden Farm (Mull)
Fidden Farm CampingFidden Farm Camping ist eigentlich kein Campingplatz, sondern eine weite Wiese, auf die man sich nach Lust und verfügbarem Platz stellt. Wer Glück hat, findet eine unbezahlbar schöne Parzelle direkt über dem Strand, was uns erwartungsgemäß nicht vergönnt ist, weil solche Plätze direkt bei der Abreise eines „Besitzers“ vererbt werden, wofür man sich schon auch mal ein bisschen anwanzen und anfreunden muss; die direkte Nachbarschaft hat dabei einen natürlichen Vorteil. Bei unserer Ankunft nach 18 Uhr sind s
olche Prozesse längst abgeschlossen. Uns ist das egal, wir stehen irgendwo zwischendrin, haben jede Menge Freiraum um uns herum und nur wenige Schritte zum Meer. Um uns ist nichts als Natur, Wasser, Himmel und, in gebührendem Abstand, andere Erholungssuchende sowie Schafe, die sich völlig selbstverständlich zwischen den Womos und Zelten bewegen. Gespanne sieht man hier keine. Strom gibt es nicht und Internet nur am Empfang, Sanitär ist einigermaßen sparsam (vier Toiletten und Duschen für die Frauen, für die Männer muss die Hälfte genügen), und zwar in vieler Hinsicht. Wasser gibt es und Entsorgung ist auch vorhanden. Dafür steht man hier in einem echten Paradies für 10 £ – pro Person.
WStändige Begleiter in Fidden Farmährend wir in uns und unserem kleinen Paradies versunken unserem Ankerschluck huldigen, bahnt sich hinter uns ein Schauspiel ganz besonderer Art an: die überwältigende und einzigartige Fidden-Farm-Border-Show! Aus den Hügeln südlich von uns dröhnt uns Motorenlärm entgegen. Es ist ein Quad, besetzt mit einem Mann und zwei Border Collies zu seiner Linken und Rechten. 200 Meter mögen sie vielleicht entfernt sein, als der Fahrer die Hunde mit einer Handbewegung vom Quad schickt. In voller Fahrt springen sie vom Fahrzeug und sprinten in unsere Richtung. Unter den Schafen macht sich Alarmstimmung breit, und dann beginnt die große Hatz. Mit einer unheimlichen Präzision und in vollem Tempo treiben die
Fidden Farm CampsiteBorder die Schafe zusammen, nicht nur jene auf den Wiesen rundherum, sondern auch die zwischen den Womos und Zelten im Camp. Egal, um welches Zelt sich die Schafe herumdrücken wollen, um den Hunden ein Schnippchen zu schlagen, diese scheinen es schon vorher zu wissen und vereiteln jeden Plan mit geradezu gespenstischer Präzision. Es dauert kaum drei Minuten, bis die beiden Hunde alle Schafe im Pulk versammelt haben, vor sich her zum und vor das Quad jagen. Das nimmt wieder Fahrt auf, die Hunde springen in vollem Tempo auf die Maschine und alle zusammen verschwinden mit leiser werdendem Gedröhne zwischen den Hügeln. Wir haben das Gefühl, einer Erscheinung aufgesessen zu sein. Noch mindestens zwei Minuten starren wir wort- und fassungslos dorthin, wo die Erscheinung gerade verschwunden war. Sogar Fianna und Hedda waren von diesem Spektakel so geflasht, dass sie die vorbeiflitzenden Border kommentarlos gewähren ließen. Wer so etwas einmal live und in Farbe gesehen, die Kraft, Präzision und Leidenschaft der Hunde gespürt hat, weiß, was für arme Hunde unsere heimischen, zur Tatenlosigkeit und Langeweile verurteilten Sofa-Borders sind. Ein Border muss hüten und treiben, nicht aber zur Unterdrückung seiner natürlichen Anlagen an der Leine spazieren geführt werden.
Nach Logenplätzedieser Show versinken
wir wieder in längerer Betrachtung der Welt. Die morgendliche Fish & Chips sowie die nachmittägliche Seafood-Platte lassen keinen Hunger aufkommen, und so schlendern wir mit einer kleinen Stärkung in der Hand an die Wasserkante, um dem Sonnenuntergang von Fidden Farm zu huldigen. Ein Pläuschchen mit den Klippenbewohnern, ein Schlückchen aus der Guinness-Dose, ein paar Fotos von der ertrinkenden Sonne – braucht man mehr im Leben? Ein bisschen mehr Wärme könnte nicht schaden, das schon; windige 14 °C lassen uns schon ein wenig frösteln. Die Briten ficht das nicht an, sie sitzen hemdsärmlig und kurzbeinig herum und gehen schwimmen. Der Gedanke daran lässt uns schnell im Franz verschwinden. Um 21:30 Uhr ist heute Zapfenstreich.
Mittwoch, 7. August 2019
Fidden Farm – Tobermory (Isle of Mull)
Morgens trippelt der Regen wieder über unser Schlafzimmerdach, aber als wir gegen 8:15 Uhr aus den Decken kriechen, hat er sich wieder in seine Wolken zurückgezogen. Wir messen windige 16 °C.
Noch vor dem Frühstück darf Fianna eine Fährten in der Schafweideanspruchsvolle Fährte in den Hügeln hinter uns suchen, über Stock und Stein und zwischen unzähligen Schafhäufen. Sie erledigt das höchst konzentriert und routiniert, hat ihre Nase ja schließlich schon in halb Europa in die Erde gedrückt, weshalb ihr fast nichts mehr fremd ist und sie kaum etwas aus der Ruhe bringt. Das schafft noch nicht einmal ein brünstiger Labradorrüde, der auf Fiannas läufigen Spuren wandelt, von ihr aber keines Blickes gewürdigt und von uns nach Hause geschickt wird.
Nach dem Frühstück verlassen wir um 11 Uhr Fidden Farm in Richtung Tobermory, einmal vom Westen Mulls in den äußersten Norden. Die Isle of Mull, kurz Mull (schottisch-gälisch: Eilean Muile) ist mit zirka 875 km2 etwas kleiner als Rügen und hat rund 2.800 Einwohner (Rügen: 63.000). Die Insel hat sich in rund 40 Millionen Jahren aus vulkanischem Basalt geformt
und ist nachweislich seit etwa 8000 Jahren bewohnt. Ihre höchste Erhebung ist Ben More (966 m), der damit die zweithöchste Erhebung der Inneren Hebriden ist und von uns schnöde im Süden liegengelassen wird. Die 81 km von Fidden Farm nach Tobermory ist eine spektakuläre Reise durch Schottland, wie man sich es vorstellt,
noch intensiver als auf der Anreise nach Fidden Farm: hautenge, bucklige Single-Track-Roads, kurvige Küstenpassagen an Felswänden und Abgründen entlang, die nach jeder Biegung ein neues endorphinhaltiges Panorama erschließen. Das wechselnde Licht von Sonne und schwarzen Wolken taucht Inseln und Buchten in die flirrenden und gleißenden Farben eines Kolibrischwarms. Gelegentlich treibt der Wind eine fragile Windhose wie einen Brummkreisel vor sich her. Der Chauffeur spürt nicht eine Sekunde die Anspannung und die Konzentration, die ihm diese Straßen abverlangen; bis ans Ende seiner Tage könnte er auf diesen tracks dahinrollen, um am Ende grußlos in irgendeiner Bucht zu verschwinden. [Hier könnte eines der Fahrvideos eingebunden werden]
Tobermory CampsiteNach drei Stunden raum- und zeitlosen Holterns und Polterns stehen wir nach 80 Kilometern um 14 Uhr vor den Toren der Tobermory Campsite [N 56° 36‘ 54,16‘‘ W 006° 5‘ 18,78‘‘] – und dort bleiben wir auch, weil sich für One-Night-Stands die Tore des Camps nicht öffnen: Wir müssen draußen bleiben, auf der Womo-Reede, sozusagen, einem kiesigen Oval außerhalb des Campingplatzes. Wenn sie meinen. Wir legen keine Beschwerde ein, zumal wir hier allein sind und es auf dem knappen Platz im Camp nach unserem Eindruck, ziemlich eng zugeht: viele Zelte und noch mehr Mobile Homes, alles ein bisschen wuschig. Irgendwie erscheint uns das hier wie eine Art Durchgangsbahnhof ohne Charme und Herz, dafür hemdsärmelig verschlampt. Für Männer und Frauen gibt es jeweils eine Toilette und eine Dusche, dafür entspricht der Preis den schottischen Gepflogenheiten: 20 £ + 5 £ für Strom (den gibt es auch hier draußen vor der Tür).
Fahrstrecke Fidden Farm – Tobermory
Wir machen uns einen Kaffee und führen dann die Hunde ein wenig aus, was sich als schwierig gestaltet, weil es keine brauchbaren Spazierwege gibt. Als Ersatz gibt es allerdings neugierige Hirschkühe, welche die Jagddisziplin der Damen auf eine harte Probe stellen.
Gegen 18 Uhr
geht es nach Tobermory hinunter, knapp zwei Kilometer, etwa 20 Minuten. Hinunter bedeutet tatsächlich: hinunter. Und zwar ziemlich steil. Der Ort mit seinen rund 1000 Einwohnern ist der Hauptort von Mull und wurde 1788 als Fischereihafen gegründet. Die bunte Häuserzeile entlang dem Hafen ist die Touristenattraktion, weswegen es viele Schottlandreisende, wie wir, hierher zieht. Außer diesem Bunten-Smarties-Ensemble am Hafen bietet der Ort nichts, es sei denn, man bezöge die Tobermory Distillery in die Attraktionen mit ein. Sie wurde zehn Jahre nach der Ortsgründung eingeweiht, was Rückschlüsse auf den großen, aber ungestillten Durst der damaligen Fischer zulässt. Wir sehen uns ein wenig um und nehmen zur Kenntnis, dass der Touristenort abends eine sehr leere Hose ist. Wer
Tobermoryunsere Fahrten verfolgt, weiß, dass wir keinen Wert auf touristisches Leben mit seinen Umtrieben legen, aber so tot muss es nun auch wieder nicht sein; ein bisschen Straßenflair, ein bisschen Kneipenleben, einfach ein Anzeichen, dass es hier mehr gibt als nur Touristen. Wir flanieren am Bonbon-Ensemble rauf und runter und wieder rauf und runter und beschließen, unseren Hunger im Hotel und Restaurant Mishnish zu stillen, das vielfach lobend erwähnt wird. Und wir schließen uns diesen Urteilen ohne Abstriche an.
ZThe Mishnishur Vorbereitung unserer Mägen schlürfen wir sechs Austern leer und anschließend vertieft sich die Reiseleiterin in ein Rib-Eye-Steak und der Chauffeur in einen Seafood Stew (bei der Besatzung des Franz II ist eben vieles anders als in gewöhnlichen Haushalten). Dazu gehen zwei Bier mit auf
Die Bar des Mishnish die Rechnung, die sich dann auf 59 £ beläuft. Ambiente hat das Restaurant, zumindest dort, wo wir einen Platz finden, eher wenig, aber über die Qualität der Speisen kann man dem Mishnish nichts nachsagen. Das Mishnish ist aber nicht nur ein Hotel und ein Restaurant, sondern auch einer der wenigen und letzten Kult-Pubs Schottlands, wo man feinste Live-Musik der besten Künstler Schottland geboten bekommt, allerdings meist nur im Sommer und an Wochenenden. Sommer ist noch, aber mit Wochenende können wir heute nicht aufwarten. Doch man kann auch das Glück haben und Zeuge eine der spontanen Jam-Sessions zu werden, doch auch das haben wir nicht: Heute bleiben die Ohren kalt, wir wechseln dennoch vom Restaurant in den Pub, um den Abend ausklingen zu
Tobermorylassen: Gin Tonic und Bier, jeweils einmal (8 £), weil mehr kontraproduktiv wäre, schließlich müssen wir unseren gesamten Magen- und Blutinhalt jetzt wieder den Berg hochstemmen, was zehn Minuten mehr in Anspruch nehmen wird als der Herweg; mit jedem Bier und Gin dehnt sich der Rückweg exponentiell in die Länge.
Um 21:30 Uhr sind wir wieder bei den Hüterinnen des Franz II. Eine Stunde später beschließen wir den Tag und werden für unsere Zurückhaltung im Pub belohnt, denn jetzt regnet es bei 15 °C. Mit jedem Promille mehr, wären wir mehr in die Traufe geraten.
Donnerstag, 8. August 2019
Tobermory – Mallaig
Fähre Fishnish – Lochaline Nachts regnet es, aber um 7 Uhr ist es nur noch bewölkt bei 14 °C. Wir führen die Hunde aus, betreiben Körper- und Franzpflege und verlassen Tobermory Campsite um 8:20 Uhr. Wir fahren südöstlich den Sound of Mull entlang, der die Insel vom schottischen Festland trennt. Um 9 Uhr kommen wir an der Fähre in Fishnish an, wo wir für die gut drei Kilometer hinüber ans Festland 16 £ bezahlen und bereits zehn Minuten später ablegen. Nach 15 Minuten werden wir in Lochaline wieder an Land gesetzt.
Von hier Bordfrühstückgeht es erst einmal in Generalrichtung nach Norden, wo wir gegen 9:45 Uhr an einem Parkplatz [N 56° 37‘ 35,04‘‘ W 005° 39‘ 2,29‘‘] den Franz anhalten, um das unterschlagene Frühstück von Tobermory nachzuholen.
Um 11 Uhr geht es weiter bis zum Loch Sunart, wo wir uns bei Liddesdale nach Osten wenden, bis uns Loch Linnhe wieder nach Norden zwingt. Am Westufer von Loch Linnhe führt uns die A 861 nun nach Nordosten. Rechterhand, am Ostufer des Lochs Aber lassen wir Ben Nevis, den mit 1345 Metern höchsten Berg Großbritanniens liegen. Dort, wo Loch Aber einen Knick nach Westen macht und zum Loch Eil wird, folgen wir diesem nun wieder nach Westen, wohl wissend, dass jenseits dieses Knicks Fort William liegt, eine der wichtigsten Touristenattraktionen Schottlands.
Am Loch AberDie Stadt hat sich um eine 1650 durch Oliver Cromwell gegründete Festung entwickelt. 1690 wird die Festung durch William III. in Fort William umbenannt. Im Laufe der Jahrhunderte durchlebt die Stadt mehrere Namensänderungen, bis sie schließlich den Namen der Festung annimmt und bis heute behielt. Wir halten uns damit nicht weiter auf, weil wir es nicht so sehr mit touristischen Massenansammlungen halten, zumal … doch davon etwas später.
Auf unserem Weg am Südufer des Loch Eil entlang berühren wir bei bei Glenfinnan die Nordspitze des Loch Shiel, an dem man eigentlich kurz verweilen müsste, um ihn angemessen zu würdigen. Hier versammelte Bonnie Prince Charlie (Charles Edward Stuart) 1745 seine Highlander Clans für einen Aufstand und Marsch auf London, um die englischen Besatzer aus dem Land zu Bahnviadukt am Loch Loch nan Uamhjagen und den englischen Thron zu besteigen, was bekanntlich mit der verlorenen Schlacht bei Culloden 1746 endete. Ein so geschichtsträchtiger Ort an einem geheimnisvollen See inspiriert auch die Phantasie neuzeitlicher Geschichtenerzähler, und deshalb ist Glenfinnan im Film Highlander der fiktionale Geburtsort von Connor MacLeod (Christopher Lambert) und muss in den Harry-Potter-Filmen als Hogwart-See herhalten. Da es unwahrscheinlich ist, hier den Zauber-Harry anzutreffen, folgen wir ohne Unterbrechung der A 830, bis wir um 13:25 Uhr am Fährhafen von Mallaig ankommen, um eine Passage auf die Isle of Skye zu ergattern. Doch damit ist es für heute Essig: Morgen, 7:40 Uhr, würde man uns gerne mitnehmen, für heute ist alles ausgebucht. Wir machen die Passage fest und legen knapp 30 £ auf den Tisch. Dann bis morgen.
Fahrstrecke Tobermory – Mallaig
Der Hafen von MallaigUnd was machen wir nun? Wir suchen uns ein Lager für die Nacht. Die Cheflogistikerin entscheidet sich für den Traigh Farm and Caravan Club, der gut 10 km südlich von Mallaig liegt [N 56° 56‘ 21,62‘‘ W 005° 51‘ 29,11‘‘]. Wir müssen also wieder zurück. Um 14 Uhr sind wir dort und werden wegen Überfüllung weitergeschickt. Als nächstes Nachtlager zieht die Quartiermeisterin die Camusdarach Lodge & Campsite in Betracht, jetzt wieder gute zwei Kilometer nördlich [N 56° 57‘ 15,62‘‘ W 005° 50‘ 47,27‘‘]. Auch hier ist für uns keine Parzelle mehr frei, ob das alles stimmt oder ob es daran liegt, dass wir keine Members sind, werden wir wohl nie erfahren. Immerhin bekommen wir den Tipp, es doch einmal auf dem Parkplatz direkt am Fährhafen in Mallaig zu versuchen, gleich neben dem Bahnhof, dort dürfe man stehen. Also wieder zurück nach Mallaig, was immerhin den Vorteil hätte, dass uns morgen Früh die Anfahrt zur Fähre erspart bliebe. Um 14:15 Uhr inspizieren wir den besagten Parkplatz und müssen, wie Cäsar, feststellen, dass der Hafen voll ist. Das bedeutet auch für uns, nun einen Platz zu finden, wo wir nachts unsere Häupter zur Ruhe betten können oder zumindest
Mallaig so lange auf Warteposten liegen, bis der Parkplatz sich leert. Wo immer wir unsere Blicke hin richten: kein Platz für den 7,30-Meter-Franz. Schließlich landen wir am nördlichen Ende von Mallaig, in der Cameron Ave, einer Sackgasse, die auch voll ist. Rund 100 m in Richtung Ortsmitte hatten wir das Schild East Bay Car Park gesehen; dort machen wir jetzt Quartier. Punkt. Das Zusatzschild, direkt neben dem Franz "No parking of caravans or caravanettes between 12 midnight and 6 am." ignorieren wir, weil wir kein Caravan sind und keinesfalls genug Englisch können, um zu verstehen, was ein caravanette sein soll und dies jetzt und heute auch gar nicht wissen wollen. Wenn uns jemand vertreiben will, stellen wir uns deutsch dämlich und fahren unter höflichen Entschuldigungen davon. Aber, und da sind wir uns sicher, das wird nicht passieren. Nicht in Schottland.
East Bay Car Park Nach 179 Kilometern stehen wir also am East Bay Car Park [N 57° 0‘ 26,92‘‘ W 005°49‘ 20,35‘‘] bei bewölkten 18 °C. Wir erholen uns von den Strapazen des Tages, trinken Kaffee und planen, wie es weitergehen soll.
Um 17:40 Uhr brechen wir zu dem längst überfälligen Spaziergang auf. Der erste Weg führt uns zum chronisch belegten Parkplatz am Bahnhof, nur um festzustellen, dass ihn seither niemand verlassen hat: immer noch proppenvoll. Dann wenden wir uns rückwärts und widmen uns der Hauptattraktion von Mallaig.
Ursprünglich ist Mallaig nur ein Fischerei- und Fährhafen. Früher stand die Heringsfischerei im Vordergrund, heute hat man sich auf Garnelen und Hummer spezialisiert. Mehr ins Zentrum des Geschehens rückt Mallaig erst, als es 1901 ans britische Eisenbahnnetz angeschlossen wird, und die West Highland Railway den 800-Seelen-Ort mit Fort William verbindet. Nach dem regulären Ende des Dampfbetriebs auf der West Highland Line Anfang der 1960er Jahre, nimmt British Rail im Sommer 1984 erstmals wieder einen dampfbetriebenen Nostalgiezug zwischen Mallaig und Fort William in Betrieb. Nachdem der Zug zuerst als „The West Highlander“ und später als „The Lochaber“ die 135 km (hin und zurück) zwischen Fort William und Mallaig unter die Räder nimmt, bekommt er mit Die Dampflok des "Hogwarts Express"der Privatisierung von den neuen
Harry Potters Plüschbahn Besitzern (West Coast) seinen bis heute gültigen Namen: „The Jacobite Steam Train“. Der Name bezieht sich auf die als Jakobiten oder Jakobiter bekannten irischen, schottischen und englischen Anhängern der auf den englischen Thron Anspruch erhebenden, aber nicht als Thronfolger anerkannten Erben des Hauses Stuart, deren Aufstände gegen die englische Krone, wie wir oben schon einmal kurz erwähnten, allesamt erfolglos blieben. Dieser Zug wurde sehr gut angenommen und würde bis heute als gut besuchter und plüschiger Museumszug zwischen Mallaig und Fort William herunterdampfen und -pusten, wenn er nicht den Machern der Harry Potter-Filme aufgefallen wäre. Seither kennt die ganze Welt den übers Glenfinnan-Viadukt qualmenden Dampfzug. Und seither ist er eben der "Hogwarts Express" oder der "Harry-Potter-Zug". Niemand mit Kindern sollte auf die Idee kommen, in diese Gegend zu reisen und nicht eine Fahrt mit dem "Hogwarts Express" einzuplanen. Das könnte schwere familiäre Verwerfungen zur Folge haben. Wer dieses Erlebnis einer Dampffahrt mit Kindern und 1000 aus den Fenstern gehaltenen Handys nicht vermeiden kann, sollte schon mehrere Wochen vorher buchen; der Zug ist immer rappelvoll.
Auch jetzt dampft er auf dem Gleis 9 ¾ in Mallaig, um seine entzückte und kreischende Fracht nach Fort William zu ächzen. Und jetzt weiß man auch, warum wir einen Bogen um Fort William geschlagen haben. Wir haben nicht gebucht, wollen auch nicht nach Fort William, sondern morgen auf die Isle of Skye und schlagen einen Bogen um das Dampfross. Westlich der Bahnlinie steigen wir Annies Brae hoch, blicken dem Jacobite nach, wie er gerade unter schweren Dampfschwaden Mallaig verlässt und steigen dann auf eine Anhöhe mit einem Wasserspeicher. Dort oben, wie schon den ganzen Weg, ist es bissig kalt und windig, auf der Anhöhe pfeift uns der Wind ordentlich durch die Rippen. Wir kehren um und sind um 19:15 Uhr wieder beim Franz.
Um 19:45 Uhr stapfen wir hungrig erst zum Parkplatz, um uns zu vergewissern, dass auch jetzt noch niemand für uns Platz gemacht hat und dann Very British – und very leckerzum Steam Inn, gleich am Hafen, am Beginn von Annies Brae. Als Vorspeise entscheiden wir uns für eine Portion Muscheln, danach kommt ein frittierter Seeteufel und eine Portion – na, was wohl? – Fish & Chips auf den Tisch, diesmal mit den berühmt-berüchtigten kalten und komplett ungewürzten Erbsen, ein Highlight der britischen
Es muss nicht immer Ale seinKüche. Der Fisch und die Fritten sind wirklich gut, nur wozu diese Erbsen gut sein sollen, erschließt sich einem Mitteleuropäer vermutlich nur nach längerem Aufenthalt auf der Insel, wenn sein kulinarisches Gedächtnis in den Nebeln der Vergangenheit versunken ist. Sie mussten schon viel Spott über sich ergehen lassen, diese Erbsen, aber sie haben es immerhin zu einem eigenen kleinen Gedicht gebracht, zu dem es alle Seeteufel und sonstigen Fische mit ihren Fritten unseres Wissens noch nicht gebracht haben:
Stimmungsvoll geht's in die NachtI eat the peas with honey
I’ve done it all my life.
It makes the peas taste funny
But keeps them on the knife.
Als Begleiter wählen wir zweimal Bier und zweimal Old Mout Cider Berry & Cherry. Für das alles übereignen wir dem Haus 44,40 £.
Um 21:30 Uhr nehmen wir ziemlich zufrieden und gestärkt unser Wachpersonal in die Arme, führen es für die kleine Nachtverrichtung einmal den East Bay Car Park auf und ab und legen uns zur Ruhe; morgen kräht der Hahn sehr früh. Es sei denn ein Hüter des Gesetzes weckt uns schon früher, um uns hier zu verscheuchen.
19 °C, sehr wolkig und sehr windig. Gute Nacht.
Freitag, 9. August 2019
Mallaig – Isle of Skye
DAuf der Fähre nach Skyeie Nacht ist ruhig, niemand stört unseren Frieden. Noch nicht einmal der Regen. Aber der Wind brist auf. Um 6 Uhr messen wir sehr bewölkte und windige 16 °C.
Um 6:35 Uhr verholen wir den Franz von seinem Nachtlagerplatz an den Fährhafen, wo wir schon zwei Minuten später als Erste in der Wartespur stehen. Frühstück.
Um 7:45 Uhr verlassen wir Mallaig und kommen eine halbe Stunde später, um 8:15 Uhr, in Armadale auf Skye an.
Diese ruhige und sehr kurze Passage gibt uns die Gelegenheit, ein Wort an alle Hundebesitzer zu richten: Nehmt eure Hunde aus den Autos und mit an Deck. Auf den meisten Fährverbindungen gibt es damit kein Problem, auf größeren Fähren steht sogar oft ein eigener Bereich für Gäste mit Hunden zur Verfügung. Auf dieser Fähre von Mallaig nach Armadale lassen wir Fianna und Hedda im Womo, weil die Überfahrt sehr ruhig, die Fähre offen und nur wenige Fahrzeuge an Bord sind. Wenn die Autos im Bauch der Fähren untergebracht sind, gehen die Hunde nämlich durch eine Lärmhölle und brauchen hinterher besondere Zuwendung wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen. Der Grund sind die Alarmanlagen in den Fahrzeugen, die von den Bewegungen des Schiffs, und dazu muss es nicht ruppig sein, ausgelöst werden. In den Schiffsrümpfen ist dann für Hunde Armageddon. Das Problem ist, dass zwar überall Schilder angebracht sind, die daraufhin weisen, die Alarmanlagen abzustellen, aber gerade die Mietwagenfahrer haben meist keine Ahnung, wo sie das bewerkstelligen sollen, wie uns an Deck eine japanische Mitreisende erklärt: Sie würde ja gerne, nur wie? Hier auf dieser Fähre bleibt es dort unten ziemlich ruhig und die Lautstärke moderat. Die Mädels machen auch in Armadale nicht den Eindruck, als ob sie ein Kriseninterventionsteam bräuchten, eher wäre ein Wecker vonnöten.
Wir fahren nach Norden, was nicht überrascht, weil es in Richtung Süden schnell zu Ende wäre. Um uns herum breitet sich ein Land aus, das nichts mit dem zu tun hat, was wir bisher in Schottland gesehen haben und sich von Mull deutlich abhebt. Mull ist eng, schroff, wild und trollig. Skye dagegen öffnet uns weite Täler, einen schweifenden Blick, sanfte Tundrahügel, Heide oder Nadelhölzer. Es wirkt, als ob man für Skye Mull flachgewalzt hätte. Und auch die Straßen sind für schottische Verhältnisse komfortabel, relativ intakt und, wie man ahnt, auf Massentourismus ausgelegt. Nirgendwo haben wir bisher eine solche Touristenprozession erlebt, und zwar in beide Fahrtrichtungen. Man weiß, wenn man es wissen will, dass Skye ein Touristenmagnet ist, aber diese Endlosschlangen sind ein wenig verstörend. Besonders befremdlich ist, wie sich mit der Zahl der Touristen die Moral auf den Straßen verflüchtigt. Rücksichtnahme und ein Miteinander, wie wir sie bisher landauf landab erlebt haben, scheint ein Fremdwort zu sein. Passing Places werden ignoriert: Wer zuerst kommt, sticht durch, anhalten und den Gegenverkehr passieren lassen, gilt offenbar als unsportlich. Diese schon unerfreuliche Gemengelage erfährt noch einen Zusatzkick durch die augenscheinliche Unerfahrenheit der Tagestouristen auf britischen Straßen: Man mietet sich ein Auto, wird erstmals im Leben mit Linksverkehr und Rechtssteuerung konfrontiert, kommt nicht damit klar, misstraut den Abmessungen und Distanzen zum Straßenrand – und belegt sicherheitshalber die Straßenmitte. Und weil das alles nicht schon genug wäre, regnet es bei einem ordentlichen Wind. Der Name Skye hat seinen Ursprung im Nordischen und bedeutet so viel wie Nebel- oder Wolkeninsel. So authentisch hätten wir es nicht gebraucht. Dieses Wetter ist das schlechteste seit unserer Ankunft in Großbritannien.
Wir machen um 8:50 Uhr erst einmal einen Versorgungsstopp bei COOP in Broadford, der sich eine knappe Stunde dehnt, dann füllen wir noch Franzens Tank für 1.31,9 £ /l, ehe wir kurz vor halb 11 Uhr auf den städtischen Parkplatz von Portree rollen [N 57° 24‘ 44,76‘‘ W 006° 11‘ 52,23‘‘]. PortreeIn Portree regnet es Bindfäden. Wir wagen dennoch einen kurzen Rundgang mit all den anderen Tagestouristen unter einer wogenden Masse aus Regenschirmen und haben eine Art Deja-vu-Erlebnis: Portree, die Hauptstadt von Skye, ist ein Spiegelbild von Tobermory. Bunte Smarties-Häuser am Hafen und sonst nichts – außer Touristen, die sich im Sommer, vor allem, wenn hier Highland Games stattfinden, die Köpfe einschlagen, um eine Unterkunft zu finden. Der Ort ist eigentlich immer überlaufen. Weshalb das so ist, erschließt sich uns nicht. Er ist die einzige Stadt auf Skye, oder das, was man als solches bezeichnen kann, und hat etwas über 2000 Einwohner, von denen ein gutes Drittel, wie übrigens auf der ganzen Insel, noch das schottische Gälisch beherrschen. Nur eines ist sie sicher nicht: der Hafen des Königs, wie es der gälische Name Port Rìgh glauben machen möchte.
Wir finden, dass selbst Tobermory noch mehr zu bieten hatte als Portree und brechen unseren verregneten Rundgang schnell ab. Um 11 Uhr haben wir genug gesehen und fahren weiter. Und schon um 11:30 Uhr stehen wir vor den Toren der Skye Camping und Caravaning Club Site, zwischen Flashader und Edinbane, direkt an den Ufern des Loch Greshornish, der eigentlich kein richtiger Loch ist, sondern eher eine Bucht des Atlantiks [N 57° 29‘ 7,46‘‘ W 006° 26‘ 5,75‘‘]. Hier stehen wir im Regen bei 13 °C und warten auf Einlass, der uns erst ab 13 Uhr gewährt wird: Mittagsruhe. Franz und wir schlummern uns die zurückgelegten 90 km von der Seele. Bereits um 12:45 Uhr werden wir eingelassen und beziehen eine geräumige und rundum sehr aufgeräumte Kiesparzelle; da könnte man sich wohlfühlen, wenn das Wetter etwas mehr Einsehen hätte. Was nämlich jetzt über uns aufzieht, ist nicht nur ein größeres Regenfeld, sondern das Sturmtief Yap, das ganz Europa in Unruhe versetzt: Sehr stürmisch soll es werden und sehr, sehr nass.
Fahrstrecke Mallaig – Edinbane (Isle of Skye)
Skye Camping & Caravan ClubWir waschen, lesen
Im Farn und auf der Heide...und dösen, während der Regen auf uns niederprasselt. Am späten Nachmittag hat der Himmel ein Einsehen und stellt die Traufe ab. Die Gelegenheit nutzen wir, um die Mädels auszuführen, für die das heute der erste Ausgang ist, den man als solchen bezeichnen könnte; die haben es wirklich nicht leicht mit uns. Eine Stunde stapfen wir mit ihnen durch die quietschnasse und anstrengende Moorheide an den Gestaden des Loch Greshornish auf und nieder. Aber die Mädels sind superglücklich und kriegen sich in dem Batz und Schmodder gar nicht mehr ein vor Freude. Und wir schlonzen durch den tiefen Grund mehr als dass wir gehen… Nach den guten zwei Kilometern unter diesen abgründigen Bedingungen, sind wir ziemlich ausgepowert und freuen uns auf einen beschaulichen Abend unter einem nun aufgeräumten Himmel. Allerdings sind wir gut genug informiert, um zu wissen, dass das erst die zarten Vorläufer von Yap waren; das dickere Ende steht uns noch bevor.
Loch GreshornishJetzt soll uns das nicht aus der Abendruhe bringen, deshalb stärken wir uns gegen 20 Uhr mit Rigatoni al Forno aus dem Omnia und um 23 Uhr stehen wir an der Einfahrt des Camps und warten auf Freunde, mit denen wir uns hier verabredet haben. Es sind die Krümels, jene Nachbarn, die unsere aufmerksamen Leser schon seit unserer Sardinienfahrt im vergangenen Jahr kennen und die uns die Maut für Dartford Crossing vorgeschossen haben. Sie sind schon zwei Wochen vor uns nach Schottland aufgebrochen und gegen den Uhrzeigersinn gefahren, während wir eher im Uhrzeigesinn unterwegs sind. Und heute kreuzen sich unsere Wege hier. Wie angekündigt rollen sie um 23 Uhr an, alle drei, Iris, Jens und Anna-Maria, sehr blass um die Nase, weil sie soeben eine ausgesprochen rüpelhafte Überfahrt von Uist hinter sich gebracht haben. Nur Krümel, die Cockerpoo-Dame, scheint kaum beeindruckt, dafür voller Glück, uns, vor allem aber ihre großen Freundinnen Fianna und Hedda zu sehen. Krümel ist demnach bestens versorgt, den anderen hilft nur ein Guinness, um die Mägen und Lebensgeister wieder stout zu machen.
Viel Lebensgeister können die Krümels trotzdem nicht mehr aktivieren, weswegen wir um Mitternacht den Tag bei wolkigen 13 °C beschließen.
Samstag, 10. August 2019
Isle of Skye
Yap-Wetter am Loch GreshornishAls wir um 8:30 Uhr einen Blick nach draußen wagen,
Kuschelfrühstückist die Welt um uns herum neblig, windig, kalt und kurzerhand: eklig. Wir versammeln uns in Krümels neuem Carthago, der den Caravan, mit dem sie noch im sardischen Valledoria residierten, in Rente schickte. Außer den notwendigen Hundespaziergängen steht heute nicht viel auf der Agenda, weil jetzt auch der Regen wieder kräftig einsetzt und die Wolken bis auf den Boden hängen. Der Regen will auch den ganzen Tag nicht lockerlassen, höchstens ein paar kurze Regenerationsphasen einschieben. Eine solche Regenlücke am späten Nachmittag nutzen wir für eine „Schiffstaufe“, bei der wir das Krümelmobil feierlich und stilecht auf den Namen „Haggis“ taufen, die allerdings nur halbherzig ausfällt, weil Jens sich weigert, die Schaumweinflasche mit Schmackes an Haggis‘ Rumpf zu zerteppern, wie das so üblich ist. Die Regenpause lässt noch zu,
Ich taufe dich auf den Namen Haggis dass Jens seinen Grill zum Einsatz bringen kann, und wir keinen Grund haben, dem schlechten Wetter mit schlechter Laune zu begegnen. Und so betreiben wir hartnäckiges Indooring im Haggis und reden uns die Welt schöner als sie derzeit ist.
Wir nutzen die Gelegenheit, unsere Route für die nächste Zukunft vorauszuplanen, Original Planungsprotokoll aus dem Haggiswährend die Krümels ihre Heimfahrt planen; für sie geht die schöne Zeit in Schottland langsam zu Ende, was durch das Mistwetter bestimmt etwas leichter zu ertragen ist. Am Ende unserer Recherchen beschließen wir, morgen um 18:35 Uhr die Fähre von Uig nach Lochmaddy auf der Insel North Uist zu nehmen und am Montag soll es dann um 17:25 Uhr mit der Fähre nach Leverburgh auf Harris gehen. Weiter planen wir nicht, aber die Inselhopperei mit den Fähren sollte schon ein wenig geplant sein. Ein längerer Aufenthalt hier, gegen den wir nichts einzuwenden hätten, ist ausgeschlossen, weil das Camp morgen von einer Horde Italiener geflutet werden soll und alles ausgebucht ist. Unter diesen Umständen geht man leichten Herzens. Die Reiseleiterin hängt sich ans Smartphone und bucht die Fähren, womit unsere nähere Zukunft in warmen Tüchern wäre.
Spät nachts fallen wir dann aus dem Haggis und im Franz in unsere warmen und trotz des Dauerregens trockene Tücher. Raindrops keep falling on our heads...
Sonntag, 11. August 2019
Neist Point (Skye) – Uig (Skye)
Hedda, Fianna und KrümelJens, dem Haggis-Kapitän, geht es schlecht. Er hat Kopf, er hat Magen, er hat Bauch und Darm und pflegt eine innige Beziehung zum Haggis-Restroom. Jens sieht aus wie Weißbier mit Spucke. Was er sich wie und wo eingehandelt hat, bleibt nebulös, womit eine gewisse Parallelität zur Außenwelt hergestellt wäre, denn um 8:30 Uhr hat der Regen immer noch nicht aufgegeben, die Wolken hängen tiefer als die Flugsicherung erlaubt und das Thermometer schafft gerade mal 12 °C. Dennoch muss nach dem Frühstück geschieden sein.
Wir ver- und entsorgen den Franz und zahlen mit der Camping-Europe-Karte 57 £ für die beiden Nächte (ohne wären es 68 £ gewesen). Der Skye-Camping-Site können wir nur Gutes nachsagen: gute und sauber Sanitäranlagen, Waschmaschine, Trockner und sonstige Annehmlichkeiten, saubere, geräumige Stellplätze und sehr freundliche Betreiber, bei denen man, wenn man möchte, auch Bio-Farmprodukte aus eigener Herstellung, dazu Konfitüren, Honig oder Shortbread bekommen kann. Das alles, zusammen mit der romantischen Lage am Loch Greshornish, spräche für einen etwas längeren Aufenthalt, die Italiener sprechen dagegen. Und das Wetter darf sowieso keine Rolle spielen: Es ist, wie es ist und zwar hier wie da. Also: Haste ye back...
UmAuf dem Weg zum Neist Point 12 Uhr verlassen wir das Camp und peilen, zusammen mit Haggis und dem notleidenden Jens am Steuer, Neist Point an, den westlichsten Punkt der Insel – und wegen seiner rauen Landschaft mit dem malerischen Leuchtturm auf der Klippe ein Sammelplatz für Touristen aus aller Welt. Die Single-Track-Road in Richtung Neist Point scheint noch schmaler als die im Rest Schottlands, und die vielen Touristen haben sichtlich Mühe, damit klarzukommen. Die Fahrt ähnelt mit jedem Kilometer, den wir zurücklegen, immer mehr einem Pilgerzug: Auto an Auto, Womo an Womo und dazwischen lebensverachtende Radtouristen. Es verwundert nicht, dass die unangepassten und egomanischen Verhaltensweisen mancher Fahrzeuglenker, wie wir sie auf der ersten Skye-Etappe erfahren haben, hier noch eine Steigerung erfahren. Manche sind schlicht unverschämt, andere sichtlich überfordert. Für die Schlimmsten gilt wohl beides.
Spontan kommt dem Chronisten Erich Kästners Gedicht „Entwicklung der Menschheit“ in den Sinn, dem angesichts der Zustände auf dieser Route nichts hinzuzufügen ist:
Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.
Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.
Sechs Damen erobern den Neist PointNach einer knappen Stunde erreichen wir Neist Point [N 57° 25‘ 47,27‘‘ W 006° 46‘ 43,87‘‘]. Der ausgewiesene Parkplatz bietet nur einigen wenigen Pkw Platz, weswegen die eh schon enge Zufahrt beidseitig auf mehrere hundert Meter zugeparkt ist. Da freuen sich der Franz und Haggis, vor allem deren Maschinisten. Wir werfen das gesamte weibliche Begleitpersonal raus, damit sie sich in die Leuchtturm-Prozession einreihen können, und suchen landeinwärts einen Hocker. Mit etwas Geduld werden wir fündig, indem wir Abreisende mit breiten Schultern beerben. Der Chauffeur macht sich ohne Jens auf den Weg über die Klippen und zum Leuchtturm; Jens zieht es vor, an seiner Genesung zu arbeiten und zu schlafen.
Neist Der Leuchtturm von Neist PointPoint ist eine kleine Halbinsel auf Skye, deren 19 m hoher Leuchtturm aus dem Jahre 1909 den westlichsten Punkt der Insel markiert. Es erstaunt nicht, dass die steilen Klippen, der Gipfel des Waterstein Head (296 m), die Scharen von Seevögeln und die Hoffnung, bei etwas Glück Robben, Delphine und Wale beobachten zu können, Scharen von Besuchern anziehen. Was allerdings erstaunt, ist, dass die zuständigen Behörden keinerlei Notwendigkeit sehen, diesem Ansturm mit einer wenigstes bescheidenen
Der Waterstein Head Infrastruktur Rechnung zu tragen. Wie erwähnt: kein Parkplatz. Aber auch sonst kommt dieser zauberhafte Fleck infrastrukturell in den Planungen der Behörden nicht vor. Wir sind die letzten, die an einem solchen Ort Bars, Fritten-Buden und Wegwerf-Gastronomie erwarten, aber hier gibt es nur eine schäbige Bude, die Eis und Erfrischungsgetränke verkauft. Leider hat man versäumt, zur Entsorgung der Erfrischungen Toiletten zur Verfügung zu stellen. Noch nicht einmal ein Dixie-Klo hat seinen Weg hierher gefunden. Kein Mülleimer! Und natürlich: Kein Hundeklo für deren Hinterlassenschaften. Eigentlich wäre die Zauberformel recht einfach: Bewahrung der Natur = Tourismus klein halten oder Vom Tourismus profitieren wollen = Infrastruktur zur Verfügung stellen. Die Frage ist hier, wer denn bei diesem Chaos außer den Betreibern des Kiosk vom Tourismus profitiert? Die Insel sicher nicht und die Natur bestimmt auch nicht.
Der Neist PointChauffeur vereinigt sich bei seinen Streifzügen über die Klippen und dem Weg zum Leuchtturm mit den sechsfachen Damen, und um 14:45 Uhr sind wir alle wieder zurück bei Jens, dem wir aus unseren Beständen eine eingekochte Hühnersuppe verabreichen, die wir immer mitführen und die ihm tatsächlich wieder sichtlich auf die Beine hilft.
Jetzt heißt es Abschied nehmen von den Krümels, die sich in Richtung Heimat orientieren, während wir unsere Reise fortsetzen. Doch erstens kommt es immer anders und zweitens als gedacht. Von dem einige hundert Meter vor uns rollenden Haggis kommt die Meldung: Nichts geht mehr, ein Wohnmobil hängt im Graben, Pkw können passieren, Womos nicht. Wir suchen uns in einer ausladenden Kurve einen Hocker; dort stehen wir gut und behindern den Durchfahrtsverkehr nicht. Es ist 15:15 Uhr – und unsere Fähre nach Lochmaddy legt um 18:35 Uhr in Uig ab.
Wir machen uns auf den Weg, die Havarie in Augenschein zu nehmen. Es ist ein Italiener mit einem Mietmobil, der über die Piste gerutscht ist und nun auf der Vorderachse sitzt. Wenn man auf der ungewohnten rechten Fahrerseite den linken Straßenrand nicht sieht, kann das schon mal – buchstäblich – schiefgehen. Jens, den die Hühnersuppe in die Nähe alter Kampfkraft gebracht hat, bietet dem Havaristen an, ihn mit dem Haggis aus dem Graben zu ziehen. Doch der lehnt kategorisch ab; das sei ein Mietwagen und er bestehe auf Polizei und Abschleppwagen. Jede Menge Schaulustige verlustieren sich an dem Schauspiel, nur die festsitzenden Wohnmobilisten können der Straßensperre wenig abgewinnen. Aggression baut sich auf. Es hagelt Beschimpfungen. Die auffälligsten Gockel sind ein Tscheche, ein Russe und ein Oberpfälzer – und es herrscht noch genau derselbe Ton, wie seinerzeit auf den Bäumen.
Polizei findet sich nicht ein, aber ein Abschleppwagen kommt, der sich prompt in den gegenüberliegenden Graben manövriert und einen Achsbruch holt. Jetzt wird es psychologisch. Einen wesentlichen Anteil an der Beherrschbarkeit der Lage haben Einheimische, vielfach im stimmungsaufhellenden Kilt, die überall herumflitzen, schottische Witzeleien und Durchhalteparolen liefern, aber auch über den Stand der Ereignisse informieren. So erfahren wir, dass zur Bergung des Abschleppers und des Womos nun ein Spezialwagen aus Inverness angefordert wurde, der bereits auf dem Weg sei. Inverness? Das sind ja 150 km Luftlinie, dazu kommt noch eine Fährüberfahrt, denn fliegen wird der Bergepanzer vermutlich nicht. Mit vier Stunden bis zu seiner Ankunft müsse man rechnen. Wir rechnen nun mit allem, aber sicher nicht mehr mit der Fähre nach Lochmaddy. Dafür hängt sich die Reiseleiterin ans Telefon und informiert Caledonian McBrayne (CalMac), den Fährbetreiber, der die schottische Inselwelt bedient, über unser Missgeschick und lotet aus, was nun zu tun sei. Ergebnis: Wir stornieren heute Abend Lochmaddy und morgen die Fähre nach Leverburgh. Da diese zu einem späteren Zeitpunkt bereits ausgebucht ist, entscheiden wir uns für eine Passage morgen Früh direkt nach Tarbert auf Harris. Die Passage kostet 60 £, für die stornierten Fahrten bekommen wir gegen eine Servicegebühr von 20 £ 70 £ erstattet. Aus Freude über das Entgegenkommen von CalMac, sehen wir davon ab, dem italienischen Bruchpiloten die Kosten in Rechnung zu stellen.
Da es hier nichts zu tun gibt und es auch nicht abendfüllend ist, stundenlang um die Havarie herumzuschleichen und dummen Sprüchen zu lauschen, durchstreifen wir mit Iris, Anna-Maria und den drei Vierläufigen noch einmal die Hügel rundherum, fangen den Leuchtturm im Abendlicht ein und bereiten uns gegen 20 Uhr im Franz Spaghetti mit Lachssoße. Jens hält sich bedeckt und fern, weil er die Rekonvaleszenz seines Verdauungsapparats gerne zu einem guten Ende bringen möchte.
Um 21:35 Uhr klingen die Handys und rappeln die WhatsApp-Chats: Bahn frei! Es kann weitergehen. Erwartungsgemäß dauert es ein bisschen, bis sich der Pulk auflöst und sich die Wichtigsten der besonders Wichtigen erfolgreich vorgedrängt haben. Um 21:45 Uhr werfen wir den Franz an, rufen den Krümels eine gute Heimreise hinterher und starten in Richtung Uig an der Nordwestecke von Skye. Das Dorf Uig liegt mit seinen 400 Einwohnern in einer geschützten Bucht, woher sich auch der Name aus dem altnordischen vík (= Bucht, Meeresarm) herleitet. Sein Auskommen beschafft man sich hier mit Fischerei und Fährverkehr.
Um 23:15 Uhr kommen wir an und stellen uns nach insgesamt 97 km gleich auf die Boarding Lane des Fährhafens [N 57° 35‘ 13,75‘‘ W 006° 22‘ 34,22‘‘], schließen die Luken und die Augen. Es ist wolkig und hat 8 °C. Der Chauffeur träumt in dieser Nacht hartnäckig von einem Mist Point. Was die Welt so alles zu bieten hat ... Mist Point ... gibt's doch gar nicht ... sowas ...
Fahrstrecke Skye Camping über Neist Point nach Uig
Montag, 12. August 2019
Isle of Skye – Ardroil (Harris & Lewis)
Abschied von der Isle of SkyeUm 4 Uhr treibt uns der Wecker aus den Betten. Die Mädels bekommen bei wolkigen 8 °C ihren sehr frühen und sehr kurzen Morgenspaziergang.
Um 5:10 Uhr werden wir an Bord gewunken Frühstück an Bordund um 5:30 Uhr stechen wir in The Minch, den Meeresarm, der das schottische Festland von der Insel Lewis and Harris trennt. Rund 45 km (24 sm) liegen vor uns, Zeit genug, sich einem kraftspendenden Frühstück zu widmen. Wir entscheiden uns für ein original schottisches Frühstück mit Würstchen, Speck, Black Pudding, Baked Beans, Kartoffelbällchen und Spiegelei für je 7,99 £, dazu Cappuccino und O-Saft. Genau dieses Frühstück muss es heute sein, auch wenn es einigen Mitteleuropäern beim Gedanken an Black Pudding und Baked Beans mit fetten Würstchen am frühen Morgen die Zehennägel aufwölbt. Wer sich in GB darauf nicht einlassen möchte, sollte weiterhin nach Malle fahren und Schnitzel mit Pommes bestellen. Das Fähr-Frühstück muss sich nicht verstecken und stimmt uns auf die neue Etappe ein, von der wir uns, nach allem, was wir gelesen und gehört haben, richtig freuen.
Die Insel Lewis and Harris (schottisch-gälisch: Leòdhas agus na Hearach) gehört zu den Äußeren Hebriden und ist mit knapp 2.200 km2 die größte schottische Insel und die drittgrößte zusammenhängende Landmasse der Britischen Inseln nach Großbritannien und Irland. Derzeit leben zirka 21.000 Menschen auf Lewis and Harris. Durch den Doppelnamen entsteht der Eindruck, dass es sich um zwei getrennte Inseln handeln müsse, was nicht ganz unberechtigt wäre, weil die Landbrücke bei Tarbert nicht einmal einen Kilometer ausmacht. Tatsächlich handelt es sich um die Bezeichnung für ein- und dieselbe Insel, die eine Wespentaille hat, wovon der deutlich größere, nördliche Teil „Lewis“ ist und das südliche Anhängsel „Harris“. Möglicherweise hat man den beiden Inselteilen unterschiedliche Namen gegeben, um damit den völlig verschiedenen Landschaftsformen der beiden Inselteile Rechnung zu tragen, wobei das im Süden von Lewis unwegsam aufragende Mittelgebirge die natürliche Trennungslinie bildet. Harris ist überwiegend bergig, schroff und rau, mit Gipfeln bis über 300 m hoch, Lewis dagegen überwiegend flach, wild und lieblich.
UmTarbert voraus 7 Uhr legt die Fähre in Tarbert an und wir ziehen gleich los. Wir beschließen, zuerst Harris zu erkunden. Dazu halten wir uns vom Hafen südlich und nehmen die A 859, das allerdings nur wenige hundert Meter weit, weil wir den Vierläufigen nach dem sehr knappen Morgenspaziergang noch ein bisschen Bewegung gönnen wollen. Wir biegen gleich linkerhand auf einen kleinen Parkplatz [N 57° 53‘ 34,71‘‘ W 006° 57‘ 59,66‘‘] und spazieren den Weg entlang Richtung Südost und in Richtung Wasser. Nach bereits 500 Metern machen wir entnervt kehrt, weil uns die Midges in bisher nicht gekannter Weise attackieren.
Die berüchtigte Highland Morgens im Reich der MidgesMidge (Culicoides impunctatus) ist eine kleine, gerade einmal zwei Millimeter lange Stechmücke. Diese Mücken stechen nicht, auch wenn sie so genannt werden, sondern beißen, und zwar nur die Weibchen. Sie benötigen für spätere Ei-Ablagen Protein, das sie in Blut finden. Dabei sind die Midges nicht wählerisch und bedienen sich bei jedem Säugetier, das ihnen vor die Kiefer kommt. Gefährlich sind sie für uns nicht, bisher sind keine Krankheiten bekannt, die von ihnen übertragen werden. Aber extrem lästig sind sie und äußerst unangenehm. Wenn sie in Mengen auftauchen, vor allem im Westen Schottlands, wo es feuchter ist und in Verbindung mit Mooren ideale Brutbedingungen herrschen, nimmt man gerne Reißaus. Und genau das machen wir, auch wenn die Mädels noch ein wenig mehr Bewegung verdient hätten.
Am Fährhafen in LeverburghBereits um 7:45 Uhr geht es weiter, erst noch ein Stück nach Süden, dann aber folgen wir der A 859 nach Westen bis zur Küste, die wir bis Leverburgh nicht mehr verlassen. Dort parken wir um 8:40 Uhr am Fährhafen [N 57° 46‘ 1.50‘‘ W 007° 1‘ 24,17‘‘], weil wir gelesen haben, dass man hier die Toilette entsorgen kann. Das gestaltet sich schwieriger als gedacht, aber schließlich finden wir, was wir gesucht haben.
Um 9 Uhr fahren wir noch bis zum äußersten Südspitz der Schafe zur Linken – Schafe zur RechtenInsel nach Rodel weiter. Von dort geht es an der Ostküste von Harris über die sogenannte Golden Road zurück nach Tarbert. Diese goldene Single Track Road soll ihren Namen deswegen führen, weil ihre Baukosten angeblich so hoch waren, dass sie im Verruf ist, die teuerste Straße ganz
Großbritanniens zu sein. Wir fahren durch eine Mondlandschaft, wie sie atemberaubender und bizarrer kaum sein kann. Hier bestimmen Fels und dürre Weiden die Landschaft, dazwischen unergründliche schwarze Seen und Fjorde, die wie Tentakeln ins Land greifen. Es ist ein fahrerisches Hochamt mit tausend Kurven und Kehren. Die Autoren des Womo-Führers „Mit dem Wohnmobil nach Schottland“[1] befinden, dass bei diesem
„Achterbahn-Gekurbel“ nur der Beifahrer die Fahrt genießen könne, und pusten hörbar durch, wenn der Abgrund unter manchen Serpentinen „wenigstens durch ein Geländer“ gesichert ist. Der Chauffeur des Franz ist
alles andere als höhenresistent und muss ein um einen Meter längeres Gefährt um die Ecken bugsieren, aber er könnte nicht aufhören zu jubeln und zu jodeln und Hosianna zu singen vor schierem Driver-Glück auf dieser eigentlich unzumutbaren und dennoch für jeden Inselbesucher unverzichtbaren Piste. Wenn die Reiseleiterin sich jetzt zurücklegte und die Augen für ein kleines Nickerchen schlösse, würde er klammheimlich
die ganze Achterbahn noch einmal abfahren. Und noch einmal. Hier scheint man mit jeder Kurve mit jeder Abfahrt dem Himmel ein wenig näher zu kommen. Vermutlich ist es gerade das, was die Autoren fürchten. Doch was empfiehlt schon der Engel des Herrn dem konsternierten Josef, als er ihm die frohe Botschaft von der überraschenden Schwangerschaft seiner Frau überbrachte? Fürchte dich nicht! Wem also die Knie auf solchen Pisten weich werden, dem wäre mit einer ausgiebigen Bibel-Lektüre durchaus geholfen, die nötige Portion Zuversicht und Gelassenheit zu gewinnen, denn dieser Formel wird er im Alten Testament rund neunzigmal begegnen und im Neuen Testament immerhin noch gut dreißigmal. Fürchtet euch nicht! Das sollte für mehrere Fahrten über die Golden Road genügen. Wenn nicht, ist sowieso Hopfen und Malz verloren. In diesem Fall müsste man zur Dreigroschenoper greifen, um der Situation gerecht zu werden:
Anstatt dass
Sie was täten, was ‘nen Sinn hat und ‘nen Zweck
Machen sie Spaß!
Und verrecken dann natürlich glatt im Dreck.
Um 10:20 Uhr sind wir wieder zurück in Tarbert und stellen den Franz auf dem Parkplatz der Isle of Harris Distillery, gleich am Hafen, ab [N 57° 53' 51,49'' W 006° 48' 16,57'']. Draußen geben sich Sonne und Wolken bei 14 °C die Hand.
Isle of Haris DistilleryDie Isle of Harris Distillerie wurde erst 2015 gegründet und bezeichnet sich selbst als 'Social Distillery', die zur Stärkung der Wirtschaftskraft vor Ort gegründet wurde. Sie ist die erste und bisher einzige legale Destillerie auf der Insel Harris. Derzeit muss man noch auf die erste Abfüllung des Single Malt von Harris warten, der unter dem Namen The Hearach (gäl. für Harris) Ende 2020 auf den Markt kommen soll. Kenner erwarten sich viel von ihm, doch bis dahin produziert die Destillerie hochwertigen Gin. Da wir keine intimen Gin-Kenner und -Verwerter sind, ist unser Besuch in der Destille kurz. Aber wir merken uns die angekündigte Niederkunft des Hearach vor, um uns eventuell ein Fläschchen schicken zu lassen.
Von der anderen Seite des Parkplatzes grüßt uns Harris Tweed, wo man hochwertige schottische Tweed-Waren zu deutlich günstigeren Preisen als bei uns erstehen kann. Vor allem wird die lokale Herkunft der Wolle Hedda beansprucht Lewis für sichgarantiert, was angesichts all der nackten Schafe auf unserer Harris-Runde durchaus glaubhaft erscheint. Wir haben es nicht so sehr mit schottischem Loden, wie wir auch bayerischen Loden meiden, müssen aber zugeben, dass das, was man dort angeboten bekommt, sehr geschmackvoll und hochwertig ist. Wir belassen es bei Tweed-Schnickschnack wie etwa eine Handyhülle, kaufen aber für unseren Franz einen treuen kleinen Galloway-Begleiter, den wir umgehend auf den Namen Lewis McHarris taufen und ihm einen Platz auf der Frontablage reservieren. In Hedda, die ihn umgehend für sich beansprucht, findet er seine erste große Liebe, was wir aber zu verhindern wissen: Lewis McHarris ist unser und Franzens Maskottchen und nicht Heddas Schmuse- und Sabberbuddy.
Wir brauchen noch etwas Nachschub für unser Viktualienlager und suchen deshalb einen Laden, Supermarkt oder ähnliches. Dazu stapfen wir nördlich des Hafens, also schon auf Lewis, die Main Street hoch und finden A. D. Munro’s Mini Market, so was von Tante-Emma-Laden, dass man es sich kaum noch vorstellen kann. Aber wir bekommen alles, was wir benötigen, sogar etwas Wein, der hier allerdings, wie Pornoheftchen, unter der Ladentheke heraus verkauft wird. Herrlich und herzig, diese Schotten, saufen Whisky literweise, der Wein kommt aber aus dem Giftschrank.
Mittagsruhe am Loch ShobhailNun sind wir mit allem ausgestattet und machen uns an die Weiterreise, was uns nicht schwerfällt, weil die Midges noch immer sehr streitlustig sind. Um 12:25 Uhr brechen wir bei 15 °C und einem Sonne-Wolken-Mix gen Norden auf.
Um 13:15 Uhr sind wir reif für eine Haube Schlaf, weil die Nacht doch an Kürze nichts zu wünschen übriggelassen hatte. Wir finden einen Parkplatz neben der A 859, direkt am Loch Shobhail [N 58° 8' 20,30'' W 006° 30' 29,25''], wo wir für zwei Stunden acht Augen zudrücken.
Auf dem Weg nach GarrynahineUm 15:15 Uhr sind wir frisch genug, uns wieder in diese sinnenflutende Landschaft von Lewis zu stürzen. Nach etwa zwei Kilometern verlassen wir die A 859 und wenden uns auf der A 858 nach Westen. Bei Garrynahine orientiert sich die A 858 nach Norden, wir aber folgen der B 8011 in Richtung Süden. Die vielen Lochs und Bergstöcke zwingen uns, in großen Schwüngen über die Insel zu mäandern. Diesen mächtigen Südschwenk haben wir maßgeblich dem 256 m hohen Conostom zu verdanken, einem Berg, der zwar Wanderer aus aller Welt verzückt, uns aber weit abdrängt, und dem weit ins Land greifenden Loch Rog Beag, dem man, zu seinem Glück, keine Brücke gegönnt hat. Die
Loch Ceann HulabhaigLandschaft, die zu beiden Seiten an uns vorüberzieht, ist unbeschreiblich: unbeschreiblich schön! Aber selbstverständlich versucht man trotzdem das Unbeschreibliche in Worte zu fassen, nur um ein weiteres Mal die Erfahrung des Scheiterns zu machen. Weite Heidelandschaften und oszillierende Wasserwelten schmiegen sich unter einem unverschämt luziden Himmel zwischen pastellige Hügel. Damit der Reisende nicht glaubt, Opfer einer verklärten Nahtoderfahrung zu sein, rücken ruppige Felsplateaus und Felsabbrüche die geografische Zugehörigkeit zu den Highlands immer wieder ins Bewusstsein. Noch sind wir nicht im Paradies und auch morgen wollen wir das noch nicht sein, aber so ähnlich könnte man es sich vorstellen, jedenfalls das schottische Paradies: Gottvater Braveheart, Magic Harry, sein Sohn, Dumbledore als Heiliger Geist und die kopflose Mary Stuart gibt die Maria Immaculata. Wohin der Blick sich wendet: ein Loch nach dem anderen. Man ist fast versucht zu sagen, dass nur der Schweizer Käse mehr Löcher hat als diese Insel.
MiavaigNachdem wir Loch Rog Beag im Süden umrundet haben, geht es wieder stramm nach Norden, obwohl unser Ziel eigentlich im Westen liegt. Diesmal ist es der knapp 430 m hohe
Ardroil Sands CampsiteSuainaval mit seinem Gefolge von unzähligen Löchern, der uns den direkten Weg versperrt. Erst am Loch Miavaig geht es mit der B 8011 wieder westwärts.
Um 16:35 Uhr erreichen wir Ardroil Sands Campsite, die zur Gemeinde Aird Uig gehört [N 58° 11‘ W 7,13‘‘ 007° 1‘ 28,89‘‘]. 158 wunderschöne Kilometer hat unser Franz uns heute durch atemberaubende Landschaften befördert. Es ist bei weiß-blauem Himmel sehr windig bei 16 °C. Ardroil Sands ist nicht viel mehr als ein breiter, sandiger Parkstreifen. Auf Sichtweite entfernt, in den Dünen, liegt Ardroil Beach Campsite, die jedoch nur für Zelte und Caravans zugänglich ist.
Fahrstrecke Uig (Skye) – Ardroil Sands (Lewis)
Fianna und Hedda am Strand von Uig SandsNach nur wenigen Schritten liegt die mächtige Bucht von
Uig Sands unter uns. Unser erster Versuch, dieses Wasser-und-Sand-Paradies für unsere Mädels zu erschließen, endet in einer überstürzten Flucht, weil ein drohend schwarzes Wolkenpaket seinen gesamten Inhalt auf einen Schlag über uns ergießt. So schnell wie dieser Schauer über uns niedergeht, verdrückt er sich wieder und macht der Sonne Platz, die sich dafür mit einem ihrer schönsten Regenbögen bedankt. Jetzt ist es Zeit, den Vierläufigen den ganzen Strand unter die Füße zu legen, was sie mit Hingabe annehmen.
Nach einer Siesta und einem unspektakulären Abendimbiss erkunden wir die Bucht noch einmal, wobei es, wie könnte es auch anders sein, nur darum geht, Fianna und Hedda zu beglücken.
Um 22:45 Uhr schließen wir bei wolkenlosen 12 °C die Luken und können es nicht verhindern, dass dieser Tag noch lange in unseren Köpfen nachhallt. Aus mindestens drei Gründen wird er uns noch lange in Erinnerung bleiben. Vordergründig sind es die unbeschreiblichen Landschaften, die uns heute geschenkt wurden, aber mehr noch sind es Gefühle, die so stark im Kontrast zu gestern stehen. Wo am Neist Point rüpelige und prollige Touristen den Eindruck vermittelten, am Hamburger Fischmarkt gestrandet zu sein, wurden wir heute überall freundlich begrüßt, wenn wir durch einen der kleinen Weiler rollten. Vor den kleinen, ins Gelände geduckten Häuser standen Kinder und winkten uns zu: Fàilte gu Alba. Ja, wir fühlten uns heute wirklich sehr willkommen in Schottland und haben erstmals das Verlangen, eigentlich gar nicht mehr weg zu wollen. Es ist, als wollten sie uns alle den Frust des gestrigen Tages aus den
Herzen winken. Unter diesem Aspekt schmerzt es besonders, wenn sich das Gestern so nachdrücklich in Erinnerung bringt, wie es uns heute Morgen in Gestalt einer fetten Schramme an der linken Heckseite, begleitet von einem abgefahrenen Reflektor und einem ramponierten Heckgaragen-Riegel vor Augen geführt wurde. Wir haben das weder mitbekommen noch gestern gesehen, muss aber in der Warteposition am Unfall passiert sein, als wir noch einmal einen ausgedehnten Spaziergang über die Hügel des Neist-Point machten. Die linke Seite würde passen, weil wir rechts am Straßenrand parkten. Wenn wir uns die Schramme selbst beigebracht hätten, wäre uns das sicher nicht entgangen. Vor allem haben wir keine Idee, an welcher Stelle wir uns links hinten eine Schramme hätten holen können. Autofahrer, die nicht den Arsch in der Hose haben, zu ihrem Fehler zu stehen, sind wie Kakerlaken in der Hochzeitssuite. Leider sind sie auch so schnell wie diese.
Dienstag, 13. August 2019
Ardroil Sands – Port Ness (Harris & Lewis)
Es gibt Menschen, die fordern, dass man das sprichwörtliche Scots-Weather eigentlich mit Kotzwetter übersetzen müsse. Der Meinung waren wir, trotz wiederholter Regenepisoden, bisher nicht. Doch heute Morgen denken wir über den Vorschlag nach. Unser erster Versuch um 8:15 Uhr, die Mädels an den Strand zu führen, endet nämlich fluchtartig unter knapper Vermeidung einer Volldusche. Es zieht eine dunkle Wolk‘ nach der anderen herein. Unser Frühstück findet in einer
prasselnden Dusche satt. Der Parkplatz verwandelt sich zusehends in eine Seenplatte, sodass wir uns schon Gedanken machen, welche der Türen wir beim nächsten Spaziergangsversuch am sinnvollsten nutzen sollten.
Der nächste Versuch um 11 Uhr endet wieder unter einem bettnässenden Wolkenberg. Um 12:30 Uhr sind wir dann wild entschlossen, uns nicht mehr verjagen zu lassen – und werden tatsächlich reichlich entlohnt mit Sonne und funkelnden Regenbögen aus der Himmelsbijouterie.
Um 13:30 Uhr beenden wir unseren Strandausflug und stellen fLebenserhaltender Proviantest, dass Franz‘ Aufbaubatterie der Saft
ausgegangen ist; offenbar reicht das Solar-Panel nicht, um die etwas angeschlagene Batterie unter sonnenlosen Bedingungen nachzuladen. In dieser Hinsicht müssen wir Handlungsbedarf einräumen. Für den Augenblick kommen wir allerdings bestens klar; wenn wir demnächst weiterreisen, wird sich die Batterie schon wieder aufpumpen. Die Weiterreise liegt uns sehr am Herzen, weil es schon wieder schüttet, was der Himmel hergeben kann, und selbst die bezauberndste Bucht unter diesen Umständen allen Zauber verliert. Wir benutzen noch schnell für 1 £ die Dusche, die in einem Container untergebracht ist, wie im übrigen der gesamte Service des Stellplatzes, legen 15 £ für die Nacht in ein Kuvert und werfen dieses in eine Box, entleeren die Toilette und laden Wasser nach – und sind um 14:50 Uhr wieder on the road. Gleich um die Ecke kaufen wir im Community Shop noch ein paar Kleinigkeiten fürs Überleben ein und fahren dann wieder in Richtung Miavaig davon, woher wir gestern gekommen waren.
Sehr "szenische" StraßeKurz vor Miavaig weist ein unauffälliges Schild nach links zur Scenic Road über Bhaltos. Dorthin deutet auch der Finger der Reiseleiterin. Ein kleiner Abstecher steht auf ihrem Plan, allerdings einer, der einen wesentlich a
uffälligeren Wegweiser verdient hätte. Zehn Kilometer geht es im Uhrzeigersinn um diesen Zipfel der Insel, zehn Kilometer, die man sich so schön kaum ausdenken kann. Fast sind wir an die Golden Road auf Harris erinnert, jedenfalls, was die Straßenverhältnisse angeht, aber die Ausblicke sind nicht die auf eine Mondlandschaft, sondern auf ein Schottland der Clans und Cliffs, der Seen und Strände wie es im Bilderbuch steht. Eigentlich müsste man diesen Inselteil vom Rest operativ entfernen und im Louvre der Welt vor die Füße legen. Sogar der Himmel hat offenbar Anweisung erhalten, sich zurückzuhalten und taucht die Szene der Scenic Road in ein himmlisches Farbenspiel.
Allerdings: Franz und die Oberarme des Chauffeurs haben nach einer Dreiviertelstunde Grund zur Klage; beide
ächzen und stöhnen im Rhythmus der Kehren und Kurven. An diesen Stellen neigen Chronisten für gewöhnlich dazu, solch paradiesischen Kleinode dem Rest der Welt wie überständige Welpen anzupreisen, sie als unverzichtbares Muss zu proklamieren und riesige Wegweiser aufzustellen, um alle und jeden glücklich zu machen. Wir sehen davon stirnrunzelnd ab und befinden: Nicht der Mühen wert wegen einiger Smaragdbuchten und finsterer Löcher; am besten weiträumig umfahren. Also: wegbleiben, Abstand nehmen! Lohnt sich nicht. Wehe, wir sehen irgendeinen von euch, wenn wir hier das nächste Mal vorbeikommen.
Bei den Standing Stones von CallanishNach diesem Intermezzo rollen wir auf der B 8011 wieder zurück bis Garrynahine, wo wir gestern die A 858 verlassen haben. Bei inzwischen wieder kräftigem Regen folgen wir dieser heute in westlicher Richtung bis Callanish, wo wir um 16:50 Uhr am Besucherparkplatz der Standing Stones von Callanish ankommen [N 58° 11‘ 44,34‘‘ W 006° 44‘ 37,35‘‘]. Es ist ausgesprochen unangenehm: Sonne und Regen im rasenden Wechsel einer kraftvollen Atlantikbrise. Wir warten erst einmal im Womo ab, flitzen dann während einer Regenlücke ins Besucherzentrum und steigen beim nächsten größeren Regenloch zu den Hinkelsteinen hinauf.
Die Standing Stones von CallanishDie Anlagen von Callanish (gäl. Calanais) sind die größte heute bekannte Steinformation der Megalithkultur auf den britischen Inseln. Bis heute wurden zwölf von einst vermutlich über 20 Steinsetzungen aus Menhiren im Umkreis von einigen Kilometern ausgegraben. Die Steinsetzungen wurden während der Jungsteinzeit um etwa 3000 v. Chr. angelegt, eine Tafel vor Ort datiert die Stelle auf 5000 v. Chr., was belegt, dass wieder einmal alle im Dunkel der Geschichte tappen; ob 5000 Jahre zurück oder 7000 – wurscht. Calanais ist – wohl hauptsächlich wegen seiner geographischen Abgelegenheit – weniger bekannt als die Megalithanlagen von Stonehenge oder Avebury. Die Granitsteine sind praktisch unbearbeitet und kleiner als die von Stonehenge. Die Anlagen beeindrucken aber sowohl durch die Anzahl der verwendeten Steine als auch durch die Verschiedenheit der Formationen.
Wie bei anderen megalithischen Kultstätten ist deren Zweck unklar und Anlass zu vielen Spekulationen. Eine Theorie zur Erklärung der Anordnung der Caldragh Idols (Callanish 1, die Hauptformation) bezieht sich darauf, dass der Mond alle 18,6 Jahre so über den umgebenden Hügeln steht, dass es aussieht, als würde er bei seinem Lauf ihrer Silhouette folgen. Das Schauspiel erweckt den Eindruck, der Mond würde mit der Erde tanzen. Die Caldragh Idols sollen es nach dieser Theorie ermöglichen, dieses Ereignis vorauszuberechnen. Und dann sind sie vermutlich mit dem Mond um die Wette über die Hügel getanzt, die bronzezeitlichen Kelten. Was hätten sie auch sonst tun sollen? Fernsehen und Dschungelcamp gab es ja noch nicht. Man kann sich eben alle irgendwie passend rechnen: 18,6 Jahre! Geht‘s noch? Wie wäre es denn mit 211, 3 Jahren? Menno…
Wir haben viel Glück bei der Besichtigung der Steine, weil der sehr stürmische Wind zwar reichlich Wolken über die Anhöhe jagt, aber den Regen zwischenzeitlich unter Verschluss hält.
Um 17 Uhr haben wir genug aufrechte Steine in unserem Urlaubsspeicher und fahren weiter nach Norden. Weites Land im Norden von LewisEs wird flach und langweilig. Wir durchqueren eine Region, die stark durch die crofters geprägt ist. Crofter sind Nebenerwerbslandwirte, die gepachtetes Land bestellen, meist zwischen zwei und fünf Hektar. Hatten sie früher noch den Status von Armenhäuslern und waren von niedrigem Ansehen, füllen sie heute eine Lücke in einer Landwirtschaft, die von sehr kurzen Vegetationszeiten auf ärmlichen Böden geprägt ist. Ihr Kunsthandwerk und die landwirtschaftlichen Produkte erfreuen sich heute allgemeiner Beliebtheit; bei Touristen stehen sie besonders hoch im Kurs. Für uns ändert sich nur das Land zum Negativen: mehr und mehr topfeben, langweilig grau und beige wie die Siedlungen; einen größeren Kontrast zu der gerade hinter uns liegenden Scenic Road kann man sich kaum vorstellen. Je weiter wir in den Norden der Insel vordringen, desto öder wird das Land.
DButt of Lewisas ändert sich schnell, als wir um 18 Uhr am Leuchtturm von Port Ness, dem Butt of Lewis, ankommen [N 58° 30‘ 54,91‘‘ W 006° 15‘ 37,50‘‘]. Hier steht wieder schottische Wildheit wie aus dem Bilderbuch auf dem Programm.
Unter buttocks versteht man im Englischen das Gesäß, also die Pobacken. Im übertragenen Sinn ist der Butt of Lewis demnach das dicke Ende der Insel. Tatsächlich ist jenseits dieser Klippen nichts mehr, außer in gut 300 Kilometern die Faröer-Inseln, in 850 Kilometern nordwestlich Island oder, wem das noch nicht genug ist, in 1800 Kilometern westlich Grönland. Kurzum: Wer über diese Klippen blickt, blickt ins Leere und in den gierigen Schlund des Atlantiks. Das dicke Ende beschreibt aber nicht nur, dass hier die Welt bis auf Weiteres zu Ende ist, sondern dass die klimatischen Bedingungen in gewisser Weise endzeitlich sind, so endzeitlich, dass der Ort schon einmal als stürmischste Ecke Großbritanniens ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen wurde. Dem mussten sogar die Erbauer des Leuchtturms Rechnung tragen, der als einziger nicht aus dem üblichen Stein, sondern aus Ziegel erbaut wurde, weil Ziegel erheblich widerstandsfähiger ist und dem Wasser standhält. Deshalb ist er als einziger Leuchtturm nicht weiß, sondern ziegelrot.
Stürmisches Ende der WeltAls
Hedda und Fianna am Butt of Lewis wir ankommen, gibt es keinen Grund, diesen Beschreibungen nicht zu glauben: es stürmt und bläst. Zwischen den Granitklippen tost eine wilde Gischt, Möwen und Kormorane wagen halsige Landemanöver auf winzigen Felsvorsprüngen und ein Fischerboot taucht auf seinem Weg zu den Fanggründen auf und wieder ab und auf und wieder ab. Hier verschwinden gelegentlich Menschen ohne Abschied und Wiederkunft, vom Fels geblasen und verschluckt.
Wir haben Mühe, dem Franz zu entkommen, ohne dass uns Türen oder Fenster um die Ohren fliegen. Nachdem wir uns einen kurzen Ein- und Überblick verschafft haben, fassen wir zwei Beschlüsse: erstens, wir werden hier sicher nicht die Nacht verbringen, sonst fliegen wir auf und davon und zweitens, wir lassen die Vierläufigen hier mit fliegenden Ohren und wehendem Haarkleid über die anrainenden Matten und Felsen toben, bis ihnen die Luft ausgeht, was unter diesen Bedingungen nicht lange auf sich warten lassen dürfte.
Nach eNachtruhe am Friedhof von Harbostiner guten Stunde, um 19:10 Uhr, ziehen wir weiter, auf der Suche nach einem geschützten Unterschlupf. Den finden wir, als wir auf dem Weg zurück, etwa eineinhalb Kilometer südlich von Port Ness, gleich hinter Harbost, rechterhand eine Zufahrt zu einem sehr abgelegenen Friedhof sehen. Dort fahren wir hin und stehen windstill und einsam auf einer Klippe neben dem Friedhof. Wir nennen die Grabsteine im Friedhof unsere Standing Stones von Harbost [N 58° 29‘ 36,39‘‘ W 006° 16‘ 27,24‘‘]. Es ist 19:30 Uhr und der Franz gibt 114 Kilometer zu Protokoll.
Fahrstrecke Ardroil Campsite – Port Ness
Wir Gute Nacht – dort drüben ist Grönlandmachen uns Rouladen aus der Heimat mit Rigatoni und schauen zu, wie irgendwo über Grönland die Sonne untergeht. Es ist schon nach 22 Uhr und wir fragen uns, warum die Sonne täglich kommt und geht, der Wind aber niemals keinen Schlaf nicht findet. Hier zupft er nur leise an unseren Haaren, aber jenseits des Friedhofs, über der Höhe, hören wir ihn fauchen.
Mittwoch, 14. August 2019
Harbost (Harris & Lewis) – Ullapool
Nachts regnet es teils kräftig, Fianna erschnüffelt sich die Klippen von Harbostdoch gegen
Morgens am FriedofMorgen beruhigt sich die Lage, es wird immer schöner und der Wind lässt nach. Um 8 Uhr messen wir 12 °C bei einer lieblichen Brise. Wir lassen die Mädchen sich am Strand austoben, und nach einem kurzen Frühstück darf Fianna auf den Klippen eine nicht ganz einfache Fährte suchen. Wie erwartet, lässt sie sich von dem bisschen Wind nicht ihren guten Ruf verderben.
Um 9:15 Uhr verlassen wir die Standing Gravestones von Harbost auf der A 857 nach Süden. Kurz nach Barvas folgen wir ihr nach Südosten. Um 10 Uhr stellen wir den Franz an der Shell Street, direkt am Fährhafen von Stornoway ab [N 58° 12‘ 22,20‘‘ W 006° 23‘ 7,27‘‘]. Stornoway ist der Hauptort der Insel Harris & Lewis und Stornowaymit 8000 Einwohnern die bedeutendste Gemeinde der Äußeren Hebriden. Der Hafen von Stornoway ist die wichtigste Verbindung der Inselgruppe zum Festland. Zu allen Zeiten lebt man hier mehr oder weniger gut vom Fischfang, vor allem von Heringen. Und Stornoway hat noch weit mehr zu bieten, was jedoch nicht jedermanns Geschmack ist. Nein, wir sprechen nicht von stinkendem Stockfisch oder ähnlichen Unarten der britischen Küche, sondern von noch viel Unappetitlicherem.
Am 10. Mai 1912 wird in Tong, Heringsmädchen von Stornowayeinem kleinen Flecken nordöstlich von Stornoway, ein Mädchen namens Mary Anne MacLeod geboren, die, da ihre Familie ausschließlich gälisch spricht, Màiri Anna NicLeòid gerufen wird. Sie wächst als jüngstes der zehn Kinder von Malcolm und Mary MacLeod in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater ist Fischer und Kleinbauer (Crofter), ihre Muttersprache schottisches Gälisch; Englisch lernte sie erst in der Schule. Die Schule verlässt sie nach eigenen Angaben mit 14 Jahren. Über eine Berufsausbildung ist nichts bekannt, wahrscheinlich verkauft sie, wie viele Mädchen jener Zeit Fisch und gehört zu den fish-mongers von Stornoway. Mit 17 Jahren, im Jahr 1930, hat sie offenbar von den lausigen Lebensumständen auf den Äußeren Hebriden die Nase voll, besteigt den Passagierdampfer RMS Transylvania und legt mit ihm am Tag nach ihrem 18. Geburtstag in New York an, wo sie von zwei bereits ausgewanderten Schwestern in Empfang genommen wird. Die Stornoway Gazette beklagt schon seit langem einen „Exodus junger Leute“ aus der Region, was unter anderem daran liegt, dass am 1. Januar 1919 vor dem Hafen von Stornoway ein Schiff mit 220 Heimkehrern aus dem Ersten Weltkrieg gesunken war, was zusammen mit den vielen Kriegsgefallenen den Mangel an Männern in der gesamten Region verschärft hatte und viele junge Frauen veranlasste, die Hebriden zu verlassen. Unter ihnen auch Mary Anne. In New York lernt sie bald den Unternehmer Fred C. Trump kennen, heiratet ihn 1936 und schenkt ihm zehn Jahre später einen Knaben namens Donald. Der ist eine Ausgeburt, wird 2016 45. Präsident der USA, nicht zuletzt, weil er behauptet hatte, dass eingewanderte Niedriglöhner das Lohnniveau in den USA drücken und die Erwerbslosigkeit erhöhen würden. Erhöht hat die ausgewanderte Niedriglöhnerin Mary Anne MacLeod vor allem die Skrupellosigkeit in der Welt. Aber das konnte sie ja im Ehebett noch nicht wissen. Uns Zeitgenossen befällt allerdings das Bedürfnis, das jüngst über uns Gekommene und Geschehene ungeschehen machen zu können, was uns leider nicht gelingen wird, selbst wenn im Namen des Geburtsortes der Màiri Anna die Hoffnung auf Löschung bereits enthalten ist: Storno! Away! Jedoch: Der Wunsch bleibt unerhört, so unerhört wie der 45. Präsident der USA.
Das Stornoway SmokehouseStornoway selbst kann natürlich nichts dafür, dass wir es so schlecht beleumunden, es war für Marie Anne das Sprungbrett über den großen Teich und ist für uns heute das Sprungbrett hinüber aufs Festland; wir verlassen heute die Hebriden mit fast ausschließlich lohnenden Erinnerungen.
Als wir ankommen, ist es wolkigDas Harris & Lewis Smokehouse bei 14 °C. Am Ticketschalter des Hafens holen wir die bestellten Tickets ab und zahlen für uns alle knapp 100 £. Jetzt bleibt uns noch Zeit, denn die Fähre legt erst um 14:30 Uhr ab.
Unser erstes Ziel ist das Stornoway Smokehouse, nur wenige Schritte von hier. Dort gibt es legendären Räucherfisch; Wir decken uns vor allem mit Lachs ein. Dann schlendern wir weiter zum Harris & Lewis Smokehouse einem sehr gut besprochenen Restaurant, auch nur wenige Minuten zu Fuß Smoked Salmon Benedictin der Sandwick Road. Zum Frühstück bestellen wir uns Smoked Salmon Benedict (Räucherlachs mit wachsweichen Eiern und Senfsauce auf Baguette) und ein warmes Croissant mit Räucherlachs – beides zum Reinsetzen. Und dann unternehmen wir einen Rundgang durch diesen aufgeräumten und unaufgeregten Ort, der noch immer von der Fischerei lebt, aber eben auch von solchen wie wir, die wieder aufs Festland wollen. Charmant finden wir vor allem die zahlreichen Skulpturen von Heringsmädchen und fragen uns, ob eine von ihnen vielleicht Mary Anne MacLeod Modell gestanden hat. Wer weiß, immerhin besagt eine Inschrift: In recognition of all the herring girls who laboured here during he late 19th and early 20th century. Könnte doch gut sein. Wobei: Die Skulptur ist von 2003…
Herzensbrecherinnen
Dann gehen wir noch bei TESCO, gleich um die Ecke, einkaufen, checken ein, stellen uns in die Wartespur Nr. 11 und führen unsere Mädels aus, die wir während unseres Frühstücksbummels beim Franz gelassen hatten.
Um 14:20 Uhr ist die Fähre voll und es heißt: Leinen los! Noch bevor wir uns in der Fähre einen Platz suchen, holen wir die zwei Fellträgerinnen aus deren Bauch: Dort unten randalieren hundert Alarmanlagen und machen einen Lärm, dass es sogar uns ganz kudderig wird. Diese Fähren haben meist extra Bereiche für Hunde und dort lassen wir Ullapooluns nieder. Rund zweieinhalb Stunden dauert die Überfahrt nach Ullapool, sie ist ausgesprochen ruhig und drängt uns ein Nickerchen buchstäblich auf.
Kurz vor 17 Uhr legen wir in Ullapool an. Direkt neben dem Fähranleger liegt der Bloomfield Caravan Park. Weil fast alle, die hier ankommen oder abreisen, die Gelegenheit zu einem Zwischenstopp nutzen, ist die Anlage ziemlich voll, aber sie ist auch groß genug, uns auch noch ein Plätzchen zu bieten. Wir stehen mit der Franzennase direkt über den Wellen des Loch Broom [N 57° 53‘ 39,60‘‘ W 005° 9‘ 57,79‘‘]. Heute haben wir exorbitante 45 Kilometer zurückgelegt, dafür sind wir knapp 90 km (48 sm) gesegelt. Es hat 17 °C und ist stark bewölkt. Kurz nach unserer Ankunft beginnt es zu regnen.
Fahrstrecke Port Ness– Ullapool
UllapoolBloomfield Holiday Park liegt am oder besser, in diesem Loch Broom und ist mit etwa 1500 Einwohnern die größte Siedlung in den dünn besiedelten nordwestlichen Highlands. Der Ort wurde Ende des 18. Jahrhunderts als Hafen für den Heringsfang gegründet. Noch heute ist der Hafen Mittelpunkt des Ortes, um den herum sich das Leben abspielt. Das meiste Leben entsteht durch die Touristen, die Ullapool als Sprungbrett zu den Äußeren Hebriden nutzen. So gesehen ist der Ort das Gegenstück zu Stornoway, nur in die andere Himmelsrichtung.
Weil der Regen nicht aufhören will, entscheidet sich dieDas fette Ende einer Überfahrt Reiseleiterin für einen Regenspaziergang mit den Damen, was den Chauffeur im Hinblick auf den künftigen Zustand seines Mobils maximal entzückt. Aber was will man machen; sie müssen ja raus, ob‘s stürmt oder schneit. Ihre Rückkehr vergoldet sie dem Chauffeur mit zwei Riesenportionen Fish & Chips, die umwerfend schmecken und gerade an solchen Tagen das einzig Richtige sind. Raindrops keep falling on our heads, – und die Womo-Pflege kann bis morgen warten. Wir vertreiben uns den Regenabend mit allerlei Kartenspielen, starten dazu eine kleine Erkundungstour durch unsere Alkoholvorräte und genießen diesen durchweichten Abend bis Mitternacht. Es schüttet weiter.
Morgen geht es auf die North Coast 500. Darauf freuen wir uns.
Donnerstag, 15. August 2019
Ullapool – Spey Bay
Die North Coast 500 ist das Sehnsuchtsziel aller Die North Coast 500Schottlandreisenden. Sie ist die romantische Straße Schottlands, was in Schottland zwangsläufig auf wildromantisch hinausläuft. 830 Kilometer führt sie durch den Norden Schottlands, und wer sie befahren hat, ist sich sicher, Schottland zu kennen, obwohl es nur das Schottland der Postkarten ist: wilde Küsten, feinste Strände, kuschelige Rindviecher auf regengrünen Bergmatten, Ruinen, Burgen, Schlösser, Löcher noch und nöcher, Seevögel, Schafe, Robben, Regenbögen und, ach – was das Herz so hegt und pflegt in seinen Schottlandträumen. Aber: Ist es ehrenrührig, ein Postkarten-Schottland bereisen zu wollen?
Von Ullapool führt die NC 500 stramm nach Norden bis zum Cape of Wrath bei Durness. Von dort schlängelt sie sich die Nordküste entlang bis John o’Groats im äußersten Nordosten, danach die gesamte Ostküste nach Süden über Wick bis zu Nessie nach Inverness, um dann quer durch die Highlands wieder nach Westen bis Applecross und die zerklüftete Westküste nach Ullapool anzusteuern.
Loch Broom im Regenloch Mit dieser Aussicht wachen wir heute auf, sind uns aber schnell nicht mehr sicher, ob der Plan noch auf dem Plan steht: Es schüttet, was der Himmel hergibt. Nachts fegte ein kräftiger Sturm über Ullapool hinweg. Draußen ist landunter und der Sturm gibt keine Ruhe, dabei ist es mit 13 °C durchaus angenehm. Unser erster Gedanke: Welch ein Massel, dass wir die Überfahrt gestern gemacht haben. Heute würden wir aussehen wie die Krümels, als sie auf Skye an Land gegangen waren. Was unser Vorhaben so sehr infrage stellt, ist die Tatsache, dass der Sturm offensichtlich kein Einsehen haben will und sich weiterhin munter austobt. Das sind Umstände, die eine britische Eigenheit in ein besonders schauriges Licht tauchen: der neurotische Hang zum Rasenmähen. Die Rasenflächen des Bloomfield Holiday Parks sind bereits raspelkurz, dennoch wird hier ständig gemäht, was zur Folge hat, dass unser Womo mit dem ersten Tritt vom Freien ins Innere voller Rasenraspel ist. Natürlich könnten wir das mit dem üblichen Schuhwechsel zumindest teilweise im Griff behalten, aber unter diesen Mistbedingungen fällt das schwer, und die Mädels haben diese Übung gar nicht drauf – sie wechseln keine Fußballen. Sie treten ein, wie Gott und der Wettergott sie beschaffen hat. Und dementsprechend sieht es im Franz aus. Aber auch die Sanitäranlagen, die entgegen dem aufgepimpten Rasen doch sehr ältlich sind, haben eine durchgehende und schwimmende Rasenauflage. Das alles ist ziemlich ekelig, zumal sich die ungekiesten Wege langsam in Sumpf verwandeln. Die Übernachtungsgebühr reduziert sich mit den Umständen erwartungsgemäß nicht: 25 £ + 5 £ für Strom. Wie dem auch sei: Wir wollen keine weitere Nacht hier verbringen, wissen aber noch nicht, wo wir unser Haupt heute Abend zur Ruhe betten werden. Das BBC-Wetter für Schottland gibt uns aber letzte Gewissheit: Keine North 500! Dort oben ist und bleibt es noch ungemütlicher als hier in Ullapool. Und es sieht dort auch nicht nach baldiger Besserung aus.
Und nun? Im Osten soll es recht schön sein, hört und liest man, jedenfalls kein Regen und Sturm. Also beschließen wir, Schottland mittig zu queren und auf eine spätere Chance auf die North 500 zu hoffen.
Wir ver- und entsorgen den Franz (putzen macht unter den geschilderten Umständen keinen Sinn, das muss warten), bezahlen unsere Schulden und verlassen den Bloomfield Holiday Park und Ullapool um 10:45 Uhr, bei jetzt immerhin 14 °C und einem recht schönen Sonne-Wolken-Wind-Mix.
Die Kessock Bridge in InvernessEs geht nach Inverness und damit befahren wir die Südverbindung der North 500 von Ullapool nach Inverness. Immerhin … und vielleicht klappt es mit dem Rest später noch. Die Kessock Bridge in Inverness, die den Beauly Firth überspannt, überqueren wir um 12 Uhr und denken keine Sekunde daran, zum Loch Ness und Nessie abzubiegen. Wenn uns der Sinn nach Touristenjahrmarkt und Schlangestehen stünde, müssten wir nicht nach Inverness fahren, sondern könnten unser Bedürfnis am heimischen Königsee bedienen. Dort stehen sich jährlich eine knappe Million Besucher gegenseitig auf den Füßen herum, nur um König Watzmann zu huldigen und sich an der Echowand vom Zauber des berühmten Echos zu überzeugen. Beide sind real und demnach, wenn man darauf steht, einen Besuch wert. Aber, Freunde, Nessie ist eine Schummelei mit der Lizenz zur global gestützten Geldvermehrung. Vermutlich ist Donald, der Lügenbaron, zutiefst erbost, dass ihm mit der Lügengeschichte über Nessie andere zuvorgekommen sind. Und wer dennoch an das Seeungeheuer glauben will, muss eine gute Erklärung dafür finden, wie es sein kann, dass ein Saurier in einem See schwimmen kann, der erst nach dem Aussterben der Saurier entstanden ist. Den Sauriern hat, nach gegenwärtigem Wissensstand, ein Meteoriteneinschlag im Golf von Mexiko vor 60 Millionen Jahren den Garaus gemacht, Loch Ness entstand aber erst nach der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren. Die Geologie lügt nicht. Gnade vor der Geschichte darf nur erhoffen, wer den Beweis erbringt, dass Nessie die Zeit zwischen den Sauriern und der Entstehung des Sees im Ei verbracht hat und das Ur-Urmel ist. Könnte sein… Trotzdem: Wir haben keine Lust, uns in die Schlangen zu stellen und jahrelang auf Urmels Auftauchen zu warten. Wir haben besseres vor.
Hinter Inverness folgen wir der A 96. Bei Brackley lockt uns ein Wegweiser „Whisky Trail“, auf einem kleinen Abstecher über die B 9090 und die B 9091 ein wenig südlich abzuschweifen, um schon mal einen Eindruck vom Herzland des schottischen Whiskys zu bekommen. Bei Nairn schwenken wir wieder auf die A 96, die wir erst in Elgin auf der A 941 in Richtung Süden wieder verlassen. Um 14 Uhr stellen wir den Franz in Charlestown of Aberlour auf dem Hof von Walkers Shortbread ab [N 57° 28‘ 25,39‘‘ W 003° 13‘ 7,62‘‘]. Wir sind hier tief im Herzen der schottischen Whisky-Walkers Shortbread Produktion. In dieser Ecke zwischen Nairn, dem Cairngorm Nationalpark, und Portknockie an der Küste findet man die meisten der klingenden Whisky-Namen: Cardhu, Glenlivet, Glenfiddich, Glen Grant, Glenmoray, Glenfarclas, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Rund um Dufftown, Elgin, Keith oder eben Aberlour haben sie sich zusammengerottet, um uns mit dem besten zu beschenken, was einen Single Malt ausmacht.
Bevor uns jedoch aufDie Zentrale von Walkers die spirituellen Genüsse einlassen wollen, besuchen wir das Outlet von Walkers, der berühmten schottischen Keks- und Kuchenfabrik. Walkers Shortbread hat schon was, vor allem aber ist es in der Heimat nicht gerade ein Schnäppchen, für den gewöhnlichen Keksgenuss so nebenbei eher zu kostspielig. Hier im Outlet gibt es jedoch
Walkers Fabrikverkaufdie sogenannte rejekted Ware, also der wegen kleiner Mängel reduzierten Ware. Die Mängel sind meistens Bruch, tatsächlich finden wir sogar davon kaum etwas. Für uns erscheint das alles sehr regulär, allerdings zu einem Drittel des regulären Preises. Da freut sich der Gaumen auf ein Shortbread mit langanhaltenden Freuden. Wir decken uns ein: Kekse, trockene Kuchen und kleinere Mitbringsel für die Zurückgebliebenen.
Um 14:25 Uhr sind wir für einen längeren Aufenthalt in der Wildnis ausgestattet und fahren auf der B 9102 wieder zurück bis Rothes (Glen Grant!), wo wir auf die B 9015 nordöstlich abbiegen, um 30 Minuten später schon wieder die Maschine zu stoppen, diesmal bei Baxters in Fochabers [N 57° 37‘ 19,58‘‘ W 003° 6‘ 22,65‘‘].
Baxters ist wohl der international Baxters Konservenparadiesbekannteste
Baxters in FochabersKonservenhersteller. Seit 1868 konserviert Baxters alles, was sich in Blech und Glas packen lässt: Suppen, Gemüse, Eintöpfe, Chutneys, Dips, Fleisch, Marmeladen etc. und hat sich dabei weltweit einen exzellenten Ruf erarbeitet. Wir wollen diesen Ruf auf die Probe stellen und kaufen eifrig ein. Mit in den Warenkorb muss natürlich die Cullen Skink-Suppe (geräucherter Schellfisch mit Kartoffeln, Zwiebeln und fettem Rahm), ein Rezept aus dem zehn Meilen entfernten Cullen oder die erste Suppe, die die Gründerin Ethel Baxter komponierte, die Royal Game-Suppe mit diversem Wild und Fasan. Nicht fehlen darf Haggis (mit und ohne Whisky) und selbstverständlich: Lemon Curd. Die Auswahl fesselt uns so an die Regale und macht uns so übergriffig, dass wir unseren Franz sogar direkt vor die Haustür fahren dürfen, um ihn ohne Mithilfe von teurem Personal beladen zu können. Jetzt können wir nicht nur längere Zeit in der Wildnis überleben, sondern auch noch gesünder und abwechslungsreicher als ausschließlich von Keks und Kuchen aus dem Hause Walkers Shortbread.
Spey Bay Dolphin CentreUm 15:30 Uhr haben wir unsere Lebensmittelbunker voll und Franz schleppt uns keuchend vor lauter Leckereien auf der B 9104 in Richtung Norden. Weit kommen wir nicht, denn schon nach 15 Minuten zwingt uns die Nordsee zum nächsten Stopp. Wir sind am Spey Bay Dolphin Centre angekommen. Das ist unser heutiges Ziel. Hier bleiben wir [N 57° 40‘ 25,30‘‘ W 003°5‘ 21,22‘‘].
Überall an Schottlands Küsten kann man Delfine und Wale beobachten – wenn man Glück hat. Von den Ufern des Moray Firth, dem größten Firth Schottlands, der bis nach Inverness hineinreicht, und bis hinunter nach Edinburgh und Alnwick hat man Chancen, die Tiere zu beobachten. Vor allem die Moray-Population von etwa 200 Bottlenose-Delfinen (Große Tümmler), die letzte Population dieser Art, die sich den rauen Bedingungen der Nordsee angepasst hat, ist hier häufig anzutreffen. Diese Population Großer Tümmlern, stellt nicht nur die nördlichste Kolonie der Erde, sondern sie gehört außerdem zu den größten der Welt. Im Durchschnitt bringen sie es auf bis zu vier Metern Länge und einem Gewicht bis 300 Kilo, während Exemplare in anderen Teilen der Welt nur um zweieinhalb Meter messen. Natürlich hoffen wir, diese Harlekine der Meere beobachten zu können.
Am Die Mündung des SpeyStrand der Spey Bay sind wir
Wo sind sie denn, die Bottlenasen?erwartungsgemäß nicht allein, überall sitzen die Besucher auf dem Kiesstrand herum und starren in die Wellen wie die Jungfrau nach dem Moorlicht. Auch wir fixieren die Wasseroberfläche, sehen aber nichts, doch je länger man die kabbeligen Wellen scannt, desto mehr hält einen die Einbildung zum Narren. Wie Fata Morganas tauchen plötzlich Buckel aus den Wellen auf, die sich jedoch immer wieder als nichts anderes als bucklige Wellen erweisen (so entstehen sehr wahrscheinlich auch die Nessie-Sichtungen). Wir tun es den anderen Besuchern gleich und wandern den Küstenstreifen ab, in der Hoffnung, den ultimativen Standpunkt zu finden, jenen, vor dem nur wegen uns ein paar fröhliche Delfine auftauchen und Hello rufen. Aber es tauchen weder fröhliche noch mürrische, sondern überhaupt keine Delfine auf. Wir stehen wie die Besucher auf dem Münchner Marienplatz frustriert herum, die gerne das Glockenspiel im Rathaus in Aktion sehen wollen und nicht wissen, dass es derzeit zur Überholung in der Werkstatt ist. Nach einer Stunde setzt sich die Vernunft durch, die uns einflüstert, dass es einer Trump’schen Hybris bedürfe, um darauf zu bestehen, dass sich die Delfine ausgerechnet jetzt hier versammeln
Spey Baymüssen, weil wir mal eben vorbeischauen. Möglicherweise haben sie Wichtigeres zu tun, beispielsweise Abendessen besorgen?
Keinen Kilometer östlich des Dolphin Centres liegt der Spey Bay Golf Club [N 57° 40‘ 15,53‘‘ W 003° 4‘ 58,70‘‘], der Stellplätze für Wohnmobile anbietet. Um 16:45 Uhr rollen wir dort vor und bitten um Einlass, der uns anstandslos gewährt wird. Wir sind die einzigen, außer zwei unbemannten Wohnwägen. Für die Nacht nimmt man hier 20 £ inkl. Strom. Allerdings steht man auf schottischem Rasen, kurz und kuschelig weich, aber suboptimal bei dem hier üblichen Regenwetter.
Es wird Nacht an der Spey BayUm 18:45 Uhr schlendern wir noch
einmal hinüber zu den Delfinen, ist ja egal, wo und warum man sich die Füße vertritt, die Mädels brauchen ja auch noch etwas Auslauf. Vielleicht schauen die Bottlenasen ja abends auf einen kurzen Plausch vorbei. Aber nix is. Die Nordsee gibt auch jetzt ihre Schätze nicht preis. Wir stapfen und lungern herum und bescheiden uns schließlich mit der Beobachtung der Fischadler, die über der Mündung des Spey kreisen, jenes Flusses, der nicht nur Baxters mit Wasser versorgt, sondern auch die vielen Destillen. Für die Vögel ist seine Mündung ein Premiumhabitat.
Um 20:15 Uhr ziehen wir uns wieder in den Franz zurück. Das Snack-Angebot des Golf Clubs, abhängig von Nachfrage und Personalbesetzung Steak oder Fish & Chips, schlagen wir aus, weil außer uns keine Nachfrage, also auch kein Angebot besteht. Wir vergreifen uns lieber an unseren Lachsvorräten und vertreiben uns die Abendstunden mit Spielen. Um 23:30 Uhr machen wir für heute Schluss. Es ist bedeckt bei 12 °C.
Fast hätten wir es vergessen: 210 Kilometer sind wir heute gefahren, und zwar durch ein völlig anderes Schottland als bisher: Getreide über Getreide. Hier ist die Kornkammer für die exquisiten Spirits, ob rauchig oder torfig, gaumenschmeichelnd oder rachenputzend, von irgendwo müssen die Ingredienzen dafür kommen. Augenscheinlich von hier.
Fahrstrecke Ullapool – Spey Bay
Freitag, 16. August 2019
Spey Bay – Fraserburgh
Camping bei den Spey Bay GolfernNachts setzt Landregen ein – und wir stehen auf matschigem Rasen. Dafür sind die gekiesten Flächen für Stammgäste reserviert und bleiben ungenutzt oder sind von unbewohnten Caravans belegt. Das fahrende Volk hat es eben nie und nirgendwo leicht.
Um 7:30 Uhr hat es 13 °C und es regnet nachdrücklich. Einige Golflub-Mitglieder begeben sich dennoch auf den Parcours, gut gelaunt in Regenhäuten. Vermutlich käme man in diesem Land nie zum Golfen, wenn man in Wetterangelegenheiten kleinlich wäre. Wir lassen die Hunde ein wenig laufen, frühstücken, pflegen unsere Körper und den Franz und verlassen den Spey Bay Golf Club um 11:30 Uhr. Leider müssen wir den Golfern ein paar Spuren in den Rasen carven, aber das lässt sich unter den Umständen nicht vermeiden. Selber schuld; wir sind froh, dass wir ohne Sandbleche zurechtkommen.
Noch einmal schauen wir beim Dolphin Centre vorbei, eine letzte Hoffnung wollen wir noch leben, aber hier ist heute überhaupt nichts los, keine Leute, keine Delfine, nur Fischadler. Immerhin, aber doch zu weit weg und zu weit oben, als dass man ihre Beobachtung als Erlebnis verbuchen könnte.
Unser Weg führt uns zurück nach Fochabers, weil wir dringend einen Bankomat räumen müssen; unser Bares ist so leergefegt wie das Meer am Delfinstrand. Wir kommen um 11:05 Uhr in Fochabers an, füllen unsere Börsen und entsagen einem weiteren Besuch bei Baxters.
Wie bereits erwähnt, bewegen wir uns gerade im Herzen
Entrée für Feingeister des schottischen Whisky-Landes und haben bisher noch keiner Destille einen Besuch abgestattet. Vermutlich wären wir ganz schön in der Bredouille, wenn wir uns jetzt entscheiden müssten, welche der Edelbrennereien wir nun besuchen wollten. Aber in der Heimat bekamen wir einen Insider-Tipp: Strathisla Distillery in Keith. Keith ist, wie alles hier, mehr oder weniger um die Ecke, und so parken wir den Franz um 12:05 Uhr vor der Brennerei [N 57° 32‘ 50,65‘‘ W 002° 57‘ 16,51‘‘]. Inzwischen kämpft sich die Sonne durch die Wolken und wir fühlen uns bei 19 °C wie in einem Waschhaus.
Strathisla ist die älteste, Zungenschmeichler und Rachenputzerkontinuierlich in Betrieb befindliche Brennerei Schottlands und seit 1786 mit wechselndem Erfolg in
Gediegenes Ambiente für SpiritistenBetrieb, was sie zu einem der wenigen Mitglieder des „Club 1700s" macht. Im Jahr 1950 kaufen die Chivas-Brothers die in einem traurigen Zustand befindliche Brennerei für 71.000 £. Nach dem Neubau der Anlage wird der Brennereiname wieder in Strathisla geändert und die Destillerie blüht unter den Chivas-Brüdern wieder auf. 2001 schluckt dann die Pernod-Ricard-Gruppe die Chivas-Gruppe, die ihren Namen jedoch weiterführen darf. Heute werden bei Strathisla der namhafte Chivas Regal aber auch originäre Strathisla-Blends gebrannt.
EinenStolzer Chauffeur mit seinem 90-Pfünder von denen, einen
Un-Fass-bar15 Jahre alten Strathisla, die 279. Abfüllung von 960, leisten wir uns für 90 £, umsorgen und wickeln ihn wie einen Säugling und verstauen ihn an einer der sichersten Lagerstätten im Franz. Dann machen wir mit den Mädels noch einen kleinen Rundgang um die Brennerei und durch den Ort und stehen bald nahezu fassungslos vor einem scheinbar unendlichen Fasslager – einfach un-fass-bar, wie viele Millionen Vollräusche und Leberzirrhosen hier ihren Anfang genommen haben müssen. Andererseits ist das ein Fassismus, dem man ungeteilte Sympathie entgegenbringen kann.
Um 13 Uhr verlassen wir Strathisla, passieren ein weiteres Mal Fochabers, das wie die Spinne im Netz der Speyside Destillen zu hängen scheint. Weiter geht es nach Norden, bis wir nach Nordosten auf den Costal Trail East in Richtung Portgordon schwenken. Von nun an geht es die Küste entlang, immer der Sonn‘ entgegen.
Unser erster Stopp ist um 13:30 Uhr in Buckie. Buckie hat etwa 8000 Einwohner und beheimatete Anfang des 20. Jahrhunderts die größte Fischereiflotte Schottlands. Auch heute lebt Buckie überwiegend von der Fisch- und Lebensmittelindustrie. Und folgerichtig gibt es hier ein sehr kleines, aber auch sehr feines Fischgeschäft: Cluny Fish (1-3 Low Street). Von Westen kommend biegt man links in einen kleinen Hinterhof und ist schon da [N 57° 40‘ 40,66‘‘ W 002° 57‘ 54,82‘‘]. Cluny Fish ist ein winziger Laden mit großem Fisch. Wir kaufen Jakobsmuscheln, Thunfischsteaks und wieder einmal ein Stück geräucherten Lachs. Beim Suchen, Finden und Entscheiden kann man es in Schottland nicht vermeiden, in ein angeregtes Gespräch gezogen zu werden, dem sich selbst der maulfaule Chauffeur nicht entziehen kann. Wir plaudern über dieses und jenes, woher wir kommen und wohin wir wollen, über die derzeit viel zu nördliche North 500, das Wetter (was sonst?), über den Franz und seine geduldige Fracht Fianna und Hedda – und darüber vergisst der Cluny-Fischer hinter der Ladentheke plötzlich seinen Fisch und beginnt, von Hunden zu schwärmen. Wir berichten, dass wir Hovawarte züchten und der Cluny-Fischer schweift weit zurück in die ferne Zeit, als auch er züchtete, mit Deutschen Schäferhunden, lange her… Wir simpeln Fach über Freud und Leid des Züchterlebens und erfahren schließlich, dass er die Zucht beendet habe, als die Kunden immer schwieriger wurden, immer widersinnigere Vorstellungen entwickelten und ihm das Züchten vergällten, was ihn schweren Herzens zur Aufgabe brachte. Zucht, so resümiert er, scheitere selten an den Züchtern und deren Hunden, sondern meist an der ahnungs- und gedankenlosen Kundschaft. Da machten es ihm seine toten und geräucherten Fischen erheblich leichter. Wir verabschieden uns einerseits frohgestimmt, andererseits nachdenklich, er wünscht uns noch viel Glück beim Züchten und mit unseren Hunden, und als die Tür hinter uns zufällt, haben wir das Gefühl, einen Freund gefunden zu haben, jedenfalls eine sehr verwandte Seele.
Unser Der Bow Fiddle Rock bei Portknockienächstes
PortknockieZiel ist Portknockie und sein Bow Fiddle Rock, wo wir kurz nach 14 Uhr ankommen. Wir suchen den „kleinen Parkplatz“, von dem aus man zu jenem Fels absteigen kann, wie es der schon früher erwähnte Reiseführer vorschlägt. Was wir finden, ist ein winziger Parkplatz, der maximal vier Pkw fasst. In einem Womo-Reiseführer, ein solches Schlupfloch als Parkplatz auszuweisen, ist dreist. Wir sehen uns ein wenig um und finden einen Hocker an der Straße [N 57° 42‘ 16,28‘‘ W 002° 51‘ 13,12‘‘], was nicht zu allen Zeiten so leicht fallen dürfte, dann nämlich, wenn hier mehr als die heute
Die Windhunde von Portknockieumherstreifende Handvoll Touristen dem Felsen ihre Aufwartung machen. Der Bow Fiddle Rock ist ein vorgelagerter Fels, der der Spitze eines Geigenbogens gleichen soll. Wir plädieren eher für einen auftauchenden Elefanten. Aber jedes Volk hat seine eigene Symbolik und den musikverliebten Schotten kommt eine Fiddle wohl eher in den Sinn als ein Elefant. Wir steigen über die Felsen hinab zum Wasser, lassen unsere Mädels ein wenig herumtoben und baden und betrachten den Felsen in seiner ganzen elefantösen Fiddle-Pracht. Schon kurios, welche Formen die Natur kreieren kann. Wer Zeit hat, kann hier lange über die Felsküste wandern, aber wir machen uns um 14:50 Uhr auf zu neuen Ufern; Felsen, auch sehr bizarre, gibt es in Schottland mehr als reichlich.
Über Das Cullen-ViaduktCullen, wo die berühmte Cullen Skink-Suppe erfunden wurde, fahren wir nach Portsoy, wo wir um 15:10 Uhr in der Church Street einen Parkplatz finden [N 57° 40' 58,28'' W 002° 41' 20,65'']. Wir streifen mit unseren Mädels durch diesen malerischen Ort und zu seinem fast mediterran anmutenden Hafen. Von irgendwoher liegt Dudelsackmusik in der Luft und die Einheimischen können einfach nicht die Finger von unseren Mädels lassen: So beautiful, oh so cute and so unbelievable
Der Hafen von Portsoywell behaved. Fianna und Hedda kuscheln mit und machen Werbung für deutsche Hovawarte, während wir zum x-ten Mal die Rasse und ihre Eigenschaften, ihre Arten und Unarten beschreiben. Die Liebeswütigen hören
Portsoyzu, aber nicht hin, weil sie einfach nur hin und weg sind. Das Fell unserer Mädels glänzt wie eine Speckschwarte nach all den zärtlichen Händen. Aber als wir sie von diesen loseisen und uns losreißen, sind sie doch sehr einverstanden. Portsoy ist nicht nur wegen der liebenswerten Menschen eine Perle, die offenbar kaum beachtet wird, denn sogar jetzt, mitten im August, ist hier fast nichts los. In der Craft Bakery J.G. Ross (Ecke A 98/ Shillinghill), die vielfach wegen ihrer hochwertigen und biologischen Backwaren ausgezeichnet wurde, kaufen wir noch einige süße Stückchen für gleich und für später. Gestärkt und tief berührt von Portsoy machen wir uns um 15:50 Uhr wieder auf den Weg.
Weiter geht es nach OstenGetreide so weit das Auge reicht (immer weiter weg von der North 500). Über Banff und Macduff führt uns die Straße an der Küste und endlosen Getreidefeldern entlang. Bis zu den Abstürzen der Klippen hinauf ziehen sich vorwiegend Gersten- und Weizenfelder, die uns später in Form von Bier und Whisky wieder begegnen werden. Dann nähern wir uns Pennan und geraten in Entscheidungskonflikte: ansteuern oder nicht?
PennanPennan liegt als langgezogenes Straßendorf zwischen der Küstenlinie und mehreren direkt hinter den Häusern steil aufragenden Felsen. Aufgrund dieser idyllischen Lage wurde es zu Beginn der 80er Jahre als Hauptdrehort für den Film Local Hero ausgewählt, in dem ein Mitarbeiter der texanischen Firma Knox Oil den Ort und die gesamte dazugehörige Bucht für einen Raffineriestandort aufkaufen soll. Die Bewohner des Ortes haben jedoch bereits von dem Vorhaben Wind bekommen und treiben den Preis in astronomische Höhen. Während der Wochen zwischen Warten und Verhandeln finden der Abgesandte und sein schottischer Adlatus und Kenner von Land und Leuten allerdings Gefallen an der Meeresbiologin Marina. Das Blatt wendet sich. Ihr Chef hatte nie viel Wert auf diese Raffinerie gelegt, und die beiden werden von den Bewohnern eingelullt und von Marina umgekrempelt. Am Ende wird die Raffinerie zugunsten eines Meeresforschungsinstituts begraben. Berühmt wurden vor allem die Szenen, in denen der Abgesandte McIntyre immer wieder aus einer direkt an der Hafenmauer stehenden roten Telefonzelle seinen Chef anruft, um die Situation zu schildern und sich neue Anweisungen zu holen.
Schottlands berühmteste TelefonzelleDie im Film benutzte Telefonzelle war eine Attrappe. Aufgrund der großen Anzahl von Besuchern, die im Ort nach genau dieser Telefonzelle suchte, wurde aber 1989 einige Meter neben dem Aufstellungsort der Attrappe ein funktionstüchtiges Telefonhäuschen installiert. Es wird scherzhaft als Schottlands berühmteste Telefonzelle bezeichnet.
Der Film zeichnet ein sehr liebevolles Bild von Schottland, von seinen Brüchen und Widersprüchen, von seiner Realität und seinen Verklärungen. Schottland, so weit es am Rande Europas liegen mag, kann sich den Zwängen unserer Zeit nicht entziehen. Wer Schottland liebt, muss diesen Film sehen, nicht zuletzt wegen der kongenialen Filmmusik von Mark Knopfler. Wir haben den Film so oft gesehen, dass wir vermutlich jedes Haus in Pennen beim Namen nennen könnten, und außerdem muss man natürlich dieser ikonischen Telefonzelle einen Besuch abstatten. Aber die Reiseführer beschreiben die Zufahrt als steil, eng und schotterig. Wir kämpfen mit uns: An einer steilen, geschotterten Engstelle mit 7,30 m hängen zu bleiben oder Gegenverkehr ausweichen zu müssen, gehört nicht zu den Zutaten eines entspannten Reisetages. Wir drehen uns im Kreise, und als wir ausgekreiselt haben, liegt der Abzweig hinter und die Sehnsucht weiterhin vor uns. Pennan ist passé. Für dieses Mal. Beim nächsten Mal werden wir wahrscheinlich… wir werden sehen. Vielleicht kann uns jemand, der dort war, Entwarnung geben und Mut machen.
(Da wir uns nicht nach Pennan hinunter getraut haben, haben wir uns wenigstens die Bilder aus dem Internet entliehen.)
Kurz nach 17 Uhr rollen wir auf den Caravan Park von Fraserburgh [N 57° 41‘ 11.25‘‘ W 002° 0‘ 3,59‘‘]. Wir sind heute 120 Kilometer durch die Speyside Whisky-Metropole und die Kornkammer Schottlands gefahren. Jetzt hat es 17 °C, es ist sehr sonnig, aber auch recht windig.
Fahrstrecke Spey Bay – Fraserburgh
Der Fraserburgh Caravan Park macht einen sehr ordentlichen Der Strand von Fraserburghund aufgeräumten Eindruck, die Betreiber sind ausgesprochen freundlich und ebenso bemüht, allerdings scheinen wir nicht die einzigen zu sein, die dem schlechten Wetter im äußersten Norden davongefahren sind, denn hier ist mächtig was los. Dennoch fühlen wir uns hier gut aufgehoben. Bis der Tag die Augen schließt, sind wir so zugeparkt, dass wir nicht mehr fortkämen, wenn wir denn überhaupt wollten. Aber wir wollen nicht. Was wir wollen ist zwei oder drei Tage bleiben. Den Betreibern ist ihre Schusseligkeit dennoch sehr peinlich und sie entschuldigen sich dafür, dass sie uns so eingekesselt haben. Wir geben Entwarnung: Wir bleiben. Die Mienen der Betreiber entspannen sich wie wir.
Zum Abendmahl bereiten wir uns als Vorspeise die Jakobsmuscheln und als Hauptspeise die Thunfischsteaks aus Buckie mit Kartoffeln zu. Daran gibt es nichts zu meckern. Wir sind mit dem heutigen Tag zufrieden, obwohl wir mit dem cold case Pennan noch immer hadern.
Um 23 Uhr geht das Licht aus.
Samstag, 17. August 2019
Fraserburgh
Was führt einen Schottlandreisenden nach Fraserburgh? Und noch wichtiger: Was sollte ihn dort festhalten? Nicht viel mehr als die Ruhe abseits des Sturms im Norden. Vor Gewittern blieben wir diese Nacht zwar auch nicht verschont, aber der Morgen grüßt uns mit Sonne und Wolken und 16 °C.
Um die Frage nach den Gründen unserer Anwesenheit in Fraserburgh zu beantworten: Alles und auch nichts. Der Caravan Park liegt wenige Fußminuten vom Zentrum entfernt, westlich davon dehnen sich kilometerlange Dünen, ein Supermarkt liegt auch in Fußentfernung und gleich jenseits der Harbour Street, die zum Caravan Park führt, erstreckt sich eine städtische Parkanlage, groß genug, dass unsere Mädels auch mal eine angemessene Fährte absuchen können. Es ist also alles angerichtet, um die Meilenfresserei für zwei oder drei Tage zu unterbrechen und der Reisegesellschaft Gelegenheit zu geben, die gewonnen Eindrücke zu verarbeiten und zu katalogisieren.
FraserburghFraserburgh (schottisch-gälisch: A’ Bhruaich) hat gut 13.000 Einwohner und liegt am äußersten Ende des Moray Firth, jenes riesigen Meeresarms, der den Nordosten Schottlands bis nach Inverness hinein aufreißt wie ein gefräßiger Wal sein Maul.
Die Ursprünge der Ansiedlung liegen im 14. Jahrhundert, damals hieß der Ort noch Faithlie. Der erste Hafen wird Mitte des 16. Jahrhunderts angelegt und seit 1592 heißt Faithlie dann Fraserburgh, nach seinem frühen Wohltäter und Entwickler Fraser von Philorth. Ende des 16. Jahrhunderts erhält Fraserburgh sogar eine Universität, die jedoch bald wieder aufgegeben wird, vermutlich weil Fraserburgh von der Fischerei lebt und Fischer mit ihren Familien genug mit der knochenharten Fischerei zu tun haben, als dass sie sich nebenbei in Hörsälen herumzudrücken könnten. 1787 wird die Burg der Stadt zum ersten Leuchtturm Schottlands ausgebaut (Kinnaird Head Lighthouse) und 1865 erhält die Stadt einen Bahnanschluss, der ihre Wirtschaft entscheidend ankurbelt. Die ist auch heute noch überwiegend auf den Fischfang ausgerichtet, von dem nahezu 60 % aller Arbeitsplätze abhängen.
Wir sind also nicht wegen der augenfälligen Schönheit Fraserburghs hier, sondern aus sehr praktischen Gründen: abwettern und relaxen.
Nach dem Fianna zieht sich Fraserburgh durch die NaseFrühstück bedienen wir uns der Waschmaschinen des Camps und legen dann für Fianna eiine stramme Fährte in der Parkanlage gleich jenseits der Harbour Street. Parkanlage ist eigentlich zu hoch gegriffen: Es ist eine ausgedehnte Rasenfläche, allerdings eine mit
Tücken; sie steigt an ihrer Nordseite stetig an, was dazu führt, dass der lebhafte Wind fröhlich darüberpfeift. Das wiederum hat zur Folge, dass allerlei Zivilisationsmüll, wie etwa Trinkbecher oder Schokopapier, über die Fährte geblasen wird. Alles zusammen keine leichte Aufgabe für Fianna, aber sie meistert die tausend Schritte mit der ihr eigenen Routine, Gelassenheit und Gründlichkeit. So sehr hier die Zivilisationsreste nerven, eines muss an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden: Diesen Gemeinderasen, wie alle anderen in Fraserburgh und in ganz Schottland kann man erhobenen Hauptes überqueren, ohne danach Hundedreck vom Schuh kratzen zu müssen. In dieser Hinsicht sind die Schotten in höchstem Maße zivilisiert. Die entsprechenden Hinweisschilder sind britisch freundlich, aber unmissverständlich. Wir haben nirgendwo Hunderückstände vorgefunden.
Nach Fiannas Naseneinsatz machen wir einen langen Spaziergang über den Strand und die Dünen. Ständige Begleiter sind Sonne, Wolken, Wind und zwischendurch auch Regen. Knappe fünf Kilometer bummeln, spielen und plantschen wir uns durch Wasser, Sand und Dünengras, dass auch Hedda, für die eine Fährte unter diesen Bedingungen noch zu früh gekommen wäre, ausgepowert und zufrieden um 13:30 Uhr beim Franz wieder ihr Lager bezieht.
Es hat schon etwas, wenn man bereits am frühen Nachmittag sein Tagwerk erledigt hat und den Rest des Tages verbummeln, vertrödeln, vergeigen und verdösen kann.
Abends machen wir uns Steaks mit Gemüse und um 23:30 Uhr ist Schluss. 13 °C, Wolken, Wind. Gute Nacht, Fraserburgh, … A’ Bhruaich … Faithlie …
Sonntag, 18. August 2019
Fraserburgh
Beim morgendlichen Blick aus dem Fenster erinnert sich der Chauffeur an ein kleines Gespräch gestern Abend auf dem Pissoir, als ein schottischer Mobilist, mit Blick aus dem Fenster und den Fingern am Gemächt, eine bestechend schlichte Charakterisierung des schottischen Wetters traf: „Scottish weather? All four seasons within one day!“ Danach sieht es gerade aus, Regen, Sonne, Wolken und so viel Wind, dass die ersten Einheimischen schon morgens abreisen, und offenbar nicht nur solche, die sowieso am Sonntag die Heimreise antreten wollten.
Noch vor dem Frühstück sind
wir mit den Mädels wieder draußen bei Sand und Strand. Der rasende Wechsel von Sonne und Wolken liefert uns apokalyptische Farbenspiele, die allein hinreichen würden, van Gogh in den Wahnsinn zu treiben. Wie schön sind die Farbspiele bei uns im Mangfalltal und wie anders schön sind sie hier. Die Welt ist doch nur geschaffen, um bereist, besucht und eingeatmet zu werden.
Nach dem Frühstück geben wir uns unseren Urlaubsgeschäfte hin, schreiben an dieser Doku oder sichten und bearbeiten Bilder. Nachmittags nehmen wir die Mädels mit zu einer Stadtbesichtigung.
Das Resümee gleich zu Beginn: Fraserburgh muss man nicht gesehen haben.
Wir durchstreifen eine mehr oder minder typische Hafen- und Fischereistadt. Hier ist alles dem Zweck untergeordnet, und der Fischfang gewinnt nicht durch Schnörkel oder nutzlosen Dekokram. Die Häuser sind – wie soll man sagen? – quadratisch, praktisch und gut genug. Sie erfüllen ihren Zweck. Dazwischen häuft sich jeglicher Unart, vom ewigen Wind in die Ecken getrieben und von ewig anderweitig Beschäftigten nie entfernt. Glasscherben sind die Edelsteine der Fraserburgher Avenues, Treppen sind vermoost und versifft. Fraserburgh ist grau und trüb. Schummrige Bars und schmuddelige Puffs stoßen den Touristen ab, helfen aber den Seeleuten über Nöte und Einsamkeit hinweg. Es stinkt vielerorts nach Tod und Verderben. Entlang dem Hafen verdichtet sich dieser strenge
Geruch so, dass man fast glaubt, hier das Milieu in der Nase zu haben, aus dem 1945 jener Dennis Nilsen entstiegen ist, der zwischen den Jahren 1978 und 1983 in London zum Massenmörder wurde, 16 junge Männer tötete, unter seinen Zimmerdielen einlagerte oder zerstückelte und erst entdeckt wurde, als sein Abflussrohr so mit Leichenteilen verstopft war, dass die Kanalreinigung gerufen werden musste und eine sehr grausige Entdeckung machte. Ein gebürtiger Fraserburgher war er, der es, anders als die meisten seiner Mitbürger, zu einer beachtlichen, wenn auch unvorteilhaften Popularität gebracht hatte.
Auch unsere Mädels können sich diesem Odeur des Anrüchigen nicht entziehen, aber sie tun es jede auf ihre Weise. Hedda, jung und unerfahren, aber natürlich fasziniert von dem, was ihr da so beißend und impertinent in die Nase weht, ist in Gefahr, als Hovawart gestartet zu sein und als Basset nach Hause zu kommen; die Nase möchte gerne mehr erfahren, aber der Rest ihres Wesens hält sie zurück. So erarbeitet sich Hedda den Hafen von Fraserburgh als eine Art streched dog, innerlich zerrissen, äußerlich maximal gedehnt, die Nase auf dem Weg zur Kiste mit Fischabfällen, der Hintern zwischen Herrchens Beinen. Anders verhält sich Fianna, abgeklärt, weltgewandt und im besten Sinne naseweis. Auch sie lässt sich von den zweifelhaften Düften betören, aber nicht abschrecken. Im Gegenteil: Ihr Bestreben ist es, sich in ihnen zu rollen, was nun allerdings wir zu verhindern suchen, woraus aus ganz anderen Gründen auch aus Fianna ein streched dog wird. Eines ist sicher: Dieser Stadtrundgang ist für beide ein mental sehr erschöpfendes Erlebnis. Und für uns bleibt die nicht ganz neue Erkenntnis, dass es nicht immer erstrebenswert ist, genau zu wissen, welchen Weg die maritimen Genüsse auf dem Menüteller genommen haben.
Als wir zurück beim Franz sind, gehört uns der Caravan Park von Fraserburgh fast allein. Die Mehrzahl der Schotten ist abgereist, die einen, weil das Wochenende zu Ende geht, die anderen, weil sie genug vom himmlischen Gebläse haben. Und die Betreiber des Camps sind glücklich, dass sie uns nicht in Schwierigkeiten gebracht haben, indem sie eine Wagenburg um uns herum zugelassen haben.
Abends geht die Humanfakultät ohne die mental gedehnteThe Captain's Tablen Hunde (mentally streched dogs) auswärts essen. Unser Ziel ist das Captain’s Table (20, Seaforth Street), nur wenige Fußminuten vom Caravan Park entfernt. Von außen ist das Restaurant, wie offenbar alles in dieser Stadt, unscheinbar und von innen schlicht: schmucklose, farbige Wände, Holztheke, Holztische, Lederstühle. Aber man geht ja nicht in Schottland zum Essen, um Salzburger Rokoko-Gastronomie geboten zu bekommen, sondern um möglichst landestypisch schmackhaft zu speisen. Als Vorspeisen wählen wir einen Lobster-Pot und eine Terrine Cullen Skink, was in dieser Gegend einfach sein muss. Als Hauptspeise kommen einmal Fish Pie und einmal Green Thai Curry auf den Tisch. Alles ist sehr schmackhaft und sehr reell, kein Chichi, kein Sahnehäubchen, und der Geschmack genau dort auf der Zunge platziert, wo er die kürzeste Verbindung zur Seele hat. Vielleicht hat uns der Nachmittagsspaziergang auf eine falsche Fährte gelockt und es gibt doch einiges, was an Fraserburgh gelobt werden kann. Das werden wir nicht mehr herausfinden, aber das Captain’s Table gehört definitiv dazu. Der Service ist zu allem Überfluss auch noch sehr aufmerksam, ohne aufdringlich zu sein, und dass man in Schottland nicht ohne Smalltalk bei jedem Gang, sowie davor und danach allein gelassen wird, steht sowieso außer Frage; diese gesprächsfreudige und trotzdem distanzierte Neugier gehört in Schottland zum Leben. Das ist schön. Und somit ist auch dieses Restaurant schön und empfehlenswert. Fraserburgh kann offenbar mehr als Wind, Regen, Gestank und Serienmörder. Wir werden es dennoch morgen verlassen.
Montag, 19. August 2019
Fraserburgh – Rosemarkie
Bevor man sich auf den Weg macht, sollte man sich überlegen, wohin es gehen soll. In unserem Fall bedeutet das zu überlegen, was wir in den verbleibenden rund zehn Tagen noch sehen wollen. Edinburgh steht noch auf unserem Tourneeplan, sicher nicht Inverness, auch Glasgow ist kein Sehnsuchtsziel, jedenfalls nicht auf dieser Reise. Wir sind eben Landeier und eiern nicht so gern in Städten umher. Unbedingt erstrebenswert ist der Besuch eines der Highland-Games. Dafür kommt nur nächstes Wochenende infrage. Weil wir keinen jener Touristenjahrmärkte, wie etwa Drumnadrochit südlich von Inverness, ins Auge fassen, ist schon ein bisschen planerisches Fingerspitzengefühl gefragt, denn die North 500 haben wir auch noch längst nicht abgeschrieben, sondern steht noch immer mit einem Ausrufungszeichen auf dem Tourenplan. Da sich das Wetter im Norden etwas zu beruhigen scheint, beschließen wir, uns dieser Option vorsichtig zu nähern. Das bedeutet, wir tasten uns heran – indem wir zuerst einen kleinen Abstecher nach Süden machen.
Zuerst jedoch müssen die Mädels morgens an den Strand und in die Dünen. Bei der Gelegenheit führen wir intensive Zwiesprache mit den ortsansässigen Möwen, die uns die halbe Nacht verdorben haben. Wer hat eigentlich das Märchen erfunden, dass Vögel mit der Sonne schlafen gehen?
Und auch mit der Sonne wieder aufstehen? Die Möwen in Fraserburgh sind gerade mit der Flugbereitschaft ihrer Brut beschäftigt und das bedeutet, dass überall ein Altvogel mit einem Jungvogel unterwegs ist und immer einer den anderen ruft, also nach Möwenart ankreischt. Und das geht die halbe Nacht so! Leider ist das Mitführen einer Schrotflinte in einem zivilisierten Land wie Schottland nicht erlaubt. Möglicherweise haben die nach Amerika ausgewanderten Schotten, aus Erfahrung mürbe geworden, dort ihre Meinung geändert und mit dafür gesorgt, dass in jedem Haushalt mindestens eine Flinte bereitsteht. Natürlich nur wegen der Möwen. Das erklärt manches: Nachtruhe vs. Zivilisation.
Bullers o' BuchanWährend
Der Potwir gegen 8 Uhr mit den Mädels unterwegs sind, registrieren wir Sonne und Wolken bei 8 °C. Um 9 Uhr starten wir zu TESCO, gleich um die Ecke, wo wir uns für die nächsten Tage eindecken. Um 10:15 Uhr verlassen wir Fraserburgh bei 20 °C mit Sonne und Wolken. Wenn es so weitergeht, muss die North 500 kein Traumziel bleiben. Es geht an der Küste entlang nach Süden, wo wir um 10:50 Uhr an der Cruden Bay in Bullers of Buchan Halt machen [N 57° 25‘ 54,75‘‘ W 001° 49‘ 27,05‘‘]. Unter Bullers of Buchan versteht man einerseits einen Weiler mit nur einer Handvoll Häuser und eine eingestürzte Felshöhle, dem pot. Dreißig Meter fallen hier die Felswände lotrecht in ein nahezu kreisrundes Wasserloch, das durch ein natürliches Felsentor von der Nordsee geflutet wird. Die Fischer des Ortes benutzten den Gumpen als
natürlichen Hafen. In den Steilwänden brüten überwiegend Möwen an schwindelerregenden Vorsprüngen. Dem Chauffeur wird schon beim Gedanken an diesen Abyss schwindlig, die Annäherung an ihn dreht ihm das spärliche
Frühstück einmal im Magen um. Den Steig zum besten Aussichtspunkt in das Höllenloch muss die Reiseleiterin mit ihren Vierbeinigen allein unternehmen; der Chauffeur wendet sich beim Anblick der fröhlich durchs Gras tobenden Mädels mit Grausen ab. Da er in der Folge weder einen Schreckensschrei noch einen deftigen Platsch hört, schöpft er Hoffnung, die drei unversehrt und ungeduscht wieder zu bekommen. Um 11:25 Uhr erfüllt sich seine Hoffnung und wir können in kompletter Besatzung weiterziehen. Spektakulär ist es, dieses Bullauge in die Hölle, aber sicher nichts für Höhendemente wie der Chauffeur und Chronist.
Weiter geht es nach Süden bis nach Newburgh, wo Newburghwir kurz nach 12 Uhr ankommen. Dort gibt es Robben zu sehen, und zwar zu hundert Prozent, nicht mit einem Zufallsdatum versehen wie die Delfine von Spey Bay. Die beschriebenen Zufahrten zu den Parkplätzen bleiben uns wegen der Höhenbeschränkung von 2 m versperrt, weshalb wir uns mitten im Ort an die A 975 stellen [N 57° 19‘ 4,40‘‘ W 002° 0‘ 12,56‘‘]. Der ausgeschilderte Fußweg von unserer Parkposition durch die Dünen und an einem Golfclub entlang, beträgt ungefähr einen Kilometer.
Hundepatrouille im YthanUnd dann sehen wir sie, die mächtigen und prächtigen Kegelrobben. Hier fließt der Ythan River in die Nordsee. Auf unserem Ufer, dem Südwestufer dehnt
Kegelrobben an der Ythan-Mündungsich ein herrlicher und breiter Sandstrand für die Besucher, die Robben haben ihre Heimat jenseits des Flusses. Der Zutritt dort ist streng untersagt. Auch wir haben schon ihre Aufmerksamkeit erregt, vor allem die Hunde scheinen ihnen sehr suspekt zu sein. Kaum treten wir etwas näher an den Fluss heran, gleitet drüben die Wachpatrouille ins Wasser und lässt uns nicht
mehr aus den Augen, bis wir ihren Abschnitt verlassen haben, wo wir dann von der nächsten Wache übernommen werden. Männliche Kegelrobben werden bis zu 2,5 Meter lang und 300
Kilogramm schwer (weibliche 1,8 Meter, 150 Kilo). Kegelrobben waren nie gefährdet, weil sie nicht von kommerziellem Interesse waren, nur Fischer jagten sie, weil sie sie als Konkurrenten empfanden. Heute sind die Robben in den meisten Ländern geschützt. Die Lebenserwartung liegt bei durchschnittlich 20, in der Spitze bei 45 Jahren. Im östlichen Atlantik zählt man heute etwa 100.000 Kegelrobben, an den Küsten Großbritanniens leben 40 Prozent des weltweiten Kegelrobben-Bestands. Fast eine Stunde schlendern wir den Strand auf und ab und können uns nicht an den Tieren sattsehen. Nur der Himmel lässt uns einen Abschied notwendig erscheinen; aus den blau-weiß-gelben Lichtspielen wird ein zunehmend schwarzes Bühnenbild. Wir geben Fersengeld. Und dennoch ist die Himmelsflut schneller als unsere Fersen; tropfnass kommen wir beim Franz an. Eine halbe Wagenladung Frotteetücher bringt uns vier wieder in einen gesellschaftsfähigen Zustand.
In den HighlandsUm 13:30 Uhr setzen wir unsere
Reise fort, jetzt stramm nach Westen. Bald verlassen wir die Landwirtschaft des Ostens und tauchen immer tiefer in die Highlands ein; vor uns liegt der Cairngorms Nationalpark. Hier sind wir wieder umgeben von kahlen Höhenzügen mit dürftigem Heidegras, Weite und Einsamkeit. Und natürlich dringen wir wieder tief ins Herz des schottischen Whiskys ein. Auf der A 920 geht es über Whitefild nach Culsalmond, von dort auf der A 96 nach Huntly und anschließend wieder auf der
A 920 nach Dufftown. So der Plan. Doch kurz hinter Torry, etwa zwei Kilometer vor Bakebare, beendet eine Straßensperre unsere Weiterfahrt. Ende der Welt mitten in den Highlands. Offenbar haben wir ein entsprechendes Hinweisschild übersehen, allerdings wären wir nicht die einzigen, denn wir stehen nicht allein vor der Sperre, sonst hätten wir uns vielleicht schon gewundert, so allein durch Cairngorms rollen zu dürfen. Also müssen wir wieder zurück: U-Turn mit 7,30 Metern und dann, nach etwa dreieinhalb Kilometern, schickt uns tatsächlich eine Umleitung (detour) nach Norden und über die schaurig-schöne B 9014, vorbei an Drummuir Castle nach Dufftown. Da wären wir also wieder: Aberlour und Walkers Shortbread in Griffweite, Keith und Strathisla auch einen Abstecher wert, aber die Reiseleitung lässt keine kulinarische Detour zu und treibt den Chauffeur weiter über die B 9009 und B 9008 nach Süden. Um 15:40 Uhr parken wir mitten in Tomintoul an der Straße [N 57° 15‘ 4,43‘‘ W 003° 22‘ 43,49‘‘].
Tomintoul ist das verschlafene touristische Herz der Highlands. Hier leben etwa 300 Menschen, die schlitzohrig die Legende aufrecht halten, dass Tomintoul mit 345 Meter der höchstgelegene Ort Schottlands sei. Das mag dem Tourismus Flügel verleihen, aber nicht der Wahrheit. Der Ort wurde erst 1775 durch den 4. Duke of Gordon gegründet, dessen Absicht es offenbar war, den Anwohnern, die sich vor allem von illegalen Geschäften wie Schwarzbrennerei, ernährten, legale Arbeitsplätze zu schaffen. Doch die Versuche Textilgewerbe sowie Landwirtschaft und Schafzucht anzusiedeln, scheiterten recht kläglich. Nur eine – jetzt legale – Whisky-Destille erinnert noch an die wilden Zeiten. Heute lebt man hier von Wanderern und Mountainbikern ziemlich gut, wenn auch nicht gerade in Luxus.
Es ist nichts los hier. Wir sehen uns um, drehen uns hier hin und wenden uns dort hin, immer auf der Suche nach Die Kessock Bridge im Regeneinem uns ans Herz gelegten Geschenkshop. Den finden wir dann auch mühelos mitten im Ort an der Hauptstraße: Spindrift steht über der Tür. Hier findet man alles, was man nicht braucht, aber gerne hätte: Bücher, CDs, Bilder, Outdoorklamotten, Campingausrüstung, Wollwaren, Geschirr, aber eben auch sehr geschmackvolle T-Shirts, die zum Teil vom Ladenbesitzer selbst entworfen sind, und von denen wir uns einige einpacken lassen. Einen schönen Schal können wir auch nicht zurücklassen, zwei CDs mit Sackgedudel gehen auch noch ins Reisegepäck – und dann sind wir zufrieden und bereit zur Weiterreise.
Um 16:15 Uhr geht es weiter westwärts. Um 17:45 Uhr überqueren wir wieder einmal die Kessock-Bridge von Inverness, diesmal bei Regen, und um 16 Uhr ankern wir nach 270 km im Rosemarkie Camping & Caravanning Club [N 57° 35‘ 1,36‘‘ W 004° 6‘ 32,78‘‘] von Fortrose. Es ist bedeckt bei 13 °C. Was wollen wir hier? Wir wollen Delfine sehen! Wo sonst, wenn nicht hier?
Fahrstrecke Fraserburgh – Rosemarkie
Der Rosemarkie CCC zieht sich gute 400 Meter am Strand entlang und ist in zwei Reihen, derzeit mittelstark, belegt. Wir stehen natürlich mit der Nase fast im Wasser. Die Einnahme dieser Position an der Wasserfront, auf welche die Reiseleiterin besteht, wenn sich auch nur die kleinste Lücke auftut, bringt allerdings ein in Schottland bisher völlig unbekanntes Lebensgefühl mit sich: Der diensthabende Platzwart, im grauen Arbeitsmantel, weist den Chauffeur an, den Stellplatz begrenzenden Pflock anzupeilen, der in die Rasenkante gesteckt ist. Der Chauffeur peilt den Pflock mittig an, was den Pflockwart in einen sehr unausgewogenen Gemütszustand bringt, weil er eine linksseitige Annäherung gemeint habe, soll heißen, der Grenzpflock müsse die linke Seite des Franz markieren. Der Chauffeur rangiert, der Platzwart grummelt und mault. Dann ist er zufrieden, und der Chauffeur würde sich nicht wundern, wenn er aus seinem Arbeitskittel einen Zollstock zaubern würde, um die lotrechte linksseitige Ausrichtung des Franz zu überprüfen. So etwas haben wir noch nicht einmal im pepitagemusterten Deutschland erlebt. Wir sinnieren, ob dieser Ärmelschoner vielleicht die Vorlage für Hausmeister Krause, dem Protagonisten der gleichnamigen Fernsehserie aus dStrandspaziergang in Rosemarkieen Anfängen des 21. Jahrhunderts, gewesen sein könnte. Gut möglich. Abgesehen davon, ist hier sonst alles gut. Würden sich die Verhältnisse weiterhin in eine krausesche Richtung entwickeln, gäbe es noch die Möglichkeit, am Leuchtturm des Chanonry Point, eineinhalb Kilometer südlich, einen Hocker zu suchen. Dort ist es allerdings sehr eng, und die Plätze sind heiß begehrt, weil auch Delfin-Watcher am liebsten keinen Meter zu Fuß gehen wollen. Nein, so schlimm kann es mit dem CCC-Hausmeister nicht werden.
Heute steht nur noch eine ausgiebige Strand- und Dünenwanderung auf dem Programm. Um 21:30 Uhr sind wir zurück, werfen, vor dem Franz hockend, unsere Seelen noch ein wenig in den Wind und beschließen den Tag um 22:30 Uhr.
Dienstag, 20. August 2019
Rosemarkie
7 Uhr, es ist bewölkt, aber windstill bei 11 °C. Wir spazieren mit Fianna und Hedda zum Chanonry Point und seinem Leuchtturm und wieder zurück. Wir frühstücken und machen uns für einen ersten Sichtungsausflug bereit.
Was
wir zu sehen wünschen, sind dieselben Großen Tümmler (Bottlenose), die wir an der Spey Bay nicht zu Gesicht bekamen. Es handelt sich am gesamten Küstenabschnitt von Fortrose bis fast an die englische Grenze um dieselbe Population. Hier sind die Bedingungen besonders günstig, weil der Moray Firth zwischen dem Chanonry Point und dem gegenüberliegenden, mächtigen Fort George eine Wespentaille bildet. Durch diese Meerenge folgen die
Der Gezeitenkalender in der SpülkücheDelfine gerne den Lachsen, die durch
Fort Georgeden Moray Firth und Inverness hinauf in den Beauly Firth ziehen. Einmal durch die Meerenge, sind die Lachse leichte Beute, und der Chanonry Point ist einer der sichersten Beobachtungsplätze. Die beste Zeit, auf die Delfine anzusitzen, ist zwischen ein und zwei Stunden nach jedem Niedrigwasser, wenn die Lachse mit dem wieder auflaufenden Wasser in den Beauly gespült werden. Der Gezeitenkalender ist in der Spülküche des Caravan Clubs ausgehängt.
Das morgendliche Niedrigwasser ist heute um 9:33 Uhr, was bedeutet, dass die Delfis zwischen 10:30 Uhr Chanonry Pointund 11:30 Uhr vorbeischauen. Um 10:15 Uhr sind wir am Chanonry Point und mit uns mindestens 200 andere Zahnwalliebhaber. Man treibt sich am Kiesstrand herum oder hockt auf den hölzernen Sitzgruppen, immer mit einem Auge in Richtung Fort George. Von dort müssen sie kommen. Mit einem 70-200mm-Objektiv kommt man sich in dieser Gesellschaft wie ein Mitglied des Zeiss-Prekariats vor, hier zeigt man Objektive der Luxusklasse, meist in Camouflage-Hülle. Der Chronist ist sich sicher, dass er keine Erektionslinse braucht, weil er den Versprechungen vertraut, dass die Delfine häufig ganz nahe ans Ufer kommen.
Das Starren in das leicht gekräuselte Wasser des Firth ermüdet. Das Stehen an den Stativen ermüdet. Bald ergibt sich eine unausgesprochene Arbeitsteilung: Die einen halten Ausschau, die anderen lassen sich nieder und entspannen. Der Chauffeur ist ein rastloser Wanderer am Chanonry Point. Bei einer seiner Wanderungen erkundet er den Parkplatz jenseits des Leuchtturms und beglückwünscht sich zu der Entscheidung, hier nicht das Nachtlager aufgeschlagen zu haben, denn hier stehen die Womos dicht an dicht, so verkeilt, dass man mit den Nachbarn einen Auflösungsvertrag abschließen müsste, um wieder wegzukommen. Was Menschen alles auf sich nehmen, um sich nicht bewegen zu müssen! Allerdings gibt es hier auch einen Marktwagen mit Erfrischungen, dessen Betreiber als Einziger viel Grund zum Lachen hat.
Der Leuchtturm an Chanonry PointDann: ein Raunen. Schlagartig kommt die ganze Szene in Bewegung, hektische Informationen fliegen umher, kreuzlahme Strandlieger stemmen sich unter Schmerzen aus dem Kies, die Sitzgruppen verwaisen jäh. Alles steht, alles starrt. Eine Robbe! Eine einzelne publikumsgeile Robbe taucht auf, sonnt sich in ihrer hundertfachen Beachtung, äugt listig herum und taucht wieder ab. Wenn die Enttäuschung ein Teig wäre, könnte man ihn jetzt mit Händen formen und das größte Brot der Welt backen. Eine Robbe…
Blick auf Inverness und die Kessock BridgeDas Wasser zwischen dem Aussichtspunkt und dem Fort bleibt nahezu ungerührt. Immer wieder glaubt man, da draußen etwas zu erahnen. Das auflaufende Wasser bildet ab und an kleine Strudel oder haspelt über eine Untiefe, alles geeignet, dem gestressten und erwartungsvollen Auge einen Streich zu spielen. Wir hocken wieder herum. Dann taucht die Robbe wieder auf; vielleicht will sie sich ein wenig amüsieren. Vielleicht weiß sie ja, wo die Delfis sind und lacht sich ins Flösschen. Wenn schon kein Delfin den Vormittag vertreibt, nimmt man auch mit zwei Frauen jenseits der allerbesten Jahre vorlieb, die sich hinter unserem Rücken ihr klagvolles Leben aus missratener Familiengeschichte, Depressionsbewältigung, Gruppentherapien, Partnerverlusten und WG-Kriegen austauschen. Meine Güte, was zwei Menschen in einem Leben alles bewältigen müssen! Wir kommen uns vor wie Spitzel hinterm Paravent von Frau Dr. Angelika
Talk of the beachKallwass. Zwei in London lebende deutsche Frauen, deren Leben sich an bestimmten Punkten gekreuzt haben und deren freie Enden sie sich nun gegenseitig unter Schmerzen ausbreiten und aufdröseln. Wenn ein maulfauler Chauffeur mit einer schweigend lauschenden Reiseleiterin wortlos kommuniziert, kann die plaudernde Nachbarschaft nicht ahnen, dass sie von zwei Deutschen belauscht wird, die jedes Wort verstehen, und nicht von zwei kommunikationsresistenten Briten. Irgendwann werden uns dieses verpfuschte weibliche Jammertal und die gesungenen Klagelieder dann doch zu viel und wir stehen auf und verabschieden uns mit einem freundlichen „Auf Wiedersehen“. Eine Sitzgruppe weiter sind Plätze frei geworden. Dort lasen wir uns verschmitzt nieder.
Die Delfine zeigen sich immer noch nicht. Die Robbe zelebriert einen neuerlichen Auftritt. Wir bekommen an unserem neuen Sitzplatz dafür regen Besuch von Hundeliebhabern, die uns Gesellschaft leisten und die Mädels liebkosen, plaudern mit einer Besitzerin eines schwarzen und eines weißen Scotchterriers über diese bei uns fast völlig verschwundene Rasse, sehen den Spatzen auf den Holzpfosten der Sitzgruppen beim Balzen zu und verschwenden keinen Blick mehr übers Wasser; wenn sich etwas rührt, erfahren wir das schnell genug. Es rührt sich aber nichts. Nur die Robbe… im Überschwang ihrer Bedeutung.
Die AbflugReiseleiterin wandert um 11:30 Uhr mit ihren Vierbeinern ab, jeder Hoffnung beraubt. Die beste Zeit einer Delfinsichtung ist vorüber. Der Chronist harrt pflichtbewusst aus, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Häme, falls die Kleinwale doch noch auftauchen sollten, jeglichem menschlichen Zeitplan zum Trotz, nur weil sich heute vielleicht die Lachse verspätet haben. Der Glaube weicht schnell, die Hoffnung langsam, aber stetig. Als sich die Camouflage-Linsen auf den Heimweg machen, rückt auch der Chronist ab. Die Kleinwale lassen ihm keine Wahl. Jeden dritten Schritt wirft er einen entmutigten Blick über die Schulter: Das Wasser liegt topfeben, kein Schwein lässt sich sehen, auch kein Schweinswal, vor allem aber kein Delfin. Es ist 13 Uhr und der Nachmittag ist ohne Hoffnung. Die nächste Chance auf eine Sichtung wäre heute Abend ab 22:30 Uhr, selbst so weit im Norden zu dunkel.
Wir verbringen den Nachmittag in kurzen Hosen bei 19 °C in Franzens Obhut und Schatten und verfolgen mit einigem Erstaunen, wiie ein Nachbar seine camouflierte Kameraoptik nur vier Plätze neben uns mit Blickrichtung Chanonry Point aufbaut: Das sind eineinhalb Kilometer! Zu faul, seinen Allerwertesten mit seinem tonnenschweren Möbel unterm Arm irgendwann in Bewegung zu setzen. Und warum jetzt? Heute Nacht wird ihm dieses Ofenrohr auch nicht viel helfen. Mobiles Reisen lässt die Welt immer wieder in besonders merkwürdigem Licht erscheinen. Immerhin etwas, worüber wir nachdenken können, der Blick übers Wasser lässt nur leere Gedanken zu.
Um 18 Uhr stapfen wir mit den Mädels den Strand Blick auf Fortroseentlang nach Norden, um das Restaurant und Pub Plough Inn zu besuchen, das uns von den Krümels auf Skye sehr ans Herz gelegt wurde, weil es dort einen sehr schmackhaften und reellen Haggis gäbe. Wir sind nun schon seit 18 Tagen in Schottland und haben noch keinen Haggis zu uns genommen. Haggis ist hierzulande das Nationalgericht und muss probiert werden. Wer nach Deutschland reist, wird sicher einmal Sauerbraten, Eisbein, Labskaus oder Schweinshaxe essen, je nachdem, welches Landesteil man bereist. Die italienische oder griechische Küche sind inzwischen schon so international verbreitet, dass man ihre Spezialitäten kaum noch herausfiltern kann, in der französischen böte sich eventuell die Andouille als Äquivalent zu Haggis an, eine Wurst ausschließlich aus Innereien.
Haggis ist eine Spezialität aus dem Magen eines Schafes, paunch genannt, der mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett vom Schaf, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird. Haggis ist mit Pfeffer scharf gewürzt, und das Hafermehl verleiht ihm eine etwas schwerere Konsistenz als Wurst.
Zum Nachkochen veröffentlichen wir hier das Rezept des schottischen Kochbuchautors Paul Harris (wetten, dass der eigentlich Haggis heißt!), der dem Genießer das Gericht mit folgenden Worten schmackhaft macht: „The following recipe is not for the weak of constitution!“, frei übersetzt: „Das folgende Rezept ist nichts für Weicheier!“
Die Zubereitung eines Haggis dauert vier bis fünf Stunden.
Der Magen muss in kaltem Wasser sorgfältig ausgewaschen werden. Dann stülpt man ihn von innen nach außen und schabt die allerletzten festen Reste der Magensäure und die Magenschleimhaut mit einem Messer ab. Um die Magenwand nicht zu verletzen, benutzt man am besten den Messerrücken. Herz, Leber und Lunge werden in einer leichten Fleischbrühe gar gekocht. Dabei ist darauf zu achten, dass das Ende der Luftröhre, das noch an der Lunge hängt, über den Rand des Kochtopfs gehängt wird und in eine Schüssel abtropfen kann. Wenn das Fleisch gar ist, schneidet man es in kleine Stückchen, würzt es mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss und etwas Muskatblüte (Macis). Dann vermischt man das Ganze mit gehackten Zwiebeln, dem Nierenfett und Hafermehl. Nun kommt die Mischung in den wieder umgedrehten Magen, wobei darauf geachtet werden muss, den Magen nicht ganz zu füllen, weil das Hafermehl beim Kochen aufquillt und dafür Platz braucht. Der Magen wird mit Küchengarn zugenäht und mit einer Gabel rundherum eingestochen, damit er beim Kochen nicht platzt und der Inhalt heraus läuft. Die Kochzeit beträgt, je nach Größe des Magens mindestens drei Stunden. Anschließend legt man ihn auf eine Servierplatte und entfernt das Küchengarn. Aufgeschnitten wird der Haggis erst bei Tisch. Der paunch selbst wird nicht gegessen.
Als Beilage haben sich neeps und tatties bewährt. Neeps ist ein Rübenstampf und tatties (vulg. potatoes) ist Kartoffelbrei. Das also soll heute im Plough Inn auf den Tisch kommen, jedoch eher beim Chauffeur als bei der Reiseleiterin. Bei unserer Ankunft hat das Plough Inn geschlossen, aber ein Blick auf die Webseite des Pubs versichert uns, dass es geöffnet ist. Ein Blick durch die Fenster bestätigt die Rüttelversuche an zwei Türen: geschlossen! Ein älteres, schottischen Ehepaar teilt mit uns die EnDer Tag sagt: Gute Nachtttäuschung und trottet ebenso missvergnügt davon. Und jetzt beginnt es auch noch zu regnen. Scheißtag!
Zurück beim Franz beschließen wir, die heute von einem Fischhändler im Camp angebotenen Jakobsmuscheln in die Pfanne zu hauen und mit Pastis zu flambieren und anschließend einen Haggis aus der Baxters-Dose auf die Probe zu stellen. Doch nach den flambierten scallops waren wir satt und zufrieden, und der Haggis muss bis auf weiteres wieder ins Lager.
Um 21:30 Uhr, gerade rechtzeitig mit dem Abend-Niedrigwasser, gehen wir ins Bett und lassen die Delfine ohne Publikum in den Beauly ziehen. Zieht doch, wohin ihr wollt. Uns doch wurscht…
Mittwoch, 21. August 2019
Rosemarkie – Dunnet Bay
Wir sind schon um 6:45 Uhr aus den Franz am frühen Morgen, linkseitig an Sonne und Pflock ausgerichtetFedern, weil wir Helios, dem Himmelswagen, huldigen wollen, damit er uns günstig gestimmt sei und uns die große Schleife über die North 500 gönnen möge. Helios steigt über den Horizont, und es hat 12 °C. In uns steigt die Gewissheit hoch, heute einen ganz besonderen Tag erleben zu dürfen.
Ein solcher Tag beginnt mit einem stärkenden Frühstück und der Herstellung der Fahrbereitschaft unseres Franz. Wenige Meter hinter uns liegt die Station zur Ver- und Entsorgung, und dort ist gerade ein junges Double-Couple in Aktion, also zwei junge Pärchen mit der Womo-Erfahrung von Ersttätern. Die Jungs machen auf ganze Kerle und die Girlies gickeln und gackern dazu. Nach Beendigung der Entsorgungsprozeduren sollte es losgehen, die Girlies entern das Reiseschiff, einer der Kerls übernimmt die Außenwache, während der andere sich hinters Steuer schwingt. Und dann passiert es: Der hinterm Steuer fährt los und der andere träumt vom Tricco-Tracco-Land – und schon hängen sie mit der rechten hinteren Radabdeckung in der kniehohen Umfriedung der Entsorgungsstation fest. Jetzt wacht der Wachmann auf, während sich der Zaun langsam mit dem davonrollenden Reisemobil aufbäumt. Ja, die Ausfahrt aus der Lokation ist ein bisschen eng, da ist Millimeterarbeit angesagt. Wenn dann einer träumt und der andere nicht weiß, wie lang und breit sein Rollmobil ist, kommt es zu unmännlichen Peinlichkeiten. Die Girlies gickeln und gackern und die Jungmänner bekommen feuerrote Sanostol-Bäckchen. Wir erbarmen uns, um die Ehre und Würde der Mannsbilder wieder herzustellen, simpeln mit ihnen Fach und bestätigen ihnen unter den Ohren ihrer Begleiterinnen, dass diese Engstelle eine Zumutung sei, lotsen sie mit kompetenten und mannsgerechten Kommando aus der Bredouille, damit das abendliche Konkubinat nicht gefährdet ist. Den Zaun rütteln und schütteln wir auch wieder zurecht, obwohl wir sicher sind, dass Hausmeister Krause, den wir seit unserer Ankunft nicht mehr zu Gesicht bekommen haben, mit untrüglichem Instinkt die leicht aus dem Lot geratenen Fluchten des Zauns wahrnehmen wird. Aber dann sind wir alle schon wieder Geschichte im Rosemarkie Camping & Caravanning Club. Wir haben alles gegeben und die Jungs haben alles dankend angenommen. Und die Mädchen haben ihre Jungs nur mit nur kleinen Image-Schrammen zurück.
Um 10:15 Uhr sind wir wieder am Leuchtturm von Chanonry Point, um die Delfine in Empfang und in die Arme zu nehmen. Aber sie haben auch heute keinen Appetit auf Lachs und lassen uns herumstehen wie Salzsäulen. Ganz so besonders wird der Tag wohl doch nicht, jedenfalls nicht, wenn eine Delfinsichtung dazugehören soll. Die gibt es nicht, nicht einmal eine Robbensichtung. Um 12 Uhr sind wir beim Franz und um 12:15 Uhr brechen wir das Experiment ab, bezahlen 53 £ für zwei Nächte und sind mit dem Rosemarkie CCC sehr zufrieden: alles sauber, freundlich und angenehm. Der Hausmeister ist die schrullige Zugabe; dafür bekommt er in diesem Reisebericht seine exklusive Erwähnung.
Wir Die Cromarty Bridgeverlassen Fortrose und
ÖlplattformRosemarkie in Richtung Norden, weil uns das BBC-Wetter Mut macht, es noch einmal mit der North 500 zu versuchen. Auf der A 9 steuern wir den Cromarty Firth an, den wir auf der Cromarty Bridge bei Dingwall überqueren und dann an seinem linken Ufer passieren. Hier stehen mächtige Ölplattformen, die im Firth für die schottischen Ölfelder zusammengebaut oder repariert werden. Kurz vor dem Dornoch Firth passieren wir die Glenmorangie Distillery, machen jedoch keine Anstalten, einen Degustations-Stopp einzulegen. Dunrobin Castle lassen wir rechterhand liegen.
Brücke über den Dornoch Firth bei GlenmorangieDie Welt um uns herum wird karger, die Hügel schwarz und lila von der Heide, je weiter wir nach Norden vordringen. Bei Latheron biegt die A 9 ins Landesinnere ab, wir bleiben auf der A 99 nahe der Küste auf unserem Weg nach Norden. Um 15:00 Uhr machen wir in Wick einen Einkaufsstopp bei TESCO, den wir um 15:45 Uhr beenden. Es ist bedeckt bei 18 °C.
Durch die blauen Berge reisen wirBald grüßt auf unserem Weg nach Norden Old Keiss Castle von der Küste herüber, und es wird immer trister; das Land mischt schwarze Seen mit düsteren Moorlöchern in trauerfarbigem Bewuchs. Und über allem spannt sich ein Himmelslaken, das sich nicht entscheiden kann, ob es grau-beige, grau, dunkelgrau oder blaugrau sein will. Wind bläst dem Franz ins Gesicht. Kurz nach 16 Uhr biegen wir in John o’Groats nach Osten, in Richtung Duncansby Head ab, wo wir um 16:20 Uhr ankommen und den Franz auf dem Parkplatz abstellen [N 58° 38‘ 38,52‘‘ W 003° 1‘ 35,46‘‘]. Vor uns liegen im Dunst die Orkneys und eine sagenhaft zerklüftete Klippenlandschaft.
Wir Duncansby Head, im Hintergrund die Orkneyshatten schon einmal kurz überlegt, einen Abstecher auf die Orkneyinseln zu machen, aber die haben in Wetterangelegenheiten nicht den besten Ruf; sie liegen immerhin auf der geografischen Breite von St. Petersburg und Südgrönland. Die aktuelle Wetterlage stabilisiert in uns diesen Wunsch nicht. Wir wollen sie lieber als Option für einen späteren Schottlandbesuch zurückstellen. Berühmt und Gegenstand heldenhafter Kriegspropaganda wurden die Orkneys durch Scapa Flow, einen durch die Inseln Mainland, Burray, South Ronaldsay, Flotta und Hoy gebildeten Naturhafen, in dem die Briten den Großteil ihrer Flotte untergebracht hatten.
Im Ersten Weltkrieg konnte das deutsche U-Boot SM U 18 am 23. November 1914 durch die südliche Hauptzufahrt in die Bucht eindringen, indem es sich an einen einlaufenden Frachter hängte und so die Sperren überwinden konnte. Doch dummerweise hatten die Briten gerade den Stützpunkt geräumt, sodass Kapitänleutnant Heinz von Hennig kein lohnendes Ziel vorfand. Beim Rückzug wurde das Boot dann auch noch von einem Minensucher entdeckt, gerammt und die Besatzung gefangen genommen.
Am 18. Oktober 1918 Der Leuchtturm auf Duncansby Headversuchte Oberleutnant zur See Hans-Joachim Emsmann mit UB 116, nach Scapa Flow vorzudringen, doch der Hoxa Sound war vernetzt und vermint. Das Boot wurde entdeckt und per Fernzündung eine ganze Minensperre ausgelöst. Seither liegt UB 116 mit seiner Besatzung von Freiwilligen im kühlen Grab.
Kapitänleutnant Günther Prien war es dann im 2. Weltkrieg, der das deutsche Soldatenherz wirklich höher schlagen ließ, als er mit U 47 am 14. Oktober 1939 durch den Kirk Sound in die Bucht von Scapa Flow eindrang, das britische Schlachtschiff HMS Royal Oak mit 833 Mann Besatzung versenkte und danach den Hafen ungehindert wieder verlassen konnte. Die NS-Propaganda überschlug sich vor Glückseligkeit. Danach wurde Scapa Flow durch feste Barrieren versperrt (Churchill Barriers). Aber man konnte ja noch fliegen! Das tat drei Tage später, am 17. Oktober 1939, eine Gruppe des Kampfgeschwaders 30 mit ihren Junkers Ju 88. Sie beschädigten mit ihren Bomben die Iron Duke so sehr, dass sie versenkt werden musste.
Das alles hat sich da draußen, 15 sm vor unserem Standpunkt auf Duncansby Head, abgespielt und nicht zur deutsch-britischen Freundschaft beigetragen. Umso mehr schätzen wir es, dass die Schotten mit dieser Vergangenheit offenbar überhaupt nicht mehr hadern und uns überall mit offenen Armen empfangen. Wahrscheinlich haben wir das vorwiegend Fiannas und Heddas Charme zu verdanken.
Wir Die Duncansby Stackswenden uns dem
Naturschauspiel dieser zerklüfteten Küste zu, deren Hauptattraktion die Duncansby Stacks sind, Felsnadeln, die wie Haizähne aus dem Wasser ragen. Wir wandern hierhin und dorthin, stolpern über die dürren Grasmatten, starren in felsige Abgründe und kochende Wasser – und dabei geschieht im Chauffeur etwas nie Geahntes: Sein Speicher mit beeindruckenden Küstenlinien ist randvoll; er will und kann keine Felsformationen mehr sehen! Overload. Wegen Überfüllung (vorübergehend) geschlossen. Doch die Reiseleiterin wieselt flinken Fußes über die schottischen Almwiesen, immer auf der Suche nach einem schottischen Schaf mit schwarzem Gesicht, weil sie ein solches noch nicht aus gebührender Nähe auf ihrem IPhone verewigt hat. Der Chauffeur macht sich auf den Weg zum Franz und lässt die Schafmasken-Lichtbildnerin mit ihren Vierläufigen zurück. Verlaufen können sie sich hier nicht.
Kurz nach 17 Uhr reisen wir bei 15 °C und leichtem Regen gemeinsam weiter. Unser Ziel ist Dunnet Bay Camping, nur 20 Kilometer westlich von John o’Groats. Um 17:45 Uhr kommen wir dort nach insgesamt 219 Kilometern an [N 58° 36‘ 54,08‘‘ W 003° 20‘ 41,13‘‘]. Es regnet und es bläst ein unangenehmer Wind.
Fahrstrecke Rosemarkie – Dunnet Bay
Dunnet BayAber natürlich haben die
Dunnet BayMädels ein Recht auf ihren Spaziergang, der am mächtigen Sandstrand und den Dünen von Dunnet Bay stattfindet, währenddessen sich das Wetter wenigsten ein wenig eines Besseren besinnt.
Der Dunnet Bay Camping and Motorhome Club ist klein und gepflegt, die Sanitäranlagen sind auch klein, ziemlich klein sogar, aber gepflegt, also eigentlich ist alles in Ordnung und dennoch schafft es der Platz nicht, sich als Erinnerungsort in unserem Schottlandgedächtnis einzunisten. Allerdings: Wir zahlen für eine Nacht 22,60 £, das ist mit unserer CampingCard ein Nachlass von 12 £! Damit gewährt man uns hier sogar den Mitgliederpreis.
Wir machen uns eine Dose Cullen Skink von Baxters auf und um 21:30 Uhr die Lider zu.
Donnerstag, 22. August 2019
Dunnet Bay – Bonar Bridge
Dunnet Bay CampingUm 7 Uhr messen wir in Dunnet
Der Strand von Dunnet Bay Bay 3 °C und freuen uns über einen freundlichen weiß-blauen Himmel. Wir machen mit den Mädels einen langen Spaziergang am Strand und lassen sie durch die Dünen toben. Um 10 Uhr gibt es Frühstück und um 11:30 Uhr verlassen wir den Dunnet Bay Camping und Motorhome Club in Richtung Norden.
Unser erstes Ziel ist heute Dunnet Head, nur etwa acht Kilometer entfernt. Bei unserer Abfahrt hat es noch immer nicht mehr als 15 °C und es ist inzwischen bewölkt und windig. Um 11:45 Uhr kommen wir dort am Parkplatz an [N 58° 40‘ 13,90‘‘ W 003° 22‘ 36,13‘‘].
Dunnet Head ist eine
Halbinsel und stellt den nördlichsten Punkt des britischen Festlands dar. Hier waren die Wacheinheiten stationiert, die die Zufahrten zu Scapa Flow sichern sollten, was, wie wir wissen, nicht immer gelang. Vielleicht lag das auch an den äußerst beschwerlichen Bedingungen an diesem den Wetterunbilden schutzlosen Kap. Hier oben ist nichts als öde Moor- und Heidelandschaft, kein Baum, ein paar notleidende Sträucher, die dem Wind auch nicht mehr als ihr nacktes Leben entgegenstemmen können. Für die hier stationierten Soldaten
Wildes Land von Dunnet Headmusste dieser Posten wie eine Strafkolonie sein. Außer den Überbleibseln einiger Unterkünfte steht hier nur der Leuchtturm trotzig auf deiner Klippe, Dunnet Head Lighthouse, der 1831 von Robert Stevenson, dem Großvaters des Schriftstellers Robert Louis Stevenson (Die Schatzinsel) erbaut wurde. Wie unerbittlich sich die Natur hier oben bisweilen austobt, lässt sich erahnen, wenn man weiß, dass die Fenster des Leuchtturms, 105 Meter über dem Meeresspiegel,
Dunnet Head mit den Resten des Militärpostensnicht nur einmal von Monsterwellen zerdeppert wurden. Schon aus diesem Grund ist es erstaunlich, dass der Leuchtturm erst seit 1995 automatisch betrieben wird. Wer hier seinen einsamen Dienst versah, litt anschließend wahrscheinlich an einem post-traumatischen Belastungssyndrom. Andererseits: An schönen Tagen, kann man sich hier fast wie im Himmel fühlen, wenn man seinen Blick bis Duncansby Head im Osten und zum Cape Wrath im Westen schweifen lassen kann. Allzu oft dürfte das jedoch nicht vorkommen.
Um 12:30 Uhr haben wir uns lange genug umgesehen, oft genug gedreht und gewendet und nichts mehr entdeckt, was noch zu entdecken wäre, und deshalb nehmen wir nun die North 500 trotzig unter die vier Pneus unseres Franz. Es geht wieder zurück, am Campingplatz vorbei und auf der A 836 nach Westen in Richtung Thurso.
North 500: Wir kommen! Wir sind wild entschlossen, u
Durch diese hohle Gasse muss er kommenns den Traumpfad des Nordens zu unterwerfen. Und tatsächlich sieht es gut aus; das Wetter ist nicht unfreundlicher geworden, als wir es seit diesem Morgen von Dunnet Bay und Dunnet Head kennen. Aber schon eine Stunde später, etwa auf Höhe des Kernkraftwerks Dounreay, schieben sich immer schwärzere Wolken, immer tiefer hängend vor das spärlicher werdende Blau. Stur und standhaft folgen wir der A 836 nach Westen. Als wir um etwa 14 Uhr bei Bettyhill mit der Torrisdale Bay nach Süden schwenken und diese kurz darauf überqueren, hängen die Wolken bereits sehr finster über uns und brechen gelegentlich in Tränen aus. Eine knappe halbe Stunde später, als wir bei Coldbackie dem Kyle of Tongue, einer rund zwölf Kilometer ins Land greifenden Bucht, nach Süden folgen, treiben die Wolken mitsamt ihren
Kein Weg ...Tränen bereits über dem Wasser. Kurz darauf kommen wir in schlimme Gewissenskonflikte, die vermutlich jeder Wohnmobilist kennt: Dorthin, wo der Navi uns führen möchte, nämlich über einen sehr spitzen Winkel nach rechts hinunter, um den Kyle zu überqueren, informiert uns ein
... hinunter zum Damm über den KyleHinweisschild, dass
Es gibt immer einen Weg! diese Straße für Fahrzeuge unseres Kalibers nicht geeignet ist. Wir fahren noch ein paar Meter weiter, starren nach vorne, um in der Landschaft eine Hilfestellung zu finden, wohin wir denn umgeleitet werden sollen, schließlich wollen wir dort hinüber nach Westen und nicht immer weiter nach Süden. Dann wenden wir und sehen ein nicht viel kleineres Fahrzeug als unseres in der Abzweigung verschwinden, die uns verboten sein soll. Der Herr sei mit uns – und hinab ins Loch ist die Losung; wer wagt es, Rittersmann oder Knapp‘, zu tauchen in diesen Schlund…? Wir wagen es. Es sind knapp eineinhalb Kilometer bis zum Damm, der über den Kyle führt und an dem wir jene treffen, die den offiziellen Weg von Tongue her gekommen sind, und nach diesen wenigen Minuten voller Spannung wissen wir auch, warum diese Strecke für unsereins unsuitable ist: Sie ist nicht zu schmal, allerdings sehr eng, vor allem aber gibt es wegen des Anstiegs linkerhand und des Uferabbruchs rechterhand keine passing places, Ausweichen unmöglich! Wenn uns auf diesen eineinhalb Kilometer jemand entgegenkommt, sind sehr schweißnasse Hände und struppige Nackenhaare angesagt. Aber wir bleiben unbehelligt und reihen uns leise pfeifend in den regulären Verkehr ein und überqueren den Kyle.
Wir befinden uns jetzt auf dDer Wettergott zürnter A 838,
Loch Eriboll immer weiter nach Westen, auf dem Weg zu Loch Hope. Der Wettergott scheint unseren Ungehorsam am Kyle of Tongue übelzunehmen. Wolken jagen über uns hinweg, reißen den Himmel immer wieder nackig auf, Regenschauer folgen auf den Fuß, vor allem legt der Wind kräftig zu. Gegen 15 Uhr, als wir die Nordspitze des Loch Hopes passiert haben und Loch Eriboll erreichen, wird die Fahrt spektakulär. Loch Eriboll schlägt eine Schneise von über 16 Kilometer in die schottische Küste, und wir müssen ihm bis zu seiner Südspitze folgen und auf seiner Westseite wieder den ganzen Weg zurück, bis zur Küste hochfahren. Aber langsam werden die Bedingungen semikriminell. Der Wind pfeift über den See und beschleunigt über die Anhöhen der Highlands hinweg. Der Franz wird durchgeschüttelt wie im Fieberwahn. Richtig komplex wird es aber, wenn andere Verkehrsteilnehmer Schwierigkeiten haben, ihr Fahrzeug, vor allem die Womos, auf ihrer Straßenseite zu halten, und sicherheitshalber auf der Straßenmitte entgegengekommen. Dann muss der Franz ins schrottige und ausgeschlagene Bankett,
Auf der Westseite des Loch Eribolldann reißt es ihn herum, dann
Ceinnabeinne Beachfliegen ihm die Eingeweide um die Ohren und der Chauffeur hat alle Hände voll zu tun, ihn wieder auf den rechten Weg zurück zu manövrieren. Das geht dem Franz und seinen Fahrgästen aufs Gemüt und an die Nerven. Dabei müssten wir eigentlich ständig über die Landschaft und ihre prallen Farben wie aus dem Faber-Malkasten jubeln. Je nachdem, ob gerade eine schwarze Wolkenbank über den Himmel getrieben wird oder die Sonne ihren Scheinwerfer auf die Hügel der Highlands wirft, drohen sie uns mit finsterem Schwarzgrün oder erleuchtet knalligem Neongrün. Die Seen sind pechschwarz oder Sekunden später kobaltblau und ihre veralgten und verschlammten Ufer changieren zwischen mattem Rost und grellem Safran. Zu dieser rasend rotierenden Farbpalette gesellen sich fliegende Wasser über dem See, Wellen, die in aller Richtungen eilen, weil jede ihrer eigenen kleinen Windhose folgt. Die Umrundung des Loch Eriboll ist in jeder Hinsicht dramaturgisch höchst wertvoll; Katastrophenfilmer hätten ihre Freude.
Um 15:40 Lichtspiele über dem AtlantikUhr haben wir den Loch einmal umfahren und bewegen uns weiter auf der A 838 nach Nordwesten. Der Himmel zeigt sich immer blauer, aber nur, weil ihm der Wind alle Wolken vertreibt. BBC-Wetter berichtet von 44 km/h, das sind rund 25 Knoten oder Windstärke 6, nach unseren Bewertungen „Starker Wind“. Bei BBC nennen sie das fresh breeze. Vermutlich schwingen die sich bei einem Orkan bestenfalls zu einer undomesticated breeze auf. Aber der Wind soll noch kräftig zulegen die nächsten Tage, und vor allem sagen sie für den Norden und Nordwesten Dauerregen und schwierige Straßenverhältnisse voraus.
Um 15:50 Uhr, in Durness, entsagen wir kurz entschlossen dem Cape Wrath, der äußersten Nordwestecke Schottlands, um nicht später von den grapes of wrath naschen zu müssen, ebenso verzichten wir auf die Fahrt über die Westküste nach Ullapool und verschieben sie auf eine irgendwann zukünftige Zukunft. Wir beschließen, uns ins Landesinnere und den kuscheligen Schutz der Hügel der Highlands zu begeben. Wir bleiben auf der A 838, jetzt allerdings stramm nach Süden, entlang dem Kyle of Durness – und tschüss North 500.
Südöstlich Loch Laxford in den HighlandsUm 16:15 Uhr passieren wir die Südspitze
Wassergeister über Loch Stack des Loch Inchard, zehn Minuten später lassen wir Loch Laxford rechts liegen. Von nun an geht es wieder südwestlich, immer tiefer ins Landesinnere, aber das schottische All-within-on-day-Wetter gibt sich noch immer nicht geschlagen. Am kleinen Loch Stack ist immer noch Weltuntergang und Seehosen kreiseln wie Derwische über den See, eine kurbelt sich wie von plötzlichem Wahnsinn befeuert aus dem Wasser, tanzt vor unserem Franz, der sich erschreckt rüttelt und schüttelt wie der Bi-Ba-Butzemann, über die Straße, und rast von einem einzigen Sonnenstrahl illuminiert den Hang an unserer rechten Seite hoch. Hexensabbat am Loch Stack.
Um 17 Uhr, als wir uns Loch Am Loch ShinMerkland nähern, registrieren wir erstmals wieder mehr Himmel als Wolken und haben das Gefühl, dass uns die Wolkendecke nicht mehr auf den Kopf fällt. Erst als wir Loch Shin querab haben, kommt immer mehr meteorologische Freude auf; zwar stürzen sich wieder einmal ein paar schwere Wolkensäcke auf uns, die jedoch nicht mehr viel zu verteilen haben, aber meist einen zauberhaften Regenbogen zurücklassen. Mehrheitlich können wir nun schon von heiterem Wetter sprechen. Ungefähr um 17:30 Uhr nähern sich uns auf der hier sehr engen A 838 (ja, der folgen wir immer noch) zwei Radfahrer, wir fahren auf die nächste Ausweichstelle, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Es ist ein älterer Herr mit seinem, wie wir vermuten, Enkel. Als die beiden bei uns angekommen sind, bedeutet er uns, das Fenster herunterzukurbeln, was die Beifahrerin selbstverständlich befolgt, und der nette Herr strahlt übers ganze Gesicht und sagt: „Willkommen in Schottland“. Der Enkel strahlt auch, weil er so stolz auf seinen fast perfekt deutsch sprechenden Opa ist, und dann plaudern wir ein paar Minuten, er will wissen, woher wir kommen und wohin wir wollen, bis er weiter muss und uns noch einen „Happy Urlaub“ wünscht. Die Schotten sind einfach herzig und irgendwie unschlagbar liebenswert, sieht der unser Kennzeichen und nutzt mitten auf der Straße die Gelegenheit, ein bisschen Deutsch zu parlieren.
Kurz darauf wechseln wir auf die A 836, durchfahren Lairg und sind um 18 Uhr in Bonar Bridge. Auf einem kleinen öffentlichen Parkplatz schicken wir den Franz in den verdienten Feierabend [N 57° 53‘ 27,51‘‘ W 004° 20‘ 57,29‘‘]. Wir haben 18 °C, Sonne, Wolken und immer noch Wind, allerdings nur noch ungefähr 24 km/h, also etwa 4 Bft (Mäßige Brise). 250 Kilometer haben wir uns heute durch das schottische Highlandwetter gekämpft.
Fahrstrecke Dunnet Bay – Bonar Bridge
Bonar Bridge Am Dornoch Firth in Bonar Bridgeliegt dort, wo sic
Bonar Bridgeh der Kyle of Sutherland und der Dornoch Firth treffen. Der Kyle selbst beschreibt den Zusammenfluss der Flüsse Oykel, Cassley, Shin und Carron. Über dieser Nahtstelle wurde 1973 die neue Bonar Bridge errichtet. Der Parkplatz liegt an der Westseite der Brücke, der Ort an der Ostseite. Auf dem Parkplatz sind wir fast allein, und er bietet auch nicht mehr als man von einem kommunalen Parkplatz erwarten darf. Aber Bäume bietet er, was in den nördlichen Highlands hinsichtlich d
Parkplatz in Bonar Bridgees
Spaziergang am Carron Sonnenschutzes fast wie Hohn erscheinen mag. Und noch etwas gilt es zu erwähnen: Die öffentlichen Toiletten auf diesem Parkplatz, eine öffentliche Bedürfnisanstalt, die selbst Stehpinkler ins Grübeln bringen sollte, sie zu benutzen; Sitzpinklern ist dringend davon abzuraten.
Wir machen einen Spaziergang mit den Mädels, ein bisschen hinauf in Richtung Kyle und ein wenig hinab zu den Ausläufern des Firth. Der Himmel ist blitzblau mit strahlendweißen Wattebäuschen, die Luft klar und rein und die Mädchen sind überglücklich.
Etwa 200 Meter von unserem Pa
Bonar Bridgerkplatz, gegenüber auf der anderen Flussseite liegt das Crannag, ein äußerlich unscheinbares Bistro, aber eines mit inneren Werten. Um 19 Uhr betreten wir das Crannag; klein ist es, nur wenige Tische warten auf Kundschaft, weshalb wir unverzüglich gefragt werden, ob wir reserviert hätten. Haben wir nicht. Der Chef blickt uns sphinxisch an und stellt dem nach uns eintretenden englischen Paar die gleiche Frage. Auch sie verneinen. Der Chef murmelt etwas, was wie eine Einladung an seine Theke klingt, aber keine weiteren Schlüsse zulässt. Wir folgen der Einladung an die Theke, die Engländer nicht; sie ziehen ab. Haben wir etwas falsch verstanden? An der Theke entwickelt sich die kosmopolitischste aller Konversationen: woher, wohin, warum, welches Getränk. Bevor wir alles beantworten können, stellt sich der Chef des Hauses als Ian vor, und auch wir geben uns zu erkennen. Beim herzerwärmenden Getränk angekommen, wirft Ian einen langen, sezierenden Blick über uns und greift dann entschlossen zwei Flaschen Whisky aus seiner meterlangen Flaschenbatterie. Das geht geradezu perfekt los hier, dabei ist nicht die höchste aller Kennerschulen gefragt, um dem Chauffeur einen passenden Whisky zu verpassen, bei der Reiseleiterin darf man ob seiner Treffsicherheit jedoch getrost mit der Zunge schnalzen. Und sie? Züngelt die Lippen und entdeckt ihren Whiskyzahn. Wir sitzen und parlieren, Ian geht und kommt wieder, alles ohne die häufig beobachtete Getriebenheit eines Wirts. Eigentlich haben wir selbst in den kurzen Momenten seiner Abwesenheit nie den Eindruck, ohne ihn an der Theke zu sitzen. Und plötzlich bittet er uns zu Tisch. Wir sind ganz verdutzt, weil wir sicher waren, nur ein wenig den Abend an der Theke zu verbummeln und dann etwas anderes suchen zu müssen. Aber nein: Ian hat in aller Gelassenheit zwischen Servieren, Parlieren und Schänken ein bisschen umorganisiert und uns einen Tisch bereitet. Noch bevor wir irgendetwas von der Karte bestellt haben, werden wir das Gefühl nicht los, hier zu Hause zu sein.
JakobsmuschelnDie Reiseleiterin wählt
Süppchen als Vorspeise Jakobsmuscheln, der Chauffeur ein Süßkartoffelsüppchen mit Ingwer. Als Hauptspeise entscheidet sich die Dame für einen Burger (ohne Deckel) mit scharfen Kartoffeln, der Chauffeur steht auf Risotto mit Räucherlachs. Danach gibt es für ihn ein Schokoladendessert mit Stroma-Whisky und für die Begleiterin einen Lemon Cheesecake. Es ist Kathy in der Küche, Ians Goldstück, die das hier auf den Tisch zaubert. Wenn wir in Polstersesseln säßen, würden wir bis über die Nasenspitzen vor Zufriedenheit darin versinken. Kathy ist eine Königin der Küche. Und was unbedingt erwähnt werden muss: alles gesalzen, ordentlich gesalzen! Als Getränke begleiten uns zwei Orangenweine für den weiblichen Teil, während der männliche Teil, ohne gefragt zu werden, zwei Sheepshagger-Biere kredenzt bekommt, mit dem dazugehörigen breiten Grinsen des Wirts. Falls sich ein Leser nun um die korrekte Übersetzung des Namens betrogen fühlt, weisen wir darauf hin, dass wir nur Inhalte im Sinne des Jugendschutzes und diesseits des guten Geschmacks veröffentlichen. Zur Klärung verweisen wir auf einen Besuch des Internets.
Während des Menüs ist Ian unentwegt bemüht, die musikalischen Wünsche des Chauffeurs aus dessen Gemütszustands abzulesen und zu befriedigen. Ständig wechseln die CDs und Ian kommt zurück, um sich von der Richtigkeit seiner Wahl zu überzeugen. Er landet viele Volltreffer. Schließlich berichtet er uns von sehr guten, wirklich sehr guten Freunden aus Deutschland, die ihm eine wunderbare CD mit großartiger deutscher Musik geschickt hätten. Er legt sie uns mit rachedüsterem Blick auf den Tisch: ein Sampler mit dem Niederschwelligsten, was der deutsche Schlager hergibt und absondert. Ian sinniert auf Rache und die passende Antwort, ist aber bislang noch zu keinem adäquaten Ergebnis gekommen, weil selbst ein Sampler mit den 99 Pipe-Bands der jährlichen Dudelsack-Rallye von Inverness keinen größeren Hörschaden auslösen kann als diese Humba-Humba-Sülz- und Grölscheibe. Ian ist mit breit feixendem Gesicht auf Kollisionskurs mit seinen deutschen Freunden. Schade, dass wir von der Fortsetzung des Musikkriegs nicht mehr berichten können. Aber falls wir wieder einmal Schottland besuchen sollten, was sehr wahrscheinlich ist, stehen das Crannag und Ian auf dem Tourneeplan, und dann werden wir vielleicht den Ausgang des Musikkriegs erfahren.
Nach zwei abschließenden Whiskys zahlen wir Ian 85 £ und bereuen keinen Shilling. Kathy sprechen wir auch noch persönlich unseren Dank aus und können nur jedem dringend empfehlen: Das Crannag Bistro ist ein Muss, wenn man in den nördlichen Highlands ist. Allerdings sollte unbedingt reserviert werden, weil Ian und Kathy nur dienstags bis samstags zwischen 18 Uhr und 21:30 Uhr geöffnet haben (Last Order 20:30 Uhr); in der Kürze liegt in diesem Fall tatsächlich viel Würze.
Um 21:30 Uhr sind wir beim Franz und den Mädels und fertig fürs Bett. So kommt ein sehr anstrengender und aufregender Tag zu einem unvergesslichen Ende. Es hat noch 16 °C und ist partly clouded. Alles richtig gemacht.
Freitag, 23. August 2019
Bonar Bridge – Kirkmichael
Wer hätte es gedacht: Es regnet. Wieder einmal. 17 °C hat es um 8:45 Uhr, grau ist der Himmel und der Wind hat offenbar seinen Weg durch die Abseiten der nördlichen Highlands bis hierher gefunden.
Wir hoffen, dass uns das Regenwetter nicht verfolgen wird, schließlich wollen wir ja noch tiefer in den Süden der Highlands; morgen ist Samstag, und somit stehen Highland Games auf dem Programm. Das ist unsere letzte Chance, denn das nächste Wochenende verbringen wir schon wieder in der Heimat. Wir haben lange den Kalender der Highland Games studiert und alles aussortiert, was terminlich und örtlich nicht passt. Außerdem ist alles rausgeflogen, was einen Touristenbums erwarten lässt, also alles, was in oder nahe der touristischen Hotspots stattfindet. Dabei haben wir einen Flecken gefunden, der uns vielversprechend scheint: Kirkmichael. Bei Wikipedia liest sich die Lagebeschreibung so: Kirkmichael ist ein Dorf in Strathardle, Perth und Kinross, Schottland. Es liegt 13 Meilen nordnordwestlich von Blairgowrie und 12 Meilen ostnordöstlichDie Highlands kurz vor Kirkmichael von Pitlochry an der A 924 zwischen Bridge of Cally und der Pitlochry Road … Alles klar? Genau: Kirkmichael liegt in the middle of nowhere und lässt vermuten, dass dementsprechend nobody den Weg dorthin finden wird. Außer uns natürlich.
Wir befahren heute fast schon vertraute Pfade, zuerst auf der A 949 nördlich entlang dem Dornoch Firth, dann auf der A 9 gen Süden über die Dornoch Firth Bridge, vorbei an den Destillen des Glenmorangie an der Südseite des Dornoch Firth, weiter zum Cromarty Firth mit seinen Bohrplattformen, hinüber nach Inverness und seiner Kessock Bridge, die wir nun bereits das dritte Mal passieren, von dort immer weiter auf der A 9 bis Pitlochry, von wo aus wir auf der bereits erwähnten A 924 bis Kirkmichael rollen. Nach 233 Kilometern stellen wir den Franz auf dem kleinen Parkplatz von Kirkmichael ab [N 56° 43‘ 23,17‘‘ W 003° 30’17.24‘‘].
Fahrstrecke Bonar Bridge – Kirkmichael
Der Parkplatz fasst bei enger Bestückung nicht mehr als zehn Autos, Kirkmichaelaußer uns steht noch ein Campingbus eines älteren deutschen Ehepaars auf dem Platz. Sitzgruppen zum Rasten gibt es und eine Mülltrennung. Das ist schon fast Luxus; eine versiffte öffentliche Bedürfnisanstalt wie in Bonar Bridge fehlt uns nicht zum Glück. Vor allem aber beginnt direkt hinter dem Franz das Bannerfield, auf dem morgen die Highland Games stattfinden werden. Wir wohnen demnach praktisch mitten im Geschehen, das hat vor allem Vorteile, wenn man Hunde hat und sich so ein Ereignis über den ganzen Tag hinzieht; soll man sie immer dabeihaben oder lieber im Auto lassen? Wir können flexibel entscheiden, mal bleiben sie im Franz, mal dürfen sie sich unters Volk mischen. Genial. Zwischen uns und einem Teil des Dorfes murmelt ein Bach, der sich stolz River Ardle nennt, und in gewisser Weise den geschäftlichen Teil des Ortes im Norden von den Häusern und Cottageas im Süden trennt.
Wir machen eine kleine Sightseeing-Tour, überqueren den Ardle und suchen das Strathardle Inn. Das Strathardle Inn ist eigentlich ein Hotel und Guesthouse, dessen Restaurant zu normalen Zeiten nur für die Hausgäste geöffnet ist, aber an Feiertagen wie das Festival ist es fürs Publikum geöffnet. Wir reservieren für 19 Uhr und marschieren nach ein paar wenigen Schlenkern ein bisschen die Anhöhe hinauf, um uns einen Überblick zu verschaffen, wieder zurück. Anschließend gibt es Kaffee und Kuchen aus den Bordbeständen an einer der hölzernen Sitzgruppen des Parkplatzes, und zwar bei sonnigen und windbefreiten 20 °C.
Um 18 Uhr darf Fianna auf dem sehr rDas Bannerfielduppigen und teilweise dürren Bannerfield der Highland Games mit vielen Auto- und Traktorspuren eine 700 Meter lange Fährte suchen, die sie so begeistert abarbeitet, dass sie sich nicht um andere Spaziergänger und deren Hunde kümmert, die sie neugierig umwedeln. Das ist eine echte Klasseleistung. Als wir wieder zum Franz zurückkehren, treffen wir ein paar Leute von der Festorganisation und fragen sie, ob wir hier über Nacht stehen können, was für sie kein Problem darstellt, allerdings mit dem Hinweis, uns darauf gefasst zu machen, dass wir morgen hier nicht mehr wegkämen, weil wir komplett eingeparkt würden. Das ist uns egal, wir fahren morgen nicht weiter, nutzen aber die Gelegenheit, gleich zwei Tickets zu kaufen. Ein bisschen plaudern, woher, wohin, warum und wieso und oh, so cute and nice dogs – wir sind offenbar hier im Paradies und kneifen uns, ob an uns noch Fleisch hängt und nicht nur unsere Seelen hier Urlaub machen.
Um 19 Uhr treffen wir im Strathardle Inn ein und nehmen in einem sehr schlichten, aber genau passenden Restaurant Platz. Hier ist nix mit Schickimicki, hier ist alles handfest, mitunter allerdings ein wenig wackelig. Aber Herz und Charme hat die Kneipe im Übermaß. Wir bestellen einmal eine fischige und eine fleischige Vorspeise, anschließend einen Burger und einen Haddock mit Pommes (Fish & Chips also), Wein und Bier gibt es dazu und wieder einige Plauschrunden, diesmal mit der einigermaßen handfesten Kellnerin, die es nicht versäumt, uns darauf aufmerksam zu machen, dass sie morgen bei den Games auch mit von der Partie sein wird: Sie ist die Powerfrau der weiblichen Tauziehtruppe aus Kirkmichael. Wenn wir ihr Kreuz und den ganzen Rest richtig abschätzen und annehmen, dass der Rest der Truppe auch nicht zur Kategorie Anorexie-Girlies gehören dürften, müssten die Tug o‘ War-Amazonen von Kirkmichael gute Chancen haben. Aber wer weiß schon, welche Kaliber die anderen Clubs aufs Feld führen werden. Gut, dass unsere tau-frische Kellnerin so unverstellt freundlich und herzensgut ist, denn von ihr wollten wir uns nicht vor die Tür setzen lassen.
Für unsere Einkehr zahlen wir rechtschaffene 47 £ und legen als Dank für den netten Abend und Ansporn für morgen noch ein paar Pfund dazu. Wer angesichts eines Festes nicht Herz und Börse öffnet, ist des Festes nicht wert.
Um 22 Uhr legen wir uns zu unseren Mädels und registrieren freudig, dass der Himmel noch immer auf unserer Seite ist. Aber in Schottland kann man ja nie wissen…
Samstag, 24. August 2019
Kirkmichael
8:00 Uhr:Der eingeparkte Franz 15 °C, bewölkt. Das war eine der spärlichen Nächte ohne Regen. Wir machen mit den Mädels den obligatorischen Morgenspaziergang am Ardle entlang und sind heute Morgen nicht allein: Die Festvorbereitungen sind in vollem Gang und es wimmelt von gelassen, aber fokussiert agierendem Personal. Man ist umgeben von zielstrebiger Routine; denn schließlich beginnt hier in Kürze das 138. Strathardle Highland Gathering. Und der Parkplatz füllt sich minütlich. Gut, dass unsere rechte Seite mit der Aufbautür an die abschließende Baumreihe des Parkplatzes grenzt und wir dort nicht zugeparkt werden können; wir kommen also problemlos raus und rein. Ansonsten ist der Gemeindeparkplatz von Kirkmichael zugestopft wie ein Autoschrottplatz. Wenn wir zum Festplatz wollen, müssen wir den Franz über seine Rückseite passieren, denn vor seine Nase hat sich ein Reisebus so knapp gesetzt, dass selbst ein Hungerkünstler mit eingezogenem Bauch nicht durchschlüpfen könnte. Egal.
Das Bannerfield, auf dem das Gathering nun stattfinden soll, war schon einmal Zeuge eines typischen Ereignisses der schottischen Geschichte. 1715 fand hier einer der zahlreichen jakobinischen Aufstände statt – mit dem gewohnt betrüblichen Ausgang. Als der Earl of Mar die Flagge von James Stuart (The Old Pretender) aufpflanzte, um in die Schlacht gegen die Engländer zu ziehen, soll ein garstiger Wind über das Land gefegt sein, der die goldene Kugel von der Spitze des Flaggenmasts riss, was seine Truppen als äußerst böses Omen begriffen und daraufhin gestutzten Mutes in die Schlacht zogen. Das Ende war wieder einmal eine verheerende Niederlage.
Die Highland Games, so darf man annehmen, wurden aber schon viel früher hier Der Chieftain – Clan-Oberhaupt und Herr der Ringeausgetragen, wenn sie auch damals noch nicht so hießen. Sie haben nämlich eine lange Tradition und gehen auf die sogenannten Gatherings der Clans zurück, jener Clans, die zu allen Zeiten Schottland regierten, was sie, wie böse Zungen behaupten, noch heute tun. Man traf sich, besprach politische Angelegenheiten, leistete dem Clanoberhaupt gegenüber den Treueeid und vertrieb sich die Tage mit sportlichen Spielen, wie man sie heute noch bei den Highland Games erleben kann.
Wie man annehmen darf, dienten die Gatherings nicht nur Sport, Spiel und Spannung, sondern hatten einen engen Bezug zu den kriegerischen Ereignissen. Im 11. Jahrhundert sollen sie – vermutlich von König Malcom Canmore – ins Leben gerufen worden sein, um die besten, schnellsten, stärksten und tapfersten Männer auszuwählen, die mit Erfolg gegen die Engländer eingesetzt werden konnten. Aber auch im Innenverhältnis zwischen den Clan-Chiefs hatte man Vorteile, wenn man viele tapfere und kampfstarke Männer aufweisen konnte. Die Frage ist allerdings berechtigt, welche Rolle in diesem Zusammenhang so skurrile Disziplinen wie Baumstammwerfen oder Heuballenrollen spielen sollten, Reiten und Fechten hätte sicher mehr Sinn gemacht. Die Antwort findet man mal wieder im Krieg, in diesem Fall in den andauernden Aufständen der Schotten, die sich den Engländern einfach nicht widerstandslos unterwerfen wollten. Zur Strafe für ihre hartnäckige Unbotmäßigkeit verboten die englischen Herren den Schotten zeitweilig Waffen zu tragen. Und was macht man dann, um sich fit zu halten? Man wirft Baumstämme oder rollt Heuballen, um an Kraft, Geschicklichkeit, Ausdauer und Zielgenauigkeit zu arbeiten. Deswegen findet man noch heute die Baumstämme bei den Highland Games, aber auch Heugabeln oder schwere Steine. Die Disziplinen der Highland Games sind sehr vielfältig, weswegen meist nur ein kleiner Ausschnitt davon auf dem Programm steht.
Um 9:30 Uhr ertönt der unwiderstehliche Klang einer
Highland Pipe, bei uns auch als Dudelsack bekannt, und die kleinen Mädchen beginnen mit ihren Tanzwettbewerben auf der Tanzbühne. Diese Tanzbewerbe ziehen sich über den ganzen Tag hin, unentwegt blasen zwei einsame Piper abwechselnd immer die gleiche Melodie, den ganzen lieben langen Tag. Und die Mädchen und Frauen tanzen und tanzen, die Kleinen, die Mittleren, die Großen, die Anfänger, die Fortgeschrittenen, die Amateure und die Profis, sie tanzen sich die Seele aus dem Leib, fast fühlt man sich an den fürchterlichen Film „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ erinnert, sie tanzen und tanzen bis zum mutmaßlich bitteren Ende, und sie tanzen noch, wenn die Highland-Athleten bereits ihre strapazierten Muskeln geölt und mit ihren Medaillen das Banner- und Battlefield verlassen haben. Und die beiden Piper pusten und blasen stoisch und aufrecht ihre immer gleiche Melodie. Wer schon jemals versucht hat, einer Highland-Bag Töne zu entlocken, ahnt, welche Lungenvolumen hinter desem stundenlangen Gedudel ihr Tagwerk verrichten müssen. [Hierzu gibt es ein Movie: IMG_1112.MOV]
Mit den Gefärbte Schafe zur besseren Erkennung in den Bergen und gegen DiebstahlTanzmädchen beginnt
auch die Landwirtschaftsausstellung, eine Leistungsschau, die zu einem echten Highland Gathering gehört wie die Bratwurst zur Kirmes, aber bei den meisten Topereignissen ausgeblendet wird; Touristen aus aller Welt wollen Mannsbilder in Röcken sehen und sich mit eigenen Augen versichern, dass die tatsächlich was darunter ragen, nicht aber Schafe und Rindviecher, die kurz vor ihrer Begutachtung von ihren Besitzern noch gestriegelt werden wie ein Afghane auf der Hundeausstellung. Man spürt den Stolz und die Anspannung der vielfach noch jugendlichen Aussteller, man fiebert mit, wenn die minenlosen Richter die prächtigen Tiere aus den Highlands beäugen, bewerten und
notieren, obwohl man selbst k
eine Ahnung hat, welches die Kriterien sind, nach denen hier Sieg und Niederlage verteilt werden, zumal man selbst meist andere Favoriten gekürt hätte. Aber dann stehen sie wieder zusammengepfercht in ihren Boxen und mit Siegerkokarden oder Platzkarten ausgezeichnet, die Gekrönten und Aussortierten, und um sie herum wuseln mit roten oder fahlen Wangen die geehrten und die zurückgewiesenen Jungviehhalter. Man möchte sie alle in die Arme schließen, die einen zum Trost, die anderen aus Euphorie, aber die sind alle so in ihrem Sieger- und Verlierertunnel, dass sie davon kaum Notiz nehmen würden; irgendwie scheinen die alle in einer Art emotionaler Schneekugel zu sein, geschüttelt und gerührt, aber ohne Verbindung zur Außenwelt.
Gelassener geht es bei
der Traktoren- und Oldtimerausstellung zu. Die Fachleute stehen dort wie in aller Welt beisammen, stecken die Köpfe zusammen, simpeln Fach, stellen Fragen, auf die sonst kein anderer käme, schrauben hier ein wenig, wienern dort ein bisschen und sind dabei mindestens so stolz wie die Landwirte auf ihre Schafe. Nur: Hier gibt es keine Sieger und Verlierer, sondern nur Aussteller und Zweitakt-Nerds.
Schön langsam beginnen auch die eigentlichen Spiele mit denKugelstoßen der Leichtgewichte Disziplinen der Nachwuchs-Highländer. Baumstämme werden durch die Luft geschleudert, Gewichte rückwärts hoch über eine Stange geworfen, Hämmer fliegen durch die Luft, auch ganz banales Kugelstoßen steht auf dem Wettkampfplan, Kilts in den Farben des Clans seines Trägers wehen um männliche Hüften, Backen schwellen zum Bersten an und Juroren schärfen ihre Blicke und nehmen ganz genau Maß.
Mit jedem Wettkämpfer versteht man die GewichtsweitwurfDisziplinen besser, vor allem lernt man, welche Disziplinen zu den traditionellen Heavy-Weights gehören und damit praktisch bei allen Gatherings auf dem Plan stehen. Nicht fehlen darf dabei der Gewichtsweitwurf (weight for distance). Das Wurfgerät besteht aus Metall. Daran ist an einer Kette ein Handgriff befestigt. Die Gesamtabmessung des Wurfgerätes, inkl. Handgriff und Kette, darf nicht mehr als 45,72 cm betragen und beträgt für Männer 25,4 kg, für Frauen 12,7 kg. Das Gewicht muss einarmig und seitlich geschwungen und geschleudert werden.
Ein fester Bestandteil der Highland Games ist auch der Gewichtshochwurf (weight for height), der Zwillingsbruder des Gewichtsweitwurfs. Das Gewicht (25,4 kg /12,7 kg) muss mit einem Arm rückwärts über eine Messlatte geschleudert werden. Die Höhe der Messlatte legt der Sportler selbst fest, scheitert er dreimal, ist für ihn die Show vorbei. Wenn mehrere Athleten an derselben Höhe scheitern, gewinnt derjenige mit den wenigsten Fehlversuchen: Im Grunde gelten also die gleichen Regeln wie beim Hochsprung, nur dass bei dem die Athleten ihr eigenes Gewicht über die Latte stemmen müssen. Den offiziellen und anerkannten Rekord in dieser Disziplin hält seit 18 Jahren der Niederländer Wout Zylstra mit 4,80 m, die Frauenrangliste führt die Schweizerin Irène Stritt-Lustenberger mit 3,90 m an.
Der Stone Put ist sehr ähnlich dem olympischen Kugelstoßen. Anstatt einer eKugelstoßen der Braveheartsisernen Kugel wird jedoch ein Stein unterschiedlicher Größe verwendet. Der traditionelle "Braemar Stone" wiegt dabei acht bis elf Kilogramm, der aus einer stehenden Position gestoßen wird, manchmal mit einer erlaubten Drehung oder einem Anlauf. Der Wettkampf ist nahezu identisch mit dem olympischen Kugelstoßen. Bei uns in Kirkmichael kommt der Einfachheit halber auch kein Stein, sondern eine klassische Kugel zum Einsatz.
HammerwurfBekannt kommt uns auch das Hammerwerfen (scottish hammer oder throwing the hammer) vor, das dem olympischen Hammerwerfen gleicht, außer dass die Kugel nicht an einem dünnen Draht, sondern fest an einem 1,2 m langen Holzstab befestigt ist. Die Kugel wiegt für Männer 7,25 bis 10 kg, für Frauen 5,5 bis 7,25 kg. Geworfen wird wie bei der Leichtathletik aus einem Käfig.
Am spektakulärsten ist jAller Anfang ist schwer, vor allem mit einem Baumstammedoch das Baumstammwerfen (tossing the caber), das in gewisser Weise zum Symbol für die Highland Games geworden ist. Dabei wird ein Baumstamm mit dem dünneren
Flieg, Stämmchen, flieg... Ende nach oben aufrecht gehalten. Der Werfer versucht den Stamm so zu werfen, dass er sich einmal überschlägt und in eine Zwölf-Uhr-Position fällt (in gerader Linie weg vom Werfer). Die Größe des Baumstamms kann sehr unterschiedlich ausfallen, traditionell kommt ein knapp sechs Meter langer Stamm mit einem Gewicht von 70 bis 80 kg zum Einsatz. Bewertet wird die Schwierigkeit des Wurfes und die anschließende Lage. Je mehr sich der Stamm aus der Flucht gedreht hat, desto mehr Punktabzüge gibt es. Die Kunst ist es also, dieses Monstrum aufzunehmen, auszubalancieren, mit ihm ein paar Schritte Schwung zu holen und es dann einmal gerade überschlagen lassen. Körperbeherrschung und Kraft sind also gefragt.
Es gibt noch eine Reihe von Disziplinen, die nicht zum Standard der Heavy-Weights gehören und deshalb oft nicht vertreten sind. Dazu gehören unter anderem das Baumstammziehen, der Baumstammslalom, das Axtwerfen, der Strohballenhochwurf oder das Koffertragen. Besonders betrüblich findet der Chronist, dass der Gummistiefel-Weitwurf (trossing the wellie) nicht auf dem Programm steht, denn dafür hätte er bedenkenlos seine alten Gummigaloschen geopfert. Keinen würdigeren Abschied könnte er sich für sie vorstellen. Nun warten sie noch immer in Franzens Heck auf ihren nächsten Einsatz.
FestgästeDie Heavy Weights sind für Touristen die
Hindernislauf Hauptattraktion, für Schotten ist das Gathering einfach ein Volks- und Familienfest. Neben der Show läuft ohne Unterbrechung ein Familienprogramm, an dem alle, wirklich alle, teilnehmen können und sollen. Immer wieder werden wir aufgefordert, beim Hindernislauf mitzumachen oder beim Heuballenrollen. Des Chauffeurs malades Knie lässt ihn davon würdig Abstand nehmen. Tatsächlich ist ständig etwas los und alle sind irgendwie ohne Unterbrechung auf den
KissenschlachtBeinen: Hindernislauf, Kissenschlacht auf
Wasserstechendem Seitpferd oder Wasserstechen, was sich einer ganz besonderen Beliebtheit erfreut. Dabei sitzt ein Teilnehmer in einem Schubkarren, der von einem anderen Teilnehmer geschoben wird. Aufgabe ist es, den Karren unter einem Gestell hindurch zu schieben, an dessen Spitze ein Wassereimer an einem losen Brett befestigt ist. Die Aufgaben des Teilnehmers im Schubkarren ist es, mit einer langen Bambusstange in ein Loch im Brett zu treffen. Schafft er das nicht, was eher der Normalfall ist, bringt er mit seiner Lanze das Brett zum Kippen und bekommt eine deftige Dusche. Schotten können sich darüber stundenlang beeumeln, egal wie pudelnass sie inzwischen sind.
Beinahe hätten wir das Tauziehen vergessen, der einzigen der offiziellen Termine, bei der in Kirkmichael Frauen antreten, was dann allerdings zum akustischen Overkill auf dem Bannerfield führt: Der einsame Dudelsäckler bei den Tänzerinnen, eine um das Feld marschierende Pipe-and-Drum-Band, dazu die feuereifrig kreischenden Tauzüglerinnen und die gellenden Anfeuerungen der überwiegend weiblichen Schlachtenbummler. Trotz allem Eifer, es hilft nichts: Unsere Kellnerin aus dem Strathardle Inn muss sich mit ihrer Truppe mit dem zweiten Platz zufriedengeben.
Wir Familienfestkönnten uns auf keinem bayerischen Dorffest heimischer und wohler fühlen als hier in Kirkmichael. Wir sind quasi eingemeindet, kommen aus dem Plaudern gar nicht mehr heraus und werden bestens mit Spezereien versorgt. Denn der Schotte bringt seine Verpflegung mit. Die vorgefahrenen Familienkutschen gehören alle zur gehobenen Mittel- oder SUV-Klasse, vollgestopft mit Nahrhaftem in flüssiger und fester Form. Wer eine herunterklappbare Heckklappe besitzt, nutzt diese als Festtafel, die anderen zerren Picknickmöbel aus dem Heck. Wer sich nieder- und einlässt, plaudert, Fragen stellt und intime Gathering-Geheimnisse aus bereitwilligen Gastgebern lockt, geht niemals hungrig ins Bett. Wir fragen uns mehr als einmal, wie die Schotten zu ihrem Ruf als Geizkragen kamen.
Und während wir plaudern, essen und trinken warten alle auf den vermeintlichen Höhepunkt des Festes. Nein, nicht die Heavy Weights oder die tanzenden Frauen, auch nicht die Heuballenroller oder Piper sind der Kulminationspunkt des Tages: Es ist der Musical Car-Wettbewerb. Doch vor diesem schmerzlich herbeigesehnten Höhepunkt des Tages setzt die Regie noch die Traktorparade; klar, dass die stolzen Besitzer der Krach-, Qualm- und Stinkmobile ihren würdigen Auftritt bekommen müssen, das ist in Schottland nicht anders als in Bayern oder wo immer der Nährstand fröhliche Urständ feiert.
Da muss das ungeduldige Publikum noch durch, bevor es endlich losgehen kann mit den Musical Cars. [Hier sollte ein Filmchen rein: IMG_1151.MOV].Diese Attraktion findet man in keiner Beschreibung von Highland Games, und vielleicht gibt es ihn auch nur in Kirkmichael. Darauf bekommen wir keine verwertbare Antwort. Aber das Publikum fiebert den ganzen Nachmittag auf diesen Wettbewerb hin. Immer wieder werden wir aufgefordert, uns ebenfalls zu beteiligen, kommen aber mit Hinweis auf ein 7,30 Meter langes Wohnmobil davon. Musical Car ist die Reise nach Jerusalem mit Autos. Alle Teilnehmer des Bewerbs stellen sich im Kreis auf dem Bannerfield auf. Im Mittelpunkt des Kreises werden Staffelhölzer ausgelegt – eines weniger als es Teilnehmer gibt. Wenn die Piper ihre Säcke in Schwingung bringen, fahren alle Autos los, linksherum im Kreis, bis die Musik stoppt. Dann stoppen auch die Wagen und die Beifahrer stürzen aus den Autos zur Kreismitte und schnappen sich ein Holz. Eine(r) geht leer aus und scheidet aus. Und so geht das weiter, bis nur noch zwei, bremsend und gasgebend, um das letzte Holz taktieren. Die Begeisterung hat kein Ende, und wir sind froh, nicht mit einem Pkw hier zu sein, denn als Linkssteuerer hätte der Beifahrer aus der rechten Wagenseite heraus ums Auto herumlaufen müssen und keine Chance gehabt. Aber die Schotten hätten ihren Spaß gehabt und uns sicher mit viel Whisky getröstet.
Irgendwann Ausgetanztgeht auch das schönste Fest der
AusgetanztWelt zu Ende, das Strathardle Gathering verläuft sich gegen 19 Uhr. Wir schlendern mit den Mädels zwischen dem abziehenden Volk und den sich leerenden Wettkampfringen herum, sehen adrenalingerötete Mädchenwangen, die gerade ihre Siegerurkunde als beste Tänzerinnen entgegengenommen haben, lässige Schwergewichte, die freundschaftliche Tipps fürs nächste Treffen austauschen, surfen auf einer Welle von Gelöstheit und Glück. Zu dem gehört, auch das darf an dieser Stelle gesagt werden, dass die bereitgestellten Dixie-Klos noch immer in einem tadellosen Zustand sind, weil sie nach jeder Benutzung automatisch gereinigt werden. Welche Erfahrungen man am Rande der europäischen Zivilisation doch machen kann! Als sich das Fest verlaufen hat, sind wir alle platt und glücklich. Und das Wetter hat sich nicht als Spielverderber gezeigt: ganztägig Sonne und Wolken.
Nach diesem Tag habeUnverzichtbar: Die Pipebandn wir eine
Unvermeidbar: Coole KerleAhnung von einem echten und traditionellen Highland Gathering bekommen und wissen, dass eine Schottlandreise ohne wie ein Volksfest ohne Bratwurst ist. Wer nach Schottland kommt, muss ein Gathering besuchen. Von Mai bis September gibt es über hundert davon, berühmte und großangelegte sowie kleine und beschauliche, so wie in Kirkmichael. Wer die ganz große Schau vorzieht, der sollte im September zum Saisonschluss nach Breamar gehen. Dort läuft alles auf den finalen Showdown hinaus. Balmoral Castle liegt nur einen Steinwurf entfernt. Dort verbringen die Royals traditionell den Sommer und sind immer die Schirmherren des dortigen Gatherings. Man braucht nicht einmal besonders viel Glück, um die Queen und ihr Gefolge dort live zu erleben.
Wir sind auch ohne Queen sehr zufrieden und um eine der schönsten Reiseerfahrungen reicher. Gute Nacht, Welt.
Sonntag, 25. August 2019
Kirkmichael – Edinburgh
Um 8 Uhr melden wir 10 °C und Sonne sowie eine weitere regenfreie (aber nicht gänzlich trockene) Nacht…
Wir führen Nebel über dem Firth of Forthdie Mädels am Ardle aus, streifen durch den schläfrigen Ort, genießen den Luxus der noch immer picobello auf uns wartenden Dixie-Kloos von Scotloo, frühstücken und verlassen Kirkmichael um 10:30 Uhr bei strahlendem Himmel und 19 °C. Es geht nun stramm gen Süden, erst über die A 83 und A 85, über Blairgowrie nach Perth, ab dort ist es die M 90, auf der wir in immer dichterem Verkehr unserem Tagesziel entgegensteuern. Um 12 Uhr überqueren wir den mächtigen Firth of Forth und um 12:30 Uhr klopfen wir an die Tore des Silverknowes Caravan und Motorhome Clubs im Norden Edinburghs, nur eine Armlänge vom Firth of Forth [N 55° 58‘ 39,58‘‘ W 003° 15‘ 52,62‘‘]. Doch hier tun sich die Tore für uns nicht auf: Ausgebucht. Wir haben so etwas befürchtet, weil noch immer das Edinburgh Festival läuft, und da dürfte es nicht einfach sein, einen Platz zu finden. Wir steuern das Südende Edinburghs an, einmal quer hindurch, schließlich fehlt uns das Glücksgefühl der Durchquerung einer Großstadt noch im Reisealmanach. Um 13:15 Uhr haben wir es ohne physische oder psychische Schäden nahezu entspannt geschafft und sprechen im Mortonhall Caravan und Camping Park vor – und werden erhört [N 55° 54‘ 12,31‘‘ W 003° 10‘ 47,55‘‘]. Unser Glück wird durch wolkenlose 23° C komplettiert. Unser Tagesetmal beträgt heute 141 km.
Fahrstrecke Kirkmichael – Edinburgh
Der Campingplatz ist groß, wirkt auf uns aber nicht sehr einladend. Auch hier gibt es eine Reihe privilegierte Kiesstellplätze, der Rest ist Wiese und teilweise abschüssig. Immer wieder stellen wir uns die Frage, wie man unter schottischen Wetterbedingungen Golfrasenplätze bauen kann. Wo man hinsieht, zeugen die tiefen Narben im Gras, dass hier vermutlich jeder Zweite Probleme mit der Traktion hat. Wir dürfen darauf hoffen, dass uns das erspart bleibt, weil es derzeit einigermaßen trocken ist (und war). Die Sanitäranlagen, davon überzeugt sich der Chauffeur meist gleich nach Ankunft, sind vernachlässigt und zum Teil marode. Die Duschtasse misst etwa 1 m2, die Umkleide davor ebenso viel, der fest installierte und unbewegliche Duschkopf spritzt über die Duschtasse hinaus und setzt die minimale Umkleide unter Wasser. Das heiße Wasser lässt über zwei Minuten auf sich warten, legt dann aber dampfend los. Diese ambitionierte Installation hat zur Folge, dass die gesamte Sanitäranlage unter Wasser steht, worauf zudem, wegen des ständig geschnittenen Golfrasens, ganze Grasklumpen schwimmen.
Mortonhall CampingAber es gibt auch Positives zu berichten. Rund um die Stellplätze erstreckt sich viel Landschaft mit Wiesen, Bäumen und Sträuchern, was einem Aufenthalt mit Hunden sehr entgegenkommt. Pferde gibt es hier ebenfalls, auch Koppeln und eine Bar, die Stable Bar, die zur Mittagszeit allerdings geschlossen ist. Pro Tag kostet der Aufenthalt in Mortonhall 35 £, für einen Stadtcampingplatz angemessen, nicht jedoch angesichts der leider zu vergebenden Punktabzüge.
Wir machen fürs erste Siesta und fühlen uns gegen 16:30 Uhr stark genug, Edinburgh in Angriff zu nehmen. Nur wenige Meter außerhalb des Campinggeländes, auf dem auch noch ein Bio-Markt und eine Gärtnerei untergebracht sind, fährt der Bus Nr. 11 in die Innenstadt. Die Reiseleiterin lässt keinen Zweifel daran, dass für sie nur ein Platz auf dem Oberdeck des Doppeldeckers infrage kommt. Und zwar ganz vorne, erste Reihe! Wer ihr in die Augen blickt, weiß, dass sie soeben eine Verlängerung des gestrigen Strathardle-Glücks erfährt. Langsam tauchen wir immer tiefer ins Herz der Stadt, die Reiseleiterin strahlt: Sie liebt das Leben auf dem Land, aber sterben würde sie doch lieber in der Stadt. Nach etwa 25 Minuten verlassen wir den Bus im Herzen Edinburghs, in der Princess Street.
Machen Edinburgh Castlewir es kurz, o
"The Spinning Blowfish"der so kurz es eben geht: Edinburgh ist eine wunderschöne Stadt – aber eben nicht immer. Heute zeigt sie sich zwar äußerlich genauso charmant und beeindruckend wie im Rest des Jahres, nur die inneren Werte sind derzeit ambivalent. Der Grund dafür ist das Edinburgh Festival, eines der weltweit größten Kulturereignisse, das die Stadt den ganzen August über in Atem hält. Man kann sich über die viele Musik an jeder Ecke freuen und stehenbleiben und ein Pfund in die Büchse werfe
n, aber weniger erfreulich s
ind die Menschenmassen, durch die man sich dabei zu kämpfen hat. Und leider gilt für Edinburgh das gleiche Naturgesetz wie für jede andere Stadt der Welt: Wo sich viele Menschen versammeln, sind die Rüpel, die Rempler, die Durchstecher und Antisympathen mitten unter ihnen. Dabei stechen die vielen Asiaten hervor, die diese drangvolle Enge kennen und ihre Umgangsformen ohne Einschränkungen von Tokio oder Shanghai auf Edinburgh übertragen. Das trübt unseren Blick auf Edinburgh, das viel mehr Sympathie verdient hätte.
ErschwWandmosaikeneren
Cafe Royald kommt hinzu, dass konsequenterweise die Kneipen und Pubs überlaufen. Kann man Edinburgh besuchen und kein einziges Stout in einem Pub zu sich nehmen? Ende August muss man es wohl, es sei denn, man wäre ein Eingeweihter und wüsste die Insiderkneipen irgendwo abseits des Zentrums. Wir starten einige Versuche, laufen uns die Absätze schief, aber überall findet die Bewirtung bereits auf der Straße statt. Bier auf der Straße kann man auch in München trinken. Da wir aber keine Lust haben, uns gänzlich
Austernunverrichteter Dinge wieder abschieben zu lassen u
Haggis, Neeps & Tattiesnd noch weniger Lust verspüren, heute noch die Küche im Franz anzuwerfen, entscheiden wir uns für ein kleines Dinner im „Café Royal“, West Register Street. Das „Café Royal“ ist ein auf viktorianisch gemachtes Restaurant mit viel Glasleuchtern, Spiegeln, Leder, Teak und Fayencen, aber es bietet uns einen Platz und ist somit erste und beste Wahl. Wir bestellen zum Anwärmen sechs überbackene Austern, die wie Schmelze über die Zunge gehen und über jeden Zweifel erhaben sind. Als Hauptspeise wählt die Reiseleiterin langsam geschmortes Rind im Teigmantel, das, weil im Topf mit einem Teigdeckel verschlossen, ein vor sich Hingebrutzeltes ist, eher gekocht als geschmort schmeckt, aber trotzdem mundet und das Plazet erhält. Was jedoch nicht für den begleitenden Grünkohl gilt, der absolut geschmacksfrei und ungewürzt auf dem Teller schlonzt. Und der Chauffeur feiert heute das Hochamt auf die schottische Küche: Endlich bekommt er seinen Haggis, und zwar wie es sich gehört, mit Neeps und Tatties, wie wir es ja schon bei anderer Gelegenheit vorgestellt haben. Dazu wird eine sämige Whisky-Senf-Soße kredenzt, die den Chauffeur beinahe dazu veranlasst, ein Zimmer im Dachgeschoß des Anwesens auf Lebenszeit zu mieten. Die Reiseleiterin weiß das zu verhindern, weil sie ja sonst keinen
Chauffeur mehr hätte. Wie erkannte schon Frau von Soettingen, Gemahlin des Monaco Franze, gegenüber einem ihrer Verehrer zutreffend: ‚Sie sind ja kein Charmeur mehr, Sie sind ja nicht mal ein Chauffeur mehr…“. So weit will es die Reiseleiterin nicht kommen lassen. Mit Bier und Wein und Cidre zahlen wir 56 £ und bereuen nichts außer dem Grünkohl.
Um 21:30 Uhr sind wir wieder mit der Nr. 11 zurück bei den Mädels und dem Mangfalltal Franze, freuen uns über kuschelige und wolkenlose 20 °C und beschließen den Tag mit dem Schwur, Edinburgh noch einmal zu besuchen, am besten im Juni, da wäre Edinburgh ein Dorf und der Gast allein unter Freunden, wie man uns versichert.
Montag, 26. August 2019
Edinburgh – Dunstan Hill
Um 7:15 Uhr messen wir 15 °C und wMortonhall Campingerden von einem wolkenlosen Himmel begrüßt. Wir beginnen den Tag mit einem Spaziergang durch das umliegende Park- und Weideland, was die Reiseleiterin auf die Idee bringt,
Fiannas Fährte durch Dick und DünnFianna eine deftige Fährte zu legen: Hier gibt es Baumgruppen, Strauchgruppen, Menschengruppen und Hundegruppen, die alle kreuz und quer die Landschaft bevölkern, sumpfigen Pfaden folgen und das Gras um Wassertümpel herum morastig trampeln. Das, so befindet die Reiseleiterin, wäre genau die richtige Herausforderung für höhere Fährtenweihen. Tausend Schritte legt sie Fianna in dieses Gelände und lässt keine Gemeinheit aus. Dann widmet sie sich zufrieden ihrem Frühstück. Knapp drei Stunden später kämpft sich Fianna durchs schottische Unterholz und pflügt ihre Nase durch Matsch, Morast und Blumenwiese. Sie ist ganz Nase, nichts als Nase und lässt sich durch nichts an dieser herumführen. Kein Spaziergänger lässt sie aufblicken und kein Artgenosse bringt sie aus der Konzentration. Das ist eine royale, ach was: eine geradezu imperiale Leistung, die eher dem versunkenen Empire huldigt als dem durch den Brexit demnächst auseinanderfliegenden Queendom. Heute ist Fianna Queen, the queen of tracks and traces.
Dann widmen wir uns dem kleinbürgerlichen Alltag und bereiten unsere Abreise vor. Dabei machen wir eine Bekanntschaft, die sich einem nur bietet, wenn man im Womo oder mit dem Rucksack unterwegs ist; Pauschaltouristen und Kreuzfahrern bleiben diese Reiseperlen auf immer versagt. Als wir an der Grauwasserentsorgung anstehen, lässt vor uns ein Waliser (keiner aus dem Wallis, sondern einer aus Wales) sein Frischwasser ab. Wir kommen ins Plaudern und fragen bei der Gelegenheit, ob es nun nach Hause ginge, weil er sein Wasser ablässt. Er verneint und erzählt, dass er nur einen Tagesausflug machen werde. Wir staunen: Dafür lasse er sein ganzes Frischwasser ab? Ja, sagt er, jeden Tag. Bei einem Tagesausflug brauche er kein Wasser, deshalb lasse er es ab, weil das ja schließlich einiges an Gewicht mit sich brächte und dementsprechend Diesel koste. Wir können es nicht fassen. Wegen ein paar Cent Dieselkosten lässt er jeden Tag sein Wasser ab und füllt es abends wieder auf. Da soll einer sagen, Schotten und Schwaben seien die europäischen Vorzeigeklemmer. Wir leisten Abbitte, was uns nicht schwerfällt, weil wir bisher noch keinen einzigen knausrigen Schotten erlebt haben.
Um 12 Uhr verlassen wir bei dampfigen und wolkigen 23 °C Mortonhall Camping, nicht ohne vorher noch im Bioladen Käse und Brot zu kaufen, was sich später als das größte Plus des Campingplatzes erweisen sollte. Es geht zuerst auf die A 720 und anschließend bei Old Craighall auf die A 1 in Richtung Nordwesten. Kurz darauf verlassen wir diese bei Tranent wieder und steigen auf die A 198 um. Wir halten uns jetzt nahe am Firth of Forth und durchfahren eine Region, die ein einziger riesiger Golfplatz zu sein scheint. Dieser Eindruck erfährt seinen Kulminationspunkt bei der Ortschaft Gullane, wo die Straße mitten durch das Gelände des Luffness New Golf Courses führt und uns von beiden Straßenseiten die Golfbälle um die Ohren fliegen – Verkehrsteilnehmer als Spaßminderer und Stressverstärker auf dem Fairway. Irgendwie unfair, aber supercool. Wir kommen ohne Delle davon und stellen unseren Franz um 12:50 Uhr in North Berwick auf einem Parkplatz an der Dunbar Road, beim North Berwick Rugby Football Club ab [N 56° 3‘ 17,02‘‘ W 002° 42‘ 31,03‘‘]. Es ist wolkenlos bei 20 °C.
Was verschlägt uns ausgerechnet in ein eher unscheinbares Golfplatz in North BerwickÖrtchen in East Lothian mit nicht einmal 7.000 Einwohnern? Sicher ist es nicht die Tatsache, dass der ganze Ort anscheinend nur aus Driving Ranges, Putting Ranges und anderen Golf-Trainings-Facilities zu bestehen scheint: Golf und Golfer, wohin das Auge blickt. Es ist auch nicht der North Berwick Law, ein wie ein Fremdkörper in der Küstenlandschaft stehender und 190 Meter aufragender Basaltkegel, der seit über 300 Millionen Jahren verbliebene Überrest eines Vulkans, der uns hierherzieht, obwohl er sehr verlockend südlich unseres Parkplatzes aufragt. Nein, es ist das Scottisch Seabird Centre, welches die Reiseleiterin hierher lockte. North Berwick liegt am äußerten Ostzipfel des Südufers des Firth of Forth, und direkt vor der Stadt ragt der Bass Rock aus dem Firth, ein wegen seiner riesigen Vogelkolonie unter Naturschutz stehender Fels. Etwas westlich liegt das Lamb Island und nahe des Nordufers des Firths liegt noch die Isle of May, alle z
Der Bass Rockusammen ein weltberühmtes schottisches Vogelparadies. Die Reiseleiterin würde gerne eine Bootsfahrt zu diesen Naturparadiesen unternehmen. Doch, wie leider schon vorausgeahnt, wird daraus nichts. Die riesigen Basstölpelkolonie ist verwaist und die Papageientaucher (puffins) haben sich längst auf ihren Weg hinaus auf den Atlantik gemacht, wo sie den Winter über als Nomaden ohne festen Wohnsitz herumstreifen werden. Die Basstölpel sind auch schon längst in Richtung Südeuropa und Nordafrika unterwegs, wo sie den Winter verbringen werden. Deshalb werden hier nur noch zwei Alibi-Touren zu den Inseln angeboten, die nächste findet erst um 16 Uhr statt und lässt angesichts der ausgewanderten Vögel nichts weiter erhoffen als eine sonnig dümpelnde Seefahrt.
Der Strand von North BerwickWir besuchen dennoch das Seabird Centre, bezahlen pro Person 9,95 £, informieren uns über die Vogelei und die Vögel und verfolgen auf den Monitoren die Kamera-Life-Bilder von den Felsen, wo sich außer Möwen wirklich nicht mehr viele Bewohner aufhalten. Wir kaufen ein paar Souvenirs, wie etwa Socken mit Puffin-Motiv (!), plaudern ein wenig mit dem Personal, vor allem mit einem älteren Herrn mit roter Glatze und einer mit jedem Satz roter werdenden Spitznase, der offenbar jede Gelegenheit nutzt, seinen clanstolzen Grant und seine Abscheu über den Brexit loszuwerden. Keine Frage, nicht nur dieser Paradeschotte, sondern so ziemlich alle, die wir trafen, sind maximal entrüstet über die Aussicht, aus Europa zwangsentmietet zu werden, was mehr als verständlich ist, wenn man berücksichtigt, dass sie das letzte Unabhängigkeits-Referendum abschlägig beschieden haben, um im GB-Verbund weiterhin in der EU bleiben zu können. Und nun das! Ihr Zorn ist überall greifbar und fast immer Anfang oder Ende eines Gesprächs. Man muss sie einfach ins Herz schließen, diese Schotten. Aber außer dieser fulminanten volkstherapeutischen Katharsis, bekommen wir auch noch sachdienliche Hinweise auf die beste Reisezeit für eine Vogelschau: Juni. Das passt doch: Puffins und Edinburgh in einem Aufwasch. Demnächst in diesem Theater. Wenn der Brexit nicht falschspielt.
English BorderWir führen die Mädels noch ausgiebig
über den Stadtstrand von North Berwick, schlendern durch die Straßen, schauen den Golfern beim Putten und Driven zu und verlassen North Berwick um 15 Uhr wieder. Wir folgen ein Stück der Küstenlinie und schwenken dann wieder auf die A 1. Um 16:15 Uhr machen wir einen kurzen Stopp an der Grenze zu England. Schwer werden unsere Herzen, wir würden am liebsten umkehren, lieber noch einmal das borstige Wetter auf der North 500 ertragen als nach England einzureisen. Für uns ist das ein schwer zu ertragender Scoxit. Die Reiseleiterin schluckt und verliert ihre Sprache. Wir beten uns all die guten Gründe für einen späteren Wiedereintritt in Schottland vor: die Puffins, Edinburgh, die ganze North 500, einige zauberhafte Inselchen auf den Hebriden, Mull of Kintyre (wohin die Reiseleiterin den Chauffeur nicht mehr ließ) …
Um 16:20 Uhr sind wir im englischen Berwick-upon-Tweed, das früher South Berwick hieß, kaufen bei Marks & Spencers sowie TESCO ein, füllen Franzens Tank und fahren weiter nach Süden. Um 18 Uhr fahren wir nahe Embleton bei Dunstan Hill Camping & Caravanning vor [N55° 29‘ 7,83‘‘ W 001° 37‘ 44,85‘‘]. Es ist wolkenlos bei 19 °C.
Fahrstrecke Edinburgh – Dunstan Hill
Der ganze Platz ist so liebenswert wie die alte
Dame, die uns winkend und wegweisend auf ihrem Fahrrad zu unserem Stellplatz lotst und uns sehr herzlich willkommen heißt. Sind doch gar nicht so übel die Angelsachsen. Sollen wir sie fragen, ob sie dafür oder dagegen gestimmt hat? Würden wir dann unsere Meinung über sie ändern? Die Welt macht es einem nicht leicht. Sie ist im übrigen, wie wir bald herausfinden werden, Teil eines Oldie-Teams, das diesen Platz betreibt und in allen Teilen so liebenswert, engagiert und freundlich ist. Weil der Campingplatz nahezu ausgebucht ist, bekommen wir von ihr den allerhintersten Platz zugewiesen,
Ein erbostes Perlhuhndort, wo nur noch Gegend anschließt und sich je nach Windrichtung die Luft mit Meer oder Schweinestall anreichert. Aber wir sind sehr glücklich hier, die Sanitäranlagen sind auf Armlänge, dazu sehr gepflegt und angemessen geräumig. Das Meer wartet nach etwa 20 Minuten Fußmarsch auf uns. Von Osten her grüßt die Ruine des Dunstanburgh Castles. Wir hätten es für unseren letzten Ferienstopp nicht besser treffen können. Das feiern wir mit einem kleinen Apero und Campari Orange. Schön ist es auf der Welt zu sein…
Um 19 Uhr machen wir einen Spaziergang zum Strand, erst durch einen schmalen Waldstreifen entlang dem Campingplatz
Richtung Nordwesten, dann über abgeerntete Felder mit im Licht der untergehenden Sonne rot glühenden Strohballen, dann geht es durch ein Gehöft, in dem wir von einem erbosten Perlhuhn zur Umkehr aufgefordert werden, was wir jedoch heldenhaft ignorieren, und anschließend sind es noch etwa 350 Meter bis zum Strand, die allerdings nicht ganz ungefährlich sind, weil wir, diesmal zu Fuß, einen Golfplatz durchqueren müssen, wo wir wohlweislich vor herumfliegenden Bällen gewarnt werden. Dann stehen wir am Strand, und wenn die Erdkrümmung nicht dazwischenfunken würde, könnten wir etwa 650 Kilometer östlich den feinen Leuten von Sylt in die Strandkörbe schauen.
Gegen 20:30 Uhr sind wir wieder zurück, braten uns ein Steak und geben Kartöffelchen dazu. Und nach einem langsam, sehr feucht werdenden Abend beschließen wir den Tag um 22:30 Uhr. Es hat noch immer 14 °C und der Himmel gibt sich unverhüllt.
Dienstag, 27. August 2019
Dunstan Hill
Um 7:30 Uhr hat es 14 °C und es ist wolkenlos. Wir bereiten uns ein gemütliches Frühstück, bringen den Franz in einen finalen Reisezustand, was bedeutet, dass wir vor allem seinen Vorratsbauch reorganisieren und von altem Ballast befreien, weil es morgen definitiv nach Hause geht. Man muss ja nicht die Altlasten einer ganzen Reise mit sich herumschleppen.
Um 10:30 Uhr schlendern wir mit den Mädels zum Strand, wandern von dort zur Schlossruine, schauen uns in aller Ruhe um, weil uns wirklich nichts zur Eile mahnt und gehen oberhalb des Strandes über den Golfplatz wieder zurück zum Campingplatz.
Dunstanburgh Castle ist eine FestungDunstanburgh Castle aus dem 14. Jahrhundert. Earl Thomas von Lancashire ließ sie zwischen 1313 und 1322 errichten. Man nimmt an, dass er sie als Zufluchtsort baute, weil er als Gegner
des englischen Königs Edwards II vermutlich Grund zur Annahme hatte, dass ihm ein solcher Rückzugsposten einmal sehr nützlich werden könnte. Tatsächlich wurde er bei der Schlacht von Boroughbridge 1322 gefangengenommen und hingerichtet und die Burg ging ans Haus Lancaster. Während der Rosenkriege diente sie den Lancasters als
Bollwerk gegen den aufsässigen Norden, wechselte allerding später mehrmals zwischen Lancaster und York. Nachdem sich die Lage stabilisiert hatte, wurde die Burg immer nutzloser und verfiel zusehends, sodass sie zunehmend nur noch als malerisches Überbleibsel für Maler wie William Turner diente. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, traf man Maßnahmen, die Küste Northumberlands gegen eine mögliche deutsche Invasion zu verteidigen. So wurde die Burg auf ihre sehr alten Tage ein Beobachtungsposten und mit Gräben, Stacheldraht und einem Minenfeld befestigt. Heute gehört die Ruine dem National Trust und wird von English Heritage verwaltet. Die Ruinen gelten nach dem Recht des Vereinigten Königreiches als historische Gebäude ersten Grades.
HeddaNach zweieinhalb Stun
Fiannaden und rund acht Kilometern sind wir um 13 Uhr wieder am Campingplatz. Kaiserwetter verleiht dem uneinigen Königreich spätherbstlichen Glanz. Wir lassen unsere Bäuche von den himmlischen Strahlen liebkosen und traumtänzeln dem Ende unserer Reise entgegen.
Um 17:15 Uhr nehmen wir endgültig Abschied vom Strand und der Ruine, einen eineinhalbstündigen Abschied, bei dem sich unsere Mädels noch einmal nach Herzenslust austoben dürfen. Die Küche bleibt heute kalt.
Um 19:30 Uhr befindet der Unergründliche, dass es für heute genug Kaiserwetter war und schickt uns ein kräftiges Gewitter, belässt es aber bei kuscheligen 18 °C.
Um 22 Uhr belassen auch wir es dabei. Kommt ja nichts mehr.
Mittwoch, 28. August 2019
Dunstan Hill – Bexbach
Wir sind früh auf den Beinen, lassen die Mädels noch einmal über die Stoppelwiesen toben, zahlen für die beiden Nächte jeweils 34 £ und machen um 7:20 Uhr die Leinen los. Es ist wolkig bei 14 °C.
Von Längst erledigtnun an geht es zügig bergab,
Die Themsejedenfalls was die Bewältigung der Breitengrade betrifft. Über die A 1 und M1 geht es in Richtung Süden, vorbei an Sheffield, Nottingham und Leicester, bevor wir nördlich von Watford auf die M 25 umsteigen, den sogenannten London Orbital Motorway. Die Gebühr für die Überquerung der Themse bei Dartford ist diesmal dank des Oberkrümels bereits bezahlt, was uns entspannt über die Themse blicken lässt. Anschließend steigen wir auf die M 2 um. Ab Maidstone führt uns die M 20 bis nach Dover, wo wir nach 650 km um 14:45 Uhr ankommen.
Fahrstrecke Dunstan Hill – Dover
Und hier begeht der Chauffeur einen schweren Fehler oder sagen wir: Er macht sich einer Unaufmerksamkeit schuldig. Ihm entgeht die korrekte Zufahrt zu P&O Ferries, und so landet der Franz mit seiner Ladung bei DFDS. Ein Zurück gibt es nicht. Umdrehen und sich aus dem Staub machen: no way. Das heißt: Der Herr hat’s verbockt, die Reiseleiterin muss es wieder hinbiegen. Also stapft sie zum Check-In und lässt die Hosen runter, etwa in dem Ton, Ein letztes Ma(h)ldass DFDS der beste und zuverlässigste Kanalüberquerer sei, aber der tumbe Chauffeur aus unerfindlichen Gründen einen Narren an P&O gefressen habe und mit Streik drohe, wenn … irgendwie so. Bei DFDS lässt man sich nichts anmerken und auch nichts nachsagen, dafür wird jetzt ein semi-hoheitlicher Akt eingeleitet. Wir werden mit einem in die Windschutzscheibe zu hängenden Passierschein ausgerüstet, der uns als ausreiseberechtigte Republikflüchtlinge ausweist und übereifrige Heckenschützen von unserer Liquidation abhalten soll. Anschließend begleitet uns ein Follow-me-Lotse über Schleichwege aus dem DFDS-Hoheitsgebiet direkt an die Grenze zu P&O. Wir bedanken uns freundlich mit Winke-Winke, der Lotse bleibt englisch unbeteiligt. Egal: Wir sind bei P&O und erstehen für 180 £ ein Ticket nach Calais, Abfahrt 15:40 Uhr. Es ist hier absolut nichts los hier.
Auch bei Abfahrt ist die Fähre nahezu leer und der Kanal platt wie eine Öllache. Und der Himmel strahlt bei unserem Abschied. Haben wir etwas falsch gemacht? Müsste er nicht bittere Tränen weinen? Ein letztes Mal steht Fish & Chips mit den unvermeidlichen kalten Erbsen auf dem Speiseplan, weil wir heute noch fahren wollen, bis der Chauffeur aus dem Cockpit fällt, was keinen Verpflegungsstopp vorsieht. Zumindest ist das seine Vorstellung. Die Reiseleitung verhält sich bezüglich dieser Planung wortkarg.
Mit dem Zeitversatz betreten wir um 18:30 Uhr (MESZ) in Calais wieder europäisches Festland, ohne zu wissen, wann wir es jemals wieder in Richtung GB verlassen können. Der Brexit lässt uns einen sorgenvollen Blick über die Schultern werfen.
Für uns gibt es heute keinen Grund, über Brüssel und Köln zu reisen und halten uns deshalb noch ein wenig im Pas-de-Calais bei den Sch’tis auf, bevor wir hinter Valenciennes die Grenze nach Belgien überqueren.
Um 21:30 Uhr unterbricht Fianna die Turbofahrt des Chauffeurs, indem sie unmissverständlich klarmacht, dass ihr Darm einen sofortigen Stopp erfordert. Nordwestlich von Charleroi verlassen wir deshalb die Autobahn, damit die Reiseleiterin im nächstbesten Kaff mit ihrer Herzensdame eine Latrine suchen kann. Das nächstbeste Kaff heißt Chapelle-lez-Herlaimont und ist so tot wie man sich einen nächtlichen Friedhof denkt. Fast zehn Minuten brauchen die beiden, bis sie eine unverdächtige Stelle gefunden haben, ist ja auch nicht ganz unsportlich, in einem Kaff, so finster ist wie ein Elefantenar…m. Doch dann fühlt sich Fianna befreit von allen Lasten und Hedda reagiert auf unsere Anfragen bezüglich ihrer Befindlichkeit nicht. Sie ist wie der Chauffeur: Sie will einfach nur weiter.
Um 23:55 Uhr sind wir in Luxemburg, wo wir es kurz darauf am Aire de Capellen nicht versäumen, für 1,10 € vollzutanken, nachdem wir bei den Sch’tis notgedrungen noch 1,49 € liegenlassen mussten. Nachts geht es sehr zügig durch die Luxemburger Puppenstube, und eh wir uns versehen, sind wir bei Schengen schon wieder in Deutschland. Die Reiseleitern hat erkennbar einen Plan, der sich in den wiederholten Fragen nach dem Wohlbefinden des Chauffeurs ausdrückt. Sie befragt Google Maps und verschiedene andere Online-Diener. Schließlich weist sie das Verlassen der saarländischen Autobahn an und lotst den Franz zum Wohnmobilhafen im Blumengarten von Bexbach [N 49° 20‘ 29,04‘‘ E 007° 15‘ 24,15‘‘], wo wir noch immer 19 °C messen. Hier waren wir vor Jahren schon einmal. Es ist 1:40 Uhr am 29. August, und Franzens Besatzung fällt fast unmittelbar in einen tiefen Schlaf. Das waren seit Calais noch einmal 520 km. Während er in Schlummers Armen versinkt, ist sich der Chauffeur sicher, dass dieser Stopp nicht zwingend ist. Die paar Meter bis ins Mangfalltal… linke A…backe… locker…
Donnerstag, 29. August 2019
Bexbach – Vagen
Viel zu lange geschlafen! Und das ganz ohne Schlafbedürfnis. Dabei werden wir noch nicht einmal von selbst wach, sondern vom städtischen Gebühreneintreiber geweckt. Der kommt einmal abends und einmal morgens (wann genau verraten wir wegen der professionellen Klemmer nicht) und erbittet von uns 7 € ohne Strom, den wir heute Nacht wirklich nicht mehr brauchten.
Der Wohnmobilhafen in Bexbach ist eWohnmobilhafen Bexbachine angenehme Adresse, auf der einen Seite ein ausgedehnter Park, an der anderen Seite ein Sportflugplatz, jedenfalls jede Menge Gelände für die Hunde. Zudem gibt es seit unserer letzten Anwesenheit Grillplätze und sogar kleine Kräuterbeete fürs Grillgut. Nach grillen steht uns der Sinn heute Morgen natürlich nicht. Wir geben den Mädels angemessene Beinfreiheit und gönnen uns anschließend ein kurzes Frühstück. Um 9:30 verlassen wir Bexbach.
Von nun an geht es über die bekannte Rennstrecke nach Süden: Karlsruhe, Pforzheim, Sindelfingen, Ulm, Augsburg – und um 14:45 Uhr machen wir den Franz zuhause fest. Es ist bedeckt und hat 23 °C. Das waren noch einmal knappe 460 Kilometer. Alles in allem hat uns der treue, wenn auch einmal nicht ganz dichte Franz 6277 Kilometer herumgefahren und uns sicher wieder zurückgebracht. Nur er hat etwas gelitten: ein ramponierter rechter Außenspiegel und eine deftige Schramme mit abgefahrenem Katzenauge und einem unbrauchbaren Garagenriegel links hinten. Dafür hat er nun einen neu verplombten Wassertankdeckel. Das Leben hinterlässt eben Wunden und Narben, und wie befand schon der notorische Reise- und Märchenonkel Hans Christian Andersen? Reisen ist Leben!
Dem ist nichts hinzuzufügen, höchstens die Hoffnung, trotz Brexit bald wieder in Schottland leben zu dürfen.
Haste ye back…
[1] Uwe und Annegret Rohland, Mit dem Wohnmobil nach Schottland, Womo-Reihe, Band 33
Eindrücke aus Schottland:
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