2014 - Mit dem Wohnmobil zu den Loireschlössern und an den Atlantik

Die ersten richtigen Ferien im Jahr locken uns geradezu zwanghaft hinaus in die Welt. Das ist auch im Jahr des Herrn 2014 nicht anders.

Der Winter ist immer zu lang, selbst wenn er kein Winter, bestenfalls ein unterentwickelter Frühling ist. Dieser Winter war so ein Kümmerling, der den Wintersportlern jenes Wasser in die Augen trieb, das den Bauern jetzt fehlt. Uns war dieser Winter ganz recht; es ist ja auch mal schön, eine Schneeschaufel unbenutzt in den Keller zurückzustellen und den ganzen Winter über ein bisschen Hundesport treiben zu können. Vor allem Fiannas Fährtenkompetenz hat sich dadurch sichtbar stabilisiert.

Dennoch: Ein Winter ist ein Winter und für unsereins nicht urlaubstauglich, weil wir weder Wintercamper noch Liftschlangenjunkies sind. Wir lieben es grün und warm. Den angedachten dritten Aufenthalt in Saintes-Maries-de-la-Mer an Weihnachten haben wir gestrichen, weil wir es angesichts des heimischen Frühlings als eine Art Snobismus empfunden hatten, unter diesen Umständen in den Süden zu fliehen. Es hat ja nicht viel gefehlt und sogar der Pirol hätte sich überlegt, ob er sich den Reisestress antun sollte.

Nun aber stand wieder die große Frage im Raum: wohin? Auch wenn Ostern dieses Jahr drei Wochen später als letztes Jahr ist, schien uns das Risiko einer Nordmeerfahrt zu unkalkulierbar. Somit fielen Ostsee und Nordsee, damit auch Bretagne und Normandie durch den Rost. Griechenland ist für zwei Wochen immer noch zu weit, ebenso Spanien oder Britannien, was wegen der Nordlage und dem sowieso schon unkalkulierbaren Wetter nicht zur Diskussion stand. Italien mag, wie schon erwähnt, keine Hunde, und wir haben keine Lust, uns in ausgewiesene Hundeghettos verbannen zu lassen. Nee! Kroatien kam in die nähere Auswahl, fiel aber wegen des Einspruchs unserer Hausmatrone aus der Wahl; Anouk hatte ihr Veto eingelegt: kein Sand, keine Dünen, nur Steine, und sie würde noch nicht mal morgens zwischen vier und fünf auch nur einen Gedanken darauf verschwenden, uns dorthin zu begleiten. Es gibt in der Tat schlechtere Gründe, ein Ziel aus dem Prospekt zu streichen. Polen, Masuren? Sicher doch, und Seen gibt es genug, aber das reizt uns in dieser Jahreszeit noch nicht so recht, das ist eher etwas für den Sommer. Österreich? Seen gibt es auch, aber Ostern eher gut gefüllt und welche Strände mit Dünen es dort geben soll, konnten wir Anouk nicht erklären.

Wie wäre es denn mit - - Frankreich? Das war ja mal ein überraschender Einfall! In Frankreich gibt es einen Süden, einen Westen und einen Norden (ja, einen Osten gibt es auch, aber der ist schon wieder eher etwas für Winterfreaks), also Auswahl genug. Und überall gibt es Strände, sogar solche mit Dünen. Dass wir da nicht gleich drauf gekommen waren. Ja, wenn es sein muss, fahren wir eben wieder nach Frankreich. Aber nicht mehr in die Camargue, schon gleich gar nicht mehr an Ostern; von den Vogelschauern mit Überlebensausrüstung haben wir genug. Gerne irgendwann mal wieder, aber nicht dieses Jahr an Ostern. Und oben, bei den Schti’s in Nord Pas de Calais und etwas südlich davon ist es eventuell noch zu frisch. Oben nicht, unten nicht, bleibt eben die Mitte. Und so reifte der Plan, die Loireschlösser zu besuchen, die man sowieso einmal im Leben gesehen haben sollte, und weiter bis zum Atlantik zu kutschieren (Sand, Dünen! Schlösser sind nicht Anouks Herzensding) und uns dort irgendwie in Richtung südlichen Norden, also Bretagne, zu hangeln. Den Rest sollten die Umstände regeln. So sei es. Amen.

Womili Franz wird aus dem Winterlager geholt, das er augenscheinlich gut überstanden hat, bekommt eine neue Aufbaubatterie, die komplett über den Jordan war, einen Rundum-Kundendienst, einen neuen TÜV, Abgasuntersuchung und Gas-Prüfung, und alles meisterte er trotz seiner zehn Jahre mit Bravour. Unserem Konto fehlen seither trotzdem 900 €. Das ist er uns wert, der Franz. Seine Namensgeberin, Gott hab sie selig, war uns noch ganz andere Summen wert.

Dann wird er beladen, der Franz, mit allem, was wir zu brauchen glauben und vermutlich viel mehr als wir wirklich benötigen. Der Franz hat es nicht leicht mit uns; für unsere Zuneigung muss er ganz schön schuften und buckeln.

Und dann ist es soweit: Es kann losgehen.

 

Samstag, 12. April 2014

Um 13 Uhr, wolkig ist es und 15° C hat es im Mangfalltal, brechen wir auf, wie immer, wenn wir nach Westen oder Süden wollen - nach Norden. Was sonst? Traditionen wollen gepflegt sein. Wir sind sicher, wenn wir unserem Franz sagen: Loire, also Richtung Orléans, würde er sich ohne zu zögern auf die A 9 Richtung Nürnberg setzen und erst dort nachfragen, ob es nun weiter in Richtung Berlin, also Himmelkron, oder doch schon nach Westen in Richtung Unterfranken gehen soll. Und genau so macht es der Franz: ab auf die A 9 und nach kurzer Rücksprache, kurz vor Nürnberg, legt er sich in eine geschmeidige Linkskurve auf die A 3 in Richtung Würzburg.

Um 17:15 Uhr sind wir in Völkersleier nahe Hammelburg. Der Franz fühlt sich auf dem Hundeplatz in Völkersleier, wie wir, gleich zu Hause und irgendwie angekommen. Wir plaudern ein bisschen mit den anwesenden Hundenarren, die eine Prüfung hinter sich gebracht hatten, lassen Fianna noch ein bisschen auf dem Platz turnen und fahren dann ein paar Kilometer zurück nach Diebach zu Kalli und seinem Forellenhof. Auf seinem Womo-Stellplatz (www.forellenhof-reuss.de, N 50° 07‘ 59‘‘ E 09° 49‘ 08‘‘, aber nicht weitersagen, sonst kriegen wir dort nie mehr einen Platz) wollen wir unser Haupt zur Ruhe legen. Um 19:30 Uhr kommen wir an und erfahren von Kalli, dass seine Gastronomie erst am Osterwochenende in Betrieb geht, Küche und Kellerbier also ausfallen. Merde! Wir bereiten und bescheren uns eine Brotzeit, wozu hätten wir auch sonst einen halben Supermarkt in den Franz gestopft, und lassen den Tag ausklingen. Gegen 23 Uhr ist im Franz Ruhe und draußen ist es reichlich frisch. Und auf dem Tacho stehen die ersten 400 km dieser Reise.

Erste Etappe 

 

Sonntag, 13. April 2014

Wohnmobilstellplatz Forellenhof in DiebachWohnmobilstellplatz Forellenhof in DiebachAnouk beim MorgenspaziergangAnouk im Frühtau in DiebachUm 7 Uhr ist die Nacht im Blues-Mobil vorbei. Der Sodenberg grüßt unter einem wolkenlosen Himmel von der anderen Saaleseite zu uns herüber und wir machen mit den Mädels einen ordentlichen Morgenspaziergang, damit sie beweglich bleiben. Bei unserer Rückkehr hängen schon Brezen und Semmeln an Franzens Tür, weil sich Kalli wie kein anderer um seine Gäste kümmert.  

Nach dem Frühstück verlassen wir Kalli und den Forellenhof um 9:40 Uhr – in Richtung Norden, nach Fulda. Es führen unglaublich viele Wege an die Loire.

Der Himmel ist weiß-blau, als ob wir noch in Bayern und nicht in Hessen wären, und mit 15° ist es jahreszeitlich passend. Um 10:40 Uhr fahren wir auf den Parkplatz des Hotel Lenz in der Leipziger Straße; hier hat die Chefin einen unumgänglichen und wirklich wichtigen Termin der Landesgruppen-Vorsitzenden des Rassezuchtvereins. Loire oder Glorie, das ist hier die Frage, die sich zwar stellt, aber nur eine Antwort kennt. Während die Chefin sich mit ihrem Präsidenten und den anderen Landesfürsten den Kopf zerbricht, schreibt der Chef eine Eloge auf Anouks 13. Geburtstag und auf den 15. Jahrestag unserer Katzen und sonst noch ein paar vielleicht irgendwann einmal unsterbliche Zeilen, führt die Damen Gassi, von denen eine, nämlich die bockige weiße, aber Nullkommanull Bock hat und nur ein Ziel kennt: hinein ins Hotel zu Mutti. Dort durfte sie mit ihr den Vormittag verbringen und meint, auch nachmittags ein Anrecht auf dieses Privileg zu haben. Aber nix da, jetzt steht der Franz auf dem Programm, in dem es auch nicht langweiliger sein kann als unterm Konferenztisch.

Um 16:30 Uhr ist alles besprochen und eingetütet und wir machen uns auf den Weg. Jetzt stellt Franz die Nase erstmals in den Wind, der ziemlich heftig von Frankreich herüber bläst; wir legen Kurs Saarbrücken an, genauer Bexbach, östlich von Saarbrücken. Um 19:45 Uhr rollen wir in den Reisemobilhafen Bexbach (N 49° 20‘ 26‘‘ E 07° 15‘ 26‘‘). Der Platz ist für 35 Womos ausgelegt (jetzt sind acht besetzt), kann aber auf dem angrenzenden Messegelände bis auf 200 erweitert werden. Toiletten sind vorhanden, eine Servicestation 100 Meter entfernt. Der Stellplatz kostet 7,50 € plus 2,50 € für Strom, wenn man ihn braucht. Für Hundebesitzer ist viel Gegend und Wald Vorbereitungen für Anouks GeburtstagAnouks Geburtstagsgruß muss heute noch ins Internetdirekt um den Stellplatz herum – es gibt also nichts zu klagen. Wer Zeit hat, kann sich das um die Ecke liegende saarländische Bergbaumuseum anschauen oder eine Wanderung um den Bliesberg machen. Wir haben keine Zeit. Als wir ankommen, ist der Platzaufseher schon im Feierabend, aber Strom ist da, also alles in bester Ordnung. Wir gehen noch ein paar Meter, machen auch heute wieder eine Brotzeit und lassen den Tag bald ausklingen. Morgen geht es endlich hinüber über die Grenze, morgen beginnt unsere Osterreise. Morgen hat Anouk ihren 13. Geburtstag.

Und 730 Kilometer sind als Anlauf ganz schön großkotzig, oder?

 

2. Etappe der Osterreise

 

Montag, 14. April 2014

Heute ist Anouks 13. Geburtstag und wir haben die Absicht, ihr ein Schloss zu schenken.

Um 8:15 Uhr kommt der Stellplatzaufseher und kassiert unsere Schulden. Wer ein krummer Hund ist, reist nach 19:30 Uhr an und fährt vor 8:15 Uhr wieder ab. Solche Nassauer und Spesenritter gibt es auch unter Wohnmobilisten. Wir können uns die 10 € leisten, könnten wir es nicht, würden wir zuhause bleiben.

Anouk genießt den Morgenspaziergang in BexbachIhr habt doch hoffentlich meinen Geburtstag nicht vergessen...Erst gibt es einen schönen Spaziergang um den neben dem Stellplatz liegenden Sportflugplatz, dann wird gefrühstückt. Es ist windig, wolkig und hat nicht mehr als 6° C, eigentlich genau das Richtige, wenn man uns hier loswerden möchte. Wir verstehen den Wink mit dem Zaunpfahl und machen uns um 9 Uhr auf die Socken.

Für Anouks Geburtstagskuchen brauchen wir noch Hackfleisch, das muss noch besorgt werden. Außerdem schreit Franz nach Brennstoff, also wird er bei Jet für 1.34,9 € vollgetankt, bis er fast überläuft. Und während wir die Bedürfnisse unserer Liebsten befriedigen, wird das Wetter immer fremdenfeindlicher: dunkelgrau und garstig. Nichts wie weg hier.

Um 9:25 Uhr besteigen wir die A 6 nach Saarbrücken. Es schickt uns einen Schauer von Vorfreude über den Rücken, dass hier auch schon Paris ausgeschildert ist. Wir sind also goldrichtig. Um 9:45 Uhr betreten wir den Boden der Grande Nation. Um 12 Uhr wechseln wir von der A 6 auf die A 26. Um 12:45 Uhr lassen wir die Mädels auf dem Die Waffel als Willkommensgruß Rastplatz Aire de Charmont pinkeln, worauf sie auch gut hätten verzichten können; so eine Hundedamenblase nimmt es ja locker mit dem Fassungsvermögen eines Kamelhöckers auf. Dann geht es weiter auf der A 5 in Richtung Paris und um 13:45 Uhr über die A 19 in Richtung Orléans. Um 14:35 Uhr tanken wir am Rastplatz Aire de Loiret für 1.44,9 € nach und kaufen uns eine von diesen fetten französischen Waffeln die voller Hagelzuckerstücken sind. Spätestens jetzt sind wir angekommen, obwohl wir noch gar nicht da sind.

Um 15:10 Uhr biegen wir auf die A 10 in Richtung Bordeaux und stellen fest, dass auch französische Autobahnen richtig befahren sein können. Das nächste, was uns auffällt ist, dass es ziemlich warm geworden ist und wir gut daran tun, unsere Bexbacher Biberpelze abzustreifen. Der französische Himmel grüßt uns in blitzblankem Azur und lässt keine Zweifel, dass wir uns wieder Eine französische Autobahn, Montagmittag Eine französische Autobahn Montag mittags um 12 Uhreinmal richtig entschieden haben. Rapsfelder sind unsere ständigen BegleiterRapsfelder sind unsere ständigen BegleiterKurz darauf passieren wir Orléans, und die Autobahn in Richtung Süden und Toulouse trennt sich von uns als A 71, worauf mit einem Mal wieder Kuschelverkehr vorherrscht; jetzt geht es entspannt und zurückgelehnt hinein in die Sologne. Um 15:40 Uhr verlassen wir die A 10 bei Mer und werfen 76 € Péage in den Klingelbeutel von Monsieur Holland. Wir steuern das Chateau Chambord an und staunen nicht schlecht, als wir durch ein Tor in einen Park fahren, der uns fünf Kilometer lang bis zum Schloss eskortiert. Und dann taucht es plötzlich zwischen den Bäumen auf, das monströse Schloss Chambord, fast so unwirklich wie seinerzeit der Mont St. Michel aus den Wiesen der Bretagne gewachsen war. Der erste Eindruck ist: Neuschwanstein, nicht so hochfahrend und aufstrebend, eher ausladend schwülstig  wie einst die Reifröcke der Hofdamen. Die Zufahrt zum Bus- und Womo-Parkplatz ist so französisch, dass der deutsche Chauffeur fast ein Kriseninterventionsteam benötigt. Sie führt nämlich durch die PKW-Ausfahrt, also gegen den Strom. Für den normalen Reisenden steht hier das „Einfahrt verboten“-Schild, aber dem Reisemobilisten versichert ein darunter angebrachtes Zusatzschild, dass er genau dort hinein soll. Es beruhigt, dass man selbst in Parkplatz am Schloss Chambord Parkplatz mit Schlossblickeinem Dreieinhalbtonner sitzt und den gesamten Verkehrsraum ausfüllt, vermag sich aber nur schaudernd vorstellen, wie es einem PKW-Fahrer zumute sein muss, wenn er plötzlich einem solchen Gegenverkehr ausgesetzt ist. Und noch verwirrender ist die Vorstellung, wie das funktionieren soll, wenn hier wirklich Betrieb ist und die Kleinen raus wollen, aber von den Dicken nicht rausgelassen werden. Offenbar löst sich der Knoten aber doch immer wieder, sonst könnte der Platz jetzt nicht so gut wie leer sein. Um 16 Uhr kommen wir auf dem Stellplatz von Chambord an und stellen die Triebwerke ab (N 47° 36‘ 57‘‘ E 1° 30‘ 35‘‘ und für die, welche es ganz genau wissen wollen: 79 m über NN. So!). Das Tagesetmal betrug heute 610 km, noch nicht mal so viel wie die vereinspolitischen Irrwege im Vorfeld.

 Die drite Reiseetappe

Viel ist hier nicht los: ein paar Busse, einige Wohnmobile, touristisches Großaufkommen sieht anders aus, wird aber an Ostern vermutlich ausreichend groß aufkommen. Wir machen uns ohne Hunde zu einer Schlossbesichtigung auf, zahlen pro Nase 11 € Eintritt und 5 € für einen Audio-Guide (zusammen also 32 €) und Chateau ChambordChateau Chambordstürzen uns in die französische Feudalkultur des 16. Jahrhunderts. Der erste Eindruck ist jedoch der, dem man bei allen Kolossalbauten ausgeliefert ist: das Schloss ist eine Baustelle; einige Türme sind schamhaft verhüllt, die Parkanlage wird erneuert, Baugitter überall. Vielleicht ist Chambord ja auch nur ein Symbol für ganz Frankreich, alles ein bisschen morbide und reparaturbedürftig, aber nicht uncharmant, soviel muss man zugeben. Der Herr des Blues beschließt, in seinem nächsten Leben Restaurator zu werden. Solange die Welt voll von all diesem hinfälligen Erbe ist und Stadtarchive in U-Bahn-Schächten verschwinden, gibt es keinen krisensichereren Beruf.

Man weiß ja nie so recht, ob man angesichts einer solchen baulichen Gewalt in Ehrfurcht erstarren soll, was durchaus gerechtfertigt wäre, oder ob eher die Frage angebracht wäre, ob einer, der so etwas errichten ließ, noch alle Tassen im Schrank hatte. Als Bayer darf man das, denn der, der uns ein vergleichbares Erbe hinterließ, hatte sie tatsächlich nicht mehr alle in der Vitrine.

Um diese Frage abschließend zu beantworten, müsste man allerdings vorab klären, wann einer nicht mehr alle Tassen in der Kommode hat, und spätestens daran würden wir ihm Rahmen dieser Reisechronik scheitern. So wäre beispielsweise eine längere Reflexion darüber vonnöten, ob einer, der sich aus zutiefst verletztem Stolz eine Protzburg baut, gaga ist? Franz I, der Chateau Chambord zu verantworten hat, war so ein in seinem Stolz und seiner Selbstwahrnehmung Verletzter. Anlass für seinen Monumentalbau, der zweifellos der größte und protzigste Feudalbau Frankreichs ist und als Vorbild für Versailles gelten darf, ist die Demütigung, die ihm von Karl V um die Vorherrschaft in Europa widerfahren war. Weil er 1519 dem Habsburger bei der Wahl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches unterlegen war, wollte er es diesem mit Prunk und Protz heimzahlen; Frustbauen nennt man so etwas wohl, ähnlich einzustufen wie Frustshoppen. Wenn die Hormone und Gefühle aus dem Tritt sind, geht man mal eben ein paar Schuhe oder einen Aufsitzrasenmäher kaufen. Und wenn der Zalando-Bote vor der Tür steht, schreit man wieder vor Glück.

Bei Franz I lief es ähnlich wie bei unserem Bayern-Ludwig: ihm ging die Kohle aus. Um seine Söhne aus der spanischen Geiselhaft auszulösen, fehlte ihm das Kleingeld und vermutlich auch der Antrieb, die Kirchenschätze ließ er für sein Schloss allerdings plündern und das Silber seiner Untertanen einschmelzen - noch Chateau Chambord im AbendlichtChateau Chambord im Abendlicht mit dem zum Kanal gestauten Cossoneine Niederlage aus Mangel an Kleingeld wäre eine zu viel gewesen. Ja, er dachte sogar darüber nach, die Loire umleiten und durch seinen Park fließen zu lassen, doch da machten seine Bauleute nicht mehr mit, vor allem, weil die Natur ihrem Vergewaltiger standhaft vor Augen führte, wer hier am längeren Hebel sitzt. Deshalb überzeugten ihn seine Bauleiter, dass es genügen müsse, das Flüsschen Cosson umzuleiten, was dann auch geschah. 1537 war der Rohbau endlich fertig und 1539 ließ Franz es sich nicht nehmen, Kaiser Karl V in seine bescheidene Behausung einzuladen: Mein Schloss, mein Park, mein Fluss - und der Kaiser konstatierte ihm gönnerhaft: „Chambord ist der Inbegriff dessen, was menschliche Kunst hervorzubringen vermag“. Da wird Franz zufrieden gewesen sein, soll doch der alte Habsburger in seinen schimmligen Burgen Kaiser sein, er war der Erbauer und Besitzer des schönsten Schlosses seiner Zeit.

Mit 156 x 117 Metern muss sich das Anwesen tatsächlich vor keinem anderen verstecken, schon gar nicht, wenn man das Ambiente hinzuzieht, in das es gestellt wurde: in einen Park mit 5433 ha, größer als die Innenstadt von Paris und heute, nach der Übernahme des gesamten Ensembles durch den französischen Staat im Jahre 1932, der größte zusammenhängende Staatspark der Welt. Zusammengehalten wird der Park von einer 32 km langen Mauer. Wer sich für das Anwesen interessiert und ein paar Euro anzulegen gedenkt, sollte wissen, dass Frankreich seinerzeit 11 Millionen Francs dafür berappen musste. Ein Schnäppchen - das wird sich heute nicht mehr ausgehen.

Das Schloss hat 6 Türme und 440 Räume. Und weil es im 16 Jhd. ziemlich frisch war, gab es in fast allen Räumen eine Feuerstelle, genau genommen in 365, und demnach fast so viel Kamine. Diese Flut von Türmen und Kaminen gibt dem Schloss eine Art indischer Zuckerbäckeroptik, vor allem im abendlichen Gegenlicht.

Hauptattraktion des Schlosses ist die zentrale und acht Meter breite doppelläufige Wendeltreppe (Doppelhelix wie die DNA), auf der zwei Leute immer aneinander vorbei hoch und runter laufen, sich sehen, aber nie begegnen können. Diese Wendeltreppe ist aus zwei Gründen von besonderem Interesse, zum einen, weil so eine Treppe in der Fachsprache auch Wendelstein heißt und deswegen Menschen wie uns, die zuhause täglich einen unverstellten Blick auf den Wendelstein haben, wie eine Art Heimat anmutet, und zweitens, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass Die Doppelhelix von Schloss ChambordDie Wedeltreppe von Schloss Chamborddieser Wendelstein auf einen Entwurf von Leonardo da Vinci zurückgeht, was dem alten Tüftler durchaus zuzutrauen wäre. Gebaut hat er den Wendelstein aber sicher nicht, weil er bereits 1519 sein Leben aushauchte. Wir haben, wie auch immer seine Mittäterschaft einzuordnen ist, Leonardos Geniestreich gehuldigt, sind jeder auf seinem Wendel hoch und wieder runter, haben uns durch die Fenster gegenseitig fotografiert – ja, was soll man sonst machen? Der große Rest ist, wie man sich so ein Gemäuer vorstellt: große kalte, nicht zum Happy-Hour-Kuscheln einladende Räume, voller Plüsch und Plunder. Einige Räume beherbergen Ausstellungen, damit sie wenigstens für irgendetwas nütze sind. Erwähnenswert ist eigentlich nur noch die Kutschensammlung, die vermutlich unseren bayerischen Märchenkönig vor Neid hätte platzen lassen.

 Anouk vor ihrem GeburtstagsgeschenkAnouk vor ihrem GeburtstagsgeschenkAbendspaziergang um den gestauten CossonAbendspaziergang um den gestauten CossonNach knapp zwei Stunden sind wir von unserer Schlosstour zurück bei unseren Mädels und lassen sie nun hinaus in die feudale Parkanlage von Chateau Chambord. Jetzt schenken wir Anouk zum Geburtstag ihr Schloss und anschließend unternehmen wir einen Spaziergang um den nach Osten gerichteten Kanal, der nichts anderes ist als eine Art Krampfader des umgeleiteten Cosson. Die Touristen sind größtenteils schon in ihre Unterkünfte verschwunden, und so hatten wir die ganze Anlage fast für uns alleine. Als wir kurz vor halb acht wieder beim Womili Franz sind, haben wir trotz der rund 4,5 km, die wir zurücklegten und die unsere Geburtstags-Anouk Rund um den CossonKöniglicher Schwimmteichohne Murren abspulte, nur einen winzigen Teil der 700 öffentlich zugänglichen Hektar in Augenschein nehmen können. Die restlichen rund 4700 ha sind dem alten Vorrecht der Herrschaften vorbehalten, der Jagd, und der ist auch ein sozialistischer Schmalspurkönig nicht abhold; wäre auch noch schöner, wenn man sich seine Wildsau zum Abendbrot nicht selber schießen dürfte, nur weil man das falsche Parteibuch hat. Unseretwegen soll Monsieur Holland hier durch den Staatspark ballern, solange er will, aber er soll halt dabei nicht vergessen, dass er den Franzosen auch noch ein bisschen Regieren schuldig ist. Derzeit sieht es so aus, als ob die Franzosen ihren Präse überwiegend auf der Jagd vermuten.

Anouks GeburtstagsmahlAnouks GeburtstagsmahlNun bekommt Anouk auf dem Schlossparkplatz ihr Geburtstagsmenü: Rinderhack mit Reis und Lammsticks. Die Kinder aus dem Nachbarbus lassen sich das Ereignis nicht entgehen und sind komplett hypnotisiert von der alten Dame und ihrer jungen Comtesse noire, die sich mit Schmacht und Eifer über den Geburtstagskuchen hermachen. Wie fahrende Postillione pendeln sie mit ihren Fahrrädern zwischen uns und ihrem Bus, um ihren Eltern diesen historischen Moment zu reportieren („Maman, elle est treize!“). Oui, oui, treize und sehr verfresse!

 Nach dem alten Brauch der fahrenden Völker: erst das Pferd und dann der Mensch, nehmen wir nun unser herrschaftliches Mahl stilsicher vor der Kulisse Chambords ein: Hirschgulasch aus der Dose und Spätzle, alles als Notration von zuhause mitgebracht. Wildschweingulasch haben wir übrigens auch noch in der Kombüse. Der Reisende von Welt hat immer das Passende im Schapp.

Und so träumen wir dann am 14. April, Anouks 13. Geburtstag, auf dem Parkplatz von Chateau Chambord in die Nacht hinein, die allerdings nicht kommen will, weil es hier um 21 Uhr immer noch hell ist. Es ist, als ob uns der Sonnenkönig an unserem eigenen Leib beweisen wollte, dass in seinem Reich die Sonne nicht untergeht, dabei war es ja Karl V, der das gesagt haben soll, also jener, der für das Ganze hier indirekt verantwortlich ist, aber noch nicht einmal dieses Zitat ist wahr. Mit den Sonnenuntergängen und den echten und eingebildeten Sonnenkönigen ist das halt so eine Sache. Jetzt probiert sich sogar unsere Aigner Ilse an dem Sujet, allerdings unter dem Motto: In meinem Reich geht die Sonne, wenn es nach mir geht, früher unter. Aber was heißt das schon, egal, wann die Mangfall-Ilse (ja, sie stammt aus unserer Gemeinde und gehört immer noch hierher) bei uns das Licht ausknipsen will, in Frankreich geht es definitiv später aus, also: die Sonne später unter, da kann die Ilse machen, was sie will. Aber wenn man demnächst Sonnenkönigin von Bayern werden will, aber nichts zu sagen hat, weil die Gnade der Allwissenheit der Horst aus Ingolstadt in sich trägt und das alleinige Rederecht beim Söder Markus aus Franken (etwa gar jenes Franken, wo die Sonne später untergeht?) liegt, bleibt der Dirndl-Ilse nur, sich etwas Aigenes zu suchen, das ihr kein Horst und kein Markus streitig machen kann. Und da ist sie auf die Sommerzeit gekommen, die Ilse, weil sie will, dass in Europa die Lichter früher ausgehen sollen. Das ist zwar nicht nett von ihr, aber typisch für frustrierte Frauen, die schon bei Loriot einen Jodelkurs belegten, um, wie sie zu Protokoll gaben, etwas Eigenes zu haben. Was haben wir dabei gelernt? „Dö dudel dö ist zweites Futur bei Sonnenaufgang“ … demnach müsste „Ilse, du Dödel du“ das Konditional bei Sonnenuntergang sein. Ach, wisst ihr was? Ihr könnt uns - - überhaupt nicht, schon gar nicht bei Sonnenuntergang im Loire-Tal mit einem Zuckerbäckerschloss vor der Nase.

Um 23 Uhr machen wir das Licht aus, viel später als es Ilse erlauben will. Aber jetzt ist es auch wirklich dunkel. Gute Nacht … denk ich an Bayern in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Das ist angewandter Heine, nicht Heino. Chamborrrr….

 

Dienstag, 15. April 2014

Um 7:15 Uhr steigen wir aus den Federn; draußen ist es bei frischen 7° C wolkenlos. So ein Tag, so wunderschön wie heute …

Fiannas Morgenfährte am Chateau ChambordFiannas Morgenfährte am Chateau
Chambord
Doch die Chefin denkt nicht an ‚Dolce far niente‘, sondern an ‚Dolce fährt royal‘, kurz: Fianna muss vor dem Frühstück Fährte suchen gehen, und zwar auf herrschaftlichem Grund und Boden. Die Schlossanlage ist nahezu menschenleer, also drängt es sich förmlich auf, eine royale Fährte im Angesicht des Schlosses zu legen, zumal die sich zwar vor dem Hintergrund imposant gibt, aber in wahrheit noch viel imposanter ist, weil auf diesen Rasenflächen gestern jede Menge Leute und Hunde herumgelungert sind und –gelagert haben; da wird Fiannas feines Näschen auf eine feine Probe gestellt. Und sie löst diese königliche Herausforderung mit Bravour und feudaler Noblesse! Wie ein Uhrwerk schnürt sie konzentriert wie ein Ameisenbär über den Rasen und lässt sich nichts, aber überhaupt nichts nachsagen. Geil! Oooops… 

Im Anschluss drehen wir nur noch eine kleine Runde im Park: Fianna wurde schon ordentlich gefordert und Anouk braucht heute nicht mehr; ihre alten Knochen haben nach dem gestrigen Rundgang etwas Regeneration mehr als verdient.

Zurück beim Womo bereiten wir das Frühstück vor, bis der finanzsensiblen Chefin in den Sinn kommt, dass um 9 Uhr, so meint sie es gelesen zu haben, die Parkgebühren für diesen Tag fällig werden. Wir wollen aber nicht länger bleiben, sondern nach dem Frühstück weiter. Jetzt wird’s psychologisch! Während der Chef mit fliegenden Händen alles wieder verräumt und den Franz in Fahrbereitschaft versetzt, sprintet die Finanzbeauftragte über den ganzen Parkplatz und um mehrere Ecken zum Zahlautomaten, wird in Windeseile 17 € los (7 für die Nacht und 10 für den kleinen Rest des gestrigen Tages), was man getrost fürstlich nennen darf, kommt zurück gespurtet, stürzt sich asthmatisch hechelnd in den schon in Bewegung befindlichen Franz – und um zwei Minuten vor neun Uhr schließt sich die Schranke wieder hinter uns. Geschafft! Man stelle sich nur vor, welche Kosten uns Dirndl-Ilses Zeit- und Sonnenmanagement verursacht hätte. Wir säßen, weil es auf unseren bayerisch genormten Uhren noch acht Uhr wäre, gemütlich bei Kaffee und Croissant, während ein paar zig Meter weiter der welsche Zahl-O-Mat hämisch in sich hinein kichert: Geschieht ihnen recht, den bajuwarischen Zeitseparatisten!

Wir fahren die Zufahrtsallee Richtung Norden, von wo wir gestern gekommen waren, zurück und packen uns mitten im Staatsforst auf einen der zahlreichen Parkplätze, um jetzt, frei aller Sorgen, unser Frühstück einzunehmen. Als wir schon wieder zusammenpacken und abreisen wollen, teilt uns ein älteres Ehepaar, das mit Ferngläsern ausgerüstet aus dem Wald kommt, mit, dass nur ein paar Meter in den Forst hinein ein Wildbeobachtungsposten sei und wir dort ein paar prächtige Hirschkühe beobachten könnten. Also, nichts wie hin, Hunde müssen auch mit, weil es nie schaden kann, Fianna wildfest zu machen. Anouk hat für so ein Schauspiel schon längst keine Rezeptoren mehr, spätestens seit sie vor Jahren die ultimative Erkenntnis gewonnen hatte, dass sie in der Vergangenheit und der Gegenwart jedes Laufduell mit diesen Kreaturen verloren hat und sich dies in Zukunft sicher nicht zu ihren Gunsten wenden wird. Seither interessiert sie sich für keine Sau oder jede andere Sorte Wild mehr, außer Eichhörnchen, wenn man die zum Wild zählen darf, was jedoch jeder Logik entbehrt, weil sie auch diese Luftakrobaten nie zu fassen bekam, sich aber von ihnen bis zum heutigen Tag in schiere Hysterie versetzen lässt. Vielleicht lässt sie der gütige Herr (gemeint ist nicht der Chronist!) ja einmal, ein einziges Mal, vor ihrem Ableben abheben. Vielleicht – die Hoffnung stirbt zuletzt.

Hirschkühe im Staatsforst von ChambordHirschkühe im Staatsforst von ChambordJetzt aber stapft sie mit uns gelangweilt die Stufen zur riesigen Aussichtsplattform hoch, lässt sich auf den Boden plumpsen und döst sofort in ihre Alterswurstigkeit hinein. Draußen, allerdings weit draußen, auf der Lichtung sehen wir tatsächlich einige Hirschkühe, Mordsdinger, die sich von uns nicht bei ihrem Frühstück stören lassen. Fianna zeigen wir die Kühe auch, aber sie sind ihr entschieden zu weit weg, als dass deren Anblick ihr junges Blut in Wallung brächte. So stehen wir also und beobachten ein paar französische Hirschkühe, die vielleicht schon morgen auf Monsieur Hollandes Silbertellerchen landen. Mon dieu!

Um 10:45 Uhr sagen wir den Hirschkühen adieu und brechen auf. Wer hierher kommt und auch ein bisschen Wildgucken möchte, kann sich an den vor den Parkplätzen aufgestellten Infotafeln orientieren: die mit einem Hochstand drauf weisen auf einen Beobachtungsposten hin, nicht auf einen Schießstand oder die Zonengrenze. Alte Hirne bewahren ja gerne verschrullte Verknüpfungen.

Wir haben heute keine großen Pläne. Da wir in den nächsten Tagen noch ein paar in der Gegend liegende Schlösser besichtigen wollen, hatten wir beschlossen, uns in Bracieux, Luftlinie etwa acht Kilometer südlich von Chambord, niederzulassen. Erst wollen wir jedoch nach Mer, um dort bei Intermarché unsere Vorräte aufzufüllen. Also fahren wir die Allee weiter nach Norden, überqueren die Loire und wühlen uns durch Mer. Der Supermarkt liegt allerdings so zentral, dass wir keine Parkmöglichkeit finden. Aber wo es einen Intermarché gibt, ist Super-U nicht weit. Dort bietet man Franz und uns reichlich Platz, um uns mit vielen leckeren Schweinereien einzudecken. Dann tanken wir noch für 1.27,9 € und schaukeln wieder zurück über die Loire gen Süden, durch die Zufahrtsallee zum Schloss, an diesem vorbei, eine weitere prächtige Allee nach Süden und nach Bracieux. Dort rollen wir um 12:45 Uhr auf die Warteposition des Camping Indigo Les Chateaux (N 47° 33‘ 02‘‘ E 1° 32‘ 18‘‘). Wir hatten schon auf unserer Normandiefahrt gute Erfahrungen mit der Indigo-Kette gemacht, also haben wir beschlossen, hier unser Basislager für die Schlösserrunde aufzuschlagen.

Der Platz ist erst wieder ab 13:30 Uhr geöffnet. Wir nutzen die Gelegenheit, einen Rundgang zu machen und uns einen Eindruck zu verschaffen. Wir zählen zwei Gäste, und offensichtlich ist die Anlage erst ganz frisch aus dem Winterschlaf geholt worden; die meisten Stellflächen haben noch einen savannenartigen Bewuchs und überall sind die Helferlein eifrig dabei, diesen für den Osteransturm zurechtzustutzen. Uns ist das sehr recht hier. Wir gucken uns ein passendes Plätzchen aus - und die Chefin legt sich, erschöpft von der langen Reise (32 km!) mit ihren Mädels aufs Ohr. Der Chef erkundet derweil den Ort, was von hier aus zu Fuß nur ein Katzensprung ist. Es gilt, ein veritables Restaurant ausfindig zu machen, schließlich wollen wir uns nicht schon heute Abend an den Wildschweinvorräten vergreifen.

Um 14 Uhr checken wir dann ein. Anschließend lassen wir Wasser und Klo ab, tanken noch Frischwasser und machen auf dem Stellplatz Nr. 31 fest. Wir sind bereit für die Schlössertour. 

Nachmittagsruhe am Indigo-Camping in BracieuxNachmittagsruhe am Indigo-Camping in Bracieux

Den Nachmittag verbringen wir mit Kaffee und Planungsversuchen über den Reisefortgang. Ersteres fließt geschmeidig in uns hinein, letzteres will nicht so recht vorankommen. Wir verschieben die Planung also nach hinten, dafür empfiehlt die Reiseleiterin, der Chauffeur solle schon mal mit dem Schreiben der Chronik beginnen, weil das sonst wieder so ewig lange dauert. So sieht also ein beschaulicher Nachmittag im Schatten der Loireschlösser aus.

Für die ausgleichende Gerechtigkeit sorgt dann Fianna mit einem zünftigen Durchfall (wahrscheinlich hat sie sich gestern zu sehr an Anouks Geburtstagsmahl vergriffen), weil jetzt die Delegationsmeisterin aufs Rad steigen und in den Ort fahren muss, um Hühnchen zu kaufen – der Chronist kann ja nicht, der muss den Vorgang umgehend oder zeitnah, wie das heutzutage heißt, protokollieren, damit dieser nicht in Vergessenheit gerät.

Das Huhn wird anschließend ebenso zeitnah zusammen mit Reis verarbeitet und die Damen stürzen sich mit Heißhunger und Schmackes drauf.

Unser Menü im Rendez-vous des GourmetsDer Wein im Rendez-vous des GourmetsUm 19:15 Uhr machen wir uns auf den sehr kurzen Weg zum Restaurant „Le Rendez-Vous des Gourmets“. Gediegen sieht es nicht nur von außen aus, wie es der Chef nachmittags auf seiner Erkundungstour vorgefunden hat, sondern gediegen und freundlich ist auch sein Inneres und Personal. Der Eindruck täuscht also nicht; jetzt muss nur noch die Küche das große Versprechen einlösen. Wir bestellen uns eines der Menüs und sind jetzt schon sicher, dass wir nicht enttäuscht würden. Und genau so kommt es: ein Feuerwerk für den Gaumen - in einer Kleinstadt mit gut 1200 Einwohnern.

Für das gesamte Gaumenfeuerwerk berappen wir 39 € pro Gaumen und für den Weißwein nochmal 19 €; die Flasche Wasser bläht die Rechnung bei weitem nicht so wie die Bäuche. Jeden Euro war die Schlemmerei wert.

Um 21:45 Uhr sind wir zurück bei unseren Hostessen und beschließen einen schönen Tag um die 17° C. Uns fällt einfach nichts ein, was dieses Abendmahl übertreffen könnte und legen uns um 22 Uhr in die Koje.

Tagesstrecke am 15. April

 

Mittwoch, 16. April 2014

Um Viertel nach acht grüßt uns ein wolkenloser Himmel durch die Dachluke und lässt uns wissen, dass es höchste Zeit sei, dem Tag seine Aufwartung zu machen. Bei 6° C vor der Tür neigt man aber doch dazu, sich die Decken noch einmal über die Köpfe zu ziehen. Nein, kommt nicht in Frage, wir machen eben ein bisschen Feuer. Während die Chefin mit den Mädels loszieht, um Frühstück zu besorgen, kümmert sich der Chef um seine Körperpflege und lässt eine solche auch dem Franz angedeihen; an einem solch frischen Tag müssen sie doch frisch duften, der Herr und sein Franz.

Um 9:15 Uhr gibt es Frühstück, bei dem wir Anouk schonend beibringen, dass sie heute mal eine Runde aussetzen und den Franz hüten muss. Wo soll’s hingehen, will sie wissen? Wir sagen: Chateau Beauregard. Mit dem Fahrrad. Da zuckt sie mit den Schultern und murmelt etwas wie: selber schuld. Damit wäre das auch besprochen.

Wir holen die Räder von Franzens Steiß, nehmen Fianna an die Leine und ziehen los. Als Wegweiser benutzen wir das Handy der Chefin, das der Chef die ganze Fahrt über in der Hand halten muss, bis ihm fast die Schultern abfaulen wegen der unkomfortablen Körperhaltung. Aber die Chefin verweist darauf, dass sie ja schon den kleinen Flitzer an der Leine führen müsse. Für die nächste Poitouesel auf dem Weg zu Schloss BeauregardFreundliche Gesellschaft Stille Landschaften im LoiretalStille Landschaften im LoiretalTour gibt es ein Fahrradnavi mit Halterung, soviel steht für den Chefnavigator fest. Der Modus wird auf ‚Fußgänger‘ gestellt, damit wir nicht über die Hauptverkehrswege zum Schloss gelotst werden, sondern die stillen Straßen durchs Hinterland angeboten bekommen. Und das funktioniert prima. Fianna läuft wie ein Uhrwerk neben ihrer Chefin her, immer so im 10-km-Schnitt, unverdrossen und wie es scheint, mit Eifer und viel Spaß. Nach etwa 15 km durch eine bezaubernde Landschaft stehen wir vor dem Tor von Schloss Beauregard – und vor einem Kassenhäuschen, das neben einem schmiedeeisernen Tor in die Umfassungsmauer Schloss BeauregardSchloss Beauregardeingelassen ist. ‚Entrée libre sauf jardin et chateau‘ (Eintritt frei, außer Garten und Schloss) steht da. Ja, was nun? Freier Eintritt oder nicht? Was gäbe es denn anderes als den Garten und das Schloss zu betreten? Außer einer Mauer, auf die auch keine Leiter oder Treppe hinaufführt, um auf ihr zu flanieren, sehen wir nichts als ein Kartenhäuschen, das man betreten könnte. Alles andere kostet 9 € pro Nase. Die spinnen, die Gallier! Bei Chambord ist die gesamte Anlage zugänglich und hier sollen wir 9 € nur für den Garten berappen? Die Gemäuer sind ja meist sowieso eins wie das andere: ausgelatschte Steinböden, mottenfraßige Gobelins, muffige Himmelbetten und großformatige Ahnengalerien an den Wänden. Eins wie das andere. Nur die Optik von außen unterscheidet sie maßgeblich und eventuell die Gartenanlagen. Eigentlich wollen die uns hier sagen: Anfahrt frei. Ein Blick zur schwäbischen Beutelklemmerin und der Entschluss steht fest: nix da! Schaut, dass ihr euren Laden in Griff kriegt, aber holt euch die Kohle nicht von uns. Wir fühlen uns nicht berufen, den französischen Staatshaushalt zu finanzieren. Also satteln wir nach einer kleinen Pause wieder auf, und fahren denselben Weg zurück, weil wir uns auch den Abstecher zum nur knapp sieben Kilometer entfernt liegenden Schloss Cheverny verkneifen; der Prospekt aus der Camping-Rezeption verheißt nämlich dasselbe: ‚Entrée libre sauf jardin et chateau‘. Wir schreiben in unseren Prospekt: Entrée libre sauf la chef, le chauffeur et leur chien. 36 € für zwei Schlossgärten! Das sind 72 Mark für immer die gleichen Blumenrabatten. Wir sind doch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert.

Mit dem Rad zum Schloss Beauregard und zurück

Fianna nach ihrer RadtourFianna nach ihrer Radtour - nicht im Koma, aber rechtschaffen müdeUm 14:30 Uhr sind wir zurück in Bracieux und beantragen auf diesem Wege schon mal für Fianna die Urkunde für eineinhalb bestandene Ausdauerprüfungen; schließlich ist sie stramme 31 km neben uns her gestrampelt und wirkt nicht, als ob sie sofort ins Koma fallen wollte. Tolles Kind, wir sind bollestolz auf dich!

Mandelcroissant & Petit FourMandelcroissant & Petit FourJetzt haben wir uns aber einen Kaffee mit Mandelcroissant und Petit Fours mehr als verdient, und auch Fianna bekommt einen Snack zur Stärkung, ja, auch Anouk wird nicht vergessen, schließlich hat sie ihren Franz männiglich bewacht. Mit geschlossenen Augen vermutlich, aber wie sie unsere Habe verteidigt, überlassen wir ihr, Hauptsache es fehlt nichts. 

 Um 17:15 Uhr machen wir uns auf, ein paar Kleinigkeiten für die Abendspeisung zu besorgen; das Restaurant gestern war zwar bestechend, aber jeden Tag haben wir das auch nicht vor, obwohl natürlich jeder Euro in ein gelungenes Menü besser angelegt ist als der für die Besichtigung einer schimmeligen Feudalistenherberge.

Auf dem Weg in den Ort machen wir einen Stopp beim Chocolatier Max Vauché, der seine Manufaktur direkt neben dem Campingplatz hat. Was wir dort sehen und verkosten ist aller Ehren wert, wessen man sich dort auch bewusst ist. Die Preise sind dementsprechend auch aller Ehren wert, und da fällt es uns nicht schwer, die Fahnen unseres heimischen Chocolatiers Dengel, der nur fünf Autominuten vom Blues entfernt residiert, hoch zu halten. Als Mitbringsel sind die vauché‘schen Kunstwerke leider auch nicht geeignet; wer weiß schon, was aus einem gallischen Hahn in Schoko mit Goldpailletten wird, wenn er zwei Wochen in der Arche Franz um sein Überleben kämpfen muss?

Porthos, Musketier des KönigsPorthos, Baron de Bracieux, Muscetier du RoiEinen Toast bringen wir noch auf Porthos, den trinkfestesten Musketier des Königs aus, an den eine Kupferskulptur vor der Schokoladerei erinnert. Porthos war auch Baron von Bracieux, jedoch ist er nicht so sehr als Schokobubi denn als standfester und raubeiniger Trinker bekannt. Wie der aus Pau stammende Isaac de Portau (1617 – 1670) zum Baron von Bracieux wurde, erschließt sich aus Dumas Weltseller nicht so recht. Aber Geschichte besteht eben auch aus Geschichten und Geschichten schreiben Geschichte. Wir empfinden den Gesellen hier als charmante und überraschende Bereicherung unserer Reise; es bestätigt sich eben immer wieder: Reisen bildet und Stubenhocker erliegen der Einbildung.

Ein Kostverächter war Porthos, wie wir wissen, jedenfalls nicht, eher allen Genüssen zugewandt, ob er jedoch etwas für gebratene Gésiers de Canard übrig hatte, bleibt für uns im Dunkeln der Geschichte(n). Gésiers de Canard sind Entenmägen, Gekröse hat man so etwas früher genannt und vermutlich haben die Begriffe Gésiers und Gekröse einen gemeinsamen Stammvater, was uns aber nicht weiter beschäftigen soll. Für den, der‘s mag, gibt es nicht viel darüber. Sie und den dazugehörigen Salat gilt es nun zu besorgen. Zurück beim Franz werden sie dann im eigenen Fett heraus gebraten und über den Salat gegeben. Salat mit Honig-Senf-Dressing und darüber gebratene Entenmägen – Herr, lass Enten regnen, dass uns der Segen nicht versiegt! Franzens Kombüse ist von der Braterei eine einzige Fetthöhle, die Sabberlätze triefen und die Mäuler schlubbern. Der Himmel weiß, warum der Herr am liebsten in Frankreich speist.

Den Abend beschließt das DFB-Pokalspiel Bayern München – 1. FC Kaiserslautern; so kommt der Fernseher auch mal zum Einsatz, der schon gar nicht mehr weiß, ob er noch alle Dioden im Display hat. Aber so ein Gekicke kann einfach gegen ein ordentliches Geseire nicht anstinken; die Höhepunkte dieses angenehm warmen (18° C) und etwas windigen Tages bleiben demnach Fiannas Marathonleistung und die Entenmägen. Wer wissen will, wie das Spiel ausgegangen ist, soll sich woanders schlau machen, wir haben es schon wieder vergessen.

 

Donnerstag, 17. April 2014 

Um acht Uhr zieht die Chefin mit acht Begleitbeinen los, um Frühstück zu besorgen und der Chef bereitet alles für einen würdigen Start in den Tag vor, der uns mit einem makellos blauen Frühlingshimmel begrüßt.

Um 8:45 Uhr wird gefrühstückt, danach bekommt der Franz seinen Reiseservice und um 10 Uhr verlassen wir Camping Indigo Les Chateaux, den wir in guter Erinnerung behalten werden: nettes Personal, großzügige Anlage, saubere und gepflegte Sanitäranlagen und der Ort vor der Haustür. Und auf Armlänge ein Dutzend Loireschlösser. Was will man mehr? Für das alles zahlen wir 24,10 € pro Tag. Um 10 Uhr ist Abreise.

Chateau ChevernyChateau Cheverny - durchs SchlüssellochWir fahren nach Südwesten. Erster Pflichtstopp ist um 10:40 Uhr das gestern verschmähte Chateau de Cheverny, das auf unserer Strecke liegt. Unsere Zurückhaltung wird hier bestätigt: 9,50 € Eintritt, wie bei Beauregard, für Garten und Schloss. Wir treten nicht ein und auch nicht bei, aber die Chefin findet ein Tor, das so viel Bodenfreiheit gewährt, dass man am Bauch liegend einen Schnapp schießen kann. Das tut sie und wir wissen nun auch, wie Cheverny von außen aussieht. Klar, man kann so etwas auch googeln, aber schlagen Sie mal Monsieur Holland vor, er könne sich doch seine Wildsau auch im Wildfachhandel kaufen. Ein bisschen Jagdleidenschaft darf schon sein, sonst kann man ja gleich zuhause bleiben und sich die Reise im Internet nachstellen.

Zehn Minuten später sind wir schon wieder auf dem Weg nach Amboise zum Chateau d’Amboise, einem der bedeutendsten Loireschlösser aus dem 15. Und 16. Jahrhundert. Nur eine knappe Stunde ist es dorthin - und dort steppt der Bär. Bisher war alles recht beschaulich: Chambord ein Hort der Stille, Beauregard und Cheverny, auch wenn wir ihnen nicht unsere Huld entgegen brachten, fern jeden Touristenrummels, und nun das. Menschenmengen drücken sich durch enge Gassen, Autocorsos durch enge Straßen und die Suche nach einem für den Franz geeigneten Rastplatz scheint zwar nicht aussichtslos, aber zumindest sehr zeitraubend. Da auch für Amboise gilt: 10,70 € für den Zugang, kommen wir ins Schwanken, ob wir uns den Rummel und Preis hier antun wollen, wenn uns dann so eine Art Neuschwanstein Reloaded erwartet. Natürlich adelt es eine Reise, wenn man am Grab Leonardo da Vincis stehen kann, der hier seine letzten Jahre verbrachte und auch hier verstarb. Nur: das Grab, vor dem man steht, ist halt leer, weil seine sterblichen Überreste bei der Renovierung des zugehörigen Klosters und der Kirche St. Florentin im 19 Jhd. verloren gingen und nicht wieder auftauchten. Da kann man sich ja gleich an den Starnberger See stellen und erhabene Gefühle bekommen, nur weil der Märchenkönig dort ertrunken sein soll.

Wir kreiseln etwas unschlüssig und kreiseln uns langsam, aber vermutlich nicht völlig unbeabsichtigt aus dem Auge des touristischen Orkans hinaus, bis wir abdriften und uns auf dem direkten Weg nach Chateau Chenonceau wiederfinden. Wir nehmen uns fest vor, Leonardo ein andermal unsere Aufwartung zu machen, wenn wir ihm persönlich und ungestört unsere Huldigungen entgegenbringen können. So durchgeschleust zu werden ist dem Denkmal des Genies unwürdig, wie wir es in Hanoi unwürdig fanden, in 30 Sekunden an der Balsamleiche Ho Chi Minhs vorbei getrieben zu werden. Dort gehört es zum Programm und Ritual (wahrscheinlich, dass man nicht sehen kann, wie heruntergekommen der Alte inzwischen ist; fotografieren ist sowieso verboten), aber auf Chateau d’Amboise wird sich eine Gelegenheit finden, Leonardo würdig zu begegnen.

Jetzt also in südliche Richtung zum Chateau Chenonceau. Die Fahrt durch diese Gegend im Zentrum Frankreichs, wir befinden uns ja tatsächlich im Département Indre-et-Loire der Region Centre, ist ein beständiges Gleiten durch Laubwälder im lichten Frühlingskleid. Die Luft scheint zu prickeln wie eine Minzbowle und eigentlich kann man hier gar nicht schwermütig sein. Nadelbäume haben es hier so schwer und sind so selten wie ein Taliban in einer katholischen Bischofskonferenz. Leider sind die Entfernungen zwischen den Schlössern nicht groß genug, um ins schwerelose Gleiten zu kommen, um 12:20 Uhr sind wir schon am Schloss Chenonceau, mehr oder weniger wild entschlossen, uns nicht mehr von Zutrittsgebühren abschrecken zu lassen.

Chateau ChenonceauChateau Chenonceau mit dem Tour des MarquesDas Wasserschloss wird bereits im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt und ist mit 800.000 Besuchern jährlich nach Versailles das meistbesuchte Schloss Frankreichs. Vielleicht ist es ja deshalb so attraktiv, weil es nicht ohne Grund Chateau des Dames genannt wird, da seine gesamte Geschichte überwiegend von Frauen geschrieben wurde, Frauen wie Diane de Poitiers und Katharina von Medici, die das Schloss über die Jahrhunderte gestaltet haben und ihm seinen besonderen Reiz verschafften. Es ist von allen Loireschlössern sicherlich das originellste. Aber wie durch ein Wunder ist der Touristen-Tsunami noch nicht die zwölf Kilometer von Amboise hierher geschwappt. Der Parkplatz ist zwar gut besucht, aber weit davon entfernt voll zu sein. Wir nehmen unsere Mädels an die Leine und flanieren durch die Parkanlage zum Besucherzentrum. Jetzt fordert der Steuereintreiber, als wollte er sich für unsere Knausrigkeit schadlos halten, schon 12,50 €. Und diesmal spielen wir mit, zahlen die 25 € und wandeln wohlbeschattet durch uralten Baumbestand zum Schloss. Abwechselnd bleibt einer bei den Hundedamen, während der andere, je nach Neigung, das Innenleben des Schlosses beschnüffelt. Führung machen wir den Umständen entsprechend keine, noch nicht mal eine Audio-Führung, weil unsere Damen wenig Interesse an Katharinas berühmter Galerie signalisieren und die Hüter des nationalen Erbes keine Hunde im Schloss dulden. Ja, kann man verstehen, selbst wenn wir glaubhaft versichern könnten, dass wir nur Hündinnen mitführen, die kein Bedürfnis verspüren, an jeden Keramikkachelofen zu pinkeln. Chateau ChenonceauChateau Chenonceau mit der Galerie der Katharina von Medici über dem CherDer Garten der Katharina von MediciDer Garten der Katharina von MediciNach unseren Innenbesuchen machen wir noch einen Spaziergang durch die beiden Gärten der Diane de Poitiers und Katharina von Medici, die diese anlegen ließen, hinunter zum Fluss Cher, welcher nicht der Namensgeber der gleichnamigen amerikanischen Sängerin ist, dafür von Katharinas prächtiger Galerie überspannt wird. Dieses Schloss hat schon etwas ganz Besonderes, obwohl es in seinen Ausmaßen im Vergleich zu Chambord geradezu bescheiden wirkt. Deswegen reuen uns die 25 € auch nicht, zumal ein azurblauer Himmel die ganze Szene royal veredelt.

Um 14 Uhr verlassen wir das Schloss der Damen wieder und ziehen weiter nach Azay-le-Rideau, wo ein weiteres Wasserschloss aus der Renaissancezeit auf uns wartet. Um 15 Uhr sind wir dort, und Tom, unser Reiseleiter, hat offenbar die Nase von der Schlösser-Rallye so voll, dass er uns aus Protest in eine quietschenge Sackgasse lotst; bis wir merken, was der vorhat, stecken wir schon fest. Da steckt der Franz mit seinem lebenden aber ziemlich blutentleerten Humankapital nebst lakonischem Canidenpack fest wie der Korken in der Flasche. Der Chauffeur bekommt noch heute Nackenschmerzen und Schulterreißen, wenn er daran denkt, wie er unter Verrenkungen und Verdrehungen seines alternden Leibes den Franz wieder aus der Falle bugsierte und schließlich, ohne Schäden hinterlassen zu haben, endlich auf einem nicht allzu üppigen Parkplatz, mehr als der Temperatur angemessen transpirierend, das Triebwerk ausstellt. Jetzt hat der Tom sein Leben verwirkt! Wir haben ihm die Kündigung häufig genug angedroht, jetzt hat er überreizt. Wir müssen uns leider trennen – zuhause, noch ist er unverzichtbar. Aber dann…

Chateau Azay-le-RideauChateau Azay-le-Rideau - eine große BaustelleWir lassen die Mädels im Womo und machen uns auf den Weg zum Schloss. Hier ist der Tarif wieder auf 8,50 € gesunken, eigentlich schon fast ein Schnäppchen, wenn das Ambiente nur dem Tarif entsprechen würde: überall Baustellen und Bauzäune, Dreckhäufen und Baufahrzeuge. Man weiß gar nicht, ob man hier auf historischem Boden oder in einem Kirmeslabyrinth steht. Die Zahl der Besucher ist dementsprechend spärlich. Wir sind offensichtlich nicht die einzigen, die dem Schlösschen umgehend die kalte Schulter zeigen und so schnell wieder zurück beim Franz sind, dass die erschöpften Damen noch nicht einmal eingeschlafen waren. Wer traurig ist, dass er jetzt hier keine Bilder vom Schloss sehen kann, soll sie sich im Internet anschauen. Wir machen das auch.

Durch einen ausgedehnten Forst sind es auf der D751 nur schnurgerade 20 Kilometer bis Chinon, der bis ins 4. Jahrhundert nachgewiesenen Stadt an der Vienne. Gleich neben der großen Brücke, die den Quai Charles VII am Nordufer mit dem Quai Danton am Südufer der Vienne verbindet, liegt, 100 Meter westlich am Ufer der Vienne der Campingplatz L’Ile Auger. Nach insgesamt sechs Stunden und 150 Kilometer gehen wir dort um 16 Uhr vor Anker (N 47° 09‘ 54‘‘ E 0° 14‘ 04‘‘).

Außer ein paar Bediensteten, die sich um die Anlage verdient machen, nimmt niemand von uns Notiz, nein, die Rezeption ist momentan nicht besetzt, vielleicht gegen 18 Uhr, wir sollten uns einfach einen Platz suchen. Gut, machen wir und machen auch gleich wieder einen Strich auf die Habenseite der französischen Seele. Mit der Stellplatzsuche ist es ja immer so eine Sache, nicht weil man sich hier auf die Zehen, Verzeihung: die Pneus träte, im Gegenteil, von Überlastung der Anlage kann nicht die Rede sein, obwohl hier mehr los ist als auf den letzten Plätzen, was sicher auf das nahende Osterfest zurückzuführen ist, nein, die Frage ist, ob man direkt aus dem Womo in die Sanitäranlage fallen möchte, dann muss man sich mit Mitstreitern um die strategisch besten Plätze rangeln oder ob man sich seiner Beine und Füße bewusst und bereit ist, ein paar Meter zu gehen, dann lebt man in nahezu paradiesischer Abgeschiedenheit. Wir wissen um die Funktionstüchtigkeit unserer Laufwerke und legen uns fast an ChinonUnser Blick auf Chinonden Zaun, der die Anlage von der Vienne trennt. Dort bietet sich uns ein Blick wie im Bilderbuch: die träge fließende, gut hundert Meter breite Vienne, auf der eine einmastige Schaluppe vor Anker treibt und auf Touristen wartet, am anderen Ufer die Altstadt und darüber die mächtige Burg aus dem 10 Jahrhundert, welche die gesamte Altstadt überspannt und das Wahrzeichen Chinons ist. Vielleicht ist es den knapp 8000 Chinonesen (oder sagt man Chinoner oder etwa gar Chinonier?) der Stadt irgendwann zu eintönig geworden, nur dieses eine Wahrzeichen zu haben und vielleicht haben sie sich deshalb entschieden, sich ein zweites zuzulegen: ein mächtiges Atomkraftwerk mit vier aktiven Druckwasserreaktoren, das fast ebenso allgegenwärtig ist wie die Burg.

 Fürs erste gehen wir den Fragen der Benennung der Einwohner und des Sinns eines solch monströsen Strahlwerks im Weichbild einer attraktiven Kleinstadt nicht nach, sondern steuern zu Fuß eine nahe gelegene Boulangerie an, um uns mit Kaffeegebäck einzudecken. Es wird ein Clafouti und ein Mandelcroissant mit Mohn (seltsame Kreation!), welche wir geschwind zum Franz tragen und zusammen mit einem Eimerchen Kaffee in uns versenken.  

Nachdem wir Anouk und Fianna ihr Abendmahl kredenzt und uns ein bisschen landfein gemacht haben, gehen wir um 19 Uhr über die Brücke hinüber in die Altstadt, um uns einen Eindruck von der Geburtsstadt Rabelais‘ (~1494 – 1553) zu verschaffen. Strapaziös ist eine solche Besichtigung nicht (wenn man nicht zur Burg hoch steigt), weil das Städtchen wirklich sehr überschaubar ist: ein paar enge Straßen, noch engere und verwinkelte Gassen, historische Restaurants, alles sehr ansprechend, weil nicht erkennbar für den touristischen Bedarf zurecht gemacht. Hier strömen auch keine Touristenwelle durch die Gassen, vereinzelte Exemplare schon, die wie wir, Restaurantführern folgend, die von ihnen erwählte Gastronomie suchen. Viel Aufwand ist das nicht, weil die Wege kurz sind und das Vorhaben kurzweilig, weil man sich beim Lesen der Menükarten immer wieder begegnet und so unversehens in nette Gespräche verwickelt wird. Wir haben zwei Restaurants auf dem Merkzettel stehen: das Maison Rouge, das nur nach Bordell klingt, aber keines ist. Vor allem aber ist das Maison Rouge geschlossen, obwohl sein mittelalterliches Äußeres die Neugier auf die inneren Werte weckt. Dann wird eben die zweite Wahl zur ersten: Les Restaurant Les Annees 30Restaurant Les Annees 30Unser Menü im Les Annees 30Annees 30. Ein Restaurant im Stile der Dreißiger Jahre und der dazu passenden Musik, mal etwas anderes in Frankreich. Wir werden in den ersten Stock geführt und empfinden das Ambiente sofort als wohltuend unaufgeregt. Musik aus den Dreißiger Jahren ist es auch nicht, was da im Hintergrund dudelt, sondern gut gemachter Jazz, weit weg vom touristischen und belanglosen Dixie-Gedudel, das man immer dann hört, wenn man nicht hinhören, sondern verführt werden soll. Die Menükarte verspricht ein kulinarisches Himmelreich, wodurch sich, Rabelais folgend, unverzüglich ein pantagruelischer Appetit einstellt. Der Service ist freundlich und zurückhaltend, aber immer zur Stelle – und das Menü ein Gedicht, nochmal Rabelais bemühend: ein gargantueskes Festmahl. Natürlich bestellen wir zum Mahl einen Chinon, was sonst, zählen doch die Chinon-Rotweine, allen voran der Cabernet Franc, zu den besten Frankreichs. Wir lassen uns beraten und werden auch in dieser Hinsicht bestens bedient.

Chinon bei NachtSo zeigt sich uns Chinon bei NachtUm 22:15 Uhr sind wir völlig zufriedengestellt und mit uns im Reinen zurück bei unseren Womo-Mäuschen, setzen uns noch ein wenig ins Freie und lauschen dem Säuseln der Vienne, an deren Gestade es, wie wir erstaunt registrieren, auch jetzt keineswegs feucht ist und keine Stechmücken gibt. Für letzteres ist vielleicht das Atomkraftwerk verantwortlich; wäre immerhin ein Pluspunkt.

Um 23:30 Uhr knipsen wir einen prächtigen und schon für sich alleine würdigen Urlaubstag aus (von der Sackgasse mal absehen).

 

 Route von Bracieux nach Chinon

 

Karfreitag, 18. April 2014

Fianna Morgenfährte auf dem CampingplatzFianna kleine MorgenandachtDer Karfreitag beginnt um 7:30 Uhr mit Arbeit, nicht für uns, für Fianna. Da die Stellplätze um uns herum nicht belegt sind, darf sie eine Fährte suchen, die, so viel dürfen wir sagen, kein Kreuzweg und keine Via Dolorosa wird, sondern von Fianna, wie inzwischen gewohnt, souverän und von leichter Nase weg geschnüffelt wird.

Anschließend gehen wir zur Rezeption, melden uns endlich an (weil gestern niemand mehr erschienen ist) und auch gleich wieder ab, zahlen 15,24 € und sind zufrieden (der Preis gilt für alle Plätze natürlich immer für ein Womo mit zwei Menschen und zwei Hunden). Der Campingplatz gehört nicht zu den Top-Adressen, aber man kann ihm auch nichts nachsagen: er ist mit 230 Stellplätzen angenehm groß, nicht zu putzig, aber auch nicht überdimensioniert, seine Lage hat Premium-Niveau, aber die Sanitäranlagen sind schon ein bisschen in die Jahre gekommen, dennoch jederzeit sauber. Deutschen mögen die französischen Hock-Klos befremdlich erscheinen, ihnen kann aber zum Trost gesagt werden: es gibt auch die gewohnten Sitz-Toiletten. Lustig sind die fast völlig freizügigen Pissoirs, wie wir sie allerdings auch auf anderen PissoirCampingplätzen gefunden haben. Bei ihnen fällt dem Chronisten immer das nette Liedchen “Loos of England” von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich aus dem Jahr 1967 ein, in dem sie die globalen Errungenschaften und inneren Werte englischer Klos preisen und über die französischen Klos folgendes zu sagen wissen: The French who have no shame at all / Have built them on the street / And though they may be picturesque / It’s hard to be discrete / You stand right in the boulevard, / A chill wind round your feet. / Long live loos of England! Wir Jungs sind es ja gewohnt, öffentlich zu pinkeln und für die Mädels gibt es auch in Chinon Klos mit Türen. Also ist eigentlich alles da, was man braucht, um zufrieden zu sein; Schwimmbäder und Animationsprogramme brauchen wir jedenfalls keine.

Morgenbad in der VienneMorgenbad in der VienneNachdem wir unsere Schulden beglichen haben, gehen wir mit Anouk und Fianna hinunter an den Strand der Vienne und lassen sie toben und plantschen. Das Wetter ist perfekt für eine ausgelassene Morgensause: bedeckt, angenehm warm und windstill. Anschließen besorgen wir uns alle gemeinsam ein Frühstück, das wir um 9 Uhr zelebrieren.

Um 10:15 Uhr verlassen wir den Campingplatz l’Ile Auger und Chinon in westlicher Richtung und Atlantikküste. Bevor wir uns jedoch in die atlantischen Fluten stürzen, wollen wir unserer Partnergemeinde Jallais noch einen Besuch abstatten, tief im Westen, im Departement Maine-et-Loire. Vor über dreißig Jahren begann die Freundschaft der beiden Gemeinden auf unspektakuläre Weise, als es einen jungen Franzosen aus Jallais nach Vagen verschlug. Irgendwie blieb er hier hängen, wurde von einem damals ebenfalls noch jungen Landwirt und Bäcker mit eigener Bäckerei, der gerade begann, seine Betriebe auf Bio und Öko umzustellen, zum Bäcker ausgebildet. Und so blieb der junge Franzose, wurde älter und bis heute ein fester Bestanteil unserer Gemeinde. 1984 wurde dann aus der privaten Männerfreundschaft eine offizielle Gemeindepartnerschaft. Vagen und Jallais feiern demnach dieses Jahr ihr dreißigjähriges Ehejubiläum, Grund genug, wenigstens mal bei den Freunden vorbeizuschauen. Alle Jahre im Wechsel reisen Vagener Bürger nach Jallais oder Jallaiser Bürger nach Vagen – und dann wird gefeiert bis die Nasen glühen. Und wer einmal Franzosen schuhplatteln sehen möchte, muss hierher ins Mangfalltal kommen. Einziger Wermutstropfen in der Beziehung ist, dass Teilgemeinden einer Großgemeinde keine Partnerschaft eingehen können, weshalb die Partnergemeinde von Jallais nicht Vagen ist, sondern Feldkirchen-Westerham ist, und die feiern zwar gerne mit und der Bürgermeister lässt sich natürlich auch die Gelegenheit zum öffentlichen Auftritt nicht entgehen, aber sonst ist die Beziehung auf offizieller Ebene eher bürokratisch gelangweilt. Und so sind wir nicht nur baff, sondern vor allem beschämt, dass uns bei unserer Ankunft in Jallais ein Wegweiser mit der Das Rathaus von JallaisGelebte Partnerschaft am Rathaus1200 km ins Mangfalltal1200 km ins MangfalltalAufschrift „1200 km Feldkirchen“ grüßt (Westerham haben sie unterschlagen, weil das Schild sonst vermutlich die EU-Normmaße überschritten hätte) und über dem Rathauseingang neben dem Wappen von Jallais auch das von Feldkirchen-Westerham prangt. Bei uns sucht man so etwas vergeblich. Auf der Webseite von Feldkirchen-Westerham ist auch der letzte nennenswerte Eintrag zur Partnerschaft aus dem Jahre 2009 anlässlich des 25. Jubiläums. Die Herzen der Menschen einer Grande Nation sind offenbar doch größer als die einer Nation, die nur gernegroß ist.

Um 12 Uhr stellen wir den Franz an der Seite der Durchgangsstraße ab und machen einen kleinen Rundgang, um uns einen Eindruck zu verschaffen. Der erste ist, dass der Ort für seine knapp über 3000 Einwohner viel größer ist, als wir uns vorgestellt hatten. Er ist geräumig, hat ja auch Platz hier und ist nicht zwischen zwei Seitenmoränen eingeklemmt wie wir zuhause. Es sieht hier alles sehr frisch und aufgeräumt aus. Jallais ist keine vergessene Kleinstadt irgendwo im Nirgendwo des weiten französischen Westen. Hier ist zwar zur Mittagszeit nicht viel los, Markt in JallaisFrisches aus dem MeerHeike ist zufrieden mit ihrem EinkaufFast schon eine perfekte Französinaber man spürt, dass dieser Ort lebt. Auf dem Marktplatz steht ein Fischwagen und dort kaufen wir ein Dutzend Austern und eine Portion gemischten Fisch für die Pfanne. Einem Gemüsehändler kaufen wir noch ein paar Beilagen ab und der Bäcker wird ein Baguette und zwei unverschämte Schokotörtchen in Form eines Priesterhütchens los. Somit ist unsere Abendversorgung schon mal gesichert und wir haben für unsere Freunde etwas Gutes getan, denn natürlich ist es hirnrissig, im Landesinneren Austern und Fisch zu kaufen, wenn man plant, abends sein Haupt am Atlantik zur Ruhe zu legen. Aber wozu bräuchte es denn sonst eine Partnerschaft, wenn nicht für die kleinen Gesten.

Der Atlantik kündigt sich anDer Atlantik kündigt sich anEine Stunde später sind wir wieder auf der Straße nach Westen: Atlantik wir kommen. Hier, tief im Westen Frankreichs scheint das Land unendlich weit, Dörfer und Ortschaften machen sich rar, obwohl wir über die Provinzstraßen schaukeln und die Schnellverbindungen absichtlich meiden. Bei uns zuhause reihen sich die Ortschaften auf wie die Kugeln auf dem Rosenkranz, aber hier bekommt das Auge immer wieder Ruhe, kann die Weite genießen. Blühende Mandelbäume wechseln sich mit rosa Spiräen und dazwischen immer wieder Weingärten. Wir könnten stundenlang so dahin gleiten. Aber langsam wird die Landschaft eintöniger, immer flächiger, von Wasseradern durchzogen, Krüppelkiefern statt Mandelbäumen. Wir nähern uns dem Meer.

Unser Ziel ist Noirmoutier-en-l’Ile, eine Insel südlich von St. Nazaire. Als wir linkerhand die Brücke sehen, die keine andere sein kann als die zur Insel, unser Tom uns aber rechterhand lotst, kommen Zweifel auf; es gibt ja nicht wenige Gründe, dem Filou zu misstrauen. Wir fahren auf einer Straße, na, sagen wir mal fünfter Kategorie, so eine, wo man früher gesagt hätte, dass an ihrem Ende eine Jauchegrube wartet, in die die Russen fallen sollen. Doch wir sind nicht alleine hier, vor uns in lockerer Reihe Autos, hinter uns ebenfalls, also wird das schon alles richtig sein. Doch dann, man ahnt es mehr als dass man es sieht, am Straßenrand ein Schild mit Überflutungswarnung in etwa einer Stunde und gleich dahinter ein Schild mit einem Die Passage de Gois bei EbbeDie Passage de Gois bei Ebbeabsaufenden Auto. Moment mal, sind jetzt wir die Russen, die der Tommie im Atlantik versenken will? Die anderen Autos, beruhigenderweise auch Franzosen, fahren ungerührt weiter, also tun wir es auch. Und dann befinden wir uns auf einer Wattpiste, die nur bei absolutem Niedrigwasser befahrbar ist! Wir sind auf der Passage du Gois, die sich viereinhalb Kilometer durchs Watt zieht. Wenn man da mal zu spät dran ist, kann man den Rest des Weges schwimmen, hier gibt es nämlich keine Schranke oder Sperren oder auch nur irgendjemand, der einen daran hindern würde, zur Unzeit ins Watt zu fahren. Gut, das ist herzerfrischend französisch, da steht auch nicht auf jeder Dorfstraße, die jede Stunde ein Auto sieht, morgens um sieben ein Schülerlotse, um die lieben Kleinen sicher in ihre Anstalt zu geleiten, aus der sie dann mittags beschädigter heraus kommen, als wenn sie von einem Auto gestreift worden wären. Das ist schon alles in Ordnung, so mag und kennt man Frankreich, dass aber dieser Vollidiot Tom nicht den kleinsten Hinweis darauf gibt, was er mit uns vorhat, das bringt das Blut ins Wallen. Er macht ja nichts falsch, der Tom. Wenn jemand im Routenplaner Jallais – Noirmoutier eingibt, führt ihn auch dieser über diese Passage. Aber einen ohne Vorwarnung ins Verderben zu schicken ist dreist. Sonst ist er geschwätzig wie eine Partie Landfrauen. Beginnt man seine Reise irgendwo im Hinterland, wo Fuchs und Hase sich um die besten Schlafplätze raufen, teilt er einem mit, dass der Start auf einem unbefestigten Weg liege, als ob man das nicht schon bemerkt hätte. Er informiert auch, dass auf der gewählten Route unbefestigte Wege oder Mautstrecken warten und fragt, ob man damit einverstanden sei. Und er teilt mit, dass es auf der geplanten Route eine Fährverbindung gibt und will wissen, ob man einverstanden sei. Wenn er aber gerade dabei ist, einen durch den Meter hohen Atlantik zu geleiten, schweigt er, als ob er davon überzeugt wäre, dass sich das Wasser bei unserer Ankunft schon teilen würde wie das Rote Meer sich seinerzeit für die Israeliten teilte. Wenn jetzt hier Hochwasser wäre, bekäme der Tom sein längst verdientes nasses Grab. Aber es ist kein Hochwasser und so darf er weiterhin sein Unwesen treiben. Bis auf weiteres!

Das Watt der Passage de GoisDas Watt der Passage du GoisWir tuckern über diese Piste, links und rechts jede Menge geparkter Autos und Menschen in Gummistiefeln, die mit Stecken, Schaufeln und Eimern nach Meeresfrüchten stochern. Statt der gewohnten Verkehrsschilder oder Laternenmasten begleiten uns hier Seezeichen am Wegesrand. Man fühlt sich wie auf dem Weg nach Anderland.

Aber dann haben wir doch wieder festen Boden unter den Füßen und sind guter Hoffnung, den Campingplatz in wenigen Minuten anzusteuern. Doch noch einmal zeigt der Tom, dass er immer noch einen Pfeil im Köcher hat. Und wir sind auch wirklich selber schuld, wenn wir diesem navigatorischen Schlafwandler immer noch trauen. In der Beschreibung der Anfahrt heißt es, man solle in Noirmoutier den Hinweisschildern in Richtung ‚Les Sableaux‘ folgen. Die ignorieren wir hochmütig und folgen wie die Lemminge dem Ruf unseres Toms. Als wir uns im Zentrum Noirmoutiers auf einen Damm zu bewegen, rechterhand die völlig trocken gefallene Hafeneinfahrt, linkerhand Touristenschwärme, schwant uns Übles. Am Ende dieses verkehrstechnischen Schwanengesangs erwartet uns eine Schranke und ein Fußgängerschild, vor uns ein ellenlanger Damm voller Radfahrer und Fußgänger – sackschwere Not. Linkerhand entdeckt der Chauffeur gerade noch rechtzeitig, bevor er zu ziemlich aussichtslosen Manövern gezwungen worden wäre, einen winzigen Parkplatz, auf dem man wenden und zurückfahren kann. Vollbremsung, einfädeln in das Loch, und es geht sich gerade aus; mit dreimal vor und zurück und Einsatz aller internen Alarmanlagen finden wir aus der Falle wieder heraus und folgen unter nicht dokumentationsfähigen Flüchen nun den Schildern nach ‚Les Sableaux‘. In den folgenden Tagen sind wir mehrmals mit den Rädern oder zu Fuß an dieser Stelle vorbei gekommen und nicht ein einziges Mal hätten wir auch nur den Hauch einer Chance gehabt, in diesem Loch zu wenden, weil das Wendeplätzchen völlig zugeparkt war. Schwein gehabt. Und noch etwas steht fest: Dieser Damm sieht überhaupt nicht danach aus, als ob er erst nach Toms Taufe im Jahr 2011 gebaut worden wäre. Vielleicht wäre es wirklich eine gute Idee, unserem Tom wie seinerzeit dem Adam eine Gehilfin zur Seite zu stellen, eine Tomteuse sozusagen. Andererseits haben der Adam und seine Eva zu Zweit historischen Mist gebaut. Den Nachweis, dass er sein Paradies alleine nicht verspielt hätte, konnte nie geführt werden, weil es der Schöpfer zu eilig hatte, dem Adam sein Verderben an die Seite zu stellen. Tom aber hatte genug Zeit, sich zu bewähren, die hat er vertan und so können wir ihn genauso gut ohne Tomteuse aus unserem kleinen Paradies vertreiben. Soll er doch sehen, wo er bleibt.

Um 16:15 Uhr ist es dann endlich geschafft. Nach insgesamt 250 Kilometern und einigen Aufregern stehen wir schon wieder vor einem Campingplatz der Indigo-Familie: Camping Indigo Noirmoutier (N 46° 59‘ 55‘‘ W 2° 13‘ 13‘‘). Und hier ist es erst mal mit der Gemütlichkeit vorbei, von „jede Menge Platz“ kann nicht mehr die Rede sein; Ostern wirft, wie erwartet, seine touristischen Schatten voraus. Wir schauen uns erst einmal zu Fuß um, um uns einen Überblick zu verschaffen. Es ist nicht so, dass man einen Stellplatz wie die Nadel im Heuhaufen suchen müsste, aber einfach reinfahren und sich wohlfühlen, wie wir das bisher kannten, ist Camping Indigo in NoirmoutierAngekommen auf der Inselnicht mehr. Am meisten Plätze gibt es noch direkt an der Strandseite, was vermutlich daran liegt, dass es dort zieht wie Hechtsuppe, Also machen wir uns auf die Suche nach einem windschattigen Plätzchen im „Landesinneren“. Und wir werden fündig, 20 Meter von der Sanitäranlage und 50 Meter von der Einfahrt entfernt finden wir einen idealen Platz unter einem riesigen Schattenspender (für die nächste Reise kommt auf die Ladeliste ein Baumbestimmungsbuch!). Hier soll bis auf weiteres unser Zuhause sein. Wir buchen für zwei Tage und zahlen gleich auf den Tisch knappe 50 €; die haben wohl auch schon die Erfahrung gemacht, dass manch einer den Feiertagstrubel nutzt, um sich böhmisch zu verabschieden.

Der Himmel ist makellos, so sehr er sich auf der Fahrt hierher gelegentlich geziert hatte, jetzt aber: keine Wolke am Himmel und 22° C. Zuhause, so hört man, setzt sich der Regen fest und macht Der Schokopriester aus JallaisDie süßeste Versuchung seit es Schokolade gibtdem Osterhasen das Leben zur Hölle. Nun gibt es erst mal einen Kaffee und das schokoladige Priesterhütchen. Danach wissen wir, dass man immer wieder die gleichen Fehler macht, egal wie viele Lenze man zählt: wir hätten mehr davon kaufen sollen! Unser Biobäcker in Vagen hat von seinem damals eingewanderten Lehrbuben gelernt, wie man extraordinäre Mandelcroissants erschafft, weswegen wir zuhause fast noch bessere Mandelcroissants bekommen als in Frankreich. Wir werden ihm jetzt nahe legen, sich dieser Schokopriester anzunehmen. Es ist kaum vorzustellen, wie man in Zukunft ohne sie existieren sollte.

Um 17 Uhr erkunden wir die Umgebung, vor allem weil wir Anouk nach dem Schloss Chambord jetzt auch noch den Atlantik schenken wollen. Aber dann, während wir mit Anouk aus der Campinganlage hinaus auf den Strand treten, macht sich Enttäuschung breit: wir sind hier definitiv in einem Touristenbad gelandet. Der Strand ist schmal, teilweise steinig, unrein, voller Erste Strandbegehung von noirmoutierErste Strandbegehung von NoirmoutierUmkleidehütten am StrandUmkleidehütten am Strandplanschender und spielender Menschen, überall Umkleidekabinen, dann wieder ist er gesperrt. Und weil auch die spärlichen Dünen gesperrt sind, müssen wir durch den Kiefernwald stapfen, der ebenso voller Wanderer und Radfahrer ist und solchen, die sich mal fix hinter einem Baum umziehen – auf unbeschwerte Hundespaziergänge mit Badeeinlagen ist hier kaum zu rechnen. Aber Anouk richtet unsere in Mitleidenschaft gezogene Seelenfärbung wieder auf: sie ist der Sonnenschein, der uns durchflutet. Wir hatten uns schon mehrmals gefragt, ob wir sie nicht langsam mit dieser ewigen Fahrerei überfordern, aber hier überzeugt sie uns von Gegenteil. Kaum Fianna nach dem BadeFianna nach dem BadeAnouk am Strand von NoirmoutierAnouk kneipt an jedem Strandwaren wir angekommen, hat sie sich bereits den besten Platz vor dem Womo gesichert, sich wohlig gerollt und dann ein seliges Schläfchen gemacht, anschließend hat sie uns terrorisiert, endlich etwas zu unternehmen, weil es ihr zu langweilig wird und nun stapft sie wie ein Backfisch über den Kümmerstrand und das Wurzelwerk des Waldes, immer die Nase im Wind und vornweg (wenn es nicht gerade etwas Wichtiges zu erkunden gibt). Anouk ist für uns als Stimmungsaufheller noch unverzichtbarer als das Schokohütchen mit all seinem Phenylethylamin, Tryptophan und Anandamid, von dem, was sonst noch alles drinnen ist und was wir gar nicht wissen wollen, nicht zu reden. Auf Anouks Anraten fassen wir den Entschluss, dem Gedrängel unsere Gleichgültigkeit entgegenzusetzen und glücklich zu sein, dass wir bisher immer, wirklich immer, viel Glück und in dieser Hinsicht keinen Grund zu klagen hatten. Man kann nicht nur Glück haben, aber ein Unglück ist das hier eben auch nicht. Vielleicht ein Zurechtrücken der Verhältnisse hin zur Wirklichkeit, denn schließlich kann man nicht nur mit so viel Glück Heike am Strand von NoirmoutierUnd auch Heike strahlt ...am strand von Noirmoutier... angesichts solcher Ausblickegesegnet sein, wie wir das bisher auf unseren Reisen bezüglich Campingplätze und Strände verzeichnen durften. Und ganz nebenbei wissen wir auch, dass es überhaupt keinen Sinn macht, Schwermut aufkommen zu lassen und morgen unseren Krempel zu packen und weiter zu fahren – es ist Osterbetrieb und das nicht nur hier. Also wettern wir hier ab – und versprechen Anouk, für sie auf dieser Reise noch einen Strand zu finden, der ihrer würdig ist. Der Atlantik ist voller Traumstrände, da wird sich noch etwas finden. Versprochen! Aber ihr scheint das sowieso alles irgendwie schnuppe zu sein, sie ist überall zuhause und überall zufrieden.

Um 18:30 Uhr sind wir wieder zurück und genehmigen uns zur Verdauung des Gesehenen einen ordentlichen Schluck Pastis. Prost. 

Danach machen wir uns langsam an die Zubereitung unseres Abendmahls: Spaghetti mit Lachs-Sahne-Soße soll es geben, ein bisschen Salat dazu. Wir lassen uns Zeit, hantieren niedertourig, sind fürs erste angekommen und empfinden keinen Zeitdruck. So gegen 20:30 Uhr ist es dann soweit. Den Anfang machen die Austern aus Jallais, die wirklich besonders schmackhaft sind, selten so markante Austern gehabt, dann folgen die Spaghetti, deren Lachssoße wegen der Stimmigkeit des Gaumenprofils einen kräftigen Schuss Pastis mitbekommt. Einen kleinen Salat dazu, einen erdigen Weißen, ja, was braucht man mehr, um den Tag schon vor dem Schlafengehen zu loben. Höchstens noch ein weiteres Becherchen Wein, das böte sich an und wird dementsprechend gerne noch genommen. Wir sitzen draußen vor der Tür im späten Abendlicht und mit Jacken; es ist jetzt um halb Zehn noch immer hell, aber auch frisch. Wenn wir jetzt nicht an der Ostseite der Insel, sondern im Westen am Strand säßen, könnten wir der Dirndl-Ilse ganz genau sagen, wann am 18. April die Sonne im Meer versinkt und dass sie sich um die bayerische Uhr, die bekanntlich seit Generationen anders tickt, keinen Dreck schert.

Als wir gegen 23 Uhr ins Bett huschen, ist sie definitiv untergegangen, die Sonne, die Ilse nicht. Und sie geht auch noch in tausend Jahren auf und wieder unter, die Ilse sicher nicht. Da kommt der Schlaf wie eine Feder über einen…

Chinon - Noirmoutier am 18. April

 

Karsamstag, 19. April 2014

Es ist sehr windig, klar und frisch, ca. 7° C, als die Chefin um 8 Uhr mit den Felltieren zum Morgenspaziergang aufbricht und es nicht versäumt, dem Hausmeier zuvor noch ein dickes Lob zu spendieren, weil der gestern, vor der Bettruhe, in großer Weitsicht die Markise eingerollt hatte; die wär uns nämlich heute Nacht um die Ohren geflogen. So gesehen geht der tief in sich, um zu erwägen, ob er heute überhaupt aufstehen soll – mehr und Besseres ist heute schwerlich zu erwarten. Als er auf den diversen Kommunikationskanälen aus den ersten, etwas verfrühten Ostergrüßen erfährt, dass zuhause der Osterhase in Graupelschauern steckenbleibt, Nachtfrösten trotzen muss und eigentlich mehr schwimmend als hoppelnd seine Eier verstecken muss, ist dem Chefhausmeier so wohl in seiner Haut, dass er beschwingt wie der Osterhase aus dem Bett hüpft und seinen Mädels ein Frühstück bereitet.

Das wird dann um nach 9 Uhr eingenommen, und zwar in Franzens Bauch, weil es draußen weiterhin frisch bläst und das Thermometer stur bei 11° C stehen bleibt. Was sollen wir heute unternehmen, das ist die Frage, die das Frühstück begleitet. Die Strandlage entspannt sich nicht, die Menschen werden mehr, Hunde sind am Strand verboten, der Wind bläst sich fest, und zwar so fest, dass wir auch wenig Lust verspüren, mit Anouk im Fahrradanhänger einen Strandplatz zu suchen, der unseren Bedürfnissen entgegen kommt. Irgendwie sitzen wir hier fest; weiter reisen macht ja unter den Osterbedingungen wirklich keinen Sinn. Also beschließen wir, heute einen aktiven Schontag einzulegen, das soll heißen: einkaufen und Doku schreiben.

Der Chef hatte zuhause noch schnell zwei Satteltaschen für die Fahrräder erstanden, weil der Transport üppiger Einkäufe in einem Einkaufsbeutel und mit Fahrrad immer etwas beschwerlich war. Der Rucksack war meistens zu klein. Auf die Frage: jeder seine eigene Satteltasche oder einer beide oder gar nur einer einen wurde über die Einkaufsliste entschieden: 1 Pfanne (weil die im Womo schlicht und ergreifend unbrauchbarer Schrott ist), O-Saft, Milch, Joghurt, Honig. Also reicht 1 Satteltasche locker. Dass diese ans Fahrrad des Chefs montiert wird, versteht sich von selbst.

Heike auf dem Damm, im Hintergrund NoirmoutierAuf dem DammSchiffspflege bei EbbeSchiffspflege bei EbbeUm kurz vor 11 Uhr radeln wir los in Richtung jenes Dammes, der gestern beinahe unser Schicksal geworden wäre. Gute anderthalb Kilometer zieht er sich von der Auffahrt wenige Meter südlich des Campingplatzes bis an sein Ende, dort, wo der Wendeplatz von gestern liegt. Es ist immer noch windig. Zu unserer Linken liegen Schiffe und Wracks in der ziemlich leer gelaufenen Hafeneinfahrt, einige Schiffe bekommen bei dieser Gelegenheit ihre Unterwasserseite gepflegt, was sich in diesen Gegenden der großen Gezeitenunterschiede ja anbietet, weil man sich das Geld fürs Kranen sparen kann, und was man nicht schafft, wird eben beim nächsten Niedrigwasser erledigt. Zu unserer rechten Seite erstrecken sich Salzgärten, dazwischen dösende Pferde und Esel, über uns ein stahlblauer Himmel.

Super-U liegt etwas außerhalb des Ortes und ist kein Supermarkt, sondern eine Einkaufstempel. Der Betrag, den wir nach einer knappen Stunde von unserem Konto abbuchen lassen müssen, beläuft sich auf 98 €. Das dürfen wir nicht der High-Tech-Pfanne anlasten, die kostet nur 20 €. Auch Milch und O-Saft sind in Frankreich nicht teurer als bei uns. Nein, es sind die kleinen Verführungen, denen man nur zu gerne erliegt und, sagen wir es einmal so, die Haut ist es auch, die langsam alternde, die Salzgarten von NoirmoutierSalzgärten von NoirmoutierSalzgärten von NoirmoutierSalzgärten von Noirmoutierinzwischen sorgsamerer Pflege bedarf. Wenn man bedenkt, dass die Haut das größte Organ des Menschen ist, verwundert es nicht, dass sie bei Super-U entsprechend zu Buche schlägt. Das größere Problem ist jedoch die optimistische Entscheidung, mit einer Satteltasche auszukommen. Selbst die gewiefteste Verpackungsstrategie schafft es nicht, alles in dieser einen Tasche zu verstauen. So muss die Chefin doch wieder ihr gelbes Säckchen aktivieren. Der Chef trägt jedoch schwer an der Last, die ihn einseitig nach rechts zieht, was bei entsprechendem Winddruck auf dem ausgesetzten Damm zu gar waghalsigen Schieflagen führt. So also sieht ein aktiver Schontag aus. Vielleicht ist es ja auch nur eine Verwechslung und es sollte schonungsloser Aktivtag heißen.

Gegen 13 Uhr sind wir wieder bei unseren Lieben, und der Buckelsherpa verspürt das Bedürfnis nach einer Dusche. Der Himmel hat sich zugezogen, da genießt man eine wohlige Dusche. Die Sanitäranlagen, sind wie bisher überall sauber, aber sehr spartanisch: kein Kleiderhaken in den Duschkabinen und auch keine Abstellfläche fürs Duschzeug. Vielleicht sollte man überlegen, solche kleinen transportablen Helferlein, die man einfach in der Kabinenwand einhängt, in Zukunft mitzunehmen. So etwas ist nämlich ziemlich ärgerlich; man weiß wirklich nicht wohin mit seinem Zeug, zumal die einzige Ablage so groß ist, dass kaum die Badetasche Halt findet. Punktabzug! Von dieser Indigo-Leistung ist der Herr einigermaßen indigniert. Das Gute ist, dass Indigo nach jedem Aufenthalt einen Beurteilungsbogen über Internet zuschickt, da kann man sich dann entsprechend erleichtern.

Um 14 Uhr braten wir uns ein Klodeckel großes Brioche in Butter heraus und genießen es zum Kaffee; light & fresh ist das nicht gerade, aber der Kalorienverbrauch beim windverwehten Nahrungstransport rechtfertigt eine solche Maßnahme, zumindest beim Sherpa.

Dann machen wir uns an die Schreibarbeiten: die Chefin vergnügt sich mit dem Protokoll der Fuldaer Sitzung und der Chef macht sich über die Reisechronik her – bis uns die Schreibhemmung aufs Lager wirft … Schontag, wie gesagt.

Spaß am StrandSpaß am StrandAnouk genießt das LebenDas Leben ist schönGegen 18:45 Uhr machen wir uns zu einem Spaziergang fertig, es ist immer noch ziemlich windig, dafür aber wieder wolkenlos und dementsprechend frisch. Um halb acht sind wir wieder zurück.

Danach hauen wir den Fischmix aus Jallais in die neu erstandene Pfanne, die sich auch bestens einführt, brauen dazu eine Wein-Curry-Soße und stellen noch etwas Salat dazu – fertig ist das Karsamstagsmenü. Schoko-Fondant mit VaniillesoßeSchoko-Fondant mit VaniillesoßeNein, essen gehen wollten wir hier nicht, das sieht in Noirmoutier doch alles ziemlich touristisch aus und Pizza kann man auch zuhause essen. Im Augenblick leben wir, mal abgesehen von dem nachmittäglichen Brioche und dem Pfaffenhütchen, fast schon auf Slimline-Niveau, was das Dessert zu verhindern weiß: Schoko-Fondant mit Vanillesoße, das die Chefin vehement einklagt, weil es ihr Lieblingsdessert ist und auf das sie seit einer Woche ungeduldig wartet, ungeachtet dessen, dass man den genauen Inhalt nicht kennt, bestenfalls ahnen kann; Bayer, Unilever und BASF sind aber bestimmt beteiligt. Macht nix, Hauptsache nicht gen-verändert. Dann lieber gleich Originalchemie.

Kurz vor Mitternacht kriechen wir in die Koje. Draußen pfeift das himmlische Kind wieder recht munter. Dass uns der himmlische Osterhase ein faules Ei ins Nest legt, ist aber definitiv nicht zu erwarten.

 

Ostersonntag, 20. April 2014

Ein einsamer Strand am MorgenEin einsamer Strand am MorgenWie die Ostereier liegen wir bis halb zehn im Nest und warten darauf, ausgebrütet zu werden. Da in dieser Hinsicht nichts geschieht, stehen wir eben doch auf. Die Chefin macht wieder ihr Hunderunde, bei der sie einen einsamen und somit ungehindert nutzbaren Strand vorfindet, während der Chef vor allem den Franz entstaubt, das heißt: entsandet; mit etwas Mühe könnten wir nämlich schon eine kleine Sandburg unter dem Tisch bauen. Was die Hunde in ihrem Fell transportieren, ist unerhört. Es müsste sie, nachdem der Sand aus ihrem Fell gerieselt ist, eigentlich der Geist der Schwerelosigkeit hinfort wehen.

Um 11 Uhr wird dann gefrühstückt. Dabei beschließen wir, was zwar unausgesprochen, aber kaum dissonant war, noch einen Tag zu verlängern, auch wenn das Strandambiente nicht ganz unseren Vorstellungen entspricht. Die Chefin nimmt’s mit leichter Hand und stört sich an solchen Nebengeräuschen des Lebens kaum, und der Chef zieht sich eben zurück und leistet Stubendienste. So kann jeder nach seiner Façon selig werden. Verstörender wäre es, jetzt weiterzufahren und wie die Heilige Familie vor wegen Überfüllung verschlossenen Türen zu stehen oder sich irgendwo dazwischen klemmen zu müssen; da haben wir hier auf jeden Fall das weitaus bessere Los gezogen.

Auf dem Weg zur Passage du GoisAuf dem Weg zur Passage du GoisWas soll uns also dieser Ostersonntag bringen? Noch ein Doku-Tag steht jedenfalls nicht zur Debatte. Es reift die Idee, sich die Passage du Gois, also die Watt-Passage, die wir bei unserer Ankunft durchfahren hatten, aus der Nähe zu betrachten, sozusagen von außen, als Konsument, nicht als mögliches Opfer. Schon gestern, als wir zum Supermarkt fuhren, hatten wir kurz erwägt, den Abstecher zu machen, sahen aber davon ab, weil es doch weiter ist als es auf den ersten Blick scheint. Also erklären wir Anouk wie in Bracieux zum unverzichtbaren Wachpersonal, klemmen uns die Inselkarte ins Gepäck, machen die GPS-Uhr des Chronisten scharf, um unsere Irrwege zu dokumentieren, massieren die rabenschwarze Rennsemmel fit - und los geht’s um 11:45 Uhr bei ungefähr 10° C, hinüber über den Damm, durch Noirmoutier, dann stramm südlich nach La Guérnière, danach nordöstlich zum Meer und von da an immer südöstlich, linkerhand den Deich und das Meer, rechterhand Salzbecken, Teiche, Kanäle und ein grandioses Vogelparadies.

Die Passage du Gois Die Passage du Gois Nach 17 Kilometern erreichen wir gegen 14:30 Uhr den Brückenkopf von Le Gois. Das Meer hat sich weit, weit draußen zurückgezogen, Autos schaukeln über die Betonpiste, das Watt ist voller Fußgänger und Sammler, vor allem aber voller Japaner, die sehr ernsthaft und eifrig mit Kindereimer und Schäufelchen im Schlick stochern. Von der Schanze oberhalb der Passage kann man erst diesen kuriosen Touristentreck durchs Watt ermessen, so einen Eindruck müssen auch die rund 500 Tausend Israeliten mit ihrem ganzen Tross gemacht haben, als sie das Meer durchschritten. Ob die damals auch einen Tom hatten, der sie da hinein trieb. Damals hieß der Tom noch Moses, weil die Amerikaner noch nicht bekannt waren. Naja, ist ja mal gut gegangen, wie es auch bei uns gut gegangen WattsucherWattsucherist. Normalerweise liegt die Passage bei Flut zwei bis drei Meter unter dem Meeresspiegel, bei Springfluten gar viereinhalb Meter. Da würde man sich allerdings wünschen, dass der moderne Moses namens Tom ein wenig mehr Sorgfalt walten lassen würde. Die modernen Israeliten treffen sich hier jedes Jahr im Juni zum „Les Foulées du Gois“, einem Lauf  über die Passage gegen das auflaufende Wasser. Die spinnen, die Gallier! Ob die Passage wenigstens anlässlich dieses Ereignisses gesperrt ist? Oder müssen sich die Läufer auch noch gegen die einlaufenden Autos behaupten? Diese Straße ist und bleibt eine Kuriosität, die man wirklich mal gesehen haben muss.

Als wir genug gesehen und räsoniert haben, sowie Fianna noch ein paar Kleinkinder Landschaft atmenLandschaft atmenhundefest gemacht hat (Streichel nur, die tut nix!), machen wir uns wieder auf den Heimweg, erst einmal denselben Weg zurück. An der Stelle, wo wir auf der Herfahrt von La Guérnière herüber kamen, gibt es ein paar Austernfischer, die auch heute ihre Früchtchen verkaufen, was uns natürlich nicht ruhen lässt. Für ein Dutzend (plus 1 Bonusauster) zahlen wir 5,30 €! Und frischer geht’s wirklich nicht. Jetzt wollen wir wissen, ob es nicht doch noch weiter am Deich entlang Richtung Noirmoutier geht, weil die Strecke an der Straße entlang über La Guérnière sehr eintönig ist, obwohl es da größtenteils auch einen Radweg gibt. Aber das törnt ab. Also finden wir den Einstieg in einen Weg unterhalb des Deiches. Kurz darauf weist uns ein Schild darauf hin, dass hier das Vergnügen zu Ende ist und der Weg nur für Baupersonal begehbar sei. Der Himmel schickt uns ordnungshörigen Deutschen just in diesem Moment eine französische Familie, die uns aus diesem vermeintlichen Sperrgebiet entgegen radelt. Auf Nachfrage winken sie lässig ab, kein Problem, nur an einer Stelle ist es etwas eng und unkomfortabel, aber die Strecke ist gut befahrbar. Na, denn! Franzosen und Deutsche sind ja nun seit fast 70 Jahren Freunde, wieso sollten die uns ins Verderben schicken? Tun sie auch nicht, wir rollen völlig alleine gen Norden auf Noirmoutier zu, werden allerdings im weiteren Verlauf immer übermütiger, weil wir Kühlung für die brennenden PfotenKühlung für die brennenden Pfotennordöstlich von uns den östlichsten Punkt jenes Dammes sehen, der direkt beim Campingplatz liegt. Es könnte doch gut sein, dass wir bei Niedrigwasser dort quer hinüber und direkt auf den Damm kämen, ohne durch den Ort zu müssen. Es latschen ja auch ein paar Fischer hier rum. Und da drüben sieht es doch wirklich so aus, als ob es da einen Übergang gäbe. Als wir am östlichsten Punkt der Strecke ankommen, müssen wir allerdings erkennen, dass uns das Watt eine Fata Morgana vorgespiegelt hat: da geht es nicht hinüber. Wir müssen nach rund 28 Kilometer über viel Geröll und Gelumpe im Zickzack doch wieder hinüber zur Hauptstraße, eine tapfer treidelnde Fianna im Schlepp. Was die heute wieder abspult ist phänomenal. Aber diese Geröllstrecke hätten wir ihr ersparen sollen. Wenn es eine Abkürzung gegeben hätte, wäre das für sie von Vorteil gewesen, so aber haben wir und vor allem sie die A-Karte. Gegen 16:30 Uhr sind wir wieder im touristischen Zentrum von Noirmoutier und genehmigen uns ein verdientes Eis auf die Faust, von dem auch Fianna einiges abbekommt. Dann wieder über den höchst belebten Damm zurück zum Campingplatz, Ankunft 17:40 Uhr, Kilometerstand 34,77! Das sind schon wieder über anderthalb Ausdauerprüfungen für den Fellzwerg. Wir nehmen sie in die Arme, einfach toll, was die alles wegsteckt, als wär’s nix. Anouk freut sich auch wie ein Schnitzel, macht aber dennoch nicht den Anschein, als ob sie uns schmerzlich vermisst hätte; ehrlich gesagt, hat sie unsere Ankunft gar nicht gehört, so tief hat sie geratzt.

Die Radtour von Camping Indigo zur Passage du Gois und zurückUnsere Radtour von Camping Indigo zur Passage du Gois und zurück

Stillleben mit AusternStillleben mit AusternNun wird ein wenig gebummelt, gedöst und an der Weiterreise geplant. Um 20:30 Uhr kommen die 13 Austern auf den Tisch und danach leckern wir uns durch eine Käseauswahl, die wir uns gestern aus dem Supermarkt mitgebracht haben. Wir sitzen draußen, genießen den wolkenlosen Himmel und immer noch angenehme Temperaturen; das Leben kann so unspektakulär schön sein. Um 22:30 Uhr geht das Licht aus. Fianna ist rechtschaffen müde, warum aber Anouk, die den ganzen lieben langen Tag geschlafen hat, schnarcht wie ein Pferdekutscher, bleibt ihr Geheimnis. Irgendwie zieht durch den Franz eine große Welle Zufriedenheit.

 

 

Ostermontag, 21. April 2014

Abschied von der InselAbschied von der InselHeute ist Schluss mit dem Inselleben, heute geht es weiter und zwar nach Guérande und weiter in Richtung Carnac und Quiberon. Wie die Route und die Tagesetappen genau aussehen werden, überlassen wir dem gütigen Geschick

Um 7:15 Uhr schreit uns der gallische Gockel in Gestalt eines Smartphones aus den Federn. Die Morgenroutinen unterscheiden sich nicht wesentlich von allen anderen Tagen, nur das Frühstück besteht heute aus Müsli; es ist Reisetag. Zum Schluss heißt es noch Wasser lassen und Wasser fassen und dann machen wir uns um 9:30 Uhr auf die Socken. Ein kurzer Überschlag der Gezeitentabelle bestätigt, dass die Wattpassage bei Le Gois heute nur mit einem U-Boot zu schaffen wäre, was uns dazu ermuntert, diese Passage bei Flut zu begutachten. Um kurz vor 10 Uhr kommen wir an als eines von vielen Womos und anderen Pkw, die entweder, wie wir, zum Wasserschauen da sind oder warten, bis sie trockenen Fußes ans Festland kommen. Viel Spaß beim Warten. Hier steht das Wasser noch ziemlich hoch, den Verkehrszeichen beim Einstieg in die Furt immerhin bis zum Kinn. Die Passage du Gois bei FlutIch bin dann mal weg, sagt die D 948Warnschild an der Passage du GoisAchtung: Schwimmflügel anlegenIrgendwie macht die Szenerie den Eindruck, als ob sich die D 948 aus schierer Verzweiflung kopfüber ins Wasser stürzen würde. Gegen diesen Anblick wirkt eine Zugbrücke, bei der die Straße plötzlich senkrecht in den Himmel steigt, wie ein Versatzstück aus Disneyland. Dies hier ist die unverstellte Wirklichkeit des Lebens: ab in die Unterwelt. Ich bin dann mal weg. Ziemlich schrullig kommt uns dabei das Schild „Vorsicht Schleudergefahr“ vor. Sinnspendender ist die Tafel: „Risque de noyade / Risk of drowning / Bei Flut besteht Lebensgefahr“ mit einem überfluteten Fahrzeug. Die Tafel muss bei der Programmierung unseres Toms noch gefehlt haben oder der Spaßvogel hat sie einfach ignoriert.

Wir haben gesehen, was wir wollten und fahren in dem Bewusstsein zurück, dass uns diese Selbstmordpiste auch beim nächsten und übernächsten Besuch einen seltsamen Schauer über den Rücken schicken würde. Bei Barbátre halten wir uns südlich auf die offizielle Sundbrücke zu. Kaum sind wir über der Brücke wieder auf dem Festland, sehen wir links und rechts zwei prächtige und dünn besiedelte Campingplätze, der eine, rechterhand, direkt am Strand, einem Strand, wie man sich das vorstellt. Keine Touristenhorden, keine Badehäuschen, leere Strände, ungehinderter Freilauf für unsere Damen… Mist! Wenn uns der tumbe Tom nicht durchs Watt geführt hätte, wären wir hier vorbei gekommen und hätten definitiv eine Vollbremsung eingelegt, um uns das näher anzusehen. Dann wären wir nicht nur dem Osteransturm und dem mickrigen Strand aus dem Weg gegangen, sondern wären tatsächlich an der Atlantikseite der Insel gelegen! Aber nun ist es zu spät. Toms Soll-Konto bläht sich zusehends.

Loirebrücke bei St. NazaireLoirebrücke bei St. NazaireIn Le Barre-de-Monts tanken wir bei Intermarché für 1.29,9 € voll und decken uns mit dem Nötigsten ein: Baguette, Fischsuppe, zehn Jakobsmuscheln (für 4,85 €!), Wasser und Wein. So eine Reise an Frankreichs Gestade hat etwas von Bergpredigt. Dann geht es weiter nach Norden und bei St. Nazaire über die Loire-Mündung. Kurz überlegen wir uns, ob wir einen Halt einlegen sollen, um uns die U-Boot-Bunker aus dem 2. Weltkrieg mit ihren zehn Meter dicken Stahlbetondecken ansehen sollen, verwerfen die Idee aber wieder, weil dort unseres Wissens nur noch ein französisches Boot der Narval-Klasse liegt und das wäre, als würde man eine Minstrel-Show besuchen, wenn man wissen wollte, wie Schwarzafrikaner sind und aussehen. Außerdem sind U-Boote alle irgendwie gleich: eng, beklemmend, verletzend. Wir haben so ein Monstrum, ein russisches Atom-U-Boot im Hafen von Helsinki besichtigt, das sollte reichen. Dieses hier wird all die beschriebenen Charaktereigenschaften in verdichtetem Ausmaß haben; darauf können wir gut verzichten.

Um 12:30 Uhr sind wir in Guérande. Wir parken auf einem Wohnmobilstellplatz nahe der Altstadt und legen eine Pause ein, weil die Chefin an Kopfschmerzen laboriert. Also: Genesungsschlaf in Guérande.

Das historische Zentrum von GuérandeDas historische Zentrum von GuérandeNach einer Stunde Ruhe fühlen wir uns alle stark genug, Guérande zu erkunden. Es ist wolkig bei 19° C, das stellt keinen auf eine allzu große Probe. Guérande ist ein Historienstädtchen wie man es etwa von Nördlingen, Rothenburg o. T. oder Dinkelsbühl kennt, und nicht zufällig ist Dinkelsbühl die Partnerstadt von Guérande. Historienstädtchen heißt, dass man die historische Bausubstanz erhalten hat, aber in den Erdgeschoßen nicht Schmiede, Tischler, oder Schneider ihrem Gewerbe nachgehen, sondern Souvenirläden, Süßwarenläden und Klamottenbuden sich immer schön mit Restaurants, Bars und Cafés abwechseln. Nur die Geldverleiher gehen ungebrochen ihren Geschäften nach, aber sie tun das nicht mehr in schummerigen Hinterzimmern, sondern plakativ und prahlerisch mit Protz und Pomp. Wir machen einen Bummel, finden das alles zwar äußerlich un peu charmant, aber aufgesetzt und hohl. Zugang finden wir zu diesem Touristenort nicht, was durchaus eine Ansage ist, wenn man weiß, dass selbst der Chronist seinerzeit mit dem Gedanken spielte, sein Leben in Las Vegas auszuhauchen. Wenn schon Crêpes und GalettesCrêpes und GalettesBonbonnerie in GuérandeSüßes oder SauresTouristenschaukel, dann aber richtig und aus ganzem Herzen. Diese Fassadenhistorik ist doch eher öde. Selbst die komplett umlaufende Stadtmauer ist nur Fassade: kein Mensch bewegt sich auf ihr. Das wenigstens haben unsere deutschen Puppenstuben Guérande voraus. Auch die Speisekarten sind von seltener Einfalt. Fast jeder Schritt endet vor einem Restaurant oder Bistro und überall gibt es das gleiche Menü: Galettes und Crêpes, also erst ein Teigfladen aus Buchweizenteig mit pikantem Belag und dann ein süßer Pfannkuchen. Man stelle sich vor, es gäbe in München nichts anderes als Schweinsbraten mit Knödel und danach Bayrische Creme…

Und was uns jetzt plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt: Deutsche aller Stämme strudeln hier durcheinander; in Noirmoutier auf dem Campingplatz war definitiv nicht ein einziger. Abgesehen von ein paar handverlesenen Holländern, gab es dort nur Franzosen. Und hier ein germanisches Sprachgewirr aus schwäbisch und sächsisch, plattdütsch und allgäuerisch. Fast alle in kurzen Hosen, Sandalen und Socken über den Krampfadern. Leck! Das kommt ja gleich nach Meran. Wir verzichten auf Galettes und Crêpes, genehmigen uns aber eine fette Waffel mit Zucker (Gaufre), so eine, die uns schon auf der Herfahrt auf Frankreich einstimmte. So ein süßes Leckermahl kostet hier 1,50 €. Wenigstens im Preis orientieren sich die Guérandesen (?) nicht an Dinkelsbühl. Danach erstehen wir noch einige wirklich schlichtschöne Auflaufformen, größere und kleinere, runde und eckige und bezahlen auch dafür nur 39 €. Offensichtlich bleiben die Franzosen auch in Touristenzentren finanziell auf dem Boden. Das versöhnt und entspannt.

Küste bei Le CroisicAtemberaubende, aber zu felsige Küste bei Le CroisicUm 14:30 Uhr sind wir wieder beim Franz und setzen unsere Reise mit der Quartiersuche für die Nacht fort. Wir haben noch keine Idee, wo wir unser Haupt zur Ruhe legen wollen: Strand soll es haben, schön soll es sein. Was sonst! Auf einem Bogen, erst nach Süden, dann nach Westen, kurven wir über Batz-sur-Mer nach Le Croisic. Die Landschaft ist bretonisch atemberaubend, aber Campingplätze gibt es nur zu weit ab vom Wasser, was wir unserer Anouk nicht mehr antun wollen und können. Andere, etwas näher gelegene, sind so teuer, dass wir gleich in ein Hotel gehen könnten und die dritte Kategorie – hat noch immer nicht geöffnet, und das an Ostern. Hier scheinen wirklich die gallischen Hühner goldene Eier zu legen, der Osterhase tut es offenbar nicht.

Wir lassen das hier und schaukeln wieder in einigem Abstand an Guérande vorbei Richtung Nordwesten nach Piriac-sur-Mer. Dort streckt das Land seine Nase weit in den Golf von Biscaya hinein, was, sofern vorhanden, schöne Sonnenuntergänge verspricht. Aber auch hier: Felsküste bretonisch atemberaubend, aber nichts für alte Knochen. Viel Touristen, die über die Felsen steigen, das wilde Land genießen, aber, als wollte uns hier keiner haben, eine ähnliche Herbergsauswahl wie in Le Croisic: zu weit, zu teuer oder noch geschlossen. Man ist ja schon weit im Westen Europas, aber so am Ende der Welt sind wir doch auch nicht, oder? Macht nichts, wir finden schon etwas.

Langweilig wird es auf diesen Straßen sowieso nicht, obwohl das Auge weit und breit nur noch Salzgärten erfasst. Diese Wasserlandschaft strahlt eine ungeheure Kraft aus und hält Farben vor, die man sich kaum vorstellen kann. Salzgarten bei GuérandeSalzgarten bei GuérandeWir sind im Weißen Land, im Gwenn Rann, wie es bretonisch heißt. Hier dreht sich alles um das Meersalz, das, mit Verlaub, beste Salz der Welt. Es ist ein mühsames Geschäft und eine Kunst, dem Meer das Salz abzuringen. Da wird nicht einfach Wasser in einem Becken verdampft und anschließend liegt Salz herum und wartet, dass man es einsammelt. Sicher ist die Prozedur überall, je nach Lage eines Salzgartens und je nach den herrschenden Bedingungen etwas anders. Hier, rund um Guérande, funktioniert das folgendermaßen. Das Meerwasser dringt durch Kanäle, so genannte etier, in einen solchen Guérandaiser Salzgarten ein. Entlang dieser Kanäle sind Einlässe angebracht, die aus einer hoch liegenden Mulde und einem Schieber bestehen, die nur bei sehr hoher Flut das Wasser in ein erstes Becken hinein-, aber nicht mehr herausfließen lassen. Dieses erste Becken heißt vasière. Ein vasière muss so viel Meerwasser speichern können, dass es die Saline zwischen zwei großen Fluten mit Wasser versorgen kann. Hier findet neben der Klärung des Meerwassers eine erste Verdunstung statt.

Aufbau einer Saline von GuérandeAufbau einer Saline von Guérande

Das Wasser verlässt die vasière entweder direkt in die Saline oder in ein weiteres Vorbecken, das cobier genannt wird. Über eine ausgetüftelte Vorrichtung (le comminladure) wird die Fließgeschwindigkeit den Wetterbedingungen entsprechend reguliert. Wegen des geringen Gefälles (1/5000) fließt das Wasser wie in Zeitlupe, wobei sein Kreislauf durch kleine Dämme und Barrieren noch zusätzlich verlängert wird.

Die Saline selbst umfasst drei Arten von Becken: die äußere Umfassung der Saline und an der Böschung gelegen sind die fares, von denen aus die weiter innen gelegenen adernes gespeist werden, deren Zufluss durch verschiedene System täglich präzise dosiert werden kann. Die letzten, innersten Becken sind die eigentlichen Kristallisationsbecken, die etwa 7 x 10 Meter umfassenden œiletts. An günstigen Tagen kann der Salzgärtner hier mit einer Holzschaufel, der lousse à fleur de sel, etwa zwei Kilo des begehrten, an der Oberfläche schwimmenden feinen Fleur de Sel ernten. Mit einer größeren Holzschaufel, der las, werden dann Wellen erzeugt, die das am Grund des Beckens liegende Salz, dem Sel gris, an den Beckenrand schwemmen, im Schnitt etwa 50 Kilo. Das Salz wird anschließend auf eine Plattform geschaufelt, wo es über Nacht abtropfen kann, bevor es dann auf die Salzberge gebracht werden kann. Am Ende der Saison wird das Salz in Salzhäuser (salorges) gebracht. Hier setzen sich in einem langen Prozess die schweren Anteile des Salzes, Carbonat und Kalziumsulfat, auf dem Boden ab und übrig bleibt das gereinigte Endprodukt, das Salz, das wir kaufen können.

Wer tiefer in den Zauber des Gwenn Rann eintauchen möchte, dem empfehlen wir den Krimi „Bretonisches Gold“ von Jean-Luc Bannalec, der das Land und seine Bewohnern äußerst einfühlsam in Szene setzt. Wir wissen von Leuten, die nach der Lektüre nur noch ein Ziel für den nächsten Urlaub kannten: den Golf von Morbihan.

Salz aus Guérande am StraßenrandSalz des Meeres - Salz der ErdeDorthin wollen wir auch noch, aber fürs erste halten wir an einem solchen Salzgarten an und kaufen frisches Salz aus Guérande. Ein kleines Pläuschchen, ein bisschen Smalltalk und dann geht es wieder weiter durchs Gwenn Rann: die unheilige Familie auf der Suche nach einem geeigneten Quartier. Und dann, in La Turballe, während wir gerade zwischen den Häusern hindurch den Deich sehen, hinter dem sich, aller Logik zufolge, das Meer befinden müsste, meinen wir ein Hinweisschild gesehen zu haben, mit der Aufschrift „Camping municipale“ und einem Pfeil just in Richtung Deich. Blickwechsel, Einvernehmen, Vollbremsung und U-Turn auf der Dorfstraße, hinein in Richtung städtischer Campingplatz. Um 16:45 Uhr stehen wir vor der Rezeption, Position N 47° 19‘ 43‘‘ W 2° 29‘ 57‘‘. Die Camping Municipal in La TurballeEinsam in La TurballeChefin macht, wie inzwischen bewährt, das Quartier, kommt aber nach wenigen Minuten kopfschüttelnd zurück: Reich mir mal die Impfpässe raus! Das erste Mal müssen wir für die Hunde Impfpässe vorlegen. Der auf dieser Reise am weitesten von Deutschland entfernte Punkt und dann sowas. Das ist und bleibt aber, so viel darf man schon vorweg festhalten, das einzig befremdliche an diesem Platz: ziemlich neu hier alles, weiträumig, freundlich (ja, auch das Personal), gepflegte Rasenplätze, kaum jemand anwesend (wir zählen später acht weitere Camper) – und der Strand erkennbar auf Armeslänge. Nichts wie hinein und festgemacht.

Wir halten uns nicht lange mit Dingen auf, die man auch verschieben kann, lassen die Der Traumstrand von La TurballeDer Traumstrand von La TurballeDamen heraus und stapfen zum Strand, keine fünf Minuten dauert das – und wir stehen in den Dünen oberhalb eines nahezu menschenleeren, pulverweißen Sandstrands, über uns nichts als ein azurblauer Himmel, vor uns Strand und Meer. Die Kurverei hat sich sowas von gelohnt, dass wir für diesen Platz und diesen Strand gerne noch ein paar Kilometer mehr gefahren wären. Den Duldsamen belohnt der Himmel. Dass nun Wasserspiele auf dem Plan stehen, braucht nicht gesondert zu erwähnt werden. Wir wandern gen Süden, nur gelegentlich von Joggern passiert und erstmals in Frankreich mit einer ganzen Schar von nackten Sonnenbetern überrascht die uns ihre nahtlos braune Blöße anbieten. Fianna müssen wir noch beibringen, dass sie kein Fisch ist und die lapprigen Würmer nicht zum Verzehr geeignet sind… Ja, varreck, ist das ein Paradies hier! Über die Dünen spazieren wir wieder nördlich und sind gegen 18:15 Uhr wieder beim Franz, vor dem wir uns wohnlich einrichten. Um 19 Uhr nehmen wir unter einem makellosen Himmel und bei 17° C unser Abendmahl ein: Salat mit Mozzarella di Buffalo und Waldfrüchte-Dressing und obenauf gebratene Coquillen, die Jakobsmuscheln aus dem Intermarché. Dazu gibt es Cidre und Baguette.

Sonnenuntergang am Strand von La TurballeUm 21 Uhr zieht es uns nochmal zum Strand: Sonnenuntergang schauen. Der macht sich aber rar und versteckt sich ein bisschen hinter Wolken. Um 22 Uhr ist Anouk bereits in unser Bett eingezogen und verweigert den abschließenden Pinkelgang beinhart; fast ist sie versucht, mir einen körperlichen Verweis ob dieser Zumutung zu erteilen. Dann bleib halt liegen und erstick an deiner Blase! Das Meer züngelt sanft über den Strand und rauscht uns in den Schlaf. Anouk schläft schon wie im Rausch.

Liebe Anouk, nun hast du fast alle wesentlichen Gewässer der Erde in deinem Fahrtenbuch: an der Ostsee warst du, an der Nordsee, dort schon im zarten Alter von 9 Wochen, an der Mittelsee, das die Menschen Mare Mediterraneum nennen, und nun bist du im Ausklang deines Lebens auch noch an der Westsee, die wir Atlantik nennen. Hier tief im Westen, wo die Sonne wirklich versinkt, nicht dort in Bochum, wo manche glauben, dass sie versinkt, hier schenken wir dir auf dieser Reise nach dem Schloss Chambord noch dieses Weltmeer. Und was machst du? Du schnarchst wieder wie ein Müllkutscher und widersetzt dich deinem Pfleger, der dir helfen will, deine Blase zu erleichtern. Trotzdem war es uns wichtig, dir dieses Meer zu Füßen zu legen. Nur eine Lücke wird auf immer in deinem Fahrtenbuch klaffen: die Südsee, die eine Sehnsucht bleiben muss.

Tagesetappe von Noirmoutier nach La Turballe

 

Dienstag, 22. April 2014 

Um vier Uhr fingert der Regen ein feines Pizzicato auf Franzens Dach, um fünf Uhr trommelt er ein Furioso drauf und um sieben Uhr ist die Sinfonie „La Turballe“ ausgespielt. Wir bleiben trotzdem liegen. Kurz nach neun Uhr hebt sich der Chronist aus dem Bett, keinen Plan verfolgend, eher einem Bedürfnis. Ein typisches Nachregenwetter begrüßt ihn: Sonne, Wolken, etwas Wind und ein klarer Himmel bei 13° C. Schön. An solchen Tagen könnte man Helden zeugen, muss aber erst mal pinkeln. Er bereitet ein Müslifrühstück, weil wir noch keine Lust hatten die boulangere Infrastruktur zu erkunden und muss etwas besorgt registrieren, dass Anouk, die Weitgereiste, keine Anstalten macht, sich aus dem Bett zu erheben. Selbst die ferne Ankündigung eines lockenden Frühstücks (natürlich kein Müsli für die Carnivoren) lässt sie kalt. Seit kurz nach 21 Uhr liegt sie nun fest mit unserem Bett verschweißt, gewordener Bestandteil unserer Bett- und Lakenwelt, und trotzt allen körperlichen Bedürfnissen. Kurz nach 10 Uhr gelingt es uns dann doch, sie gegen ihren erklärten Willen aus der Furzmulde zu heben und ihr einen Spaziergang schmackhaft zu machen. Über zwölf Stunden auf einem Fleck! Soll noch einer behaupten, Hunde bräuchten viel Auslauf. Hunde, alte Hunde, vor allem alte Hündinnen brauchen Ruhe und noch nicht einmal ein Klo. 

Anouk am Starnd von La TurballeSöckchenwaschen im AtlantikFianna am Strand von La TurballeFianna alias U-Boot-FannerlWir ziehen wieder über den Strand und der Himmel sich wieder zu. Anouk lebt jetzt auch wieder in ihrer Parallellwelt; sie kennt offenbar nur noch zwei Welten: die Lakenwelt und die Strandwelt. In beiden geht sie auf und wird eins mit ihnen, obwohl sie sich in die Wellen nicht so tief stürzt wie in die Laken; hier reichen ihr die Wellen gerade mal auf Söckchenhöhe. Fianna dagegen ist eifrig dabei den Kampfnamen ihrer Mutter “Biber-Franz“ zu toppen und zum „U-Boot-Fannerl“ zu werden. Wenn man sie anschließend sorgsam trocknete, gewönne man vermutlich auch hundert Gramm reinen Meersalzes. Selbst zu dieser doch schon etwas vorgerückter Morgenstunde sind wir fast alleine am Strand, von ein paar sehr wenigen Joggern abgesehen, den Nackten ist es offensichtlich noch zu frisch, so viel zu frisch, dass Fianna noch nicht einmal auf Angelwürmer spekulieren könnte.

Um 11:30 Uhr sind wir zurück. Die Hunde kriegen jetzt etwas zwischen die Zähne und wir gönnen uns im Freien auch noch ein zweites Frühstück mit etwas ältlichem Baguette und Karamellcreme aus gesalzener Butter. Diese Creme ist eine Offenbarung. Wir vermuten, dass die Amis vor Zeiten einmal mit dieser Köstlichkeit in Kontakt gekommen waren und versuchten, sie zuhause nachzuzaubern, sich aber nur an die Farbe erinnern konnten. Und so entstand Erdnussbutter. Das eine ist eine Explosion auf den Geschmacksknospen, das andere bestenfalls zum Einreiben gegen Fußpilz.

Campingplatzfährte für FiannaEine saftige Fährtenwiese sieht anders ausUm 13 Uhr kriegen die Mädels eine Campingplatz-Fährte, Anouk, weil sie, anders als morgens, Himmel und Hölle in Bewegung setzt, mitmachen zu dürfen, kriegt 120 Schritte gelegt, für Fianna sind es 350 Schritte. Auf einem Campingplatz mit den vielen ungewohnten und sich überlagernden Gerüchen ist das nicht von schlechten Eltern. Dazu kommt ein inzwischen wieder blitzblanker Himmel, der die Heliumheizung spontan auf 21° C hochschiebt und eine markige Brise aus westlichen Richtungen. Da hat die Nachwuchshoffnung zu tun. Und es ist wieder auf sie Verlass. Sie ist hoch konzentriert, ackert sich verbissen durch den sandigen Dürrgrasboden und ist am Ende ordentlich geschafft. Aber sie hat es Campingplatzfährte für AnoukLocker-flockig immer der Nase nacheben auch mit Bravour geschafft. Anouk hingegen hat ihren Spaß und übertreibt es nicht mehr auf die alten Tage hin; soll doch die Kleine den Streber geben. Sie, die erfahrene Füchsin, kriegt natürlich sofort spitz, dass an den Schattenstellen die Tretspuren im Gras selbst für Dreiviertelblinde ohne Augengläser zu sehen ist, also fliegt sie eben auf Sicht. Dass sie auch anders kann, hat sie früher bewiesen und muss das nun nicht mehr tun. Man muss sie unentwegt knutschen, die durchtriebene alte Kuh.

Um 15:45 Uhr laden wir die Räder von Franzens Buckel und fahren die etwa 2,5 Kilometer in den Ort. La Turballe ist ein ehemaliges Fischerdorf, das den Renoviertes Fischerhaus in La TurballeDas charmante Gesicht von La TurballeRenoviertes Fischerhaus in La TurballeRenoviertes Fischerhaus in La TurballeTouristen zum Fraß vorgeworfen wurde oder sich ihnen selbst zum Fraß vorwarf. Natürlich gehört dazu eine Marina, Restaurants, Bars und Cafés Schulter an Schulter, dazu die unvermeidlichen Souvenirläden und Boutiquen. Wenn man einen Schritt zur Seite, von der Hauptschlagader ins alte Innere des Orts macht, charmieren noch die alten, kleinen Fischerhäuser, denen aber dennoch ihre touristische Zweckentfremdung anzusehen ist. Dort, wo früher noch alte Bausubstanz Das touristische Gesicht von La TurballeDas touristische Gesicht von La Turballedas Ensemble stimmig machte, stehen jetzt Touristenhotels mit Terrassenbalkonen, mit gläsernen Balkonschiebetüren und Glastrennwänden. Die Tristesse aller Touristenorte wird zur besonders traurigen Tristesse, wenn keine Touristen zugegen sind, sondern all diese Beton- und Glasauftürmungen leer und öde wie Grabsteine da stehen. Dann sind auch die Boutiquen leer und die Souvenirläden langweilen sich oder sind geschlossen. Vor den wenigen geöffneten Restaurants steht trödelndes Personal und versucht nicht einmal, Kundschaft herein zu bugsieren. Es wirkt so abgewirtschaftet wie alles hier. Der Massentourismus ist der Goldene Schuss für eine gewachsene Heimat.

Ein Geschäft macht uns richtig Neugierig: Fischkonserven. Da denkt man an die heimischen Schlabberfische in Tomaten- oder Biersoße. Kein Vergleich! Was wir hier verkosten, lässt uns den Sabber aus den Mundwinkeln tropfen. Dazu Fischsuppen! Wir stapeln in unsere Satteltasche, was diese zu tragen bereit ist, dazu noch zwei stilsichere Schalen für die Fischsuppen. Und fast sind wir mit La Turballe wieder ganz versöhnt. Wenn man so viel Gutes wegtragen kann, muss man nicht nachtragend sein. Und dann finden wir auch noch eine Boulangerie und Patisserie, aus der wir, neben Klassischem, auch noch zwei grasgrüne Feigentörtchen in Marzipan mitnehmen. Jetzt sind wir La Turballe überhaupt nicht mehr böse. Müssen wir ja auch nicht, wir leben ja etwas außerhalb und brauchen uns um die touristische Erniedrigung nicht weiter zu kümmern.

Kurz nach fünf sind wir wieder bei Franz und seinen Bewohnerinnen, bummeln in den Abend hinein und planen den Fortschritt unserer Reise. Um 19 Uhr machen wir uns ans Abendessen, das heute ein Resteessen wird, weil wir sicher nicht mehr als zwei Tage vor uns haben, und da empfiehlt es sich die Lagerhaltung zu reduzieren. Es gibt also Rehragout aus der Dose, das Pendant zum Hirsch von Chambord, dazu Schupfnudeln und gemischten Salat mit Gésiers. Ziemlich gewagt, das Menü, aber Pizza war auch nie etwas anderes als die Verteigfladung italienischer Das grasgrüne Marzipan-Feigen-DesertDas grasgrüne Marzipan-Feigen-DesertKüchenreste, und daraus ist ein globaler Küchenklassiker geworden. Zum Nachtisch gibt es diese grasgrünen Marzipan-Feigen-Törtchen, die uns die Einfalt deutscher Backkunst zum wiederholten Male schmerzlich bewusst machen. Wenn Mutti ihren Marmorkuchen, ihre Käsesahne, ihre Erdbeerschnittchen oder ihren gedeckten Apfelkuchen macht – alles in Ordnung. Wenn aber der gesamten Bäcker- und Konditormeisterei von Flensburg bis Bad Feilnbach auch nicht viel mehr einfällt, ist das ein kulinarisches Desaster. Natürlich gibt es in Deutschland eine große Auswahl von Back- und Konditoreiwaren, aber wo ist das kreative Genie des einzelnen Konditors. Hier in Frankreich finden wir in nahezu jeder Patisserie etwas Einzigartiges, etwas, das wir nirgendwo sonst gesehen haben. Denken wir an die schokoladigen Pfaffenhütchen aus Jallais und nun diese grasgrüne Gaumenschmeichelei – nirgendwo vorher gesehen. Auch Torten gibt es hier in einer Vielfalt und Phantasie, die uns die Schamröte ins Gesicht treibt. Da haben wir den Franzosen immer ihre Einfalt in Brotdingen vorgeworfen, Baguette und nochmal Baguette, und mitleidig auf unsere bedauernswerten Nachbarn herabgeblickt, wir, die wir die Welt bis ans Ende ihrer Tage mit Brotsorten beglücken können. Dafür fehlt es uns halt an der Liebe zur virtuosen Konditorei. Blöd nur, dass die Franzosen inzwischen ihr Baghetto längst verlassen haben und vieles von dem, was uns so stolz macht, auch im Repertoire haben. Es zahlt sich aus, vom Westen in den Osten zu schauen. Es würde sich auch lohnen vom Osten in den Westen zu blicken. Der Bäcker oder Konditor, der mir als erster eine grasgrüne Marzipanfeige oder ein abgrundschwarzes Pfaffenhütchen kredenzt, wird hier auf dieser Seite mit Bild und Text gewürdigt. Macht euch an die Arbeit, ihr Mehlwürmer - vor allem das abgrundschwarzes Pfaffenhütchen sollte doch in Bayern machbar sein.

Der Himmel wechselt von blitzblank zu wolkig und so schwankt auch die Temperatur von wohlig bis frisch. Wir machen uns auf zu einem Abschiedsbummel am Strand und ein bisschen Wehmut macht sich breit. Wenn wir doch nur schon ein bisschen früher… Aber es ist ja nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage. Der Sonnenuntergang misslingt uns auch noch, was die Schwermut zu einer handfesten Depression anwachsen lässt. Dagegen hilft nur ein feiner Tropfen aus der Backskiste, den wir uns bei nun unverstelltem Sternenhimmel und 13° C auf einem praktisch leeren Campingplatz hinter die Binde tröpfeln. Gegen 23 Uhr ist der Seelentröster einverleibt und wir schließen die Türe hinter uns und den Mädels, die auch eine zarte Melancholie auszubrüten scheinen.

 

Mittwoch, 23. April 2014

Abschied vom Strand von La TurballeAbschied vom Strand von La TurballeUm 7:45 Uhr hat sich der Himmel zugedeckt und er weint ein wenig, vermutlich ob unseres Abschieds. Die Chefin macht mit den Damen noch eine kleine Morgenvisite am Strand, während der Chef mit dem Rad in den Ort fährt und bei besungener Marzipanfeigenkonditorei ein Frühstück zu besorgen. Er ist nicht alleine hier; offenbar ist er nicht der einzige, der diese Backstube schätzen gelernt hat. Auf der Rückfahrt bläht ihm der Wind den Windbreaker und der Himmel lässt ihn seine Trauer immer stärker spüren.

Fianna darf dann nochmal eine Fährte suchen, gezielt auf Plätzen, die gestern noch belegt waren: fast 400 Schritte unter verschärften Bedingungen, obwohl ihr der Regen natürlich ein wenig in die Karten spielt. Aber ein dürrer Sandboden ist auch bei leichtem Regen ein dürrer Sandboden und keine Mangfalltaler Saftwiese.

Um 9:15 Uhr wird gefrühstückt. Es regnet und es macht sich die Neigung breit, Franzens Nase direkt gen Osten auszurichten. Weiter nach Carnac und Quiberon macht bei Regenwetter nicht viel Sinn, vor allem für gerade noch einen Tag. Als wir unsere Rechnung begleichen (36,70 € für zwei Tage, Hunde und alles inkl.) macht uns die Dame an der Rezeption wenig Hoffnung: mindestens einen, eher zwei Tage wird sich der Regen halten, im Landesinneren dagegen ist es trocken.

So eingestimmt erledigen wir die letzten Dinge: duschen, Geschirr spülen, Franz in Fahrstimmung bringen, Hunde entsanden, na ja, was halt so ein muss, bis die Stimme vom Beifahrersitz kommen kann: All doors in flight. Au revoir. Das heißt zu Deutsch: Auf Wiedersehen.

Um 11:30 Uhr verlassen wir Camping Municipal La Turballe und haben nicht einen Grund, schlechte Presse zu machen. Alles in bester Ordnung hier, die sparsame Belegung stützt dieses Gefühl natürlich. Wie sollen Sanitäranlagen auch versifft sein, wenn sie kaum einer nutzt? Was für ein Privileg, die Hunde einfach ohne Leine vor der Tür liegen lassen und sie ohne Leine zum Strand führen zu können. Aber die Lage spricht schon alleine für sich. Und wer mehr Zeit mitbringt, kann auch durch ein angrenzendes Naturschutzgebiet wandern, wenn ihm der Sand nicht nur aus den Schuhen quillt, sondern zum Hals heraus hängt.

Wir tuckern durch La Turballe, weil wir bei Super-U noch einige Bedürfnisse zu befriedigen haben, die uns zuhause den Trennungsschmerz von Fronkraisch ein wenig versüßen sollen (was getrost auch wörtlich genommen werden darf). Um 12:45 Uhr verlassen wir den Supermarkt und La Turballe. Eine gute halbe Stunde später passieren wir Nantes nördlich. Dann geht es auf der A 11 weiter in Richtung Angers, Generaldirektion Ost, weil wir noch keinen Plan haben, wo wir heute Abend unsere Häupter zur Ruhe betten wollen. Alle Optionen, die wir durchspielen, überzeugen uns nicht so recht, bis sich eine Art Phantasmagorie im Cockpit materialisiert, eine Fata Morgana vor unserem inneren Auge erscheint. Es ist ein Schriftzug, der sich vor und zwischen uns aufbaut, undeutlich, verwischt. Wir alphabetisieren so etwas wie „Rendez-Vous“. Auch glauben wir das Wort „Gourmets“ ausgemacht zu haben. Gütiger Himmel, du gibst uns ein Zeichen! Natürlich! Sollen wir etwa heute Abend auf irgendeinem drittklassigen Abstellplatz zum Abschied aus Frankreich Küchenreste verwerten wie die Schweine? Niemals! Der Stern verlässt seine Follower nie, egal ob er sie zum Krippenkind in Bethlehem lotst oder nach Bracieux in Restaurant „Le Rendez-Vous des Gourmets“. Mann, waren wir hirnvernagelt, das liegt ja quasi am Weg und wartet auf uns. So soll es sein: ein mehrgängiges Abschiedsgelage in Bracieux! Welch segensreiche Wirkung eine solche Aussicht auf die Seele hat! Plötzlich haben wir Zeit, entspannen uns. Lehnen uns zurück und verlassen die Autobahn, um auf der D 766 unserem Ziel entgegen zu gleiten. Nichts kann unsere Laune stören, kein Lkw, kein landwirtschaftliches Gefahrzeug, keine Ortsdurchfahrt mit Umleitung - wir haben ein Ziel.

Um 17:45 Uhr steuern wir nach knapp 500 Kilometern wieder Camping Indigo in Bracieux an, legen uns wenige Meter neben unserem alten Stellplatz in eine Box mit einer hölzernen Sitzgruppe und feiern die Ankunft mit einem kleinen Ankerschluck. 24° C registrieren wir und einen bewölkten, aber trockenen Himmel. Wir strecken und lockern unsere Glieder ein wenig in der Horizontalen und machen uns dann landfein. Um 19:45 Uhr steuern wir das „Rendez-Vous des Gourmets“ an, grüßen den Kollegen Porthos im Vorübergehen, Santé, alter Schluckspecht, und stehen kaum drei Minuten später vor einer verschlossen Restauranttür: mittwochs geschlossen. Oh, leck! Warum hat darauf denn keiner geachtet? Weil keiner damit gerechnet hat, dass wir schon wieder hier stranden würden. Hämisch grüßt uns die vertraute Speisekarte aus ihrem unbeleuchteten Glaskasten heraus. Der Magen zollt ihr Tribut und grummelt mit unserer Laune um die Wette. Und was jetzt? Wir erinnern uns, dass am Ortseingang, am Kreisverkehr, ein Restaurant ist, da wollen wir es nun versuchen. Also wieder zurück, vorbei an Porthos, diesmal fällt der Gruß deutlich verhaltener aus, vorbei am Campingplatz und quer über den Kreisverkehr. Jawoll, von da drüben weht uns eine Duftexplosion entgegen, Lichter zwinkern uns durchs Strauchwerk zu; das „Relais d’Artemis“ ist in Betrieb und willens, uns aufzunehmen. Wir treten ein und vor eine knochendürre, aber durchaus attraktive Spätfünfzigerin mit blondiertem Bubikopf, die an einem Tischchen residierend den Ein- und Ausgang regelt. „Vous avez reservé?“ Nein, haben wir nicht, wie auch. Da tropft ihr das faltige Trauergesicht fast auf die gestärkte weiße Bluse: „Je regrette désolé“ und lässt auch nicht die geringste Hoffnung auf ein baldiges Platzangebot aufkommen. Die Rotisserie ist ausgebucht und weil die Franzosen keinesfalls bereit sind, vor Ende des siebten Ganges zwei hungernden Landfahrern einen Platz zur Verfügung zu stellen, trollen wir uns wieder. Die Reiseführerin gleicht einem sich selbst bemitleidenden Vulkan, der trotzig und ohne Unterlass Unheil in die Luft pufft. Ein letzter Versuch bleibt uns noch: der Holländer. Der Holländer heißt Holländer, weil er neben der französischen eine holländische Speisekarte im Aushang hat. Das lässt zwangsläufig einen Schluss auf die Klientel zu, aber wenig Hoffnung auf ein kulinarisches Feuerwerk. Es wird schon nicht auf Boerenkoolstamppot mit Rookworst hinaus laufen, so weit werden die hoffentlich hier nicht gehen. Wir schleppen uns wieder zurück, vorbei am Campingplatz, vorbei an Porthos, grußlos diesmal, vorbei am Rendez-Vous, an der Tür rüttelnd um sicher zu gehen, dass kein Irrtum vorliegt, so wie seinerzeit Gerhard Schröder am Kanzleramt: Ich will hier rein, doch es liegt kein Irrtum vor, ein paar Schritte noch – beim Holländer ist es auch finster wie im Bärenarsch. Die Reisebegleiterin spukt nicht mehr. Vorbei am "Rendez-Vous", vorbei an Porthos und hinein ins Camping Indigo. 20:15 Uhr; ein Drama in drei Akten und dreißig Minuten hat sein unrühmliches Ende gefunden. Es gibt Schweineresteessen, Brotzeit also. Allerdings ganz wollen wir uns der Bosheit des ungütigen Himmels nicht unterwerfen und öffnen eine Dose Fischsuppe aus La Turballe: Pimp the Vesper. Noch sind wir in Frankreich, noch gilt es, Haltung zu bewahren. Und dann halten wir es mit Porthos: Santé, alter Schluckspecht. Im Wein ist nämlich nicht nur Wahrheit, im Wein ist stiller Trost. Der wird erst recht gebraucht, wenn man sich im Frust auch noch das Champions-Leage-Spiel Real Madrid – Bayern München antut, das Real mit 1:0 gewinnt. Santé! Leitet sich das etwa von Schande ab, fantasiert das schläfrige Hirn? Wahrscheinlich eher nicht. Na denn: Santé und gute Nacht.

Die Etappe La Turballe - Bracieux 

Donnerstag, 24. April 2014

Der letzte Tag beginnt mit der Routine aller Tage: die Chefin geht mit den Damen Frühstück besorgen und die Küchenschabe kümmert sich um die Räum- und Pflegearbeiten; alles muss für die letzte Etappe hergerichtet werden, alles verräumt, was nicht mehr gebraucht wird, der Franz muss für den Wiedereintritt in den bayerischen Mikrokosmos hergewichst und –gewienert werden, Krückstock, Hut, Gesangbuch, Brille in Griffweite gelegt werden, damit wir nicht als welsche Zigeuner an der Landesgrenze abgewiesen werden.

Draußen ist es zwar trocken, aber die Luft ist voller Wasser, was bei 10° C Außentemperatur aber nicht zu einem Waschenküchenklima führt.

Dann geht alles ziemlich schnell, ein kurzes Frühstück, noch ein kurzer Gang zum Markt (hier sind alle Wege kurz), vorbei am „Rendez-Vous“, der Marktbummel ist schnell abgeschlossen, weil uns nichts anspringt, was unbedingt mit muss und dann geht es um 9:45 Uhr los.

Ein letztes Mal durchqueren wir den Park von Chambord von Süden nach Norden, vorbei am Schloss, das nun unserer Anouk gehört und niemand sonst, da kann Monsieur Hollande noch so aufgeregt „Egalité, Liberté und Fraternité“ skandieren, das ist uns egal. Wir beschließen, heute kein Hirsch-Watching zu machen, sondern direkt nach Mer zum Super-U zu dieseln um unsere Tanks zu füllen und Macarons für mutmaßlich ein halbes Jahr zu Aire du Chien BlancAnouks Rastplatz "Weißer Hund"erstehen. Das alles ist um 10:30 Uhr erledigt und wir orientieren uns in Richtung Orleans. Au revoir, Loire! Über gähnend leere Autobahnen A 19 und A 6 geht es nach Südosten, quer durchs Burgund. Vor Beaune machen wir einen kurzen Halt, der muss sein, weil der Rastplatz nach unserer Anouk benannt ist: Aire du Chien Blanc (Rastplatz Weißer Hund). Wer weiß schon, ob sie ihren Rastplatz noch einmal zu sehen bekommt? Und dann geht es weiter, fort mit der Sentimentalität...  Mitten zwischen den Weingärten südlich von Beaune besteigen wir für ein paar Kilometer die A 31 und dann die A 36 nach Nordwesten in Richtung Mulhouse. Um 15:30 Uhr stecken wir bei Montbeliard Herrn Holland knappe 80 € Péage in den löchrigen staatlichen Klingelbeutel und hören, wie es im gleichen Augenblick unten wieder heraus klimpert. Nun beginnt es auch zu regnen. Nach einer halben Stunde müssen wir kurz vor der Ausfahrt Colmar nochmal einen kleinen Obolus von 4,40 € berappen und damit ist der französische Fiskus mit uns und sich im Reinen und schickt uns wieder die Sonne. So schlicht sind manchmal die Zusammenhänge: Zahlemann & Sonne.

Um Viertel nach vier verlassen wir in Mulhouse-Pfastatt die Autobahn, um bei dem uns von früher bekannten Intermarché die Tanks neu zu füllen. Wir lassen unsere Damen mal raus und gönnen uns eine Autofahrerbrotzeit auf die Faust. Und dann geht’s auch schon wieder weiter in Richtung Freiburg. Den Grenzübertritt nach Deutschland merkt man nicht, es ist, als ob man uns verheimlichen wollte, dass wir Frankreich nun verlassen hätten – wenn da nicht die Verkehrsschilder wären: Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80. In Frankreich gibt es 30, 50, 70, 90 und 110, aber niemals 80. Also müssen wir in Deutschland sein. Außerdem fallen mit einem Mal 1000 Autofahrer vom Himmel und zwingen sich und uns in ein Rennen, das wir nicht wollen; Hektik und Rüpeleien allüberall. Deshalb beschließen wir, im Gegensatz zu früheren Reisen, wo wir den Touristenkolonnen des Schwarzwaldes und des Bodensees misstrauten und uns über Karlsruhe und Stuttgart über die Autobahnen Bayern annäherten, heute die Route über den Schwarzwald und den Bodensee zu nehmen. Und dann ist da noch etwas, das die Geheimniskrämerei um unseren Grenzübertritt sabotiert: Wahlplakate. Kein Baum, der nicht den geschmacklosen Parteienschmuck tragen muss. Besonders tut sich die AfD dabei hervor, deren blaue Wahlpappen an nahezu jedem Laternenmast baumeln. Die Europawahl lässt grüßen. Aber was ist mit den Franzosen? Dürfen die nicht mitwählen? Wahlplakate scheinen dort jedenfalls nicht das Mittel der Wahl zu sein. Nicht eines haben wir auf unserem Weg durch die Grande Nation gesehen. Aber vielleicht sind die ja gerade dabei, die Europawahl zu verpennen, was ja kein Wunder wäre, wenn man sich eine Kandidatin namens Le Pen leistet. Hier im Badischen jedenfalls, und im Württembergischen dürfte es schwerlich anders sein, hauen sie sich in den Eurowahlkampf wie die Sau in den Misthaufen. Wir empfinden diese Parolenschlacht als Übergriff auf unseren Seelenfrieden und Aufforderung umzudrehen. Das schlimmste ist, dass man, hinter einem Traktor her bummelnd, kaum eine Chance hat, den geistigen Müll, der einem da serviert wird, zu übersehen. Am Bodensee sind wir dann schon wieder immun und so abgehärtet, dass uns das ganze Politgeplärre an Franzens Heck vorbei geht: die Politrezeptoren sind zugeschissen, die Synapsen fallen bei jedem Wahlspruch ins Koma.

Und dann erfasst uns schon der nächste Kulturschock: praktisch mit dem Moment, wo man Lindau hinter sich lässt, wie mit einem Lineal gezogen, hört der Obstbau auf und es beginnt die Allgäuer Viehwirtschaft mit ihrem beißenden Gestank, statt Obstgärten und Streuobstwiesen buckliges und stinkendes Grünland. Man ertappt sich beim Gedanken, auf die alten Tage doch noch Vegetarier zu werden. Der Gestank bleibt auch, als sich die Nacht langsam über uns senkt. In München gibt es dann natürlich keinen Güllegestank mehr – aber auch keine Wahlplakate. Gehen die Bayern auch nicht wählen? Haben die etwa einen geheimen Bund mit den Franzosen geschlossen und den Bawüs nix davon gesagt? Oder hyperventilieren die Schwaben wieder mal, weil sie nicht ertragen können, dass die Bayern für sich in Anspruch nehmen, immer vorn zu sein? Jetzt wollen sie mal ganz vorne mit dabei sein, damit auch jeder weiß, wer die eifrigsten Europäer sind. Das europäische Herz schlägt schwäbisch, gell. So wird's sein.

Um 22:10 Uhr steuern wir unseren Franz rechts ran und drehen ihm die Dieselluft ab. Angekommen nach guten 1000 Kilometern heute und insgesamt 3300. Ankerschluck. Pfingsten fällt heuer aus, wo uns der Franz wohl im Sommer hinbringt?

Letzte Etappe von Bracieux nach Vagen

P.S.: Die Chefin hat wieder mal recht gehabt, als sie den Chronisten in Bracieux zum sofortigen Dokumentieren der Reise aufforderte, weil es sonst wieder so lange dauern würde. Aber immerhin ist er noch vor der nächsten Ausfahrt fertig geworden.

Urlaubsimpressionen: